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6

Für Myron war sein Bruder Ora ein noch größeres Rätsel als Miss Absolom oder etwa die Plejaden. Es blieb ihm unbegreiflich, warum es Ora anscheinend keine Befriedigung bereitete, seine kleinen Arbeiten im Hotel ordentlich und zur rechten Zeit zu erledigen; wie es Ora Freude machen konnte, Stunde um Stunde Scott und Dickens und Thackeray und Tennyson zu lesen. Du lieber Himmel, bekam er denn alle diese Märchen und Lügen über einen Haufen Ritter und so weiter nie über? Und wo nahm Ora alle diese komischen Ideen her?

Ora vertraute ihm zum Beispiel an: »Eines Tages fahre ich nach Venedig – –«

»Das ist in Italien, nicht?«

»Verflucht nein! In Finnland ist es! Ich fahr nach Venedig, und da werd ich meine Privatgondel haben und immer drin rumfahren, und dann werden mir so ne, wie heißen sie nur, italienische Lieder vorsingen. Wenn der Mond scheint. Jahrelang, jede Nacht.«

»Ach Gott, ich glaube, das würde gar nicht so viel Spaß machen, Ora, höchstens in den ersten paar Nächten. Ich möcht lieber n bißchen frei kriegen und nach Maine hinaufgehen, Enten jagen.«

»Das würdest du, ja! Und ich werde eine Menge Fürsten und Herzöge und lauter so Leute kennen. Und an der Riviera werd ich sein. In Monte Carlo spielen!«

Mit würdevollem Kopfschütteln und Stirnrunzeln erklärte Myron: »Ich habe nie viel vom Spielen gehalten. Bloß ne gute Methode, sein Geld herauszuschmeißen.«

»Na, dein blöder alter Hector Warlock – mit seinen Zahnstocherphantasiewesten, die aussehen wie Tischtücher mit Ketchupflecken – der spielt!«

»Das ist was anderes. Bloß son bißchen Karten mit Freunden. Und du sag mir nochmal was gegen Mr. Warlock, und ich schlag dir deine Schnauze ein!«

»Das bist du auch imstande! Das ist so ziemlich die einzige Art, wie du recht behalten kannst! Der Warlock! Ich werd Plätze sehen, von denen er nie in seinem Leben gehört hat, mit seinen ganzen Aufschneidereien von der Fifth Avenue, Boston und dem Parker House! Ich werd mein Schweizerhaus oben auf dem Gipfel der Alpen haben und den ganzen Tag schlafen und die ganze Nacht aufsitzen und in die Sterne sehen … Hast du schon einmal daran gedacht, Myron: die Sterne sind Blumen auf den Himmelswiesen?«

Myron betrachtete ihn mißtrauisch. Versuchte Ora ihn aufzuziehen? Aber sein Bruder war ganz ernst. Myron spottete nie; er verspottete Ora niemals, wenn er auch oft das Verlangen verspürte, ihm etwas anzutun. »Nein, an sowas hab ich nie gedacht. Das hört sich so an wie die Sachen, die der Reverend Ivy sagt.«

Da Ora diesen hübschen Gedanken in der Tat von den Lippen des Reverend Waldo Ivy gehört hatte, antwortete er wütend: »Das ist nicht wahr! So einen guten Einfall hat der noch nie in seinem Leben gehabt! Ich hab eine Menge Einfälle. Wart nur, bis ich Zeit hab, Bücher zu schreiben und Gedichte! Du wirst schon sehen! Ich werd so viel Geld verdienen, daß ich eine Yacht haben und damit rumkreuzen werd – ach, nach Kambodscha und Nantucket und dem Tal Avalon und überallhin.«

»Na, ich wünsch dir, daß du's kannst. Sag mal, wie wär's, wenn du jetzt die Holzkiste auffüllen würdest?«

 

Myron dachte bekümmert: »Er hat wirklich feine Einfälle. Er wird wohl viel loshaben. Das Gedicht, das er geschrieben hat – wie war's nur? –

Durch ferne Meere will ich fahren, auf mich nehmen Schmerz und Qual,
Allüberall zu suchen und zu forschen nach dem heiligen Gral

oder sowas Ähnliches; das war sicher ein sehr gutes Gedicht. Bloß, warum kann er nicht zuerst erledigen, was er zu tun hat, wie Mr. Warlock immer sagt? Ist ja sehr schön und gut, von Europa und den Alpen und alledem zu träumen, aber vorläufig ist er doch hier im American House, warum macht er nicht da die Arbeit, wie er muß? – und er muß doch; ich werd dafür sorgen, daß er's macht! Und dann, wenn die Zeit dafür kommt, kann er ja überall dahin gehen. Ich kann bloß nicht verstehen, wie ein Mensch nicht den Stolz hat, gut zu machen, was er machen muß … Ach, na ja, wahrscheinlich bin ich eben einfach n alter Besen. Wahrscheinlich ist es so, wie Ora sagt: ich hab keine Phantasie. Ich taug wohl genau so wenig wie der alte Holzkopf, der Trumbull Lambkin … Was für Hotels es dort wohl in den Alpen gibt? Die müssen wohl groß sein, so mit Aussicht. Ob die viele Privatbäder haben?«

 

In der ganzen Höheren Schule Black Threads gab es keinen beliebteren Jungen als Myron Weagle. Und doch hatte er keine Freunde. Denn Knabenfreundschaften entstehen ausschließlich in Mußestunden. Freunde sind Gefährten der abendlichen Nationalitäten- und Räuber-und-Gendarm-Spiele, der Sonnabend-Nachmittag-Wanderungen durch die Wälder, des Herumlungerns im Schwimmbad. Solche Jugendfreunde müssen keine zwei Gedanken gemeinsam und nicht den gleichen Geschmack haben; wenn man sie nach zwanzig Jahren wiedertrifft, können sie einem fremder sein als jede am Tag vorher gemachte Zufallsbekanntschaft im Pullman-Wagen. Sie sind Waffengefährten, nicht Vertraute. Und so konnte Myron in seiner Knabenzeit, da er keine Muße hatte, auch keine Freunde haben.

Niemals kamen der gemütliche Tom Weagle und die zärtliche Mutter Weagle auf den Gedanken, Myron hätte in jeder schulfreien Minute, die er nicht gerade schlief, so viel zu tun, daß er eigentlich überhaupt keine wahre Jugend hatte. Sie waren der Überzeugung, daß sie ihn gut behandelten. Hatte er nicht, da er statt gewöhnlicher bescheidener Hausmannskost die Hotelverpflegung bekam, mehr als genug zu essen? Kriegte er nicht jedes liebe Jahr einen neuen Anzug? Und wenn sie ihn (was ungefähr fünfzigmal im Tag geschah) um irgendeine ganz winzig kleine Extraarbeit baten, taten sie das dann nicht immer höflich, etwa mit den Worten: »Wenn du's machen kannst, und wenn es nicht zuviel Mühe ist?« Und sah es nicht immer so aus, als ob er es sehr bereitwillig täte?

So hätten Tom und Edna Weagle argumentiert, wenn sie plötzlich durch ein Wunder die großartige Fähigkeit erworben hätten, überhaupt über ihre Methode der Erziehung Myrons nachzudenken … Über Ora und seine Erziehung dachten sie aber genug nach. Dafür sorgte Ora dadurch, daß er standhaft und tapfer jammerte, so oft er um etwas gebeten wurde, und es höchst energisch nicht tat.

So wie Myron keine guten Freunde hatte, fehlte es ihm auch völlig an jenem Kontakt mit der Natur, der einem Jungen im Dorf so oft eine Entschädigung bietet für provinzielle Langweiligkeit und Häßlichkeit, eine Entschädigung dafür, daß man am Abend immer nur den einen Spaziergang machen kann, die Hauptstraße entlang zur einzigen Drogerie, wo man immer dieselbe Schokolade oder dasselbe Erdbeereis-Soda bekommt, eine Entschädigung für das unabänderliche Familiengespräch beim Abendbrottisch mit dem ewig gleichbleibenden dummen Witz Vaters über die Faulheit des Jungen und seinen gewaltigen Appetit, für die ewig gleiche boshafte Verdrehtheit von Lehrerinnen, die bloß deshalb unterrichten, weil sie es nicht fertiggebracht haben, zu heiraten.

Bei den meisten Dorfkindern wird all dies gewöhnlich aufgewogen durch ein Wissen um Blumen und Haine und Vögel und kleine Täler im Sommerdunst, aber Myron hatte niemals Zeit, stundenlang begeistert über Hügel zu wandern, und ohne solche Stunden, in denen man die Klänge und Farben der Welt in sich eindringen läßt, kann es kein Wissen um die Natur geben. Aber wenn er auch nicht liebevoll vertraut mit der Natur war, so liebte er doch die Landschaft. Diese beiden Dinge sind keineswegs ein und dasselbe.

Wer ein richtiger Städter ist, für den alle sorgfältig gearbeitete Natur aus Zement besteht und sauber eingeteilt ist, der mag durchaus eine halbe Stunde lang fähig sein, die Reize eines Vermont-Tales zu bewundern, aus dem Wälder zu einem ragenden Gipfel empor klettern, auch wenn er nicht genau weiß, ob die Bäume Dattelpalmen oder Schuppentannen sind und ob der sich im Dunst der Höhe verlierende Berg aus Eisenbeton oder bloß aus grün gestrichenem Backstein gebaut ist. Ora konnte eine Grasammer viel besser von einer Drossel unterscheiden als Myron, aber wenn Myron auf dem Dach des American House saß, fand er Erbauung und Erholung im Anblick der Flußwindungen und der freundlichen Höhen, die den Sonnengott einfach langweilten, weil es ihn danach verlangte, seine Sonnengöttlichkeit in einer Privatgondel zu verherrlichen.

Auch der Sport existierte nicht für ihn.

Darüber vergoß die Schule Tränen. Der Baseball-Kapitän ließ sich nicht nehmen, daß Myron ein geborener Ballwerfer sei. Der Fußball-Kapitän erklärte, Myrons Brust und Schultern und eine gewisse Raschheit im Angriff, die in den Kämpfen hinter dem Schulhaus zu beobachten war, zeigten, daß er ein ausgezeichneter Stürmer oder Rechts- oder Linksaußen sein müßte. Ob er denn gar keinen Schulstolz hätte? Ob er nichts für das gute alte Black Thread tun wollte? Ob er so faul und so unpatriotisch wäre, daß er dasitzen und zusehen könnte, wie die Höhere Schule von Beulah Black Thread in diesem Jahr wieder schlagen würde?

Myron hatte das Gefühl, es sei für ihn ein Ding der Unmöglichkeit, zu erklären, daß er sich nicht vom Hotel freimachen könne. Das wäre Kritik an seinen Eltern gewesen. Er drückte sich und lächelte und verbarg, wie er es von J. Hector Warlock gelernt hatte, hinter einem Pokergesicht seine Sehnsucht, an schönen Herbstabenden draußen zu sein und mit der Mannschaft zu trainieren.

»Ich will schon versuchen, es zu machen, aber ich bin ein bißchen zurück in dem lausigen Latein«, log er voll Liebenswürdigkeit.

Er war jetzt sechzehn Jahre alt. Ein ganzes Jahr lang war er, unter J. Hectors Einfluß, professioneller Hotelfachmann gewesen, und er wußte, welche Loyalität er dem Gewerbe schuldete.

 

Von Erdbeerbäumen und Eichhörnchen wußte Myron wohl recht wenig, aber dafür hatte er um so vertrauteren Umgang mit den weit herumgekommenen, mit allen Salben gesalbten Hotelangestellten, und darum beneideten ihn andere Jungen. Der schlaue Onkel Jasper, der farbige Hausdiener, erzählte in Gackertönen von den fünfziger Jahren, in denen er, noch als Sklave, in Rockbridge Alum Springs in Virginia die Bar auszufegen hatte, in der die »jungen Herren« mit großem Eifer Zechgelage mit Brandy Crusta, Louisiana-Zuckerhauspunsch, Gin mit Farrensaft und Portwein-Negus abhielten. Er erzählte vom kühnen General Grant, der damals ein Victoria vor dem Eustaw House in Baltimore stehen hatte, und Myron riß den Mund auf. Eines Tages würde er ein Hotel besitzen, das Gewaltige wie General Grant aufsuchten, und er würde sie alle kennen!

»Ich hoffe sehr, General, daß dieses Appartement zur Zufriedenheit von Eurer Exzellenz ist. Ich bitte mich zu benachrichtigen, General, wenn ich das Vergnügen haben kann – haben darf – darf, Ihnen zu Diensten zu sein, und es ist mein ergebenster Wunsch, daß Ihr Aufenthalt bei uns erfreulich für Sie sein wird, General. Wie, Ihr Bild mit Unterschrift? Oh, das ist wirklich eine überaus aufmerksame und von mir voll gewürdigte Gunst, General. Noch meine Enkel werden stolz darauf sein.«

Von Mrs. Hobby, der ältesten von den Frauen, die als Zimmermädchen und Kellnerinnen zu funktionieren hatten – sie hatte einst bessere Tage gesehen und hörte es gern, wenn man sie »Haushälterin« nannte – lernte Myron, kaputte Handtücher auf der Nähmaschine zu reparieren, indem man über dem Riß vielfach hin und her näht. Selbst von Imogene Heck, der unordentlichen und immer nach Fett riechenden Schlampe, die Geschirr wusch und das Gemüse für Mutter Weagle zum Kochen herrichtete, lernte Myron Küchengeheimnisse: Kupfer mit Steinsalz und Essig putzen, Wasserflaschen mit rohen Kartoffelscheiben säubern und ranzig gewordenes Öl mit einer Kartoffel kochen, um es wieder süß zu machen. Am meisten aber hatte Jock Mc-Creedy, der Barmann, Myron beizubringen, und seine Freundlichkeit entschädigte den Jungen für den Mangel an Sonne, Wind und fröhlichem Lachen, dafür, daß er den größten Teil seiner schulfreien Stunden in den dumpfigen Räumen eines Gasthofes verbringen mußte.

Kein Mensch im Amerika vor der Prohibition und auch in den wenigen guten von den später aufgekommenen »American Bars« in Europa stand auf so gutem Fuße mit einer Unzahl von Menschen wie der Barmann, der sich auf sein Geschäft verstand. In seiner Umgebung existierte die einzige wahrhafte Demokratie, die es in Amerika jemals gab. Er war der Vertraute reisender Fürsten und Admirale, durstiger Schriftsteller und Gelehrter, junger Handelsreisender und eifriger Versicherungsagenten, die die reichen Leute der Stadt kennenlernen wollten, ermüdeter Ärzte und agiler Journalisten, großer und kleiner Gauner, professioneller Schnorrer, würdevoller Kaufleute und in Zivil gekleideter Geistlicher aus fremden Städten, und er hatte das Privileg, beziehungsweise das unselige Geschick, alle diese Menschen besser zu kennen als ihre eigenen Brüder, denn das Zaubermittel Alkohol öffnete ihre Herzen und ließ sie dem einzigen verfügbaren Beichtvater sagen, was sie wirklich dachten. Er hörte sich ihre schmutzigen Witze an. Wenn er einmal den neuesten nicht mindestens siebenmal hörte, war es ein schlechter Tag. Und er heilte ihre matinalen Depressionen. Er hörte sich ihre Sorgen mit den Frauen an und gab weise Ratschläge – der Rat wurde niemals befolgt, aber es war trostreich für bekümmerte Ehegatten, jemand zu finden, der bereit war, ihren Ergüssen zu lauschen und sich nicht wegzuschleichen. Er lieh ihnen Geld und bekam es manchmal auch zurück. Er kannte die besten Kirchen, die besten Angelgerätgeschäfte und die besten Huren in der Stadt. Er konnte sogar noch besser als ein erprobter Hotelportier einem Fremden am Schnitt der Rockaufschläge ansehen, ob er seine Rechnungen bezahlte, seine Frau prügelte, beim Poker mogelte und etwas von echtem französischem Kognak verstand.

Niemand, nicht einmal ein Gigolo oder ein beliebter Prediger, mußte die Kunst genereller Konversation mit solcher Meisterschaft beherrschen wie ein Barmann von Qualität. Wenn er nicht imstande war, sich über die Mechanik elektrischer Kraftwerke zu unterhalten, über die Wahrscheinlichkeit, daß die Engländer die verlorenen Stämme Israels seien, über die Vorzüge von Nähmaschinenöl zur Heilung von Ohrenschmerzen bei Kindern im Alter von drei bis sieben Jahren, über den Stil Bulwer Lyttons und jenes neuen Autors, Richard Harding Davis, über den angemessenen Preis für einen blauen Anzug mit zwei Hosen, über die Vorzüge von kurzhaarigen, beziehungsweise langhaarigen Vorstehhunden bei der Wachteljagd, über die Vergangenheit der Maud S. und die Meriten der Prädestinationslehre als Dogma – wenn er das nicht konnte, war er verloren und mit Schmach beladen, und alle Meisterschaft im Mixen eines Blue Blazer konnte seinen Mangel an geistiger Souveränität nicht entschuldigen.

Und der Mann, der Myron in seiner letzten Schulzeit, von seinem sechzehnten bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr, in allen diesen gesellschaftlichen Künsten ausbildete, war ein Lord unter den Barmännern.

Das Interieur war angenehm, besonders an Augustnachmittagen, wenn das Pflaster draußen die Hitze widerstrahlte. Der kühle Barraum, der nach Bier roch, nach bitterlichem Whisky und nach mit Wasser besprengtem Sägemehl; die Gläserpyramiden und der Akt, den Ora so bewunderte; gesellige Männer, die Casino spielten und den letzten Schlager summten; und Jock McCreedy und Myron in blitzsauberen, gestärkten weißen Jacken, bereit für den Andrang am Spätnachmittag.

Ein Fremder kam herein und Jock murmelte: »Gib acht auf ihn – laß dir das Geld geben – seine Augen gefallen mir nicht.« Aber wenn es ein bereits bekannter Nassauer war, überließ ihn Jock nicht Myrons jugendlichen Gefühlen, sondern machte sich selbst an das Ungeheuer heran und summte ihm so liebevoll zu wie eine Mutter dem Kindlein in der Wiege: »'n Schlückchen trinken, Pete? Aber wie wär's denn vorher mit 'ner kleinen Kontoreglung, alter Junge? Am Vormittag hat mir Tom Weagle noch gesagt, wenn ich nicht einkassiere, flieg ich. Wir müssen die Miete zahlen. Wie wär's mit fünf Dollar?« Und wenn einer der Mächtigen des Ortes, ein gewaltiger Kirchen- und Temperenzmann, hastig hereinkam und brummte: »Gläschen Rum – bin scheußlich erkältet«, bediente ihn Jock mit den Bewegungen eines Ministranten am Altar.

Das waren großartige Tage! Myron begann zu merken, daß er seine Arbeit verstand – Küche und Wäscheraum und Fremdenzimmer, Halle und Speisesaal und Bar. Er spürte etwas von der Kraft, die einem die eigene Tüchtigkeit gibt. Er war vorbereitet für die Universität und das Doktorenexamen in der Wissenschaft der Hotelführung.

Sowie er mit der Schule fertig war, erklärte er seiner Familie, er werde nach Torrington gehen, um sich in dem großartigen Hotel Zum Adler mit seinen siebzig Zimmern und seinem – es lag in der Nähe der Station – imposanten Restaurationsgeschäft mit Eisenbahnpassagieren eine Stellung zu suchen.

Seine Mutter weinte und fuhr sich mit ihrer alten Schürze über die Augen. Wie sollte sie ohne ihn auskommen? Wahrscheinlich wäre er niemals gegangen, hätte viele Jahre lang Black Thread nicht verlassen, wenn nicht der alte Tom Weagle voll herrischer Empörung gerufen hätte: »Natürlich! So ist es ja immer! Nachdem ich dich jahrelang großgezogen und alles für dich getan habe, willst du dich jetzt verdrücken, gerade wenn du anfangen könntest, deiner Mutter und mir ein bißchen Hilfe zu sein! Ich hab dir Obdach gegeben und dich ernährt und dir Benimm beigebracht und dir fünfzig Cent Taschengeld in der Woche gegeben, bloß damit du was zum Rausschmeißen hast, und das ist jetzt der Dank dafür. Nein, du sei still, Mutter, jetzt ist es Zeit, daß ich ein Wörtchen rede und diesem undankbaren jungen Schlangenzahn sage, was für ein – was für ein Schlangenzahn er ist, weiß Gott!«

Myron ging, sein Köfferchen schleppend, die fünfzehn Meilen nach Torrington zu Fuß. Die ersten fünf Meilen weinte er über seine Mutter. Die zweiten fünf Meilen jubelte er voll Abenteuerfreude über die gewonnene Freiheit. Es war, seit sie von der Farm fortgezogen waren, seit seinem siebenten Lebensjahr, das erstemal, daß er Zeit hatte, fortzugehen, sein eigener Herr zu sein und seinen eigenen Weg zu machen. Während der letzten fünf Meilen war er viel zu fußkrank, um überhaupt noch an etwas anderes zu denken – nicht einmal an die Tatsache, daß er vom Hotel Zum Adler mit Hurrarufen begrüßt werden und im Handumdrehen ein in der ganzen Provinz berühmter Hoteldirektor sein würde.

Eine Meile vor Torrington legte er sich in einen Heuschober schlafen.

Am nächsten Morgen konnte er nur mit zusammengekrampftem Herzen den Mund ganz weit aufreißen, als ihm Mr. Coram, der Direktor des Adler, ein glatter, sachlicher Mann mit Augengläsern, erklärte, es sei kein Plate für ihn da. Es dauerte zehn Tage, bis er im Fandango Inn in Buttermilk Springs, einem übel beleumundeten Ausflugshotel, einen Sommerposten als Page bekam; in dieser Zeit verhungerte er fast, aber er dachte nicht eine Sekunde lang daran, nach Black Thread zurückzugehen.


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