Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtunddreißigste Rune

Ilmarinen geht nach dem Nordland, um sich um die jüngere Schwester seines früheren Weibes zu bewerben, erhält aber nur böse Schmähworte zur Antwort, ergrimmt darüber, raubt das Mädchen und begibt sich auf den Heimweg 1–124. Auf dem Wege beschimpft die Jungfrau den Ilmarinen und bringt ihn dermaßen auf, daß er sie zuletzt in seinem Zorn in eine Möwe verwandelt 125–286. Darauf kehrt er heim und erzählt dem Wäinämöinen, wie das Nordland im Besitz des Sampo sorgenfrei lebe und zugleich wie seine Brautwerbung abgelaufen sei 287–328.

Darauf tut Schmied Ilmarinen,
Dieser ew'ge Hämmerkünstler,
Bald hinweg das Goldgebilde,
Seine Braut aus blankem Silber;
Spannt das Roß in das Geschirr ein,
Vor den kupferbraunen Schlitten,
Setzt sich selber in den Schlitten,
Läßt sich auf dem Sitze nieder
Und gelobt sich fortzuziehen,
Hat im Sinn die Fahrt zu wenden [10]
Nach Pohjola, dort zu werben
Um des Nordlands zweite Tochter.

Fährt nun eine Tagereise,
Wandert vorwärts auch die zweite,
An dem dritten Tage endlich
Kommt er zu dem Hof Pohjolas.

Louhi, sie, des Nordlands Wirtin,
Stand grad selber in dem Hofe,
Sie begann zu ihm zu sprechen,
Wandte sich um ihn zu fragen, [20]
Wie sich wohl ihr Kind befände,
Wie die liebe Tochter lebte
In dem Haus als Schwiegertochter,
Bei der Schwieger sie als Hausfrau.

Spricht der Schmieder Ilmarinen
Tiefen Hauptes, trüben Sinnes,
Schiefgeschoben seine Mütze,
Redet Worte solcher Weise:
»Wolle nicht, o Schwiegermutter,
Wolle jetzt danach nicht fragen, [30]
Wie die Tochter sich befindet,
Wie mein Liebling nunmehr lebet!
Schon hat sie der Tod erfasset,
Jähes Ende sie ereilet;
In der Erde liegt die Beere,
In der Heide meine Schöne,
Unterm Heu die Schwarzgelockte,
Unterm Gras die Silberhelle;
Kam nun um die zweite Tochter,
Um die jüngere der Jungfraun; [40]
Gib sie mir, o Schwiegermutter,
Gib mir deine zweite Tochter
In des frühern Weibes Wohnung,
Nach dem Sitze ihrer Schwester!«

Louhi, sie, des Nordlands Wirtin,
Redet Worte solcher Weise:
»Schlecht hab', Arme, ich gehandelt,
Schlimm gewiß ich Unglücksel'ge,
Daß mein Kind ich dir versprochen,
Dir die andere gegeben, [50]
In der Jugend so zu sterben,
Voller Frische hinzusinken,
Gleichwie in des Wolfes Rachen,
In den Schlund des brumm'gen Bären.

»Werd' dir nicht die zweite geben,
Meine Tochter dir nicht schenken,
Daß den Ruß sie ab dir wasche,
Daß sie dich von Schlacken rein'ge;
Eher gäb' ich meine Tochter,
Schickte ich mein Kind, das gute, [60]
In des Wasserfalles Schäumen,
In des wilden Strudels Wallen,
In das Maul von Manas Quappe,
In des Tuonihechtes Zähne.«

Da verzieht Schmied Ilmarinen
Seinen Mund, das Haupt verdreht er,
Schüttelt seine schwarzen Haare,
Wirft den Kopf mit krausen Locken:
Dringt dann selber in die Stube,
Tritt geschwinde unters Dach ein, [70]
Redet Worte solcher Weise:
»Komm zu mir, du liebes Mädchen,
Zu dem Sitze deiner Schwester,
In des frühern Weibes Wohnung,
Daß du Honigbrot mir backest,
Daß du schönes Bier mir brauest!«

Sang ein Kindlein von dem Boden,
Sang und ließ sich also hören:
»Überflüss'ger, weich' vom Schlosse,
Fremder Mann, von unsern Türen! [80]
Hast das Schloß genug beschädigt,
Schon ein Stück davon verdorben,
As das erste Mal du kamest,
An der Türe hier erschienest.

»Mädchen, meine liebe Schwester,
Freu' dich nicht ob dieses Freiers,
Nicht ob seines Munds Gestaltung,
Nicht ob seiner edlen Füße!
Birgt das Zahnfleisch eines Wolfes,
Fuchses Klau' in seinen Taschen, [90]
Bärenkrall' in Achselhöhlen,
Blutbegierig ist sein Messer,
Womit er die Köpfe ritzet,
Rücken aufzuschlitzen pfleget.«

Selber sprach das Mädchen also
Zu dem Schmiede Ilmarinen:
»Werde dir gewiß nicht folgen,
Nicht beacht' ich solche Wichte;
Hast dein Eheweib erschlagen,
Meine Schwester du getötet, [100]
Möchtest nun auch mich erschlagen,
Mich auch um das Leben bringen;
Wohl verdienet dieses Mädchen
Einen Mann von besserm Werte,
Einen Leib von schönerm Wuchse,
Fahrt in stattlicherem Schlitten
Hin zu einem bessern Sitze,
Hin zu einer größern Wohnung,
Nicht zur Kohlenstätt' des Schmiedes,
Zu des schlechten Mannes Feuer.« [110]

Da verzieht Schmied Ilmarinen,
Dieser ew'ge Hämmerkünstler,
Seinen Mund, das Haupt verdreht er,
Schüttelt seine schwarzen Haare,
Schreitet rasch, erreicht das Mädchen,
Fasset es mit seinen Fäusten,
Gehet stürmend aus der Stube,
Stürzet eilends zu dem Schlitten,
Setzt die Jungfrau in den Schlitten,
Schleudert sie dahin zum Sitze, [120]
Macht sich auf davon zu fahren,
Rüstet eilig sich zur Reise,
Eine Hand hat er am Leitseil,
An des Mädchens Brust die andre.

Weinen muß das arme Mädchen,
Redet Worte solcher Weise:
»Kam nun zu des Sumpfes Beeren,
Zu des Wasserrandes Kräutern,
Werde, Hühnchen, dort verkommen,
Werde, Vöglein, rasch dort sterben. [130]

»Höre, Schmieder Ilmarinen!
Wirst du mich nicht gehen lassen,
So zerschlag' ich deinen Schlitten
Und zertrümmre ihn in Stücke,
Schlag' ihn durch mit meinen Knien
Und durchstoß' ihn mit den Beinen.«

Selbst der Schmieder Ilmarinen
Redet Worte solcher Weise:
»Sind an dieses Schmiedes Schlitten
Alle Seiten ja von Eisen, [140]
Daß das Stoßen er vertrage
Und der schönen Jungfrau Toben.«

Jammern muß das arme Mädchen,
Klagen die mit Erz Geschmückte,
Ringt die Finger sich zuschanden,
Bricht schier ihre zarten Hände,
Redet Worte solcher Weise:
»Wirst du mich nicht gehen lassen,
Werd' ich mich zum Fisch verwandeln,
Zu dem Schnäpel in der Tiefe.« [150]

Selbst der Schmieder Ilmarinen
Redet Worte solcher Weise:
»Wirst auch so mir nicht entkommen,
Werd' als Hecht dir dorthin folgen.«

Jammern muß das arme Mädchen,
Klagen die mit Erz Geschmückte,
Ringt die Finger sich zuschanden,
Bricht schier ihre zarten Hände,
Redet Worte solcher Weise:
»Wirft du mich nicht gehen lassen, [160]
Werd' ich zu dem Walde ziehen,
Als ein Hermelin in Felsen.«

Selbst der Schmieder Ilmarinen
Redet Worte solcher Weise:
»Wirst auch so mir nicht entkommen,
Werde dir als Otter folgen.«

Jammern muß das arme Mädchen,
Klagen die mit Erz Geschmückte,
Ringt die Finger sich zuschanden,
Bricht schier ihre zarten Hände, [170]
Redet Worte solcher Weise:
»Wirst du mich nicht gehen lassen,
Werd' als Lerch' ich zwitschernd fliegen,
Mich in dem Gewölk verbergen.«

Selbst der Schmieder Ilmarinen
Redet Worte solcher Weise:
»Wirst auch so mir nicht entkommen,
Werde dir als Adler folgen.«

War ein wenig nur gereiset,
Eine Strecke Wegs gewandert, [180]
Da beginnt das Pferd zu schnaufen,
Fängt das Schlappohr an zu stutzen.

Ihren Kopf erhebt die Jungfrau,
Sieht im Schnee dort frische Spuren,
Fragend spricht sie diese Worte:
»Wer ist hier vorbeigelaufen?«
Spricht der Schmieder Ilmarinen:
»Ist ein Hase hier gelaufen.«

Seufzen muß das arme Mädchen,
Seufzen bitterlich und schluchzen, [190]
Redet Worte solcher Weise:
»Weh mir Elenden, mir Armen!
Besser wäre wohl mein Leben,
Besser würd' es mir ergehen,
Könnte ich dem Hasen folgen,
Laufen in des Krummbeins Spuren,
Als im Schlitten dieses Freiers,
Auf des Runzelreichen Decke;
Schöner sind des Hasen Haare,
Hübscher seines Mundes Öffnung.« [200]

Selbst der Schmieder Ilmarinen
Biß die Lippen, wandt' den Kopf ab,
Fuhr gar rauschend fort des Weges;
War ein wenig nur gefahren,
Laut beginnt das Roß zu schnaufen,
Fängt das Schlappohr an zu stutzen.

Ihren Kopf erhebt die Jungfrau,
Sieht im Schnee noch frische Spuren,
Fragend spricht sie diese Worte:
»Wer ist hier vorbeigelaufen?« [210]
Spricht der Schmieder Ilmarinen:
»Ist ein Füchslein hier gelaufen.«

Seufzen muß das arme Mädchen,
Seufzen bitterlich und schluchzen,
Redet Worte solcher Weise:
»Weh mir Elenden, mir Armen!
Besser wäre wohl mein Leben,
Besser würd' es mir ergehen,
Führ' ich in des Füchsleins Schlitten,
In dem Fuhrwerk jenes Flücht'gen, [220]
Als im Schlitten dieses Freiers,
Auf des Runzelreichen Decke;
Schöner sind des Fuchses Haare,
Hübscher seines Mundes Öffnung.«

Selbst der Schmieder Ilmarinen
Biß die Lippen, wandt' den Kopf ab,
Fuhr gar rauschend fort des Weges;
War ein wenig nur gefahren,
Laut beginnt das Roß zu schnaufen,
Fängt das Schlappohr an zu stutzen. [230]

Ihren Kopf erhebt die Jungfrau,
Sieht im Schnee noch frische Spuren,
Fragend spricht sie diese Worte:
»Wer ist hier vorbeigelaufen?«
Sprach der Schmieder Ilmarinen:
»Ist ein Wolf hier durchgelaufen.«

Seufzen muß das arme Mädchen,
Seufzen bitterlich und schluchzen,
Redet Worte solcher Weise:
»Weh mir Elenden, mir Armen! [240]
Besser wäre wohl mein Leben,
Besser würd' es mir ergehen,
Folgte ich des Wolfes Spuren,
Ihm, der seinen Kopf stets senket,
Als im Schlitten dieses Freiers,
Auf des Runzelreichen Decke;
Schöner sind des Wolfes Haare,
Hübscher seines Mundes Öffnung.«

Selbst der Schmieder Ilmarinen
Biß die Lippen, wandt' den Kopf ab, [250]
Fuhr gar rauschend fort die Straße
Über Nacht zum neuen Dorfe.

Von dem Wege gar ermüdet
Fiel in tiefen Schlaf der Schmieder,
Lachen macht das Weib ein andrer
Ob des Mannes, der verschlafen.

Als der Schmieder Ilmarinen
An dem Morgen drauf erwachte,
Da verdrehte Mund und Kopf er,
Schüttelte die schwarzen Haare; [260]
Sprach der Schmieder Ilmarinen
Selber Worte solcher Weise:
»Soll ich mich ans Singen machen,
Soll ich meine Braut nun bannen
Als ein Waldtier hin zum Walde,
Als ein Wassertier zum Wasser?

»Werd' sie nicht zum Waldtier singen,
Würde sich der Wald entsetzen;
Werd' sie nicht ins Wasser bannen,
Würden alle Fische fliehen; [270]
Lieber will mit meiner Klinge,
Mit dem Schwerte ich sie töten.«

Seine Absicht ahnt die Klinge,
Deutlich wird sein Sinn dem Schwerte,
Dieses redet solche Worte:
»Bin wohl nicht dazu geschaffen,
Daß ich Weiber töten sollte,
Schwache um ihr Leben bringen.«

Da begann Schmied Ilmarinen
Seinen Zaubersang zu singen, [280]
Sprach im Zorne seinen Bannspruch,
Zauberte sein Weib zur Möwe,
Daß sie auf den Klippen kreische,
Auf den Wasserfelsen schreie,
Auf des Ufers Spitzen klage,
In dem Gegenwinde schwebe.

Darauf setzt Schmied Ilmarinen
Wiederum sich in den Schlitten,
Eilet rauschend fort des Weges,
Tiefen Hauptes, trüben Sinnes [290]
Reist er wieder nach der Heimat,
Kommt er nach bekanntem Lande.

Wäinämöinen alt und wahrhaft
Kommt ihm auf dem Weg entgegen,
Redet Worte solcher Weise:
»Bruder du, Schmied Ilmarinen,
Weshalb bist du trüben Sinnes,
Hast die Mütze schief geschoben
Bei der Rückkehr aus Pohjola?
Wie denn lebet jetzt Pohjola?« [300]

Spricht der Schmieder Ilmarinen:
»Wie sollt' Pohjola nicht leben!
Dorten mahlt der Sampo fleißig,
Lärmet stets der bunte Deckel,
Mahlet einen Tag zum Essen,
Mahlt den zweiten zum Verkaufen,
Mahlt den dritten zum Verwahren.

»Also sage ich mit Wahrheit,
Wiederhole ich die Worte:
Wie sollt' Pohjola nicht leben, [310]
Ist der Sampo doch in Pohja!
Dort ist Pflügen, dort ist Säen,
Dort ist Wachstum jeder Weise,
Dorten wechsellose Wohlfahrt.«

Spricht der alte Wäinämöinen:
»Bruder du, Schmied Ilmarinen!
Wo hast du dein Weib gelassen,
Wo die weltberühmte Jungfrau,
Daß du also leer erschienen,
Ohne Weib kommst angefahren?« [320]

Selbst der Schmieder Ilmarinen
Redet Worte dieser Weise:
»Hab' das schnöde Weib verwandelt
Auf dem Meer zu einer Möwe;
Dorten wimmert sie als Möwe,
Kreischt als Vogel unaufhörlich,
Lärmt sie auf des Wassers Klippen,
Schreit sie auf des Meeres Felsen.«


Anmerkungen

Vers 127 f. D. h. an den Rand des Unheils.

255 f. Das Mädchen, das Ilmarinen auf Grund der Entführung als sein Weib betrachtet, wird ihm, während er schläft, von einem andern Manne genommen.


 << zurück weiter >>