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Dreizehnte Rune

Lemminkäinen wirbt bei des Nordlands Wirtin um ihre Tochter, die Alte fordert, daß er zuvor Hiisis Elentier einhole 1–30. Lemminkäinen macht sich keck daran, das Elentier zu jagen, hat es auch schon erreicht, als es ihm wieder entkommt, er aber seinen Schneeschuh zerbricht 31–270.

Sprach der muntre Lemminkäinen
Zu der Alten von Pohjola:
»Gib, o Alte, nun das Mädchen,
Bring' mir deine schöne Tochter,
Mir die beste aus der Menge,
Aus der Mädchenschar die längste!«

Antwort gab des Nordlands Wirtin,
Ließ sich solcherart vernehmen:
»Gebe dir nicht meine Tochter,
Geb' dir nicht das liebe Mädchen, [10]
Nicht die beste, nicht die schlechtste,
Nicht die längste, nicht die kürz'ste,
Hast ja längst schon eine Hausfrau,
Heimgeführet eine Wirtin.«

Sprach der muntre Lemminkäinen:
»Kylli bind' ich fest im Dorfe,
An des Dorfes Eingangspforten,
An den fremden Einfahrtstoren,
Will von hier ein beßres Weibchen;
Bringe mir nun deine Tochter, [20]
Sie, die köstlichste der Jungfraun,
Lieblichste der Schöngelockten!«

Sprach die Wirtin von Pohjola:
»Gebe nimmer meine Tochter
Einem Manne ohne Nutzen,
Einem Helden ohne Frommen;
Bitte dann um meine Tochter,
Wirb um sie, die Blumenkrone,
Wenn das Elentier des Hiisi
Von dem Hiisifeld du holtest.« [30]

Es beschlug nun Lemminkäinen
Seinen Wurfspieß gleich behende,
Spannt die Sehne auf den Bogen
Und bereitet seine Pfeile,
Redet selber diese Worte:
»Schon beschlagen ist mein Wurfspieß,
Alle Pfeile in Bereitschaft,
Schon bespannet ist der Bogen,
Habe nun für beide Füße
Nur noch Schneeschuh' zu besorgen.« [40]

Lemminkäinen leichtgemutet
Dachte nach und überlegte,
Woher er die Schneeschuh' schaffen,
Wie er sie gewinnen könnte.

Schreitet zu dem Hofe Kauppis,
Zu der Schmiede von Lyylikki:
»O du weiser Wuojaländer,
Kauppi, du der Lappen schönster,
Mache mir zwei gute Schneeschuh',
Glätte sie, daß schmuck sie werden, [50]
Daß das Elentier des Hiisi
Ich von Hiisis Felde fange.«

Lyylikki gibt ihm zur Antwort,
Kauppi den Bescheid geschwinde:
»Gehst umsonst, o Lemminkäinen,
Um das Elentier zu jagen:
Wirst ein Stückchen morschen Holzes
Mit gewalt'ger Müh' erlangen.«

Wenig kümmert's Lemminkäinen,
Redet selber diese Worte: [60]
»Mache mir die Schneeschuh' fertig,
Schaff' daß sie zustande kommen,
Gehen will ich und das Elen
Von dem Felde Hiisis fangen.«

Lyylikki, der Schneeschuhmacher,
Kauppi, Meister des Gewerbes,
Schnitzt zur Herbsteszeit die Schneeschuh',
Glättet sie im Lauf des Winters,
Hobelt einen Tag den Stockschaft,
Macht den Ring am zweiten Tage. [70]

Fertig war der linke Schneeschuh,
Fertig wurde auch der rechte,
Fertig war der Stockschaft worden,
Angefüget schon das Ringlein;
Einen Otter galt der Stockschaft,
Einen Fuchs der Ring des Stockes.

Schmierte dann mit Fett die Schneeschuh',
Mit dem Talg des raschen Renntiers,
Selber überlegt' er also,
Äußerte er diese Worte: [80]
»Sollt' in diesen Jünglingsscharen,
In dem wachsenden Geschlechte
Einer dieser Schneeschuh' linken
Und den rechten wohl bewegen?«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Dieser Schelm mit roten Wangen:
»Wohl wird in den Jünglingsscharen,
In dem wachsenden Geschlechte
Einer dieser Schneeschuh' linken,
Wird den rechten er bewegen.« [90]

Band den Köcher auf den Rücken,
Nahm den Bogen auf die Schulter,
Nahm den Stock in seine Hände,
Ging den linken Schneeschuh schieben,
Ging den rechten fortzustoßen,
Redet selber diese Worte:
»Nicht ist da in Gottes Weltraum,
Unter diesem Himmelsbogen,
Hier in diesem Wald zu finden
Solch ein Läufer mit vier Füßen, [100]
Den man nicht erreichen sollte,
Prächtig nicht erbeuten könnte
Mit des Kalewsohnes Schneeschuhn,
Mit den Schritten Lemminkäinens.«

Hiisis Unholdschar vernahm es,
Juutas' Haufe hört' die Rede,
Hiisi schuf geschwind ein Elen,
Juutas bracht' hervor ein Renntier,
Seinen Kopf aus faulem Stamme,
Aus den Weidenästen Hörner, [110]
Aus des Strandes Schilf die Füße,
Beine aus des Sumpfes Gatter,
Aus dem Zaunstock seinen Rücken,
Adern aus den dürren Stoppeln,
Augen aus den Nixenblumen,
Ohren aus den Wasserblättern,
Seine Haut aus Fichtenrinde
Und das Fleisch aus faulem Holze.

Hiisi lehret so sein Elen,
Redet zu ihm solche Worte: [120]
»Laufe nun, o Elen Hiisis,
Eile rasch, du edler Renner,
Zu des Renntiers Brutstatt eile,
Zu der Lappensöhne Fluren,
Daß der Jäger Schweiß vergieße
Und vor allen Lemminkäinen!«

Darauf lief das Elen Hiisis,
Trabte das entsandte Renntier
Längs des Nordlands Vorratskammern,
Längs der Lappensöhne Fluren, [130]
Stürzte um des Hauses Zuber,
Warf vom Feuer ab die Kessel,
Alles Fleisch hinab zur Asche,
Auf den Herd die ganze Suppe.

Es erhob sich starkes Lärmen
Auf der Lappensöhne Fluren,
Denn die Lappenhunde bellten,
Und die Lappenkinder weinten,
Und die Lappenweiber lachten,
Und die andern alle murrten. [140]

Lemminkäinen leichtgemutet
Eilte nach dem Elentiere,
Über Sümpfe, über Felder,
Über ausgedehnte Fluren,
Feuer sprühte aus den Schneeschuhn,
Rauch erhob sich von dem Stocke,
Nicht zu sehen ist das Elen,
Nicht zu sehen, nicht zu hören.

Über Höhn und Täler glitt er,
Glitt durch Länder überm Meere, [150]
Eilt durch alle Öden Hiisis,
Eilt durch alle Fluren Kalmas,
Vor des Todes Rachen selber,
An die Grenz' von Kalmas Hofe,
Auf schon sperrt der Tod den Rachen,
Kalma selber senkt den Kopf schon,
Um den Helden zu erfassen,
Lemminkäinen zu verschlucken,
Konnten ihn doch nicht erreichen,
Konnten nicht an ihn gelangen. [160]

War ein Streifen nicht durchfahren,
Unberührt ein Einödwinkel
In des Nordens weiten Grenzen,
In der Lappen breitem Lande;
Glitt nun hin ihn zu durcheilen,
Diesen Winkel zu durchforschen.

Als zum Ende er gelanget,
Höret er ein großes Lärmen
Von des Nordlands weiter Grenze,
Von der Lappensöhne Fluren, [170]
Höret dort die Hunde bellen,
Hört die Lappenkinder weinen,
Hört die Lappenweiber lachen,
Hört die andern Lappen murren.

Lemminkäinen leichtgemutet
Macht sich auf, um hinzugleiten
Nach dem Ort, wo Hunde bellen,
Zu der Lappensöhne Fluren.

Spricht, als er dorthin gekommen,
Fragt, als er den Ort erreichte: [180]
»Weshalb lachen hier die Weiber,
Lachen Weiber, weinen Kinder,
Weshalb jammern hier die Greise,
Bellen hier die dunkeln Hunde?«

»Deshalb lachen hier die Weiber,
Lachen Weiber, weinen Kinder,
Jammert hier die Schar der Greise,
Bellen hier die dunkeln Hunde:
Hiisis Elen kam gelaufen,
Eilend mit dem glatten Hufe, [190]
Stürzte um des Hauses Zuber,
Warf vom Feuer ab die Kessel,
Schüttet' aus die ganzen Speisen,
Auf den Herd die ganze Suppe.«

Stieß der leichtgelaunte Bursche,
Er, der muntre Lemminkäinen
In den Schnee den linken Schneeschuh
Wie die Natter in die Stoppeln,
Schob die Fichtenschiene vorwärts
Gleich der Schlange voller Leben, [200]
Selber sprach er bei dem Gleiten,
Also mit dem Stock bewaffnet:
»Möcht' der Lappen Männer jeder
Mir das Elentier hertragen,
Möcht' der Lappen Weiber jedes
Diese Kessel mir hier waschen,
Möcht' der Lappenkinder jedes
Späne mir zusammenlesen,
Möcht' der Lappen Kessel jeder
Mir das Elentier hier kochen!« [210]

Sammelt alle Kraft im Ansturm,
Stößt nach hinten, strebt nach vorne;
Schnellt sich fort zum ersten Male,
Schon entschwindet er den Augen,
Schnellt sich fort zum zweiten Male,
Nicht vermag man ihn zu hören,
Bei dem dritten Male stürzt er
Auf des Hiisi-Elens Rücken.

Nimmt dann einen Pfahl von Ahorn,
Schabet sich ein Band von Birken, [220]
Womit er das Elen fesselt,
In die Eichenhürde bringet:
»Hier verbleibe, Hiisis Elen,
Hüpfe hier, du wilder Flüchtling.«

Streichelt dann des Elens Rücken,
Klopfet ihm das Fell am Nacken;
»Darauf möcht' ich gerne weilen,
Darauf wär' mir süß zu schlafen
An der zarten Jungfrau Seite,
Bei dem schlankgewachsnen Hühnchen.« [230]

Zornig wurde Hiisis Elen,
Wild begann es auszuschlagen,
Selber sprach es diese Worte:
»Lempo soll sein Fell dir betten,
Drauf zu schlafen mit der Jungfrau,
Drauf zu weilen mit dem Mädchen!«

Stemmt sich mit den Füßen, dränget
Und zerreißt das Band von Birken,
Bricht den Ahornpfahl in Stücke,
Wirft die Eichenhürde nieder, [240]
Fängt dann an davon zu rennen,
Eilig gleitet es von hinnen
Über Sümpfe, über Felder,
Über Berge voller Strauchwerk,
Daß das Aug' es nicht erblicket,
Nicht das Ohr das Elen höret.

Darauf ward der muntre Bursche
Gar verdrießlich und voll Ärger,
Ward voll Ärger und gar unwirsch,
Gleitet nach dem Elentiere; [250]
Gibt nun einen Schwung dem Fuße,
Da zerbricht der linke Schneeschuh,
Sinket ganz und gar zusammen,
An dem Grund biegt sich der rechte,
Am Beschlage birst der Wurfspieß
Und der Stützstock an der Scheibe;
Unterdessen eilt das Elen,
Daß sein Kopf nicht mehr zu sehn ist.

Darauf schaute Lemminkäinen
Tiefen Hauptes, trüben Sinnes, [260]
Auf die Trümmer der Geräte,
Redet selber diese Worte:
»Magst du nie in deinem Leben,
Wer du seiest von den Männern,
Trotzvoll in den Wald geraten,
Hiisis Elen dort zu jagen,
Wie ich Ärmster hingegangen,
Dort die Schneeschuh' ganz verdorben,
Meinen Stock zerbrochen habe,
Meinen Wurfspieß ganz verbogen.« [270]


Anmerkungen

Vers 1 ff. Lemminkäinens Freierfahrt mit den ihm gestellten Aufgaben beruht offenbar auf einer Variante der Freierfahrt Ilmarinens und seiner Taten (XVIII. und XIX. Rune).

45 f. Kauppi und Lyylikki: wie so häufig in den Runen, Namen eines Mannes.

47. Wuojaländer: Lappe.

69 f. »Beim Laufen wird ein langer Stab als Steuer und zur Stütze angewandt. Etwa 4–6 Zoll von der unteren Spitze aufwärts ist ein rundes Brettchen (der Ring), durch dessen Loch in der Mitte der Stab geht, an der Stange befestigt, damit sie beim Stützen nicht zu tief in den Schnee sinke« (Paul).

75 f. Pelze dienten im alten Finnland als allgemeines Tauschmittel; der Name raha, Geld, wurde zuerst auf sie angewendet (vgl. Ahlqvist, Die Kulturwörter, S. 188 ff ).

106. Juutas: ein böser Dämon; sein Name steht zumeist neben dem von Hiisi, mit dem er auch hier identisch erscheint; er ist wohl der zum bösen Geist gewordene Judas. (Schiefner meint in seinem Register, der Name scheine dem litauischen jůdas, schwarz, entlehnt, doch hat diese Hypothese keine Bestätigung gefunden.)

107 f. Daß das Elen hier als Renntier bezeichnet wird, beruht auf dem den Runen eigentümlichen Parallelismus.

152. Kalma: ein Dämon der Unterwelt, etwa der Geist des Grabes, das »Kalmas Schlafkammer« genannt wird; zumeist, so hier, mit dem Todesgott Tuoni identifiziert; doch scheint auch zuweilen Kalmas Reich, als die Stätte der Gebeine, von dem Tuonis, dem Land der Seelen, unterschieden worden zu sein. (Über das Wort kalma, das Grab und Leichengeruch bedeutet, s. Finnisch-ugrische Forschungen VI, 117 ff.)


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