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32

Vier Tage später gelangten Richard Pye und Nick Schirovsky zu der Ansicht, daß ihre Mühen um die Verteilung von Alkohol unter den solidesten Bürgern New Yorks, den würdigen Männern, die alle Gesetze hielten außer den unbequemen, einen Urlaub verdienten. Es waren nur wenige Gäste im Hotel, lauter vernünftige, ordentlich nasse Leute, und so begaben sich Pye und Schirovsky mit einer Gesellschaft von zehn, zwölf gleichgesinnten Damen und Herren, die keineswegs zu Pyes Poloclique gehörten, auf ein Weekend hinaus. Sie amüsierten sich großartig. Täglich waren alle mittags betrunken, schliefen ihren Rausch aus, waren noch vor dem Abend wieder betrunken und tanzten dann bis zum Morgengrauen. Es wurde eine Pyjamaparade abgehalten, es wurde sehr viel über Herren gelacht, die zur Frühstückszeit in falschen Zimmern gefunden wurden, und sehr heiter war es auch, als Nick Schirovsky, lediglich mit Unterhosen bekleidet, vor das Haus ging und sich im Schnee wälzte.

Myron war neunzehn Stunden im Tag auf dem Posten und beschützte die Einrichtungsgegenstände des Gasthofes, so gut er konnte, denn Jimmy Shanks, sonst kein Narr, machte mit und war einer der Üppigsten unter den fröhlichen Bacchanten geworden. Etliche Male brachte Myron Gäste, die mit Flaschen als Bällen Billard spielen oder sich mit der Feuerspritze vergnügen wollten, nicht ohne Grobheit zu Bett, und das verärgerte Dick Pye. Nach drei Tagen begann er sachte, dann bedeutend weniger sachte, Myron mit seiner unwürdigen und unglückseligen Situation aufzuziehen. So oft Myron etwas vorschlug – zum Beispiel, daß ein Mitglied der vergnügten Gesellschaft doch endlich aufhören sollte, sein Bett in Brand zu setzen – sagte Pye höhnisch: »Was Sie wünschen geschieht, Boss! Sie brauchen mir's bloß zu sagen.«

Spät eines Nachts stolzierte er taumelnd in Myrons Büro, noch viel betrunkener, als Myron ihn jemals gesehen hatte, und krächzte: »Alle bestehen darauf, daß Sie zu uns kommen und mitmachen. Wir fangen jetzt gleich ein improvisiertes Kostümfest an! Und Ihre Frau holen Sie auch rüber. Wir brauchen mehr Mädels.«

»Ohne mich! Und Sie sollten lieber auch zu Bett gehen. Sie haben kein Recht, solchen Krach zu schlagen. Es sind noch ein paar Gäste außer Ihrer Gesellschaft da, Pye!«

»Ach, die Gäste soll der Teufel holen! Wenn ich nicht die Sache in die Hand genommen hätte, wären nicht einmal die paar da! Sie wollten das Lokal ja immer leiten, als ob's ne methodistische Gebetsversammlung wäre.«

»Darüber wollen wir uns jetzt nicht unterhalten.«

»Einen Dreck wollen wir nicht! Sie glauben, Sie sind Geschäftspartner, aber Sie sind bloß ein einfacher Angestellter, und wenn ich Ihnen klingle, haben Sie zu kommen! Sie sind ein einfacher Tintenkuli!«

Plötzlich stand Myron vor dem Schreibtisch und schüttelte Mr. Richard Pye wie einen Schuljungen. Er schüttelte ihn mit aller in sechs Monaten des Grübelns aufgestapelten Wut. Pye versuchte zurückzuschlagen, aber Myron schleuderte ihn hin und her, bis ihm schwindlig wurde. Dann gab er Pye eine Ohrfeige und erschrak, als er merkte, mit welch mörderischer Wut er danach verlangte, ihm einen schönen, saftigen, mörderischen Hieb auf das Kinn zu versetzen, und um es nicht zu tun, schob er Pye in den Wandschrank in seinem Büro, schloß ihn ab, legte den Schlüssel mit völlig nüchtern wirkender methodischer Überlegung in die oberste Schublade seines Schreibtisches und wurde in aller Ruhe verrückt.

Nun, da er angefangen hatte, brannte er danach, die Sache auch fortzusetzen und Schirovsky, Shanks, alle ihre Gäste und jeden, der ihm über den Weg lief, verschwinden zu lassen. Er floh hinunter in das ruhige Souterrain, um sich wieder in die Hand zu bekommen. Mit einemmal stand er im Heizungsraum und starrte einen Haufen Packpapier, Holzwolle und Schachtelüberreste an. Was ihn plötzlich wirklich wahnsinnig machte, war der Anblick dieses Durcheinanders. Solange er die Leitung in Händen gehabt hatte, war das Souterrain immer so sauber aufgeräumt gewesen wie ein Salon.

Das würde ein prächtiges Feuer geben! Weiß Gott, er wollte den ganzen Laden verbrennen! Mit Feuer und Furor wollte er diese Greuelstätte zerstören! Er war wieder ein Tintenkuli, ja? Er mußte gelaufen kommen, wenn es Dick Pye so paßte, ja? – und wenn es dem verkommenen Bootlegger Schirovsky paßte?

Er wollte sie vernichten. Mitsamt ihrer stinkenden Misthöhle!

Er hielt ein Streichholz an die Holzwolle, und eine Flamme lief an der Wand hinauf, leckte an einem trockenen Balken.

Überrascht riß er den Mund auf. Dann sprang er. Vierzig Jahre lang hatte er es gelernt, bei einem Hotelbrand handlungsbereit zu sein. Ohne zu denken, ohne denken zu müssen, riß er einen Feuerlöscher aus den Klampen und richtete ganz kühl den Strom der chemischen Flüssigkeit auf den Brandherd aus Papier und Brennholz.

Es war ein guter Feuerlöscher, denn er war, schon lange vor Beendigung des Baues, von keinem anderen ausgesucht worden als dem Direktor Weagle. Wäre er nicht so gut, so sorgfältig ausgesucht gewesen, so wäre der Black Thread Inn mitsamt dem in einem Wandschrank eingeschlossenen Mr. Richard Pye völlig abgebrannt.

Zitternd stand Myron da. Er war viel zu entsetzt, um sich mit Selbstvorwürfen abzugeben. So zitterig und schwach in den Knien, daß er kaum gehen konnte, schleppte er sich die Treppe hinauf in sein Büro und schloß die Tür des Wandschranks auf.

Dick Pye schlief friedlich, und aus dem Tanzsaal kamen die höchst vergnügten Klänge der Jazzmusik von dem eben begonnenen Kostümfest.

Dann lachte Myron, rüttelte sanft Pye wach und sagte noch sanfter: »Tut mir leid, daß ich Sie störe, Dick, aber ich dachte, es ist besser, Sie wissen, daß ich gehe und mein Anwalt sich mit Ihnen über den Verkauf meiner Aktien verständigen wird, meiner Beteiligung an dem Lokal da – wie heißt es? – Black Thread Inn? Zu jeder Zeit, die Ihnen paßt. Gute Nacht.«

Und er ging in überaus gehobener Stimmung zu seinem Häuschen hinüber, während Dick Pye völlig benommen mitten zwischen Besen, Staubtüchern und Ablegemappen saß und sich unbeholfen eine Spinnwebe aus dem Haar klaubte.


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