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Des Nordlands Wirtin hetzt einen Bären auf Kalewalas Herden 1–20. Wäinämöinen tötet den Bären, worauf das bei solcher Gelegenheit übliche festliche Mahl in Kalewala gehalten wird 21–606. Wäinämöinen singt, spielt auf seiner Kantele und erhofft für die Zukunft das gleiche freudige Leben für Kalewala 607–644.
Nach Pohjola kommt die Kunde,
Nach dem kalten Dorf die Botschaft,
Daß Wäinölä sich erholet,
Kalewala sich befreiet
Von den angehexten Schäden,
Von den nie erhörten Übeln.
Louhi, sie, Pohjolas Wirtin,
Nordlands zähnearme Alte,
Ward darob gewaltig böse,
Redet Worte solcher Weise:
[10]
»Kenne wohl noch andre Mittel,
Finde wohl noch andre Wege;
Treib' den Bären von der Heide,
Aus dem Wald den Tatzenträger
Auf den Reichtum von Wäinölä,
Auf die Herden Kalewalas.«
Trieb den Bären von der Heide,
Trieb ihn von dem starren Lande
Auf die Fluren von Wäinölä,
Auf die Herden Kalewalas.
[20]
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
»Bruder du, Schmied Ilmarinen,
Schmied' mir eine neue Lanze,
Einen Speer mir mit drei Spitzen,
Mit dem Schaft aus gutem Kupfer!
Gern möcht' ich den Bären fangen,
Ihn, das Tier mit teurem Felle,
Daß er meine Hengste nimmer,
Niemals meine Stuten fresse,
[30]
Daß er nicht den Herden schade,
Nicht die Kühe niederstrecke.«
Hämmert einen Speer der Schmieder,
Keinen langen, keinen kurzen,
Hämmert einen mittelgroßen:
Stand ein Wolf auf seiner Kante
Und ein Bär an seiner Spitze,
Auf dem Speerschuh lief ein Elen,
Auf dem Schafte rannt' ein Füllen,
An dem Knopfe stieß ein Renntier.
[40]
Hatte grade frisch geschneiet,
War gar zarter Schnee gefallen,
Gleich dem Herbstschaf weiß an Farbe,
Gleich dem Hasenfell im Winter;
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet selber diese Worte:
»Mich ergreift die Lust zu gehen,
Hin nach Metsola zu ziehen,
In der Waldesjungfraun Nähe,
Zu dem Hof der blauen Mädchen.
[50]
»Von den Männern geh' zum Walde,
Von den Helden ich zur Arbeit;
Nimm mich, Wald, zu deinem Manne,
Tapio, mich zu deinem Helden,
Hilf das Glück du mir gewinnen,
Mir des Waldes Zierde fällen!
»Mielikki, des Waldes Wirtin,
Tellerwo, du Weib Tapios!
Binde fest doch deine Hunde,
Halt in Ordnung deine Bracken
[60]
In dem geißblattreichen Gange,
Unterm eichenen Gerüste!
»Petzlein du, des Waldes Apfel,
Runder mit den Honigtatzen!
Hörest du, daß ich erscheine,
Daß zu dir der Brave schreitet,
Birg die Krallen in den Haaren,
Deine Zähne in dem Zahnfleisch,
Daß sie nimmer mich berühren,
Ganz und gar sich nicht bewegen!
[70]
»Petzlein, du mein Vielgeliebter,
Schönster mit den Honigtatzen!
Leg' dich schlafen auf den Rasen,
Auf die wunderschönen Felsen,
Daß die Fichten oben schwanken,
Über dir die Tannen rauschen;
Wälze also dich, o Breitstirn,
Wende dich, o Honigtatze,
Wie das Haselhuhn im Neste,
Wie die Gänse, wenn sie brüten!«
[80]
Hört der alte Wäinämöinen
Seinen Hund da munter bellen,
Hört den Welp gar heftig zanken
Auf dem Hof des Kleingeäugten,
Unterm Regendach der Plattnas,
Redet Worte solcher Weise:
»Wähnte, daß ein Kuckuck riefe,
Daß ein liebes Vöglein sänge;
Hat kein Kuckuck jetzt gerufen,
Nicht ein Vöglein lieb gesungen,
[90]
Ist mein Hund, der wohlbewährte,
Ist mein auserlesnes Tierchen,
An der Tür' von Breitstirns Stube,
Auf dem Hof des schönen Mannes.«
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Findet da den Bären liegen,
Stürzt ihm um das seidne Bette,
Stößt ihm um das goldne Lager,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
[100]
»Jumala sei nun gepriesen,
Einzig sei gelobt, o Schöpfer,
Daß den Bären du mir gabest,
Mir des Waldes Gold verliehest!«
Er betrachtete den Goldnen,
Redet Worte solcher Weise:
»Petzlein, du mein Vielgeliebter,
Schönster mit der Honigtatze!
Sei umsonst nicht voller Ärger,
Hab' dich, Lieber, nicht gefället,
[110]
Selber sankst vom krummen Baume,
Glittst du von des Astes Kante,
Hast das Holzgewand zerrissen,
Deine Kleidung du aus Zweigen;
Schlüpfrig ist des Herbstes Wetter,
Seine Tage reich an Nebel!
»Goldner Kuckuck du des Waldes,
Der das schöne Fell du schüttelst!
Lasse nun dein Haus der Kälte,
Deinen Wohnsitz du nun öde,
[120]
Laß dein Haus aus Birkenzweigen,
Deine Hütt' aus Weidenreisern,
Geh, Berühmter, auf die Wandrung,
Waldes Zier, fang an zu schreiten,
Lauf auf deinen leichten Schuhen,
Blaugestrümpfter, eile vorwärts,
Fort aus diesen kleinen Räumen,
Von den gar zu engen Pfaden
Zu dem Haufen starker Helden,
Zu der großen Schar der Männer!
[130]
Nicht wird man dich schlecht behandeln,
Nicht wirst elend du dort leben,
Honig gibt man dort zu essen,
Frischen Met man dort zu trinken
Allen Fremden, die da kommen,
Allen, die dahin gelangen.
»Geh hervor von dieser Stelle,
Aus dem kleinen, schlechten Neste
Unters Dach, das vielgerühmte,
In das schöne Wohngebäude;
[140]
Gleite vorwärts auf der Schneeflur
Wie Seerosen auf dem Teiche,
Hüpfe über diese Zweige
Wie ein Eichhorn in den Ästen!«
Wäinämöinen alt und wahrhaft,
Er, der ew'ge Zaubersprecher,
Schreitet spielend durch die Fluren,
Singend durch die Heidestrecken,
An der Seite seines Gastes
Mit dem weichbehaarten Felle;
[150]
Hörbar ward das Spiel zu Hause,
Ward der Sang bis zu der Wohnung.
Rief das Volk bald in der Stube,
Sprach die schöne Schar im Hause:
»Höret dieses Schallen draußen,
Hört die Töne aus dem Walde,
Hört des Tannenpapageis Sang,
Hört das Horn der Waldesjungfrau!«
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Kommt nun selber nach dem Hofe,
[160]
Aus der Stube stürzt die Menge,
Redet so die Schar, die schöne:
»Ist das Gold wohl angekommen,
Ist das Silber hergewandert,
Ist das teure Fell erschienen,
Schreitet auf dem Weg das Goldstück,
Gab der Wald den Honiglecker,
Seinen Luchs der Wirt des Haines,
Da ihr singend hier erscheinet,
Jubelnd auf den Schneeschuhn laufet?«
[170]
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
»Einen Otter fing zur Kunde,
Gottes Gabe ich zum Liede,
Deshalb komm' ich hieher singend,
Jubelnd deshalb auf den Schneeschuhn.
»Aber nein, es ist kein Otter,
Ist kein Otter, auch ein Luchs nicht,
Der da kommt, ist der Berühmte,
Ist des Waldes Zier, die schreitet,
[180]
Er, der Alte, der heranzieht,
Der im Tuchrock hier erscheinet;
Ist der Fremde euch erwünschet,
Öffnet weit ihm alle Pforten,
Scheinet euch der Fremde unlieb,
Schlagt sie fest zu, eh' er eintritt!«
Antwort gibt das Volk ihm also,
Redet so die Schar, die schöne:
»Sei gegrüßt, o Bär, beim Kommen,
Honigtatz', da du erschienen
[190]
Auf dem reingefegten Hofe,
In dem schöngeschmückten Raume!
»Dies erhoffte ich mein Leblang,
Harrte drauf in meiner Jugend,
Daß Tapios Horn erklänge,
Daß des Waldes Pfeife tönte,
Daß des Waldes Gold erschiene,
Daß sein Silber hieher käme
Auf den kleinen Raum des Hofes,
Auf die engen Ackergassen.
[200]
»Hoffte wie aufs Jahr voll Wachstum,
Wartete wie auf den Sommer,
Wie auf frischen Schnee der Schneeschuh,
Wie auf glatte Bahn der Schlitten,
So erharrt die Maid den Freier,
Die Rotwangige den Gatten.
»Saß des Abends an den Fenstern,
Morgens saß ich stets am Tore,
Wochenlang ich an der Pforte,
Mondenlang ich bei der Ausfahrt,
[210]
An der Scheun' den Winter über;
Stand im Schnee, bis hart er wurde,
Bis der harte sich erweichte,
Sich das Land in Klumpen ballte,
Diese sich mit Staub bedeckten
Und der Staub zu grünen anfing:
Dachte also alle Morgen,
Hatte dies in meinem Kopfe:
›Wo wohl weilt der Bär so lange,
Zaudert so des Waldes Liebling,
[220]
Ist nach Estland er geeilet,
Ist aus Suomi er gewichen?‹«
Sprach der alte Wäinämöinen
Selber darauf solche Worte:
»Wohin soll den Gast ich führen,
Wo den goldnen hingeleiten,
Soll ich ihn zur Scheune führen,
In die Strohbehausung legen?«
Gab das Volk ihm diese Antwort,
Redet so die Schar, die schöne:
[230]
»Führe dahin unsern Fremden,
Leit' du unsern Gast, den goldnen,
Unters Dach, das vielgerühmte,
In das schöne Wohngebäude;
Dort ist Speise schon bereitet
Und Getränke zugerichtet,
Alle Bretter sind gefeget,
Alle Planken reingekehret,
Alle Weiber stehn gekleidet
In die saubersten Gewänder,
[240]
Mit dem auserlesnen Kopfputz,
Mit den schimmernd weißen Tüchern.«
Sprach der alte Wäinämöinen
Selber darauf diese Worte:
»Breitstirn, du mein liebes Vöglein,
Schönster mit den Honigtatzen!
Gibt noch Land dir zu durchmessen,
Heide dir noch zu durcheilen.
»Gehe, Goldner, auf die Wandrung,
Schreite, Lieber, auf dem Boden,
[250]
Schwarzstrumpf, mach' dich auf die Reise;
Ziehe mit den tuchnen Hosen,
Eile auf dem Pfad der Meise,
Auf dem Weg des muntern Sperlings,
Unter die fünf glatten Balken,
Unter die sechs starken Sparren!
»Schaut euch vor, ihr armen Weiber,
Daß die Herde nicht erschrecke,
Daß dem kleinen Vieh nicht bange,
Nicht der Wirtin Tiere leiden,
[260]
Wenn der Bär zur Stube kommet,
Wenn das zott'ge Maul hier eindringt!
»Fort, ihr Knaben, aus dem Vorhaus,
Mädchen, von des Eingangs Pforten,
Da der Held zur Stube kommet,
Da der Männer Zier erscheinet!
»Petzlein, du des Waldes Apfel,
Schöner Ball du in dem Walde!
Fürchte dich nicht vor den Mädchen,
Beb' nicht vor den Schöngelockten,
[270]
Hab' nicht Angst vor diesen Weibern,
Die die Strümpfe hängen lassen!
Soviel Weiber in der Stube,
Eilen alle zum Verschlage,
Wenn zur Stube Männer kommen,
Wenn der stolze Knabe schreitet!«
Sprach der alte Wäinämöinen:
»Send', o Jumala, Gesundheit
Unter die berühmten Balken,
Unter dieses schöne Wohndach!
[280]
Wohin soll ich meinen Liebling,
Diesen zottigen hier führen?«
Antwort gaben so die Leute:
»Sei gegrüßt bei deiner Ankunft!
Dahin bringe du dein Vöglein,
Dahin leite deinen Goldnen,
Auf den Sitz aus Fichtenholze,
An das End' der Bank aus Eisen,
Daß wir seinen Pelz befühlen,
Aus der Näh' sein Fell betrachten!
[290]
»Mach' dir, Breitstirn, keine Sorge,
Werde deshalb nimmer böse,
Daß für deinen Pelz die Stunde,
Für dein Fell naht die Beschauzeit;
Nicht verdorben wird der Pelz dir,
Nicht dazu dein Fell betrachtet,
Daß sich Schlechte daraus Lumpen,
Elende draus Kleider machen.«
Zog der alte Wäinämöinen
Drauf den Pelz herab vom Bären,
[300]
Tat ihn in die Vorratskammer,
Legt das Fleisch dann in den Kessel,
Ins Gefäß, das golden leuchtet,
Auf des Topfes Kupferboden.
Auf dem Feuer stand der Kessel,
Auf dem Herd der Topf aus Kupfer,
Vollgepfropft und angefüllet
Von des Fleisches reichen Stücken,
Mit dem Salze in der Masse,
Das von fern herbeigeschaffet,
[310]
Aus der Sachsen Land geholet,
Vom Gewässer ob der Dwina,
Durch den Salzsund durchgerudert,
Von dem Schiffe ausgeladen.
Als das Fleisch darauf gekocht war,
Nahm den Kessel man vom Feuer,
Ward die Beute aufgetragen,
Kam der Tannenpapagei nun
Auf die lange fichtne Tafel,
Auf die goldgeschmückten Schüsseln,
[320]
Um den Honig einzuschlürfen,
Um das Bier dort zu empfangen.
Fichtenhölzern war die Tafel,
Kupfer war der Schüssel Masse,
Ganz von Silber alle Löffel,
Messer dort aus Gold gebildet;
Alle Schalen bis zum Rande,
Alle Schüsseln hochbeladen
Füllt des Waldes Liebesgabe,
Füllt der Wildnis goldne Beute.
[330]
Sprach der alte Wäinämöinen
Selber Worte solcher Weise:
»Goldenbrüst'ger Greis der Hügel,
Wirt auf Tapios Gehöfte,
Süßes Weib du von Metsola,
Wohlgesinnte Waldesherrin,
Kräft'ger Mann, du Sohn Tapios,
Kräft'ger Mann mit roter Mütze,
Tellerwo, Tapios Jungfrau,
Und zugleich das Volk Tapios,
[340]
Kommet zu dem Gastgelage,
Zu des Langhaars Hochzeitsschmause!
Vorrat gibt es hier zu essen,
Hier zu essen und zu trinken,
Bleibt genug hier zu behalten,
Bleibt genug dem Dorf zu schenken.«
Spricht das Volk darauf die Worte,
Redet so die Schar, die schöne:
»Wie ist wohl der Bär geboren,
Wie das teure Fell gewachsen,
[350]
Ist auf Stroh der Bär geboren,
In der Badstub' aufgewachsen?«
Sprach der alte Wäinämöinen
Selber darauf diese Worte:
»Ist nicht auf dem Stroh geboren,
Nicht auf Spreu in einer Scheune,
Dorten ist der Bär geboren,
Kam die Honigtatz' zum Vorschein:
Bei dem Monde, bei der Sonne,
Auf des großen Bären Schultern,
[360]
In der Lüftejungfraun Nähe,
An der Schöpfungstöchter Seite.
»Ging am Rand der Luft ein Mädchen,
An des Himmels Mitt' die Jungfrau,
Wandert an dem Saum der Wolke
Und entlang des Himmels Grenzen
In den blaugefärbten Strümpfen,
In den buntgeschmückten Schuhen,
In der Hand ein Kästchen Wolle,
In dem Arm ein Korb mit Haaren;
[370]
Wirft die Wolle auf das Wasser,
Wirft die Haare auf die Fluten,
Diese wiegen dort die Winde,
Setzt die Luft dort in Bewegung,
Schwinget dort der Zug des Wassers,
Treiben zu dem Strand die Wellen,
Zu dem Strand des Honigwaldes,
Zu der süßen Landzung' Ende.
»Mielikki, des Waldes Wirtin,
Tapiolas kluge Hausfrau,
[380]
Nimmt die Flocken aus dem Wasser,
Aus der Flut die welche Wolle.
»Fügt dann alles flink zusammen,
Wickelt es gar schön und legt es
In den Korb von Ahornrinde,
In die wunderschöne Wiege,
Hebt sodann die Windelschnüre,
Hängt den Korb an goldnen Ketten
An die dicht belaubten Zweige,
An die allerstärksten Äste.
[390]
»Wiegte da das liebe Wesen,
Schaukelte das zarte Kindlein
Unter einer blüh'nden Tanne,
Unter einer breiten Fichte;
Ließ gedeihen so den Bären,
So den Schönhaar sie dort wachsen
An dem Saum des Honigbusches,
In des Honigwaldes Innerm.
»Wuchs der Bär nun auf das schönste,
Schoß voll Anmut in die Höhe;
[400]
Kurz von Füßen, krummen Kniees,
Mit dem platten, plumpen Maule,
Breitem Kopfe, stumpfer Nase,
Und dem schönen, zott'gen Pelze;
Doch noch hatt' er keine Zähne,
War mit Krallen nicht versehen.
»Mielikki, des Waldes Wirtin,
Redet selber diese Worte:
›Möchte Krallen ihm jetzt geben,
Möcht' ihm Zähne gern verleihen,
[410]
Wenn er sie nur nicht zum Schaden,
Nicht zu bösen Werken brauchte.‹
»Schwur der Bär dort kräft'ge Eide,
Auf den Knien der Waldeswirtin,
Vor dem Antlitz des Allmächt'gen,
Jumala des Offenkund'gen,
Daß er Böses nicht beginnen,
Übles Werk nicht üben wolle.
»Mielikki, des Waldes Wirtin,
Tapiolas kluge Hausfrau,
[420]
Ging nun Zähne ihm zu suchen,
Ging nun Krallen zu verlangen
Von der festen Eberesche,
Von dem zähesten Wacholder,
Von den allerstärksten Wurzeln,
Von dem harz'gen, harten Baumstamm;
Konnte Krallen dort nicht finden,
Keine Zähne dorther holen.
»Auf der Flur wuchs eine Föhre,
Eine Tanne auf der Höhe,
[430]
Silberzweige hat die Föhre,
Goldne Zweige hat die Tanne;
Mit den Händen nahm die Frau sie,
Macht' aus ihnen ihm die Krallen,
Setzte daraus in das Kinnbein,
In das Zahnfleisch ihm die Zähne.
»Ließ den Liebling darauf gehen,
Sandte aus den zarten Burschen,
Ließ die Sümpfe ihn durcheilen,
Ihn durch schöne Haine laufen,
[440]
An der Waldung Rändern schreiten,
Auf den weiten Fluren springen;
Ordentlich zu gehn gebot sie,
Sich mit Anstand zu bewegen,
Voller Freude stets zu leben,
Gute Tage zu verbringen
Auf den Sümpfen, Sumpfesinseln,
An dem Saum der Tanzesheide,
Unbeschuhet in dem Sommer,
Ohne Strümpfe in dem Herbste,
[450]
In der schlechten Zeit zu ruhen,
In dem Winter sich zu bergen
In der Faulbaumstube Innerm,
An dem Rand der Nadelholzburg,
An dem Fuß der schönen Tanne,
In dem Schoße des Wacholders,
Unter fünf der Wollendecken,
Unter acht der besten Mäntel;
Dort mir holte ich die Beute,
Hab' ich meinen Fang gefunden.«
[460]
Sprachen so die jungen Leute,
Also redeten die Alten:
»Weshalb war der Wald so gütig,
Wald und Hain so voller Gnade,
War des Haines Wirt so freundlich,
So geneigt der teure Tapio,
Daß er seinen Liebling hergab,
Seinen Honigschmecker sandte;
Ward er mit dem Speer getroffen,
Ward durchbohrt er mit dem Pfeile?«
[470]
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
»Ja, sehr gütig war der Wald mir,
Wald und Hain mir voller Gnade,
Freundlich war der Wirt des Waldes,
Mir geneigt der teure Tapio.
»Mielikki, des Waldes Wirtin,
Tellerwo, die Tochter Tapios,
Diese schöne Waldesjungfrau,
Sie, des Waldes kleines Mädchen,
[480]
Ging den Weg mir anzuzeigen,
Ging die Pfade zu bereiten,
Setzte Pfähle längs des Randes,
Um die Richtung zu bezeichnen;
Schnitzte Kerben in die Bäume,
Machte Zeichen an den Bergen,
Zu des edlen Bären Türen,
Zu dem Saum des Pelzwerkeilands.
»Als ich dorthin war gekommen,
Zu der Grenze hingelanget,
[490]
Hab' ich nicht den Speer entsendet,
Keine Pfeile abgeschossen;
Selber glitt er von der Wölbung,
Stürzt' er von des Stammes Rücken;
Reiser rissen ihm die Brust auf,
Zweige spalteten den Bauch ihm.«
Redet darauf diese Worte,
Selber spricht er solcher Weise:
»Breitstirn mein, du Auserlesner,
Du mein Vöglein, du mein Liebling!
[500]
Lege ab des Kopfs Bekleidung,
Lasse deine Hauer fahren,
Schenk' uns deine wen'gen Zähne,
Gib uns deine breiten Kiefer!
Werde du nur nimmer böse,
Wenn wir also handeln müssen,
Daß dir Bein und Kopf erkrachen,
Deine Zähne heftig knirschen.
»Nehme nunmehr Petzleins Nase
Zu der früheren Vermehrung;
[510]
Nehm' sie nicht zu Schimpf und Schaden,
Nicht zu abgeschiednem Lose.
»Nehme nunmehr Petzleins Ohren
Zu der früheren Vermehrung;
Nehm' sie nicht zu Schimpf und Schaden,
Nicht zu abgeschiednem Lose.
»Nehme nunmehr Petzleins Augen
Zu der früheren Vermehrung;
Nehm' sie nicht zu Schimpf und Schaden,
Nicht zu abgeschiednem Lose.
[520]
»Nehme nunmehr Petzleins Stirne
Zu der früheren Vermehrung;
Nehm' sie nicht zu Schimpf und Schaden,
Nicht zu abgeschiednem Lose.
»Nehme nunmehr Petzleins Schnauze
Zu der früheren Vermehrung;
Nehm' sie nicht zu Schimpf und Schaden,
Nicht zu abgeschiednem Lose.
»Nehme nunmehr Petzleins Zunge
Zu der früheren Vermehrung;
[530]
Nehm' sie nicht zu Schimpf und Schaden,
Nicht zu abgeschiednem Lose.
»Würde einen Mann den nennen,
Würd' als Helden den betrachten,
Der die Zähne weiß zu zählen,
Des Gebisses Reihen löset
Aus den stahlesharten Kiefern
Mit den eisenfesten Fäusten.«
Da kein anderer sich zeigte,
Keine Helden dorten waren,
[540]
Zählt er selber drauf die Zähne,
Löst er des Gebisses Reihen,
Mit dem Knie gestützt am Schädel,
Mit den eisenfesten Fäusten.
Nahm die Zähne fort dem Bären,
Redet Worte solcher Weise:
»Petzlein du, des Waldes Apfel,
Schöner Ball du in dem Walde!
Mußt noch eine Strecke gehen,
Mußt ein Stück noch vorwärts hüpfen,
[550]
Hier aus diesem kleinen Neste,
Aus der niedrigen Behausung
Zu dem hochgebauten Hause,
Zu der ausgedehnten Wohnung.
»Gehe, Gold, nun auf die Wandrung,
Teurer Pelz, beginn zu schreiten
An der Säue Weg vorüber,
An dem Pfad der kleinen Ferkel,
Geh zum waldbewachsnen Hügel,
Zu dem hohen Berg begib dich,
[560]
Zu dem busch'gen Föhrenbaume,
Zu der hundertäst'gen Fichte!
Dort ist's gut für dich zu weilen,
Schön die Zeit dort zuzubringen,
Wo der Herde Glocken tönen,
Wo die kleinen Schellen klingen.«
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Kam von dort nun nach dem Hause;
Reden so die jungen Leute,
Also spricht die Schar, die schöne:
[570]
»Wohin brachtest du die Beute,
Hast den Fang du hingetragen;
Hast ihn auf dem Eis gelassen,
In den Schnee ihn eingesenket,
In des Sumpfes Schlamm gestürzet,
Auf der Heide eingegraben?«
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte dieser Weise:
»Hab' auf Eis ihn nicht gelassen,
Hab' ihn nicht in Schnee gesenket,
[580]
Hunde würden ihn dort rauben,
Dort die Vögel ihn beschmutzen;
Auch nicht in den Sumpf gestecket,
Auf der Heide eingegraben,
Würmer würden ihn verderben,
Ameisen ihn dort benagen.
»Brachte dahin meine Beute,
Dahin meinen Fang, den kleinen:
Zu des goldnen Hügels Spitze,
Zu des Kupferberges Gipfel;
[590]
Hing an einen edlen Baum ihn,
Eine hundertäst'ge Fichte,
An die allerstärksten Äste,
Auf der Krone breitste Stelle,
Allen Menschen zum Vergnügen,
Allen Wanderern zur Ehre.
»Setzt' das Zahnfleisch hin nach Osten,
Seine Augen hin nach Nordwest,
Nicht zu sehr gewandt zum Wipfel;
Wären sie zu nah dem Wipfel,
[600]
Würde sie der Wind beschäd'gen,
Würd' die Luft sie schlimm behandeln;
Tat sie nicht zu nah dem Boden;
Tät' ich sie zu nah dem Boden,
Würden Schweine sie entführen,
Sie die Rüsselträger wenden.«
Fing der alte Wäinämöinen
Nunmehr an ein Lied zu singen
Zu des schönen Abends Zierde,
Zu des Tagesschlusses Freude.
[610]
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet selber diese Worte:
»Leuchte mir nun, Kienspanzange,
Daß ich bei dem Singen sehe;
An mir ist die Reih' zu singen,
Munter will mein Mund jetzt tönen.«
Darauf sang er und er spielte
Zu des langen Abends Freude,
Sprach beim Ende seines Sanges,
Selbst zuletzt noch diese Worte:
[620]
»Gib, o Jumala, auch künftig,
Gib ein andermal, o Schöpfer,
Daß wir also uns vergnügen,
Wieder so uns unterreden
Auf des dicken Burschen Hochzeit,
Auf des Langhaars Festgelage!
»Gib beständig, o Jumala,
Künftig auch, wahrhaft'ger Schöpfer,
Daß man Zeichen an dem Wege,
Kerben an den Bäumen habe
[630]
Für die heldenmüt'gen Leute,
Für die große Schar der Männer!
»Gib beständig, o Jumala,
Künftig auch, wahrhaft'ger Schöpfer,
Daß Tapios Horn ertöne,
Daß des Waldes Pfeife schalle
Auf dem kleinen Raum des Hofes,
In den engen Wohngebäuden!
»Tagelang soll man so spielen,
Freude so am Abend wecken
[640]
Auf den Fluren dieses Landes,
Auf Suomis weiten Strecken
In der Jugend, die emporwächst,
In dem steigenden Geschlechte.«
Anmerkungen
Vers 59 f. D. h. den Bären.
94. »Für uns ist der Mensch ein Tier, für den Runensprecher war jedes Tier ein Mensch« (Pavolini).
97 f. Wäinämöinen tötet den Bären (vgl. die Beschreibung einer finnischen Bärenjagd in Acerbis Reise durch Schweden und Finnland, S. 218 ff ), doch wird das Folgende so erzählt, als sei der Bär nur hingefallen und vom Jäger mitgenommen worden, der ihn nun lebend mit sich führe und zu Hause als Gast empfangen lasse – eine Fiktion, der ihrer scherzhaften Form ungeachtet offenbar die ernste Absicht zugrunde liegt, das Geschlecht oder den Schutzgeist des Bären über dessen Ende zu täuschen und sich so vor der Rache zu schützen, ja wohl auch die andern anzulocken; auch hierin äußert sich der Glaube an die Gewalt des Wortes. Vgl. über ähnliche Bräuche bei andern Völkern Frazer, The Golden Bough, 3. Aufl., V 2, S. 220 ff.; A. Lang, Myth, Ritual and Religion, Ausg. v. 1899, I 59 ff. will sie totemistisch erklären.
141 ff. Diese Verse drücken die Hoffnung aus, daß der Bär mit seinem Gewicht nicht den Schlitten in den Schnee stürze. (Anm. d. Ausg. von 1887.)
157. Der Bär selbst, »der Tannenpapagei«, stimmt angeblich mit in das Triumphlied des Jägers ein, der hornblasend heimkehrt. Vgl. den Versuch einer Erklärung dieser Rune als der Darstellung eines totemistischen Opfers, bei dem das geopferte Tier als fortlebend gedacht wird, bei Harrison, Themis, Cambridge 1912, S. 140 f. – Tannenpapagei: loxia pityopsittacus.
273 ff. »Wenn es Gäste gab, hielten sich die Frauen in einem besonderen Teil der Stube auf, in der Ofenecke, die durch einen Balken von der Männerabteilung getrennt war.« (Anm. d. Ausg. von 1887, wo auch darauf hingewiesen wird, daß bei dem Bärenfest der Lappen sich keine Frauen im Hause aufhalten dürfen.)
321 f. Die Tatsache, daß das Bärenfleisch mit Honig und Bier zubereitet wird, wird in der Sprache der Fiktion so ausgedrückt, daß der Bär beides zu trinken bekommt.
351 f. D. h. wie die Menschenkinder.
383 ff. Diese Verse entsprechen dem finnischen Brauch, die Wiege eines neugeborenen Kindes an einem Baumast oder einem Balken hängend anzubringen.
477. Daß Mielikki, die Beschützerin des Bären, dem Jäger gegen ihn beistehen soll (vgl. die Anrufung V. 57 ff.), entspricht durchaus dem Charakter des finnischen Mythos; so hält ja Ukko selbst abwechselnd zu einer und zur andern Partei, je nachdem er von der einen oder der andern magisch angerufen wird. Die finnischen Götter, möchte man sagen, sind nur Energien, denen das Wort des Zauberers die Richtung gibt (vgl. Einführung).
501 ff. Bei der Zubereitung des Bärenkopfes werden Knochen und Kiefer entfernt.