Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Helden kommen nach dem Nordland und Wäinämöinen sagt, daß sie um den Sampo gekommen seien; würden sie ihn nicht mit Güte bekommen, so würden sie ihn mit Gewalt entführen 1–58. Des Nordlands Wirtin will ihn weder mit Güte noch mit Gewalt herausgeben und bietet gegen sie das Kriegsvolk auf 59–64. Wäinämöinen ergreift die Kantele, fängt an zu spielen und versetzt mit seinem Spiel das ganze Volk des Nordlands in Schlaf; dann geht er mit seinen Gefährten um sich des Sampo zu bemächtigen; sie schaffen ihn aus dem Steinberg in ihr Boot 65–164. Mit dem Sampo in dem Boote ziehen sie vom Nordland fort und eilen glücklich ihrer Heimat zu 165–308. Am dritten Tage erwacht des Nordlands Wirtin aus ihrem Schlaf und als sie den Sampo entführt sieht, sendet sie einen dichten Nebel, einen starken Wind und andere Hindernisse, um die Samporäuber aufzuhalten, bis sie sie erreicht hätte; bei dem Sturm fällt Wäinämöinens neue Kantele ins Meer 309–562.
Wäinämöinen alt und wahrhaft,
Als der zweite Ilmarinen,
Drittens auch der Sohn des Lempi,
Er, der schöne Kaukomieli,
Zogen auf des Meeres Fläche,
Auf den weitgedehnten Fluten
Nach des kalten Dorfes Höfen,
Nach dem nimmerhellen Nordland,
Nach dem Ort, der Männer tilget,
Der ins Meer die Helden senket.
[10]
Wer wohl führte dort das Ruder?
Einer war Schmied Ilmarinen,
Dieser ruderte im Boote
Mit dem vordern Ruderpaare,
Lemminkäinen war der zweite
Mit dem hintern Ruderpaare.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Setzte selber sich ans Steuer,
Lenkte vorwärts dann den Nachen,
Führt' ihn durch des Meeres Wogen,
[20]
Durch den heft'gen Gischt der Wellen,
Durch die schaumbedeckten Fluten
Zu dem Landungsplatz Pohjolas,
Zu den wohlbekannten Walzen.
Als sie nun dahin gekommen,
Als die Reise sie beendet,
Zogen sie ans Land den Nachen,
Hoben den mit Teer bestrichnen
Auf die stahlbeschlagnen Walzen,
Auf die kupferreichen Rollen.
[30]
Traten darauf in die Stube,
Drangen eilends in das Innre;
Also frug des Nordlands Wirtin,
Forschte aus die Angekommnen:
»Welche Rede bringt ihr, Männer,
Welche neue Kunde, Helden?«
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Gab ihr darauf diese Antwort:
»Männerrede gilt dem Sampo,
Heldenwort dem bunten Deckel;
[40]
Kamen zur Verteilung Sampos,
Zu der Schau des bunten Deckels.«
Selbst die Wirtin von Pohjola
Redet Worte solcher Weise:
»Nicht verteilet man ein Feldhuhn,
Niemals unter drei ein Eichhorn;
Gut zu surren ist's dem Sampo,
Seinem Deckel gut zu mahlen
In dem Steinberg von Pohjola,
In des Kupferberges Innerm,
[50]
Und ich selbst bin wohl zufrieden
Als des großen Sampos Herrin.«
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
»Wenn du nicht die Teilung zugibst,
Daß wir eine Hälfte nehmen,
Werden wir den ganzen Sampo
Mit Gewalt zum Boote tragen.«
Louhi, sie, des Nordlands Wirtin,
Wurde drauf gewaltig böse,
[60]
Rief herbei das Volk Pohjolas,
Junge Männer mit den Schwertern,
Helden mit den scharfen Waffen
Zum Verderben Wäinämöinens.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Nahm die Kantele zu Händen,
Setzte sich zum Spielen nieder
Und begann gar schön zu spielen,
Daß die Leute alle lauschten,
Daß den Jubel sie bestaunten,
[70]
Frohen Sinnes alle Männer,
Lachend mit dem Mund die Weiber,
Nassen Auges alle Helden,
Knieend auf der Erd' die Knaben.
Er ermüdete die Leute,
Schläferte das ganze Volk ein,
Daß die Lauscher alle schlummern,
Alle Stauner niedersinken,
Schlafen Alte, schlafen Junge
Bei dem Spiele Wäinämöinens.
[80]
Griff der weise Wäinämöinen,
Dieser ew'ge Zaubersprecher,
Hastig drauf in seine Tasche,
Suchte in dem Lederbeutel,
Holt' hervor des Schlafes Nadeln,
Strich den Schlummer auf die Augen,
Schloß gar fest die Augenwimpern,
Sperrte durch ein Schloß die Blicke
All dem mattgewordnen Volke,
All den eingeschlafnen Helden;
[90]
Senkte sie in tiefen Schlummer,
Daß sie lange schlafen mußten,
Alle Leute von Pohjola
Und das Volk des ganzen Dorfes.
Ging den Sampo dann zu holen
Und zu schaun den bunten Deckel
In dem Steinberg von Pohjola,
In des Kupferhügels Innerm,
Hinter neun der stärksten Schlösser,
Hinterm zehnten festen Riegel.
[100]
Fing der alte Wäinämöinen
An mit leiser Stimm' zu singen
An des Kupferberges Eingang,
An dem Saum des Felsenschlosses;
Schon erbebt des Schlosses Pforte,
Schon erkracht die Eisenangel.
Selbst der Schmieder Ilmarinen
Schmierte darauf samt den andern
Mit dem Fett des Tores Schlösser,
Mit dem Speck der Pforte Angeln,
[110]
Damit nicht die Türe heulte,
Damit nicht die Angeln kreischten;
Dreht' das Schloß mit seinen Fingern,
Hob mit seiner Hand die Riegel,
Öffnet' ohne Müh' die Schlösser
Und gar leicht die festen Tore.
Sprach der alte Wäinämöinen
Selbst drauf Worte solcher Weise:
»O du muntrer Lemminkäinen,
Trefflichster du meiner Freunde,
[120]
Geh den Sampo nun zu fassen,
Raffe fort den bunten Deckel!«
Lemminkäinen leichtgemutet,
Er, der schöne Kaukomieli,
Stets bereit auch ungebeten,
Gar behend auch ungerühmet,
Ging den Sampo zu erfassen,
Ging den Deckel fortzuraffen,
Also sprach er dahin schreitend,
Prahlte so auf seinem Gange:
[130]
»Ja, so wahr ein Mann in mir steckt
Und ein Held im Sohne Ukkos,
Wird der Sampo fortgeschoben,
Wird der Deckel umgewendet,
Wenn ich mit dem rechten Fuß ihn,
Mit dem Absatz ihn berühre!«
Schieben tat nun Lemminkäinen,
Schieben wohl und fleißig wenden,
Faßt den Sampo mit den Armen,
Stemmt die Kniee auf den Boden,
[140]
Nicht bewegte sich der Sampo,
Wankte nicht der bunte Deckel;
Wurzeln hatte er getrieben
In die Tiefe von neun Klaftern.
War ein guter Stier im Nordland,
War von einem kräft'gen Wuchse,
War gar zähe an den Seiten,
Gar gewaltig an den Sehnen;
Hatte klafterlange Hörner
Und ein Maul von zweithalb Klaftern.
[150]
Nahm den Stier vom Grasgefilde,
Einen Pflug vom Zaum des Feldes,
Ackert' aus des Sampo Wurzeln
Und des bunten Deckels Fasern;
In Bewegung kam der Sampo,
Rührte sich der bunte Deckel.
Bracht' der alte Wäinämöinen,
Als der zweite Ilmarinen,
Drittens endlich Lemminkäinen
Nun den großen Sampo also
[160]
Aus dem Steinberg von Pohjola,
Aus des Kupferberges Innerm;
Führten ihn nach ihrem Fahrzeug,
Bargen ihn in ihrem Boote.
Hatten in dem Schiff den Sampo,
In der Wölbung nun den Deckel,
Stießen in das Meer den Nachen,
In die Flut den bretterreichen;
In das Wasser rauscht der Nachen,
In die Flut mit seinen Seiten.
[170]
Fragt der Schmieder Ilmarinen,
Redet Worte solcher Weise:
»Wohin nun den Sampo bringen,
Wohin sollen wir ihn schaffen
Fort von dieser schlechten Stelle,
Aus dem unheilvollen Nordland?«
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
»Dahin wollen wir ihn bringen,
Dahin seinen Deckel führen:
[180]
Zu der nebelreichen Spitze,
Zu dem dunstumwobnen Eiland,
Wo er voller Ruhe weilen,
Wo er immer bleiben könnte;
Ist doch dort wohl noch ein Plätzchen,
Dort ein Stückchen Land noch übrig,
Ungeplündert, unbezwungen,
Nicht besucht vom Schwert der Männer.«
Zog der alte Wäinämöinen
Fort nun von des Nordlands Grenzen,
[190]
Zog hinweg mit froher Laune,
Freudig nach dem Heimatlande;
Selber sprach er diese Worte:
»Wende, Boot, dich von Pohjola,
Wend' dich grade nach der Heimat,
Kehr' der Fremde zu den Rücken!
»Wiege, Wind, nun meinen Nachen,
Treib das Boot mir vorwärts, Wasser,
Leih den Rudern deinen Beistand,
Leichtigkeit den Ruderblättern
[200]
Auf der freien Wasserfläche,
Auf der weitgestreckten Öde!
»Wären klein die Ruderstangen,
Und die Rudrer schwach von Kräften,
Wär'n die Steuerleute schmächtig,
Kinder, die das Fahrzeug lenken,
Gib dann, Ahto, deine Ruder,
Wasserwirt, du deinen Nachen,
Neue gib und bessre Ruder
Und ein kräftigeres Steuer!
[210]
Setze selber dich ans Ruder,
Schick' dich an, das Boot zu treiben,
Laß den Nachen schneller laufen,
Laß die Eisenpflöcke knarren
Durch der Wogen scharfe Brandung,
Durch die schaumbedeckten Fluten!«
Lenkt der alte Wäinämöinen
Darauf fort das schöne Fahrzeug,
Selbst der Schmieder Ilmarinen
Und der muntre Lemminkäinen
[220]
Machen beide sich ans Rudern,
Rudern eifrig, eilen vorwärts
Auf des Meeres klarem Spiegel,
Auf den flachgedehnten Fluten.
Sprach der muntre Lemminkäinen:
»War, solange ich schon rudre,
Wasser für die Ruderleute,
Und Gesang war für die Sänger,
Aber nicht ist heutzutage
Hier nur irgendwas zu hören
[230]
Von den Liedern in dem Boote,
Vom Gesange auf den Fluten.«
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
»Nicht soll man im Wasser singen,
Auf den Fluten Sang erheben;
Aufenthalt nur bringt das Singen,
Lieder ziehen hin das Rudern,
Schwinden würd' das goldne Taglicht,
Finsternis würd' uns ereilen
[240]
Auf der freien Wasserfläche,
Auf den endlos weiten Wogen.«
Sprach der muntre Lemminkäinen
Selber Worte solcher Weise:
»Ohnehin vergeht die Zeit auch,
Eilet fort das schöne Taglicht,
Kommt die Nacht herangerauschet
Und geeilt die Abenddämmrung,
Solltest du auch nimmer singen,
Selbst dein Leben lang nicht trällern.«
[250]
Fährt der alte Wäinämöinen
Auf des Meeres blauem Rücken,
Steuert einen Tag, den zweiten,
Endlich an dem dritten Tage
Fängt der muntre Lemminkäinen
Nochmals an mit diesen Worten:
»Warum willst du, Wäinämöinen,
Willst du, Trefflicher, nicht singen,
Da den Sampo du gewonnen,
Du den rechten Weg gefunden?«
[260]
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Gibt ihm klüglich diese Antwort:
»Ist zu früh noch um zu singen,
Noch zu zeitig um zu jubeln;
Dann erst ziemet es zu singen,
Dann erst ist es Zeit zu jubeln,
Wenn die eigne Tür man siehet,
Wenn die eignen Angeln knarren.«
Sprach der muntre Lemminkäinen:
»Säße ich am Steuerruder,
[270]
Würde ich nach Kräften singen,
Würd' aus vollem Halse rufen,
Wenn ich es auch sonst nicht könnte,
Nicht genügend es vermöchte;
Willst du nicht den Sang beginnen,
Mache ich mich selbst ans Singen.«
Lemminkäinen leichtgemutet,
Er, der schöne Kaukomieli,
Legt darauf zurecht die Lippen
Und bereitet seine Stimme;
[280]
Machet selber sich ans Singen,
Hebt erbärmlich an zu lärmen
Mit der Stimme, die gar heiser,
Mit der Kehle voller Rauheit.
Sang der muntre Lemminkäinen,
Lärmt' der schöne Kaukomieli,
Daß der Mund, der Bart ihm bebte,
Daß des Kinnes Pfeiler schwankten;
Weithin hörte man das Singen,
Hört' das Lied entlang dem Wasser,
[290]
Hört' es in dem sechsten Dorfe,
Fernhin über sieben Meere.
Saß auf einem Stamm ein Kranich,
Auf dem nassen Wiesenhügel,
Zählt die Knochen seiner Zehen,
Hebt nach oben seine Füße;
Da durchfährt ihn jäh ein Schrecken
Von dem Singen Lemminkäinens.
Hob der Kranich an zu schreien,
Schrie erschreckt mit garst'ger Stimme,
[300]
Fing gleich an davon zu fliegen,
Flog in Eile durch Pohjola;
Als er dorthin angekommen,
Nach des Nordens Sumpf gelangt war,
Schrie er noch mit garst'ger Stimme,
Schrie er fort mit allen Kräften,
Weckte so das Volk Pohjolas,
Machte wach die schlechten Leute.
Es erwacht des Nordlands Wirtin
Aus dem tiefen, langen Schlummer,
[310]
Ging zur Hürde ihrer Herden,
Lief zum Dörrhaus des Getreides,
Schaut' sich um nach ihrer Herde,
Zählte emsig das Getreide,
Nicht verloren war die Herde,
Nicht geplündert das Getreide.
Ging dann zu dem Felsenberge,
Zu des Kupferhügels Eingang,
Sprach, als sie dort angekommen:
»Weh mir Armen ob des Lebens!
[320]
Ist ein Fremder hier gegangen,
Alle Schlösser sind gesprenget,
Aufgemacht der Feste Tore,
Alle Angeln sind zerschlagen;
Sollt' der Sampo wohl geraubet,
Fortgeführt sein durch Gewalttat?«
Wohl entführet war der Sampo,
Fortgeschleppt der bunte Deckel
Aus dem Steinberg von Pohjola,
Aus des Kupferhügels Innerm,
[330]
Hinter neun der besten Schlösser,
Hinterm zehnten festen Riegel.
Louhi, sie, des Nordlands Wirtin,
Wurde nun gewaltig böse,
Merkte, daß die Macht ihr schwindet,
Daß ihr Ansehn niedersinket,
Also fleht sie zu Udutar:
»Nebeltochter, Nebeljungfrau!
Streue mit dem Siebe Nebel,
Sende dichte Dünste nieder,
[340]
Schicke dicke Luft vom Himmel,
Senke Dämpfe aus den Lüften
Auf des klaren Meeres Rücken,
Auf die weitgedehnte Öde,
Daß nicht Wäinämöinen fliehe,
Nicht der Wogenfreund entkomme!
»Sollte dies genug nicht scheinen,
Iku-Turso, Sohn des Alten,
Heb' dein Haupt du aus dem Meere,
Deinen Scheitel aus den Fluten,
[350]
Stürz' die Männer von Kalewa
Und versenk' die Wogenfreunde,
Lasse all die bösen Helden
In der Fluten Tiefe sinken,
Bring' den Sampo nach Pohjola,
Ohn' ihn aus dem Boot zu wälzen!
»Sollte das genug nicht scheinen,
Ukko, du, o Gott der Höhe,
Goldner König in den Lüften,
Du, o Herrscher, silberstrahlend!
[360]
Mache Wetter voller Stürme
Und erheb' die Kraft der Lüfte,
Sende Winde, sende Fluten
Jenem Boote du entgegen,
Daß nicht Wäinämöinen fliehe,
Nicht der Wogenfreund entkomme!«
Hauchte nun die Nebeljungfrau
Einen Nebel auf die Fluten,
Sandte Dünste in die Lüfte,
Hielt den alten Wäinämöinen
[370]
Drei der Nächte nacheinander
Auf des blauen Meeres Mitte,
Daß er nirgendhin entkommen,
Nirgendhin entrinnen konnte.
Als drei Nächte er geruhet
Auf des blauen Meeres Mitte,
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet selber diese Worte:
»Selbst ein schlechterer der Männer,
Selbst ein schwächerer der Helden
[380]
Wird im Nebel nicht versinken,
Nicht in Dünsten untergehen.«
Fuhr durchs Wasser mit der Klinge,
Schlug das Meer mit seinem Schwerte,
Honig floß da von der Klinge,
Süßer Seim von seinem Schwerte,
Stieg der Dunst empor zum Himmel,
Hob der Nebel sich nach oben,
Rein vom Dampfe ward das Wasser,
Frei vom Dunste bald die Fluten,
[390]
Weiter dehnt sich aus das Wasser,
Größer will die Welt nun scheinen.
Wenig Zeit war hingegangen,
Kaum ein Augenblick verflossen,
Ist ein gar gewaltig Brausen
An des Bootes Rand zu hören,
Dort hebt Schaum sich in die Höhe
Zu dem Nachen Wäinämöinens.
Ward der Schmieder Ilmarinen
Damals sehr in Furcht gesetzet,
[400]
Wich das Blut ihm aus den Wangen,
Sank herab von seinen Backen;
Zog sich übers Haupt die Decke,
Über seine beiden Ohren,
Deckte damit seine Wangen,
Besser noch deckt' er die Augen.
Selbst der alte Wäinämöinen
Schaute auf das Meer am Boote,
Warf die Augen hin zur Seite,
Sieht dort solch ein Ungeheuer:
[410]
Iku-Turso, Sohn des Alten,
Hebt zur Seit' des roten Bootes
Seinen Kopf jetzt aus dem Meere,
Seinen Scheitel aus den Fluten.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Packt die Ohren mit den Fäusten,
Hebt ihn auf an seinen Ohren,
Fragt ihn dann und redet kräftig,
Läßt sich solcherart vernehmen:
»Iku-Turso, Sohn des Alten!
[420]
Weshalb stiegst du aus dem Meere,
Weshalb kamst du aus den Wogen
Vor das Aug' der Menschenkinder
Und zumal der Kalewsöhne?«
Iku-Turso, Sohn des Alten,
War darob nicht voller Freude,
War auch nicht zu sehr erschrocken,
Gab durchaus ihm keine Antwort.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Forscht genau zum zweiten Male,
[430]
Fragt ihn scharf zum dritten Male:
»Iku-Turso, Sohn des Alten!
Weshalb stiegst du aus dem Meere,
Weshalb kamst du aus den Wogen?«
Iku-Turso, Sohn des Alten,
Gab nun bei dem dritten Male
Diese Worte ihm zur Antwort:
»Deshalb stieg ich aus dem Meere,
Deshalb kam ich aus den Wogen:
Hatt' in meinem Sinn die Absicht,
[440]
Kalews Stamm hier zu vertilgen,
Sampo nach dem Nord zu bringen;
Läßt du mich nun in die Fluten,
Schonst du mein geringes Leben,
Komm' ich nicht zum zweiten Male
Vor das Aug' der Menschenkinder.«
Ließ der alte Wäinämöinen
Frei ihn wieder in die Fluten,
Redet selber diese Worte:
»Iku-Turso, Sohn des Alten,
[450]
Steige nicht mehr aus dem Meere,
Komme nicht mehr aus den Wogen
Vor der Menschenkinder Augen,
Nie hinfort vom heut'gen Tage!«
Niemals ist seit diesem Tage
Turso aus dem Meer gestiegen
Vor der Menschenkinder Augen,
Nie solange Mond und Sonne,
Nie solang der schöne Tag scheint
Und die Lüfte Freude leihen.
[460]
Lenkt der alte Wäinämöinen
Vorwärts wieder seinen Nachen;
Wenig Zeit war hingegangen,
Kaum ein Augenblick verflossen,
Schon läßt Ukko in dem Himmel,
Selber er, der Herr der Lüfte,
Kräft'ge Winde heftig blasen,
Starke Stürme wütend toben.
Winde fingen an zu blasen,
Heft'ge Stürme an zu toben;
[470]
Gräßlich blies der Wind aus Westen,
Heftig schnitt der Wind aus Südwest,
Kräft'ger kam der Wind aus Osten,
Scheußlich heult' der Wind aus Südost,
Greulich schrie der Wind aus Nordost,
Tobend brüllt' der Wind von Norden.
Blies die Blätter von den Bäumen,
Blies vom Nadelholz die Nadeln,
Blies die Blumen von der Heide,
Blies die Fäserchen vom Grase;
[480]
Trieb den schwarzen Sand des Grundes
An des klaren Wassers Fläche.
Heftig bliesen da die Winde,
Peitschten da das Boot die Wogen,
Führten fort die Hechtesharfe,
Diese Kantele aus Flossen,
Zu der Lust des Volks Wellamos,
Zu des Ahtovolkes Freude;
Ahto sah sie auf den Wogen,
Auf den Fluten seine Kinder,
[490]
Nahmen fort die schöne Harfe,
Trugen sie in ihre Heimat.
Trat dem alten Wäinämöinen
Da das Wasser in die Augen;
Selber spricht er diese Worte:
»Fort entschwand was ich gewonnen,
Fort ist meines Sinnes Labsal,
Meine Freude hingesunken;
Werde nie in Zukunft wieder,
Nie solange ich noch lebe,
[500]
Freude aus des Hechtes Zähnen,
Aus des Fisches Gräten wecken.«
Selbst der Schmieder Ilmarinen
War in große Angst geraten,
Redet Worte solcher Weise:
»Weh mir Armem ob des Schicksals,
Daß ich auf das Meer gegangen,
Auf die weitgestreckte Öde,
Daß ich trat auf Holz, das rollet,
Auf die Äste, die so zittern!
[510]
Früher sah mein Haar schon Winde,
Lernt' es starke Stürme kennen,
Und mein Bart sah böse Tage
Hier auf diesen Wasserstrecken,
Selten hat er doch gesehen
Früher einen Sturm gleich diesem,
Solche wallungsreiche Fluten,
Solche schaumbedeckte Wogen;
Schon dient mir der Wind als Zuflucht,
Gnade leihen mir die Wellen.«
[520]
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Sagte darauf seine Meinung:
»Weinen soll man nicht im Boote,
In dem Nachen niemals jammern,
Nimmer hilft aus Unglück Weinen,
Jammern nie aus bösen Tagen.«
Redet darauf diese Worte,
Läßt sich selber also hören:
»Flut, gebiete deinen Söhnen,
Woge, wehre deinen Kindern,
[530]
Ahto, laß die Wellen sinken,
Wellamo, das Volk des Wassers,
Daß es nicht den Rand bespritze,
Nicht die Rippen meines Nachens!
»Steige, Wind, empor zum Himmel,
Hebe fort dich zum Gewölke,
Zum Geschlecht, wo du geboren,
Zu der Sippschaft der Verwandten!
Stürze nicht das Boot von Planken,
Kehr' nicht um den Fichtennachen,
[540]
Fälle Bäume in dem Walde,
Beuge Tannen auf den Höhen!«
Lemminkäinen leichtgemutet,
Er, der schöne Kaukomieli,
Redet Worte solcher Weise:
»Komm, o Aar, du Turjaländer,
Komm und bringe drei der Federn,
Drei, o Aar, und zwei, o Rabe,
Zu dem Schutz des kleinen Bootes,
Für den Rand des schlechten Nachens.«
[550]
Selbst erhöht er nun die Seiten,
Macht zurecht die Seitenbretter,
Fügt sie an den Bord des Bootes,
Hebt ihn bis zu Klafterhöhe,
Daß die Wogen nimmer drüber,
Übern Rand nicht spritzen können.
Wohl gerüstet war der Nachen,
Wohl versehn mit Seitenbrettern,
Sich im wilden Sturm zu wiegen,
Durch die starke Flut zu stoßen,
[560]
Wenn er durch den Schaum der Wogen,
Durch die Wellenberge wandert.
Anmerkungen
Vers 200. Wörtlich: der kleinen Ruder ( huopari), die man vor sich schiebt, wodurch das Boot rückwärts geht (Ahlqvist, Die Kulturwörter der westfinnischen Sprachen S. 173 f.).
348. Iku-Turso (der ewige, urzeitliche Turso): ein böser Wasserdämon.
499 ff. Die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit solcher Werke gehört mit zu ihrem magischen Charakter; so auch Ilmarinens Sampobau; es klingt daher schier eschatologisch, wenn Wäinämöinen L 495 verheißt, dereinst einen neuen Sampo zu schaffen.
519 f. D. h. ich werde Schiffbruch leiden und auf die Gunst des Windes und der Wogen angewiesen sein, um ans Land zu gelangen.