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Sechsunddreißigste Rune

Kullerwo rüstet sich zum Kriege und verläßt leichten Herzens seine Heimat, da dort niemand, außer der Mutter, über seinen etwaigen Tod Kummer zu empfinden behauptet 1–154. Er kommt nach dem Wohnsitz Untamos, haut alles nieder und steckt die Stuben in Brand 155–250. Er kehrt heim, findet den Wohnsitz verlassen und kein anderes lebendes Wesen, als einen alten schwarzen Hund, mit dem er in den Wald geht um sich Nahrung zu erjagen 251–296. Auf dem Wege dahin kommt er an die Stelle, wo er seine Schwester zu sich gelockt hat, und macht dort mit dem Schwerte seinem Leben ein Ende 297–360.

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Er, der Knab' mit blauen Strümpfen,
Schickt sich nunmehr an zum Kampfe,
Rüstet sich zum Kriegeszuge;
Schleifet eine Weil' die Klinge,
Schärft die Spitze seines Speeres.

Also spricht zu ihm die Mutter:
»Ziehe nicht, mein armes Söhnchen,
Ziehe nicht zum großen Kriege,
Gehe nicht zum Schwertgemenge! [10]
Wer umsonst zum Kriege ziehet,
Wer aus Laun' den Kampf beginnet,
kommt im Kriege um sein Leben,
Wird im Kampfe bald getötet,
Findet seinen Tod vom Schwerte,
Durch das Eisen bald sein Ende.

»Ziehst du aus auf einer Ziege,
Zu dem Kampf auf einem Bocke,
Wird die Ziege bald besieget,
Bald der Bock herabgestürzet, [20]
kommst auf einem Hund nach Hause,
Nach dem Hof auf einem Frosche.«

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Redet Worte solcher Weise:
»Werde nicht in Sümpfe stürzen,
Auf die Heide niedersinken,
Auf den Heimatsitz der Raben,
Auf das Ackerfeld der Krähen,
Wenn ich auf dem Kampfplatz stürze,
Auf dem Feld des Krieges falle; [30]
Herrlich ist's im Kampf zu sterben,
Schön fürwahr beim Klang der Schwerter,
Köstlich ist des Krieges Krankheit:
Eilend zieht der Knab' von hinnen,
Fährt von hinnen ohne Siechtum,
Wandert ohne hinzuschwinden.«

Spricht die Mutter diese Worte:
»Wirst du in dem Kampfe sterben,
Wer wird dann bei deinem Vater,
Wer zum Schutz des Alten bleiben?« [40]

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Redet Worte solcher Weise:
»Mag er auf dem Kehricht sterben,
Auf dem Hof sein Leben lassen!«

»Wer wird dann bei deiner Mutter,
Wer zum Schutz der Alten bleiben?«

»Mag sie auf dem Strohbund sterben,
In dem Stalle sie ersticken!«

»Wer bleibt dann bei deinem Bruder,
Wer im Unglück ihm zur Seite?« [50]

»Mag im Walde er verkommen,
Auf dem Feld er niedersinken!«

»Wer bleibt dann bei deiner Schwester,
Wer im Unglück ihr zur Seite?«

»Mag sie auf dem Weg zum Brunnen,
Auf dem Weg zum Waschplatz stürzen!«

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Geht nun eilends fort von Hause,
Redet also zu dem Vater:
»Lebe wohl, mein guter Vater! [60]
Wirst um deinen Sohn du weinen,
Wenn du hörst, ich sei gestorben,
Aus dem Volke hingesunken,
Aus dem Stamme hingestürzet?«

Spricht der Vater diese Worte:
»Werde nimmer um dich weinen,
Höre ich, du seist gestorben;
Werd' mir einen Sohn erzeugen,
Einen Sohn, der vielfach besser
Und bei weitem einsichtsvoller.« [70]

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Redet Worte solcher Weise:
»Werde auch um dich nicht weinen,
Höre ich, du seist gestorben;
Werd' mir einen Vater machen,
Mund und Kopf aus Lehm und Steinen,
Augen aus des Sumpfes Beeren,
Seinen Bart aus dürren Stoppeln,
Füße ihm aus Weidenzweigen,
Fleisch ihm aus verfaulten Bäumen.« [80]

Spricht darauf zu seinem Bruder:
»Lebe wohl, mein lieber Bruder!
Wirst du wohl um mich einst weinen,
Hörest du, ich sei gestorben,
Aus dem Volke hingesunken,
Aus dem Stamme hingestürzet?«

Spricht der Bruder diese Worte:
»Nimmer werd' ich um dich weinen,
Höre ich, du seist gestorben;
Werd' mir einen Bruder suchen, [90]
Einen vielfach bessern Bruder,
Einen noch einmal so schönen.«

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Redet Worte solcher Weise:
»Werde auch um dich nicht weinen,
Höre ich, du seist gestorben;
Werd' mir einen Bruder machen,
Mund und Kopf aus Lehm und Steinen,
Augen aus des Sumpfes Beeren,
Haare ihm aus dürren Stoppeln, [100]
Füße ihm aus Weidenzweigen,
Fleisch ihm aus verfaulten Bäumen.«

Spricht darauf zu seiner Schwester:
»Lebe wohl, du liebe Schwester!
Wirst du wohl um mich einst weinen,
Hörest du, ich sei gestorben,
Aus dem Volke hingesunken,
Aus dem Stamme hingestürzet?«

Spricht die Schwester diese Worte:
»Nimmer werd' ich um dich weinen, [110]
Höre ich, du seist gestorben,
Werd' mir einen Bruder suchen,
Einen vielfach bessern Bruder,
Einen weitaus einsichtsvollern.«

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Redet Worte solcher Weise:
»Werde auch um dich nicht weinen,
Höre ich, du seist gestorben;
Werd' mir eine Schwester machen,
Mund und Kopf aus Lehm und Steinen, [120]
Augen aus des Sumpfes Beeren,
Haare ihr aus dürren Stoppeln,
Ohren aus des Teiches Blumen
Und den Leib aus Ahornzweigen.«

Spricht darauf zu seiner Mutter:
»Liebe Mutter, meine Teure,
Schöne, die du mich getragen,
Goldne, die du mich gegängelt!
Wirst du, Mutter, um mich weinen,
Hörest du, ich sei gestorben, [130]
Aus dem Volke hingesunken,
Aus dem Stamme hingestürzet?«

Spricht die Mutter diese Worte,
Läßt sich selber also hören:
»Nicht kennst du den Sinn der Alten,
Nicht das Herz der armen Mutter;
Werde bitter um dich weinen,
Höre ich, du seist gestorben,
Aus dem Volke du verschwunden,
Aus dem Stamme hingesunken; [140]
Weine, daß die Stube fließet,
Daß der ganze Boden flutet,
Hingehockt auf allen Gassen,
Niederkauernd in dem Stalle;
Weine allen Schnee zu Glatteis,
Eis zu aufgetauter Erde,
Erde zu begrüntem Rasen,
Grünen Rasen mach' ich welken.

»Sollte ich nicht weinen können
Und zu klagen nicht vermögen [150]
Vor den Augen aller Leute,
Wein' ich in der Badstub' Stille,
Daß die Sitze, daß die Bretter
Auf den Tränenfluten schwimmen.«

Kullerwo, der Sohn Kalermos,
Er, der Knab' mit blauen Strümpfen,
Geht nun blasend fort zum Streite,
Jubelnd zieht er zu dem Kampfe,
Bläst auf Feldern und auf Sümpfen,
Füllt mit Schall die ganze Heide, [160]
Schmettert über alle Wiesen,
Donnert über alle Fluren.

Folgt ein Bote seinen Spuren,
Zu den Ohren kommt die Nachricht:
»Schon gestorben ist dein Vater,
Hingesunken schon der Alte;
kehr' zurück um zuzusehen,
Wie den Toten man bestattet!«

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Gibt zur Antwort diese Worte: [170]
»Ist er tot, so mag er tot sein;
Ist ein Wallach ja zu Hause,
Daß man ihn zu Grabe führe,
Ihn zu Kalma niedersenke!«

Blasend zieht er durch die Sümpfe,
Tobet in dem Schwendenlande;
Folgt ein Bote seinen Spuren,
Zu den Ohren kommt die Nachricht:
»Schon gestorben ist dein Bruder,
Deiner Eltern Kind gestürzet; [180]
Kehr' zurück um zuzusehen,
Wie den Toten man bestattet!«

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Gibt zur Antwort diese Worte:
»Ist er tot, so mag er tot sein;
Ist ein Hengst ja in dem Hause,
Daß man ihn zu Grabe führe,
Ihn zu Kalma niedersenke!«

Blasend schreitet er durch Sümpfe,
Tutet in dem Tannenwalde; [190]
Folgt ein Bote seinen Spuren,
Zu den Ohren kommt die Nachricht:
»Schon gestorben ist die Schwester,
Deiner Eltern Kind gestürzet;
Kehr' zurück um zuzusehen,
Wie die Tote man bestattet!«

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Gibt zur Antwort diese Worte:
»Ist sie tot, so mag sie tot sein;
Ist zu Hause eine Stute, [200]
Daß man sie zu Grabe führe,
Sie zu Kalma niedersenke!«

Tosend steigt er durch die Stoppeln,
Wandert klingend durch die Wiesen;
Folgt ein Bote seinen Spuren,
Zu den Ohren kommt die Nachricht:
»Tot ist deine liebe Mutter,
Sie, die Holde, ist gestorben;
Kehr' zurück um zuzusehen,
Wie die Dorfschaft sie bestattet!« [210]

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Redet Worte solcher Weise:
»Wehe mir, dem armen Sohne,
Da die Mutter mir gestorben,
Die das Bett mir eingerichtet,
Die die Decke hat geschmücket,
Die die lange Spule führte,
Die die kräft'ge Spindel drehte;
Nicht war ich beim Tod zugegen,
Nicht, als ihre Seel' entschwunden, [220]
Ist vielleicht vor Frost gestorben,
Oder weil's an Brot ihr fehlte!

»Waschet in dem Haus die Tote
Mit der allerfeinsten Seife,
Bindet sie in seidne Tücher,
Hüllet sie in Leingewänder,
Führt sie so zu ihrem Grabe,
Senket sie zu Kalma nieder,
Führt sie hin mit Klageliedern,
Berget sie mit Trauersange; [230]
Ich kann nicht nach Hause kehren,
Ungestraft ist noch Untamo,
Nicht getötet ist der Böse,
Noch der Garst'ge nicht vernichtet.«

Blasend zog er nun zum Kampfe,
Jubelnd hin zum Land Untamos,
Redet Worte solcher Weise:
»Ukko, du, o Gott der Höhe!
Wolle mir ein Schwert verleihen,
Eine wohlbeschaffne Klinge, [240]
Scharen will damit ich trotzen,
Hunderten ich widerstehen.«

Fand ein Schwert, ihm wohlgefällig,
Eine Klinge ohnegleichen,
Hauet nieder dort die Scharen
Und vertilgt das Volk Untamos;
Brennt die Stuben ganz zu Asche,
Daß sie all' in Staub zergehen,
Läßt des Ofens Steine stehen,
Auf dem Hof die Eberesche. [250]

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Wendet sich darauf zur Heimat,
Zu des toten Vaters Stuben,
Zu den Fluren seines Alten;
Leer doch findet er die Stube,
Öde, als er aufgeschlossen,
Keiner kommt ihn zu umarmen,
Niemand ihm die Hand zu geben.

Streckt die Hand zum Kohlenhaufen,
Kalt sind selbst des Ofens Kohlen, [260]
Da erkennt der Angekommne,
Daß die Mutter nicht am Leben.

Legt die Hand dann an den Ofen,
kalt sind selbst des Ofens Steine;
Da erkennt der Angekommne,
Daß der Vater nicht am Leben.

Wirft die Augen auf den Boden,
Ungefeget ist der Boden,
Da erkennt der Angekommne,
Daß die Schwester nicht am Leben. [270]

Gehet zu dem Landungsplatze,
Nicht sind Boote auf den Rollen;
Da erkennt der Angekommne,
Daß sein Bruder nicht am Leben.

Fing da bitter an zu weinen,
Weinte einen Tag, den zweiten,
Selber sprach er diese Worte:
»O du Mutter voller Güte,
Was hast du mir hinterlassen,
Als in diesem Land du lebtest? [280]

»Doch nicht hörst du mich, o Mutter,
Seufz' ich über deinen Augen,
klag' ich über deinen Brauen,
Sprech' ich über deinem Scheitel!«

Aus dem Grab erwacht die Mutter,
Aus der Erde gibt sie Antwort:
»Ist der schwarze Hund geblieben,
In dem Wald mit dir zu jagen;
Nimm den Hund an deine Seite,
Geh mit ihm bis zu dem Waldland, [290]
Wandre vorwärts zu der Wildnis,
In die Näh' der Waldestöchter,
Zu dem Hof der blauen Mädchen,
Zu dem Tor des Tannenschlosses,
Deine Nahrung dir zu suchen,
Eine Gabe zu erbitten!«

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Nahm den Hund an seine Seite,
Machte sich dann auf die Wandrung,
Zog des Wegs entlang der Wildnis; [300]
War ein wenig nur gegangen,
Eine kleine Streck' geschritten,
Da kam er zu jenem Hügel,
Stieß auf jene schlimme Stelle,
Wo das Mädchen er geschändet,
Seiner Mutter Kind verdorben.

Dorten weint der schöne Rasen,
Voller Mitleid klagt der Laubhain,
schmerzensreich die jungen Gräser,
Alle Heideblumen jammern, [310]
Daß das Mädchen dort geschändet,
Dort der Mutter Kind verstorben,
War kein neues Gras gewachsen,
Keine neuen Heideblumen
Sproßten dort auf jenem Platze,
Auf der Stelle voller Frevel,
Wo das Mädchen er geschändet,
Seiner Mutter Kind verdorben.

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Griff nach seinem scharfen Schwerte, [320]
Wendet es nach allen Seiten,
Fragt es, sucht es auszuforschen,
Fragt das Schwert nach seinem Wunsche,
Ob es wohl Begehren trage,
Von dem schuld'gen Fleisch zu zehren,
Von dem bösen Blut zu trinken.

Wohl errät das Schwert die Absicht,
Ahnet wohl den Sinn des Mannes,
Antwortet auf diese Weise:
»Weshalb sollt' ich nicht verlangen, [330]
Von dem schuld'gen Fleisch zu zehren,
Von dem bösen Blut zu trinken,
Zehr' ich doch das Fleisch der Frommen,
Trinke Blut der Schuldentblößten.«

Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Er, der Knab' mit blauen Strümpfen,
Drückt den Griff fest in den Boden,
Drückt den Knopf tief in die Heide,
Wendet auf die Brust die Spitze,
Stürzt sich selber auf die Spitze, [340]
So verfällt er seinem Tode,
Fällt anheim dem Untergange.

Dieses war der Tod des Jünglings,
War das Ende Kullerwoinens,
War der Untergang des Helden,
War der Tod des Unglücksel'gen.

Als der alte Wäinämöinen
Von dem Tode Botschaft hörte,
Daß Kullerwo so gestorben,
Sprach er Worte solcher Weise: [350]
»Wolle nicht, o Volk der Zukunft,
Kinder auf verkehrte Weise
Toren zur Erziehung geben,
Fremden Leuten sie zum Wiegen!
Wird ein Kind nicht recht gewartet
Und gewiegt auf falsche Weise,
Kann es nicht verständig werden,
Mannes Einsicht nicht erlangen,
Wenn es auch an Jahren alt wird,
Stark an Leib sich auch gestaltet.« [360]


Anmerkungen

Vers 17 ff. D. h. wenn du launisch und unbesonnen wie ein Ziegenbock in den Kampf ziehst, wirft du beschämt zurückkehren.

57 ff. In einem Lied, das Lönnrot unter dem Titel »Kullerwos Kriegszug« in seine Sammlung Kanteletar aufgenommen hat, fragt der hier als Ehemann auftretende Kullerwo, der in den Krieg zieht, die Seinen, auch seine Frau; sie antwortet:

»Nein, ich weine nimmer um dich!
Ziehst ja ganz aus freien Stücken
In die Schlacht, ins Kriegsgetümmel.
Wenn ich höre, daß du tot bist,
Sitz' ich auf dem Stein der Freude
Nieder, singe heiße Lieder;
Werf' die Schuh' aus Birkenrinde
Von mir, ziehe Schnürenschuh' an;
Schmücke meinen Hals und Busen,
Gehe an den Ort der Brautschau,
Da entfalt' ich meine Reize,
Kriege einen bessern Gatten,
Einen Mann, der viel gescheiter.«

(Deutsch von Schott.)

75 ff. Diese Replik muß nicht notwendig metaphorisch bedeuten: »Ein solches Scheusal kann mir deine Stelle reichlich ersetzen« (Schott), sondern es kann auch eine wirkliche magische Schöpfung gemeint sein.

224. Wörtlich »deutscher«, d. h. vom Ausland gebrachter Seife.

229. Die uralten Klagelieder werden beim Aufbetten, Waschen, Einkleiden, Aufbahren, zu Grabe Tragen usw. gesungen, entweder von Verwandten oder von gedungenen Personen.

249 f. Die beiden Heiligtümer der Familie: der Herd und der heilige Baum.


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