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Oder genaues Gegent. von Luxusjacht, mir pers. auch lieber: für Leute, die gern Segeljacht hätten, sich aber nicht Boot leisten können, das groß genug für hohe See: richtiges altmod. vollgetakeltes Segelschiff nach Europa; Vort: Stille, Ruhe, Gefühl, wirklich auf See zu sein, weg von Jazzmusik und auch von Autos. Aber gute Betten, sicherheitshalber Funkstation, Elektr. für Beleuchtung & Kühlräume, Gasmotoren nur zum tägl. Laden der Akkus und als Hilfsmaschine bei toter Windstille. Auch verlockend für junge Leute, die gerade College absolviert haben.

 

Das ganze Jahr 1918 hindurch litt Mark Elphinstone unter Anfällen von Angina pectoris, und sowie Myron aus dem Heeresdienst entlassen war, wurde er inoffizieller Präsident des Elphinstone-Konzerns. Nun erst lernte er Mark wirklich als Menschen kennen.

Mark lebte seit Jahren im obersten Stockwerk des Westward in einem sehr großen und sehr pseudofeudalen Appartement mit nachgeahmtem Deckengebälk, wappengeschmücktem Kamin und niemals gebrauchter Musikergalerie im Salon. Myron war nur selten oben gewesen, aber nun, da Mark zu Bett lag, ging er täglich zu ihm hinauf. Zwei von Marks fürchterlichen Anfällen, die durch Ärger oder durch den Versuch, aufzustehen und sich anzukleiden, ausgelöst wurden, erlebte er mit. In solchen Augenblicken hatte Mark, während er von Schmerzen gepeinigt wurde, die eine Minute dauerten, aber eine Stunde zu dauern schienen, ein Gefühl, als stürbe er, als preßte eine riesengroße Hand sein Herz zusammen, während der Schmerz, bis hinauf zum Hals und dann wieder hinunter den linken Arm entlang, tief in ihn hineinschnitt. Er keuchte, seine Augen traten vor Entsetzen weit vor. Myron und die Pflegerin standen mit dem peinlichen Gefühl der Überflüssigkeit am Bett. Sowie das Grauen vorüber war, bemühte sich Elphinstone, zu lachen und zu murmeln: »Sagen Sie Carlos Jaynes, er soll aufhören nach meinem Herzen zu fassen – sagen Sie ihm, er soll aufhören – ich wünsche, daß er augenblicklich aufhört.«

Er erzählte jetzt, während er auf und ab ging, von seinem Privatleben. Er war Witwer; sein einziges Kind, eine Tochter, war mit einem Modeanwalt verheiratet und lebte in Brookline. Als Myron sie sah, erriet er, daß sie sich wacker bemühte, ihrem Vater zu verzeihen, daß er noch lebte. Sie trug ein Atlaskleid, dazu züchtig baumelnde Ketten, sie war sehr energisch und intellektuell, und ihr Vater war in ihrer Gesellschaft demütig und bescheiden. Als sie gegangen war, prahlte Mark stundenlang Myron gegenüber mit der Musikalität und den italienischen Kenntnissen seiner Tochter und ihrer Freundschaft mit Bischöfen.

Der Arzt machte Mark darauf aufmerksam, er müsse »alle übermäßigen körperlichen Anstrengungen und alle Aufregungen vermeiden«, und Marks letzter Sekretär, der saubere, rasche, liebenswürdige, ziemlich langweilige junge Mr. Clark Cleaver (er stand in dem Ruf, auf dem Barren und den Ringen in der Sporthalle des Y.M.C.A. wahre Wunder zu tun) brachte Mark ununterbrochen in maßlose Aufregung, indem er ihm zuredete, er solle jede Aufregung vermeiden. Myron war vernünftig genug, ihn sich austoben zu lassen.

Die Katastrophe wurde von der Carlos Jaynes-Partei herbeigeführt.

Jaynes' Schwager, ein Großaktionär der Elphinstone-Gesellschaft, besuchte Mark. Myron war nicht dabei, aber er erfuhr von Clark Cleaver, daß der Schwager wie ein Kätzchen herumschnurrte, Mark die Hand tätschelte, ihm versicherte, er würde sehr bald wieder ausgehen und seine achtzehn Löcher Golf spielen können, und dann mit jenem gespielten Takt, den der alte aufrechte Brigant am meisten verachtete, zu verstehen gab, Mark sollte zurücktreten und Jaynes zu seinem Nachfolger machen.

Als der Schwager gegangen war, wurde Myron geholt. Er kam zu Marks Bett zusammen mit dem Hotelarzt. Mark tobte: »Dieser verdammte Jaynes und seine verdammten Verwandten! Rausschmeißen werd ich ihn! Er ist schon rausgeschmissen! Cleaver, gehen Sie ans Telephon, und sagen Sie Jaynes, daß er rausgeschmissen ist, per sofort.« Cleaver wagte sich nicht zu rühren. »Rufen Sie ihn, sag ich Ihnen, rufen Sie ihn, rufen Sie ihn, rufen Sie ihn ans Telephon, sag ich Ihnen! Die meinen, daß sie mich untergekriegt haben! Die meinen, sie können mich dazu zwingen, daß ich den Jaynes schlucke! Ich werd ihnen zeigen! Ich hab vor keinem einzigen Menschen Angst. Vor nichts hab ich Angst!«

Er rang nach Luft. Er ballte im Schmerz die Fäuste zusammen. Sein Gesicht war grau wie Märzschnee, darüber liefen Bäche kalten Schweißes.

»Aber ich hab Angst vor dem Sterben!« jammerte er.

Sein altes zerknittertes Gesicht nahm einen leeren Kinderausdruck an; Trotz und Mut verschwanden daraus, und er murmelte: »Angst vor dem Sterben! Myron! Cleaver! Bleibt bei mir! Bleibt da. Geht nicht weg. Ich bin so allein. Ich hab Angst!« Die alte Klugheit und der alte Mut zeigten sich wieder auf dem Gesicht, als der Krampf sich linderte und er knurrte: »Ich werd mir von denen keine Angst einjagen lassen mit ihrem verdammten Mitgefühl! Achtzehn Löcher Golf! Keine Menschenseele kann mich dazu bringen, Golf zu spielen! Ich spiel mit Menschen, und da kann mich keiner schlagen! Ich hab sie alle in die Pfanne gehauen!«

Und er schnappte nach Luft und starb.

 

Die Direktoren der Elphinstone-Gesellschaft kamen zwei Stunden nach dem Begräbnis zusammen und erfuhren, daß Mark Elphinstones Tochter, die einzige Erbin, einen Vertrag abgeschlossen hatte, mit dem sie ihre sämtlichen Gesellschaftsaktien an Carlos Jaynes und seinen Schwager verkaufte. Sie machten Jaynes zum Präsidenten der Gesellschaft.

Eine Stunde später ließ Jaynes Myron zu sich kommen und bot ihm vergnügt die Stelle des stellvertretenden Direktors in dem zum Elphinstone-Konzern gehörigen Hotel Akron an.

 

Carlos Jaynes war bei seinen Kollegen in der Hotelbranche im ganzen Lande nicht überaus beliebt. Es schadete dem Ruf Myrons nicht im geringsten, daß er an die Luft gesetzt worden war. Als eine Woche um war – diese Woche dauerte mit ihrer quälenden, aufgezwungenen Müßigkeit allerdings lange genug – wurde ihm die Führung eines Hotels in Wilmington angeboten; er nahm sie an und ließ Effie May mit Luke in Mount Vernon zurück.

Er verließ Wilmington, um den nicht allzu wichtigen, aber lehrreichen Posten des ersten stellvertretenden Direktors im Hotel Crillon in New York anzunehmen, das nicht mehr als fünfhundert Zimmer hatte, aber das neueste und eleganteste Hotel des Landes war und von Gästen frequentiert wurde, die sich sehr wesentlich von den freundlichen und wohlhabenden gesellschaftlichen Nullen des alten Westward unterschieden. Im Crillon stiegen Botschafter und Fürsten ab, internationale Gauner und Amerikaner, die so vermögend waren, daß sie es sich leisten konnten, auf Long Island zu leben und wieder Farmer zu sein wie ihre Großeltern. Er lernte es, nicht mit der Wimper zu zucken, wenn es sich um hundert Dollar im Tag kostende Appartements handelte und um kleine, verschwiegene Diners in Privatspeiseräumen zu einem Preis von fünfzig Dollar für das Gedeck; er machte die Erfahrung, daß mindestens die Hälfte der übermäßig reichen Leute sich nicht weniger als mindestens die Hälfte der übermäßig armen Leute ärgerte, wenn sie die Schmach erfuhren, Rechnungen zu bekommen, und er lernte eine Alice-im-Wunderland-Arithmetik, deren Hauptproblem war: Was lohnt sich mehr, zehn Dollar im Tag, die man kriegt, oder hundert Dollar im Tag, die man nicht kriegt?

Er machte sich nicht überaus viel aus dem Crillon, seinem geschickt unterwürfigen Personal und seinen geschickt hochnäsigen Gästen. Es machte ihm nicht einmal Freude, zu kriechen.

Einen Sommer hindurch war er Direktor des Frigate Haven; damals konnte er Effie und Luke in einem zum Hotel gehörigen Häuschen unterbringen. Nahezu eineinhalb Jahre lang war er geschäftsführender Direktor eines großen Hotels in Philadelphia; und dann, im Jahre 1922, er war zweiundvierzig Jahre alt, ermöglichten es ihm endlich sein Ruf und die fortgesetzte Feindschaft der Hotelwelt gegen Carlos Jaynes, sein Wanderleben aufzugeben und sich in einer Stellung niederzulassen, die von allen, die er bisher innegehabt hatte, weitaus die wichtigste und bestbezahlte war: Generaldirektor der Pye-Charian-Hotels in New York und geschäftsführender Direktor ihres größten Hauses, des Victor Hugo.

 

Die Pye-Charian-Gesellschaft bestand aus vier Männern: Richard Montgomery Pye, der Präsident; Adolph Charian, ein dicker, überaus gewöhnlicher und überaus verschlagener Bauunternehmer; Oberst Ormond L. Westwind, der berühmte Strafanwalt, Tischredner und Kirchenälteste von St. Thomas; und Nick Schirovsky, der sich Mineralwasserfabrikant nannte, den aber Myron eher im Verdacht hatte, Groß-Bootlegger zu sein. Myron hatte, wie »Jimmy« Shanks, der Direktor eines von den Pye-Hotels, gleichfalls einige Aktien der Gesellschaft.

Der Besitz der Gesellschaft bestand aus dem Victor Hugo, einem neuen Reisendenhotel am oberen Broadway mit elfhundert Fremdenzimmern mit Bad, und sechs Familienhotels im Westen New Yorks zwischen der Siebzehnten und der Hundertfünfundzwanzigsten Straße. Das größte der Familienhotels war das von Shanks geführte Dickens an der Riverside Drive. Jimmy war ein großer, breiter, jovialer, freundlich grinsender Mann mit kohlrabenschwarzen Locken, der gern anderen Leuten Possen spielte, eine gerissenere und modernisierte Ausgabe J. Hector Warlocks. Er hatte zwei Jahre lang an der Universität von Kentucky Fußball gespielt und war wegen mangelhaften Studierens und allgemeiner Unfugstifterei relegiert worden.

Ein alter Freund Myrons, Clark Cleaver, Elphinstones letzter Sekretär, war gleichfalls, als erster Empfangsherr im Walter Scott Hotel, bei der Pye Charian.

Von allen diesen Männern sah Myron am häufigsten Richard Montgomery Pye. Dessen Aufgabe als Präsident bestand darin, die einigermaßen rätselhaften Finanzoperationen zu leiten und Verbesserungen zu fordern, die Myron auszuführen hatte.

Dick Pye war schmal und glatt wie ein Windspiel an einer Silberkette. Er war der hervorragendste Mann unter den Hoteliers der neuen, von Mark Elphinstone verachteten Art, die ihre Geschäfte ebensowohl auf Golfplätzen, in Landklub-Bars und raschen Automobilen machen können wie in Büros oder in der Küche. Er lächelte stets, er war sehr groß und noch nicht über vierzig Jahre; er war anscheinend von den anspruchsvollsten Landklub- und Gutsbesitzerkreisen auf Long Island als einer der ihren akzeptiert und spielte Polo in der zweiten Mannschaft des Old Chapel Club.

Pyes Herkunft lag im Dunkeln. Eine Partei versicherte, er sei der Sohn eines zweifelhaften untergeordneten Tammany-Beamten, er habe seine Laufbahn als Zeitungsverkäufer begonnen und als Page in einem schäbigen Hotel im alten Vergnügungsviertel fortgesetzt, aber seine Freunde erklärten, er stamme aus einer, wie der schöne Ausdruck lautet, »guten alten Familie«. Leute aus Virginia sagten, er stamme aus einer guten alten Familie in Massachusetts, und Leute aus Massachusetts sagten, er stamme aus einer guten alten Familie in Virginia. Harvard-Absolventen sagten, er habe in Yale promoviert, Yale-Absolventen sagten, er habe in Princeton promoviert, und die Meinung der Princeton-Absolventen war geteilt zwischen Harvard, Yale, der Universität von Oklahoma und der Landwirtschaftlichen Hochschule von Maine. Und Dick Pye lächelte und gab niemals Erklärungen ab, spielte Polo und bereitete Hypothekenabschlüsse vor, überredete elegante, aber alkoholfreundliche junge Männer dazu, sich für den ganzen Winter kostspielige Appartements im Victor Hugo oder im Dickens zu nehmen, und schien immer zu wissen, was Myron und Jimmy Shanks und Clark Cleaver in jedem einzelnen Augenblick taten und was für unbekannte Portiers in tausend Meilen entfernten zweitklassigen Häusern dazu herangezogen werden könnten, ihre Stellen einzunehmen.

Alle sehr alten und sehr reichen Frauen sagten, »Dicky« sei der süßeste Junge, den sie je gesehen hätten, und alle gewerbsmäßigen Spieler erklärten, sein Poker gäbe dem der hervorragendsten Praktiker nichts nach.

Myron gefielen Dick Pye und das Victor Hugo einige Monate lang ganz ausgezeichnet, dann aber sah er, nach dem ehrlichen und aufrechten Räubertum Mark Elphinstones, etwas gefährlich Giftiges in ihm.

 

Seine Arbeit bestand darin, alle Abteilungen des Victor Hugo als ständiger Direktor zu überwachen und die Führung der sechs Familienhotels zu kontrollieren. Diesen sollte er weniger seine Zeit widmen als seine Erfahrung und Zuverlässigkeit. Er sah sich die Küchen an, die Wäschekammern, die Müllabfuhrwagen, den Zustand der von den Zimmermädchen aufgeräumten Zimmer, manchmal mußte er Abteilungsleitern seinen väterlichen Rat geben, und manchmal waren rasche Todesurteile zu exekutieren.

Der größte Teil seiner Zeit war dem Victor Hugo gewidmet.

Die Änderungen, die die Hotels in New York und ganz Amerika in der Zeit von 1905, da Myron von der Tippecanoe Lodge zum Westward gegangen war, bis zu den zwanziger Jahren durchgemacht hatten, waren an den Unterschieden zwischen dem Westward und dem Victor Hugo zu erkennen. Das Hugo wandte sich an dasselbe Publikum solider, dem besseren Mittelstand angehöriger wohlhabender Gäste und lag, wenn auch zwanzig Blocks weiter nördlich, an demselben Broadway. Doch es war nahezu doppelt so groß, elfhundert Zimmer gegen sechshundertfünfzig, und hatte nichts von der aufschneiderischen Pracht, die den Herzen der Gäste des Westward im Jahre 1905 wohlgetan hatte, nichts von dessen Samt, dessen entstellenden Eisenbeschlägen, geschnitztem Teakholz, Kupferminaretts und Zuckergußmarmor. Es zeigte in der Tat den »guten Geschmack« – oder was in den Zwanziger- und Dreißiger Jahren dafür galt – massiver Einfachheit. Der Haupteingang war ein streng gehaltenes Portal aus Indiana-Kalkstein, ohne Glasüberdachung und vergoldetes Eisen; die Halle mit den glatten Zederholzpanelen war halb so groß wie die des Westward und bedeutend weniger einladend für Hallennassauer; in den Fahrstühlen gab es keine funkelnden Messingsonnen, aber sie arbeiteten dreimal so rasch und still, und die Fahrstuhlführer unterhielten sich über das Tageswetter nur mit den Gästen, die es wünschten. In den Zimmern des Victor Hugo gab es keine Brokatimitationen und Spitzendeckchen, keine Lehnstühle mit Fransen und Troddeln und keine dekorativen Messingbetten, wie sie das Westward, nach zahllosen Renovationen, noch immer hatte. Es war weniger steuerfressender Raum da und weniger staubfressender Zierat.

Die Mechanisierung hatte gewaltig zugenommen; Ventilation, Radioapparate in allen Zimmern, Zentralstaubsauganlage, elektrische Kühlung, stets sauber bleibende Metallegierungen statt feuchter und klebriger Flächen in den Küchen. Es gab ein »Kaffeehaus«, das annähernd so groß war wie das des Hauptbahnhofs und ebenso besucht. An allen Ecken und Enden waren Absolventen der Cornell- und anderer Hotelschulen.

Aber wenn das Victor Hugo fixer und raffinierter und geschmackvoller war als das Westward, so waren dafür die tadellosen Zimmer kleiner und boten nervösen Gästen weniger Raum zum Herumtigern; wenn die gewaschene und gefilterte Luft reiner war, so schien dafür weniger Luft zum ruhigen Atmen da zu sein; wenn die Restaurants besser beleuchtet waren, so wirkten sie dafür weniger gemütlich; wenn es mehr tropische Früchte gab, so war dafür die Zubereitung der Speisen weniger großzügig; wenn das ganze eine bessere Maschine geworden war, so war es dafür ein weniger behagliches Heim geworden.

Das Amerika und das Hotel des Jahres 1905 waren noch gar nicht so weit entfernt von dem Amerika und dem Gasthof Martin Chuzzlewits; das Amerika der späten Zwanziger Jahre hatte für immer jene behäbige, gesprächige, wackere, oft auch komische Ländlichkeit verloren. Es war in einem Sechzehnzylinderwagen von Saratoga Springs nach Nizza gefahren. Es war von baumwollenen Strümpfen zu seidenen übergegangen, von dem kleinen Bier bei Weber and Fields zum Sekt des Of Thee Sing, und hin und wieder war Myron entsetzt und ein wenig außer sich.

Die Gäste des Victor Hugo hatten bekannte Gesichter – nur regelmäßiger rasiert als im Westward – doch ihre Herzen schienen Myron ganz andere zu sein, und der Wechsel gefiel ihm ganz und gar nicht.

Er hatte noch die alten Zuverlässigen: den Bankier aus den Staaten, der mit seiner Familie auf einen Monat nach New York kam, um Besorgungen zu machen und die Opfer zu besuchen, den Einkäufer aus Detroit, den Warenhauseinkäufer von Phönix und die Filialleiter aus Spokane, lauter geübte Reisende, die die Bedienung zu schätzen wußten. Aber unter ihnen hatte sich, wie es für ein Hotel, zu dessen Besitzern Nick Schirovsky gehörte, nur natürlich war, ein neues Geschlecht solide aussehender und manierlicher, unauffällig gekleideter und mit Trinkgeldern sehr freigebiger Männer breit gemacht, die er für Spieler, oberweltliche Leiter unterweltlicher Banden, zweifelhafte Aktien- und Grundstücksmakler hielt. Sie taten nichts, worüber man sich hätte beschweren können; sie benahmen sich in der Tat, wenn sie sich Mineralwasser zu ihrem verbotenen Whisky bestellten, viel stiller und bescheidener als die unschuldigen Einkäufer, und es war viel weniger anzunehmen, daß sie nach dem Whiskygenuß »Mandy, Mandy, Sweet as the Sugar Cane« singen würden. Aber Myron haßte sie und hatte ein Gefühl der Unsicherheit, wenn er beobachtete, wie intim sie mit dem aristokratischen Mr. Richard Montgomery waren.

Er wußte von dem erhabenen Bedienungschef, daß die Pagen den Gästen Alkohol beschafften, aber er konnte nichts dagegen unternehmen. Sie arbeiteten mit der Genehmigung Dick Pyes und teilten den Profit mit Pye, Charian, Schirovsky und dem frommen Oberst Westwind.

Zwischen Myron und ihnen bestand jedoch weder ein Teilungs- noch ein Vertrauensverhältnis. Das war das einzige Detail der Hotelführung, das er vernachlässigte.

Es bereitete ihm einigen Trost, daß er seine Ersparnisse im Frigate Haven Manor und in einem größeren, ehrgeizigeren Sommerhotel, Laurel Farms, anlegte und noch etwas Geld dazu verdiente, indem er in vielen Fällen als sachverständiger Berater fungierte.

Doch als er dreieinviertel Jahre Generaldirektor der Pye Charian Hotels war, hatte er den Eindruck, in eine Sackgasse geraten zu sein. Er mochte ein guter Gastwirt sein. Er hielt sich auch dafür. Aber ebenso, wie er gegenüber den deutschen Baronen und französischen Vicomtes und Long-Islander Landedelleuten im Hotel Crillon niemals besonders unterwürfig gewesen war, ebenso konnte er keine besonderen Anstrengungen machen, den glatten Freunden Nick Schirovskys als ihr natürlicher Versorger und Beschützer zu imponieren.

Er sprach darüber mit dem Küchenchef Gritzmeier und wurde von ihm aufgestachelt, etwas zu unternehmen statt bloß so herumzusitzen und sich an seiner edlen Unzufriedenheit zu erfreuen.

 

Für Otto Gritzmeier, den Küchenchef des Hotels Victor Hugo, hatte Myron mehr Hochachtung und Sympathie als für alle anderen Beamten im Pye Charian Konzern. Gritzmeier, ein Schweizer, hatte sich in Lausanne, Biarritz, Hamburg, Mailand und Bournemouth ausgebildet. Im Alter von fünfzig Jahren war er als Chef des vornehmen Restaurant Sylvère nach Amerika gekommen, aber mit der Prohibition hatte jenes Heiligtum der Feinschmecker geschlossen, und Gritzmeier hatte sich widerstrebend von Homard Sauté à la Dumas getrennt, um die Normalkosten einer Unze Hamburger Steak zu berechnen.

Myron hatte sich offiziell mit ihm lediglich einige Male in der Woche im Direktionsbüro über Speisezettel und Spezialdiners, über die Ausrüstung und das Personal der Küche zu beraten, aber es verging nahezu kein Tag, an dem er nicht in dem winzigen, von den guten Düften der gewaltigen Küche durchzogenen Bürochen mit den Glaswänden an Gritzmeiers Schreibtisch saß und sich vergnügt vom Schirovskyismus erholte. Schon Gritzmeiers äußere Erscheinung, die vollen, aber gesunden Wangen, der graue Husarenschnurrbart und Knebelbart, die hohe Mütze, die Schürze und die Overalls (Gritzmeier gehörte zu den wenigen Küchenchefs, die sich weigerten, einen Gehrock zu tragen) war erfrischend und wohltuend nach dem Anblick der Gäste mit den rosa Backen, dem ebenholzschwarzen Haar und den prächtigen braunen Anzügen, die in den teureren Appartements des Victor Hugo wohnten. Er wurde mit Gritzmeier nahezu ebenso vertraut wie einst mit Luciano Mora – der vorsichtige Ultrayankee wurde durch seine Bewunderung für einen Ultrakontinentalen befreit.

An jenem Tag im September 1925 brummte er Gritzmeier zu: »In der nächsten Woche müssen wir uns zusammensetzen und den Speisezettel für das diesjährige Tanzsouper im Laurentian Grill machen. Grill soll der Teufel holen! Es ist mir widerlich, überhaupt etwas für einen Haufen von Drogerie-Cowboys mit Taschenflaschen zu machen – mir Mühe zu geben, um mit den Speakeasys zu konkurrieren. Ich hab mir schon seit jeher einen wirklich guten Landgasthof gewünscht – etwas, das so gut ist wie irgendein Kurhotel in Europa.«

»Warum machen Sie's denn dann nicht?«

»Ja, es ist so schwer anzufangen – –«

»Seit drei Jahren reden Sie von Ihrem schönen Gasthof. Sie reden! Warum machen Sie's denn nicht?«

»Ach, ich – –«

»Sie haben doch ein bißchen Geld gespart? Den Rest können Sie auftreiben, nicht? Warum tun Sie denn da nichts? Jünger werden Sie auch nicht mehr, Chef!«

»Sie haben recht. Ich bin fünfundvierzig, und – – Ich werd's machen! Ich denke, ich werd's machen!«

Und ein wenig erschrocken wußte er, daß er es tun würde.

Die Vorarbeiten zum Finanzieren und Bauen seines vollkommenen Gasthofes zu unternehmen war leichter, als zu zaudern und die zynischen Blicke aus den alten Augen Otto Gritzmeiers zu ertragen.


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