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Fünfundzwanzigste Rune

Der Bräutigam, die Braut und das Gefolge werden in der Wohnung Ilmarinens empfangen 1–382. Die Schar wird zur Genüge mit Speise und Trank bewirtet; Wäinämöinen singt und preist den Wirt, die Wirtin, den Freiwerber, die Begleiterin der Braut und das übrige Gefolge 383–672. Auf dem Heimweg von der Hochzeit bricht der Schlitten Wäinämöinens, den er wieder ausbessert 673–738.

Lang schon hatte man gewartet,
Lang geharrt und ausgeschauet,
Ob die Brautschar bald erschiene
In dem Hause Ilmarinens;
Triefen mußten da die Augen
Allen Alten an den Fenstern,
Schwanken mußten junge Kniee
Bei dem Warten an der Pforte,
Kinderfüße mußten frieren
Bei dem Stehen an den Wänden, [10]
Schuh' der Männerschar zerreißen
Bei dem Streifen an dem Strande.

Endlich nun an einem Morgen
War's, an einem schönen Tage,
Als man von dem Wald her Lärmen,
Dorther Schlitten rauschen hörte.

Lokka, sie, die gute Wirtin,
Sie, die schöne Kalewtochter,
Redet Worte solcher Weise:
»Dieses ist des Sohnes Schlitten, [20]
Endlich kommt er von Pohjola
An der Seite seiner Gattin.

»Wende dich zu diesem Lande,
Eile her zu diesem Hofe,
Zu der Stub', des Vaters Erbschaft,
Die der Vorfahr schon gezimmert!«

Ilmarinen, er, der Schmieder,
Eilt gerades Wegs nach Hause,
Zu der Stube seines Vaters,
Die der Vorfahr schon gezimmert; [30]
Haselhühner zwitschern fröhlich
Auf dem frischgebognen Krummholz,
Munter rufen Kuckucksvögel
An dem Vorderteil des Schlittens,
Und das Eichhorn hüpfet lustig
An der Deichsel, die von Ahorn.

Lokka, sie, die gute Wirtin,
Sie, die schöne Kalewtochter,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören: [40]
»Auf den Neumond harrt die Dorfschaft,
Jugend auf der Sonne Aufgang,
Kinder auf die Erdbeerplätze,
Aufs beteerte Boot das Wasser;
Ich hab' nicht den Mond erwartet,
Auf die Sonne nicht geharret,
Habe meinen Freund erwartet,
Meinen Freund und seine Gattin,
Schaute morgens, schaute abends,
Wußt' nicht, wohin er geraten, [50]
Ob er eine Kleine großziehn,
Eine Magre mästen mochte,
Denn ich sah ihn nimmer kommen,
Ob er's mir auch fest versprochen,
Heimwärts bald den Schritt zu wenden,
Ehe seine Spur erkaltet.

»Immer schaute ich am Morgen,
Hatt' es tagelang im Sinne,
Ob des Lieben Schlitten käme,
Ob er auf dem Wege rauschte [60]
Her zu diesem kleinen Hofe,
Zu dem schmalen Wohngebäude;
Wäre auch sein Roß von Halmen,
Aus zwei Stücken nur sein Schlitten,
Würd' ich ihn den allerfeinsten
Unter allen Schlitten preisen,
Wenn er meinen Lieben brächte,
Meinen Schönen mir nach Hause.

»Harrte so die ganze Zeit lang,
Schaut' hinaus im Lauf des Tages, [70]
Schaute mit gebognem Haupte,
Daß die Haare sich verschoben,
Daß die Augen breiter wurden,
Harrte daß mein Lieber käme
Her zu diesem kleinen Hofe,
Zu dem schmalen Wohngebäude;
Endlich ist er doch gekommen,
Wiederum zurückgekehret,
Hat zur Seit' ein frisches Antlitz,
Neben sich zwei rote Wangen. [80]

»Bräutigam, mein lieber Bruder,
Schirre aus das Weißgestirnte,
Führe fort das gute Rößlein
Zu dem längstgewohnten Grase,
Zu dem frischgeschnittnen Hafer;
Bringe dann uns deine Grüße,
Grüße uns und grüß' die andern,
Grüße du das Volk des Dorfes.

»Hast die Grüße du beendigt,
So erzähl', was du erlebtest; [90]
Bist du ohne Abenteuer,
Stets gesund den Weg gewandert,
Als du gingst zur Schwiegermutter,
In das Haus des Schwiegervaters,
Hast die Jungfrau du gewonnen,
Eingestürzt der Festung Pforte,
Hast der Jungfrau Schloß genommen,
Umgestoßen du die Wände,
Gingst zur Schwell' der Schwiegermutter,
Saßst du auf der Bank des Wirtes? [100]

»Doch ich seh' es, ohn' zu fragen,
Merk' es, ohne viel zu forschen,
Wohlgemut zog er des Weges,
Unversehrt macht' er die Reise,
Er gewann mit Macht ein Gänslein,
Stürzte ein der Festung Pforte,
Bracht' zu Fall die Burg von Brettern,
Stürmte rasch die Lindenwände,
Als er ging zur Schwiegermutter,
In das Haus des Schwiegervaters; [110]
Seht in seinem Schutz das Entlein,
Ihm im Arme seht das Hühnchen,
Ihm zur Seit' die lautre Jungfrau,
Ihm gepaart die glänzend helle.

»Wer wohl bracht' hieher die Lüge,
Breitet' aus die schlechte Kunde,
Daß der Freier leer erschienen,
Daß das Roß umsonst gelaufen?
Nicht erschien der Freier ledig,
Nicht umsonst ist's Roß gelaufen, [120]
Hat wohl etwas herzuziehen,
Muß die weiche Mähne schütteln,
Ist von Schweiße ganz gebadet,
Von dem Schaume übergossen,
Weil es uns das Küchlein herzog,
Her zu uns die Blüh'nde brachte.

»Steige, Schöne, aus dem Schlitten,
Gute, komm von deinem Sitze,
Komm herunter ungehoben,
Steige ungetragen nieder, [120]
Will ein Junger dich umfangen,
Dich ein Dreister niederholen!

»Hebe dich von deinem Sitze,
Lös' dich von des Schlittens Ende,
Komm den schönen Weg gegangen,
Auf dem leberfarbnen Boden,
Den die Säue gut geebnet,
Den die Ferkel festgetreten,
Den die Lämmer gleichgemachet,
Reingefegt der Rosse Mähnen! [140]

»Schreite mit des Gänsleins Schritten,
Tripple mit des Entleins Tritten
Auf den Hof, den reingewaschnen,
Auf die flachgestreckten Fluren,
Auf den Hof des Schwiegervaters,
Wo die Schwiegermutter waltet,
Zu dem Zimmerplatz des Bruders,
Zu der Schwester blauer Wiese,
Setze deinen Fuß zur Treppe,
Schreite auf die Vorhausdiele, [150]
Steige in den duft'gen Hausflur,
Geh dann in die innern Stuben,
Unter diese schönen Balken,
Unters Dach, das weitgerühmte!

»Schon in diesem letzten Winter,
Schon im Sommer, der vergangen,
Rief die Entenknochendiele
Laut nach dir, sie zu betreten,
Tönte hier die goldne Decke,
Daß du bald darunter stündest, [160]
Und es freuten sich die Fenster
Auf dein Sitzen an den Fenstern.

»Schon in diesem letzten Winter,
Schon im Sommer, der vergangen,
Sehnte knarrend sich der Türgriff
Nach der Hand, der ringgezierten,
Knisternd neigte sich die Schwelle
Der Behenden feinem Rocksaum,
Offen standen alle Pforten,
Dich, die Pförtnerin, erwartend. [170]

»Schon in diesem letzten Winter,
Schon im Sommer, der vergangen,
Wandte sich die ganze Stube
Ihr zu, die sie ordnen sollte,
Drehte sich die Vorhausdiele
Ihr zu, die sie putzen sollte,
Und es zwitscherte die Scheune
Ihr zu, die sie fegen sollte.

»Schon in diesem letzten Winter,
Schon im Sommer, der vergangen, [180]
Sah der Hof sich um gar heimlich,
Ob du Späne holen kämest,
Beugte sich die Vorratskammer,
Ob du kämst, sie zu besuchen,
Und es bogen sich die Balken
Für der jungen Frau Gewänder.

»Schon in diesem letzten Winter,
Schon im Sommer, der vergangen,
Girrte oft nach dir die Gasse,
Daß du da wärst, drauf zu wandern, [190]
Rückten alle Hürden näher,
Daß du ihrer warten möchtest,
Und es schoben sich die Ställe,
Um dem Entlein Platz zu machen.

»Schon an diesem heut'gen Tage,
Schon am letztverfloßnen Tage
Hat gar früh die Kuh gebrüllet
Nach des Morgenbündels Spendrin,
Hat das Füllen früh gewiehert
Nach der Geberin des Heues, [200]
Hat das Frühlingslamm geblöket
Nach der Mehrerin der Bissen.

»Schon an diesem heut'gen Tage,
Schon am letztverfloßnen Tage
Saßen Alte an den Fenstern,
Liefen Kinder an dem Strande,
Standen Weiber an den Wänden,
Knaben an der Tür der Vorstub',
Um der jungen Frau zu harren,
Um das Bräutlein zu erwarten. [210]

»Heil dir, Hof, mit deiner Fülle,
Heil des Hauses starken Helden,
Scheune, dir, mit deiner Fülle,
Heil dir, Scheune, samt den Gästen,
Vorhaus, dir, mit deiner Fülle,
Birkendach, samt deinem Volke,
Stube, dir, mit deiner Fülle,
Bretterreiche, samt den Kindern,
Heil, o Mond, dir, Heil dir, König,
Heil dir, junges Brautgefolge! [220]
Nicht ist früher hier gewesen,
Weder früher noch auch gestern
Solch ein stattlich Brautgefolge,
Eine Schar von solcher Schönheit.

»Bräutigam, mein lieber Bruder,
Streife ab die roten Binden
Und entfern' die seidnen Tücher,
Zeig' dein Marderchen, das liebe,
Das du fünf der Jahr' umworben,
Acht der Jahre angeschauet! [230]

»Brachtest du dir, was du wünschtest?
Wünschtest einen schönen Kuckuck,
Eine Weiße von dem Lande,
Eine Frische aus dem Wasser.

»Doch ich seh' es, ohn' zu fragen,
Merk' es, ohne viel zu forschen,
Hast gebracht den schönen Kuckuck,
Hast die blaue Ent' geborgen,
Hast das grünste aller Reiser
Aus dem schönbelaubten Busche, [240]
Hast den frischsten aller Zweige
Von dem frischen Elsbeerbaume.«

Saß ein Kindlein auf dem Boden,
Sprach das Kindlein von dem Boden:
»Bruder, was du mit dir schleppest,
Ist ein Teerholzstumpf an Schönheit,
Ist so schlank wie eine Teertonn',
Hoch wie's Fußgestell der Haspel.

»Siehst du, Bräutigam, du Armer,
Hast es lebelang erhoffet, [250]
Meintst ein Mädchen hundertfachen,
Tausendfachen Werts zu holen;
Hast erlangt von hundertfachem,
Tausendfachem Wert ein Wichtchen,
Eine Krähe von dem Sumpfe,
Von dem Zaun die flücht'ge Elster,
Von dem Feld die Vogelscheuche,
Aus dem Staub den schwarzen Vogel!

»Was hat sie bisher geleistet,
Was in dem verflossnen Sommer, [260]
Wenn sie Handschuh' nicht gestricket,
Wenn sie Strümpfe nicht gewirket!
Leer kommt sie in diese Stube,
Ohne Gaben zu dem Schwäher,
Mäuse rasseln in dem Kasten,
Langgeöhrte in der Kiste.«

Lokka, sie, die gute Wirtin,
Sie, die schöne Kalewtochter,
Hört die wunderliche Märe,
Redet Worte solcher Weise: [270]
»Böses Kind, was schwatzest du da,
Hast gar ungeschickt gesprochen!
Möge man von andern fabeln,
Schmähung möge andre treffen,
Niemals aber diese Jungfrau,
Nie das Volk in diesem Hause!

»Schlecht fürwahr hast du geredet,
Arge Rede kam vom Munde
Eines Kalbs, das nachts geboren,
Eines Hunds, der einen Tag alt; [280]
Trefflich ist des Freiers Jungfrau,
Ist die beste ihres Landes,
Gleicht der reifen Preiselbeere,
Gleicht der Erdbeer' auf dem Berge,
Gleicht dem Kuckuck auf dem Baume,
Gleicht dem Vöglein in der Esche,
Einem Flattrer auf der Birke,
Einer Weißbrust auf dem Ahorn.

»Nimmer hättest du aus Deutschland,
Hätt'st aus Estland nie erhalten [290]
Eine Jungfrau solcher Schönheit,
Eine Ente solcher Anmut,
Eine solche Zier im Antlitz,
Einen solchen Stolz im Wuchse,
Solche Weiße an den Armen,
Einen Nacken solcher Wölbung.

»Nicht kam sie mit leeren Händen,
Pelze hat sie mitgeführet,
Eingebracht hat sie Gewänder,
Und Gewebe trägt sie mit sich. [300]

»Und gar viel hat diese Jungfrau
Mit der Spindel schon geleistet,
Mit der Spule schon geschaffen,
Mit den Fingern wohl bereitet,
Kleider von dem hellsten Glanze
Hat im Winter sie entfaltet,
Hat im Frühjahr sie gebleichet,
Hat im Sommer sie getrocknet,
Flatternd lange, feine Laken,
Schwellend weiche, schöne Kissen, [310]
Schwingend leichte seidne Tücher,
Schimmernd bunte wollne Decken.

»Gutes Weibchen, schönes Weibchen,
Weibchen mit der frischen Farbe,
Warst zu Hause hoch gepriesen,
In dem Vaterhaus als Tochter,
Sei hier allzeit hoch gepriesen
Bei dem Mann als Schwiegertochter!

»Nimmer darfst du Sorge hegen,
Dich dem Kummer nicht ergeben, [320]
Führt man dich doch nicht in Sümpfe,
Nicht zum Rande eines Grabens,
Fortgeführt aus Fruchtgefilden,
Kommst du zu weit reichern Feldern,
Fortgeführt aus Bieresstuben,
Zu weit größrer Bieresfülle!

»Gute Jungfrau, schönes Weibchen,
Dies will ich von dir erfragen:
Sahst du, als du hergekommen,
Schöngespitzte Korneshaufen, [330]
Roggenmieten schöngewipfelt?
Sie gehören diesem Hause,
Wohl geackert hat dein Gatte,
Dort geackert und gesäet.

»Teures Mädchen, liebe Jungfrau,
Will dir nunmehr dieses sagen:
Wußtest du ins Haus zu kommen,
Wisse nun im Haus zu bleiben,
Ist gar gut hier für ein Weibchen,
Schön für eine Schwiegertochter, [240]
Dir zur Hand die Milchgeschirre
Und das Butterfaß zu Diensten!

»Ist gar gut hier für das Mädchen,
Schön dem Hühnchen zu gedeihen,
Sind hier breite Badstubbretter
Und gar weite Stubenbänke,
Wie dein Vater gilt der Wirt hier,
Deiner Mutter gleich die Wirtin,
Gleich dem Bruder hier die Söhne,
Gleich der Schwester hier die Töchter. [350]

»Sollte je die Lust dir kommen,
Du Verlangen je verspüren
Nach den Fischen deines Vaters,
Nach des Bruders Haselhühnern,
Fordre sie nicht von dem Schwager,
Keineswegs auch von dem Schwäher,
Fordre sie von deinem Gatten,
Bitte ihn, der her dich brachte!
Gibt in diesem großen Walde
Keins der Tiere auf vier Füßen, [360]
Keinen Vogel in den Lüften,
Keinen Schwinger von zwei Flügeln,
Gibt auch keinen in dem Wasser
Von den besten Fischesschwärmen,
Den dein Gatte nicht zu fangen,
Er nicht zu erbeuten wüßte.

»Ist gar gut hier für das Mädchen,
Schön dem Hühnchen zu gedeihen,
Braucht den Mühlstein nicht zu drehen,
Nicht den Mörser zu bestellen, [370]
Wasser mahlet hier den Weizen,
Für den Roggen wallt die Strömung,
Die Gefäße wäscht die Flut hier
Und der Meeresschaum bespült sie.

»O du vielgeliebtes Dörflein,
Du, der schönste Fleck der Erde!
Rasen unten, oben Felder,
In dem Zwischenraum das Dörflein,
Unten an dem Dorf der Meerstrand,
An dem Strand das liebe Wasser, [380]
Wo die Enten gerne schwimmen,
Wasservögel gern verweilen.«

Darauf ward die Schar gespeiset,
Ward gespeiset und getränket
Mit der Fleischesbissen Fülle,
Mit den allerschönsten Broten,
Mit dem Bier aus guter Gerste,
Mit der besten Weizenwürze.

War in Menge dort zu essen,
Viel zu essen, viel zu trinken [390]
In den rotgefärbten Schüsseln,
In den schöngeformten Mulden,
Kuchen gab es dort zu brechen,
Butterbissen zu verteilen,
Schnäpel gab's dort zu zerstückeln,
Schöne Lachse zu zerlegen
Mir den feinen Silbermessern,
Mit den goldgeschmückten Schneiden.

Biere strömten unbezahlbar,
Honigtrank mit Geld nicht käuflich, [400]
Biere von der Sparren Ende,
Honigtrank dort aus dem Holzpflock,
Biere zu der Lippen Netzung,
Honigtrank zur Sinnerquickung.

Wer wird wohl ein Lied nun singen,
Wer hier wohl zum Sänger taugen?
Wäinämöinen alt und wahrhaft,
Er, der ew'ge Zaubersprecher,
Fing dort selber an zu singen,
Machte sich ans Werk der Lieder, [410]
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
»Goldne Brüder, meine Teuren,
Ihr, Verwandte, reich an Worten,
Ihr Gefährten sprachbegabet,
Höret was ich jetzt euch sage!
Selten stehn die Gäns' beisammen,
Selten Schwestern gegenüber,
Selten Brüder sich zur Seite,
Einer Mutter Kinder selten [420]
In den kargen Länderstrecken,
Auf des Nordens armem Boden.

»Sollen wir zum Sange schreiten,
An das Werk der Lieder gehen?
Singen ziemt gar wohl dem Sänger,
Rufen wohl dem Frühlingskuckuck,
Färben wohl der Bläue Göttin,
Weben wohl der Webegöttin.

»Singen selbst der Lappen Kinder,
Fröhlich diese Grasbeschuhten, [430]
Wenn das grobe Fleisch des Elens,
Eines Renntiers sie gespeiset;
Weshalb sollte ich nicht singen,
Nicht auch unsre Kinder singen
Nach der roggenreichen Speise,
Nach dem Mahl aus gutem Mehle?

»Singen selbst der Lappen Kinder,
Lärmen sie, die Grasbeschuhten,
Eine Schale Wasser trinkend,
Bittre Tannenrinde kauend; [440]
Weshalb sollte ich nicht singen,
Nicht auch unsre Kinder singen
Bei dem schönen Gerstentranke,
Bei dem gutgebrauten Biere?

»Singen selbst der Lappen Kinder,
Lärmen sie, die Grasbeschuhten,
Wenn sie an dem ruß'gen Feuer,
An des Herdes Kohlen liegen;
Weshalb sollte ich nicht singen,
Nicht auch unsre Kinder singen [450]
Unter diesen schönen Balken,
Unterm Dach, dem weitgerühmten?

»Ist gar gut hier für die Männer,
Lieblich für die Fraun zu weilen,
An dem Busen der Biertonnen,
In der Nähe der Metzuber,
Unfern von dem Schnäpelsunde,
Bei dem Netzzug von den Lachsen,
Wo die Speise nimmer fehlet,
Niemals sich der Trank verringert. [460]

»Ist gar gut hier für die Männer,
Lieblich für die Fraun zu weilen,
Sorge stört hier nicht beim Essen,
Kummer plagt hier nicht das Leben,
Sorglos ißt man nach Belieben,
Und man lebt ganz ohne Kummer
Unterm Walten dieses Wirtes
Und solang die Wirtin lebet.

»Wen soll ich zuerst nun preisen,
Erst den Wirt, die Wirtin eher? [470]
Tu' es wie der Vorzeit Helden,
Die den Wirt stets früher priesen,
Der das Haus im Sumpf geschaffen,
Aus dem Walde es errichtet,
Tannen mit der Wurzel holte,
Mit dem Wipfel schlanke Fichten,
Sie an gute Stellen brachte,
Sie gar fest zusammenfügte
Zu dem großen Haus des Stammes,
Zu dem schönen Wohngebäude, [480]
Wände aus dem Walde schaffte,
Balken von dem großen Berge,
Sparren aus des Busches Dickicht,
Bretter von den Beerenfluren,
Rinde von dem Faulbaumberge
Und das Moos vom schwanken Moore.

»Sorgsam ist das Haus gezimmert,
Steht an einem sichern Orte,
Hundert Männer hatten Arbeit,
Tausend standen auf dem Dache, [490]
Als man dieses Haus erbaute,
Als man diese Bretter fügte.

»Wohl hat dieser gute Hauswirt,
Als er dieses Haus erbaute,
Vieles Haar im Sturm verloren,
Ward vom Wetter arg verzauset,
Oftmals hat der gute Hauswirt
Handschuh' auf dem Stein gelassen,
Seinen Hut oft auf den Ästen,
In den Sumpf gesenkt die Strümpfe. [500]

»Oftmals ist der gute Hauswirt
Schon zur Zeit des frühsten Morgens,
Eh' die andern sich erhoben,
Ungehört vom ganzen Dorfe,
Von dem Feuer aufgestanden,
Aus der Reisighütte trat er,
Zweige kämmten ihm die Haare,
Tau wusch ihm die klaren Augen.

»Seither hat der gute Hauswirt
Freunde in das Haus gezogen, [510]
Voll von Sängern sind die Bänke,
Freud'ger Gäste voll die Fenster,
Voll gespräch'gen Volks der Boden,
Lärmender voll die Verschläge,
Voll von Stehenden die Wände,
Voll von Wandrern ist der Zaunweg,
Viele schreiten längs des Hofraums,
Viele kreuz und quer durchs Grundstück.

»Habe so den Wirt gepriesen,
Preise nun die liebe Wirtin, [520]
Die die Speisen angefertigt,
Die den langen Tisch gefüllet.

»Dickes Brot hat sie gebacken,
Kräft'gen Brei sie uns geklopfet
Mit den leichtbewegten Armen,
Mit den zehn geschmeid'gen Fingern,
Ließ gar schön die Brote steigen,
Speiste ihre Gäste reichlich
Mit des Schweinefleisches Fülle,
Mit den schwellenden Pasteten; [530]
Krummgebogen ward die Schneide,
Abgedrückt der Schaft des Messers,
Als den Lachs man schnitt in Stücke,
Spaltete der Hechte Köpfe.

»Oftmals ist die gute Wirtin,
Ist die Hausfrau voller Umsicht
Vor dem Hahne aufgestanden,
Vor der Henne Sohn geeilet,
Um fürs Hochzeitsmahl zu sorgen,
All die Arbeit zu verrichten, [540]
Um die Hefe zu bereiten
Und das gute Bier zu brauen.

»Trefflich hat die gute Wirtin,
Hat die Hausfrau voller Umsicht
Dieses Bier für uns bereitet,
Ließ den süßen Trank sie fließen
Aus dem keimereichen Korne,
Aus dem süßgewürzten Malze,
Das sie nicht mit Holz gerühret,
Mit der Stange nicht durchwühlet, [550]
Sondern mit der Hand gewendet,
Umgekehret mit den Armen
In der raucherfüllten Badstub',
Auf den gutgekehrten Brettern.

»Auch nicht ließ die gute Wirtin,
Sie, die Hausfrau voller Umsicht,
Diese Keim' zum Aufbruch kommen,
Nicht das Malz nach Erde schmecken,
Ging gar oftmals in die Badstub',
Um die Mitternacht alleine, [560]
Hatte vor dem Wolf kein Bangen,
Fürchtet' nicht des Waldes Raubtier.

»Hab' die Wirtin so gepriesen,
Werde nun den Werber preisen!
Wer wohl ward gewählt zum Werber,
Wer gewählt den Weg zu weisen?
Werber ist im Dorf der beste,
Ja, des Dorfes Glück der Führer.

»Unser Werber ist bekleidet
Mit dem Tuchrock aus der Fremde, [570]
Schließt ihm stramm an beiden Armen,
Sitzt ihm trefflich an dem Leibe.

»Unser Werber ist bekleidet
Mit dem engen Oberrocke,
In dem Sande schleift der Saum ihm,
Auf dem Boden seine Schleppe.

»Etwas kommt vom Hemd zum Vorschein,
Schimmert nur hervor ein wenig,
Ist, als hätt's die zinngeschmückte
Mondestochter selbst gewebet. [580]

»Unser Werber ist bekleidet
Um den Leib mit wollnem Gürtel,
Den der Sonne Tochter webte,
Mit den bunten Fingern wirkte
In den feuerlosen Zeiten,
Als das Feuer man nicht kannte.

»Unser Werber ist bekleidet
An dem Fuß mit seidnen Strümpfen,
An den Strümpfen seidne Bänder,
Schöngestreifte Binderiemen, [590]
Ganz bestickt mit hellem Golde,
Reich verziert mit Silberfäden.

»Unser Werber ist bekleidet
Mit den besten deutschen Schuhen,
Gleich den Schwänen in dem Flusse,
Gleich dem Wasserhuhn am Ufer,
Gleich den Gänsen auf den Zweigen,
Wandervögeln im Gestrüppe.

»Unser Werber ist geschmücket
Mir den goldgelockten Haaren, [600]
Schöngeflochten ist sein Goldbart,
Auf dem Kopfe sitzt die Mütze,
Ragt empor bis an die Wolken,
Dringet durch des Waldes Wipfel,
Nicht für hundert Mark erhält man,
Nicht für tausend solche Mütze.

»Hab' den Werber so gepriesen,
Preise nun die Brautgefährtin!
Woher kam die Brautgefährtin,
Woher nahm man die Beglückte? [610]

»Daher kam die Brautgefährtin,
Ward geholet die Beglückte,
Jenseits von der Burg Tanikas,
Von dem neuerbauten Schlosse.

»Nein, sie kam uns nicht von dorther,
Nimmermehr aus jener Gegend;
Daher kam die Brautgefährtin,
Daher nahm man die Beglückte:
Vom Gewässer ob der Dwina,
Von den weitgedehnten Buchten. [620]

»Nein, sie kam uns nicht von dorther,
Nimmermehr aus jener Gegend;
Wuchs ein Erdbeerlein im Lande,
Auf der Flur die Preiselbeere,
Auf dem Feld das zarte Kräutlein,
In dem Hain die goldne Blume,
Daher kam die Brautgefährtin,
Daher nahm man die Beglückte.

»Zierlich ist der Mund der Holden
Wie das Weberschiff im Suomi, [630]
Ihre Augen schimmern freundlich
Wie die Sterne an dem Himmel,
Ihre Schläfen strahlen weithin
Wie das Mondlicht auf dem Meere.

»Zierat trägt die Brautgefährtin:
An dem Halse goldne Ketten,
Auf dem Kopfe goldne Schnüre,
An den Händen goldne Bänder,
An den Fingern goldne Ringe,
An den Ohren Goldgehänge, [640]
An den Schläfen goldne Schlingen,
Perlen an den Augenbrauen.

»Glaubte, daß der Mond schon schiene,
Als die goldne Spange blitzte,
Glaubte, daß die Sonne leuchte,
Als des Hemdes Kragen glänzte,
Glaubt', ein Schiff käm' hergesegelt,
Als der Kopfputz sich bewegte.

»Lobte so die Brautgefährtin,
Will die ganze Schar beschauen, [650]
Ob die Gästeschar wohl schön ist,
Ob die Alten gar gewaltig,
Ob die Jungen gar gelenkig,
Stattlich wohl der ganze Haufen!

»Hab' die ganze Schar betrachtet,
Wenn ich sie auch früher kannte;
Nie ist hier zuvor gewesen,
Wird so bald auch nicht erscheinen
Eine Schar von solchem Aussehn,
Nie ein Haufe solcher Schönheit, [660]
Alte Leute so gewaltig,
Junge Leute so gelenkig;
Hellgekleidet ist der Haufen,
Wie die Waldung bei dem Reife,
Unten gleich der Morgenröte,
Oben gleich dem Tagesanbruch.

»Überflüssig gab's des Silbers,
Gab's des Goldes bei den Gästen,
Taschen Geldes auf den Feldern,
Beutel Geldes auf den Gassen [670]
Für die eingeladnen Gäste,
Zu der Gäste größrer Ehre.«

Wäinämäöinen alt und wahrhaft,
Er, des Sanges ew'ge Stütze,
Schwang sich nun in seinen Schlitten,
Fuhr gerades Wegs nach Hause;
Sang beständig seine Lieder,
Sang beständig kunsterfahren,
Singt ein Liedlein, singt ein zweites,
Bei dem dritten seine Lieder, [680]
Klingt die Kufe an dem Steine,
Hängt die Leiste an den Baumstumpf,
Bricht der Schlitten des Gesanges,
Wird die Kufe krumm gebogen,
Krachend reißt entzwei die Leiste,
Stürzen nieder breit die Seiten.

Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet selber solche Worte:
»Ist wohl hier in dieser Jugend,
In dem wachsenden Geschlechte, [690]
Oder in der Schar der Alten,
In dem sinkenden Geschlechte
Einer, der ins Reich Tuonis,
In das Haus von Mana ginge,
Der den Bohrer von Tuoni,
Mir aus Manas Haus ihn brächte,
Daß ich einen neuen Schlitten,
Einen neuen Sitz mir zimmre?«

Was die jungen Leute sprachen,
War zugleich der Alten Antwort: [700]
»Nicht ist hier in dieser Jugend,
Auch nicht in der Schar der Alten,
Nirgends in dem großen Stamme
Solch ein Held, solch ein Beherzter,
Daß er nach dem Reich Tuonis,
Nach dem Hause Manas ginge,
Dir den Bohrer von Tuoni,
Dir aus Manas Haus ihn holte,
Daß du einen neuen Schlitten,
Einen neuen Sitz dir zimmerst.« [710]

Ging der alte Wäinämöinen,
Er, der ew'ge Zaubersprecher,
Wiederum ins Reich Tuonis,
Wandert zu dem Hause Manas,
Bringt den Bohrer von Tuoni,
Holt ihn aus dem Hause Manas.

Sang der alte Wäinämöinen
Einen blauen Hain zum Vorschein,
Ebne Eichen in dem Haine
Und gar schlanke Ebereschen, [720]
Zimmert sie zu seinem Schlitten,
Krümmet sie zu seiner Kufe,
Sucht sie aus zu seinen Leisten,
Wendet sie zu seinem Krummholz,
Bringt den Schlitten so zustande,
Einen neuen so in Ordnung,
Spannt das Füllen ins Geschirre,
Spannt es vor den braunen Schlitten,
Setzt sich selber in den Schlitten,
Läßt sich auf dem Sitze nieder; [730]
Ohne Gerte läuft das Rößlein,
Ungeschlagen von der Peitsche,
Zu dem längstgewohnten Futter,
Zu der gutverwahrten Nahrung,
Bringt den alten Wäinämöinen,
Ihn, den ew'gen Zaubersprecher,
Zu der eignen Türe Öffnung,
Hin zu seiner eignen Schwelle.


Anmerkungen

Vers 51 f. Scherzwort: ob er darauf wartete, daß seine Braut größer oder dicker werde.

96 ff. »Als ein Überrest aus jener alten Zeit, wo der Frauenraub noch an der Tagesordnung war, sind ohne Zweifel verschiedene Eigentümlichkeiten der Hochzeitsbräuche bei den Esten und anderen Völkern zu erklären, wie z. B. das Verrammeln des Brauthauses, die Bewaffnung einiger Hauptpersonen mit Schwertern u. dgl. mehr ... Von den griechisch-katholischen Finnen in Ostfinnland läßt sich wenigstens soviel sagen, daß dem Bräutigam mit den Seinigen der Eintritt in das Brauthaus so schwierig und umständlich wie nur möglich gemacht wird. Fast mit Gewalt und mit Anspannung aller Kräfte muß er sich in die Stube drängen.« (Schröder, Die Hochzeitsbräuche der Esten; vgl. dessen Arische Religion, I, 258 f.)

137 ff. Hyperbolische Hinweise auf den reichen Viehstand.

219. Mond bedeutet hier anscheinend die Braut, König den Bräutigam; doch wird die Stelle auch so erklärt, daß Mond die Brautführerin, den Trabanten der Braut, und König den Werber, den Leiter der Hochzeit bezeichne.

245 ff. Das Spottlied ist ebenso ritenhaft wie die anderen und wird vorgetragen, wenn die Braut die üblichen Geschenke noch nicht verteilt hat.

353 f. D. h. nach denen, die du zu Hause zu essen gewohnt warst.

427. Sinetär (von sini, blaue Farbe): die Gottheit des Färbens; auch im Plural vorkommend.

428. Kankahattar (von kankas, grobes Wollenzeug): die Beschützerin des Webstuhls; ebenfalls auch in der Mehrzahl erwähnt.

430. So werden die Lappen genannt, weil sie strohgeflochtene Schuhe tragen.

564. Der Werber: der Vermittler zwischen den eheschließenden Teilen und Zeremonienmeister der Hochzeit. »Er muß vor allen Dingen ein kundiger Zauberer sein, der den »Neid« (das böse Auge) und anderes Unheil von dem jungen Paare fernzuhalten vermag.« (Ohrt.)

608. Die Brautführerin.

614. Neuschloß: Nowgorod.


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