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Abgesehen von einer achtmonatigen Unterbrechung in den Jahren 1917 und 1918, während deren er Hauptmann in der Intendantur war und das Seine zur Rettung der Welt beitrug, indem er in einem Magazin New Yorks saß und Decken, Speck und Bohnen einkaufte, war Myron von 1911 bis 1926, von seinem einunddreißigsten bis zu seinem sechsundvierzigsten Lebensjahr, in allen möglichen Hotels in New York City und Philadelphia und Long Island und Wilmington tätig. Niemals vergaß er seine phantastischen Pläne für den Vollkommenen Gasthof, aber Jahr um Jahr hatte er das Gefühl, noch nicht bereit zu sein, und so mußte er sich damit begnügen, seine kleine Büchelchen mit »Gedanken über Hotelprojekte« zu füllen.

Was ist ein Künstler, was ist ein Akademiker, was ist ein Geschäftsmann, was ist ein Angestellter? Ist ein Mann, der ein großes Kolonialwarengeschäft wie Park & Tilford, Acker, Charles oder die großen Warenhäuser von Macy leitet, nichts weiter als ein Geschäftsmann, während jeder, der schmissige Mädchenbilder macht, ein Künstler ist, und jeder Arzt oder Anwalt, der an nichts anderes denkt als ans Geldmachen, ein Akademiker und jeder verdrehte alte Professor, der Jahr für Jahr dieselben Vorlesungen hält, ein Gelehrter und nicht einfach ein Angestellter?

Myron führte als Generaleinkäufer für den ganzen Elphinstone-Konzern neue Methoden ein. Bis nun hatten die Ökonomen und anderen Einkäufer großer Hotels es nicht sehr anders gemacht wie Tom Weagle, dessen Einkaufssystem für das American House darin bestanden hatte, daß er zum Schlächter ging und gelangweilt fragte: »Was gibt's denn heute? Taugt die Lammkeule was?« Myron jedoch und andere Widerlinge seiner Art machten daraus eine Affäre, die um nichts weniger schwierig und kompliziert war als die Bestimmung des Saturngewichtes.

Nach dreieinhalb Jahren wurde er zum Chefassistenten Mark Elphinstones gemacht; er hatte an der Leitung aller Hotels und Restaurants mitzuarbeiten und führte den Titel eines dritten Vizepräsidenten der Gesellschaft. Mark selbst erzählte ihm nie etwas davon, aber Myron wußte, daß es heftige Kämpfe gegeben hatte, bevor er diese Stellung bekam, die in Wirklichkeit die Nachfolge auf dem Thron des kleinen Napoleons bedeutete. Carlos Jaynes, der jetzt ständiger Direktor des Westward war, hatte erbittert darum gekämpft. Elphinstone besaß zwar die größere Hälfte der Aktien, aber Jaynes' Schwager, der Millionär war, und seine Freunde kontrollierten mehr als vierzig Prozent und hatten Jaynes unterstützt.

Myron hatte gesiegt, obwohl der Alte, wie sein letzter Sekretär, ein junger Mann von der Y. M. C. A. namens Clark Cleaver, ihm erzählte, Börsenspekulationen gemacht hatte und unter Umständen gezwungen sein konnte, einen Teil seiner Aktien zu verkaufen. Aber Myron vergaß die Schwierigkeiten seiner Lage, er arbeitete daran, sein Leben mit Effie May einzurichten, er sammelte Pläne für den Vollkommenen Gasthof und wurde, nach der relativen Einfachheit seiner Tätigkeit als Einkäufer, in Anspruch genommen von dem tollen Wirbel, den die Beschäftigung mit all den vielfältigen Einzelheiten der verschiedenartigen Hotels und Restaurants mit sich brachte.

 

All die Einzelheiten der Hotelführung – J. Hector Warlock hatte recht gehabt, als er den jungen Myron vor Jahren darauf aufmerksam machte, daß ein Hotelier eine Kombination sein müsse aus Kindermädchen, Finanzier, Monteur, Detektiv, Tapezierer, Architekt, Diätetiker, Kehrichtmann, Ventilationstechniker, Rechtsanwalt, Orchesterdirigent, Psychiater, Blumenhändler, Führer für Stadt und Staat, für das ganze Land, für alle Hotels in der Schweiz, in Argentinien und Südafrika, Garagenleiter, Tischredner und unübertrefflicher Sachverständiger für Versicherungs- und Steuerwesen, Kursminderungen und Amortisierung.

Tüchtigkeit eines Hoteliers auch Frage der »Moral«. Bis zu welchem Grad soll er alle Gäste tun lassen, was sie wollen, solange sie Rechnungen bezahlen, andere Gäste nicht stören & Hotel nicht in schlechten Ruf bringen – Paare, die wahrscheinlich nicht verheiratet sind, fremde Herren, die vielleicht auf der Flucht vor dem Gesetz sind, oder gar Sexualverbrecher. Luciano Mora erklärt, Hotelier hat ebensowenig Recht, sich zum Zensor aufzuspielen, wie Arzt, Behandlung unmoralischer oder krimineller Patienten abzulehnen; er fragt, ob man Entschuldigungen für methodistischen Hotelier fände, wenn er sich weigerte, jüdische, katholische, buddhistische oder atheistische Gäste aufzunehmen. Alec sagt, ja, aber sogenannte unmoralische Gäste machen Haus früher oder später schlechten Namen, auch wenn sich anfangs niemand beschwert. Ich weiß nicht. Werde wahrscheinlich schlapp genug sein, es so zu machen wie Elphinstone und die schlauesten Direktoren – nichts »Unmoralisches« merken, bis mit der Nase darauf gestoßen.

All die vielfältigen Einzelheiten der verschiedenartigen Hotels – die Einzelheiten, die der Gast, den bloß sein weiches Bett und sein Essen interessieren, niemals kennenlernt.

 

Carlos Jaynes meinte, daß für ihre Häuser in Buffalo, Worcester, Akron, Hartford und Scranton englische Speisekarten wohl das Richtige wären, daß es aber dem Westward mehr, wie er sich ausdrückte, »Cachet« geben würde, wenn es, zumindest im Georgianischen Speisesaal, französische Speisekarten auslegte. Auf dem Muster, das Jaynes vorlegte, fand Myron ein Gericht »Le ham and eggs«. Das mußte doch völlig in Ordnung sein, hatte Jaynes es denn nicht von der Speisekarte des Savoy Grill in London?

Myron sandte Jaynes' Memorandum mit einem Kommentar versehen zu Mark Elphinstone hinauf: »Das scheint ja wirklich eine smarte Idee zu sein, ich glaube bloß, an der Stelle, die ich angestrichen habe, sollte es in echterem Französisch heißen ›Le ham et eggs‹. Sicher würde jeder Einkäufer aus Kansas Stammgast werden, wenn er einmal weiß, daß er in unserem Laden kein gewöhnliches Futter kriegt, sondern le Hafermehl, gli Rühreier y los Pfannkuchen avec der Ahornsyrup.«

Das genügte.

 

Der Hauptfeldzug, den Myron als Elphinstones Schatten und später als selbständiger Direktor führte, machte ihn bei seinen erfolgreichen Kollegen unbeliebt, denn er richtete sich gegen übertriebene Ehrfurcht vor der Publizität und vor dem, was »Dienst« genannt wurde. Er hatte eine Theorie, daß es nicht nur einsame, hotelungewohnte Gäste gebe, für die es eine Wonne sei, wenn Empfangsherren und Direktorstellvertreter ihnen die Hand schütteln, wenn der Portier ihren Namen kennt und die Pagen und Fahrstuhlführer meteorologische Diskussionen mit ihnen führen, sondern mindestens ebenso viele Gäste, die als Veteranen des Reisens und des Hotellebens in Ruhe gelassen zu werden wünschen, die ihre Freude daran haben, endlich einmal der ständigen Aufmerksamkeit und den ständigen Diskussionen des Daheim entronnen und unsichtbar zu sein. Und solche Gäste, meinte er, verabscheuten Publizitätsgesten wie etwa den Schwung, mit dem ein berühmter Maître d'Hotel, mit großem Tamtam als »Abschmecker« angekündigt, kam, jedes Gericht kostete, das bei einem großen Bankett zu servieren war, obwohl er schon so viele Whisky-Sodas getrunken haben konnte, daß er nicht mehr imstande war, eine gut zubereitete Schildkröte und gebratenen Entenrücken zu unterscheiden; und solche Gäste wurden auch nervös gemacht, wenn man mit wildem Hurragebrüll verkündete, daß die teuren Appartements sorgfältig mit »Stilmöbeln« geschmückt seien.

(»Trotzdem, Ora hatte unrecht, als er damals behauptete, ich hätte beim Umbau zu viel Teestubenstil in das American House gebracht. Na, übrigens hatte er vielleicht nicht einmal ganz so unrecht, wie ich damals dachte, vor vier Jahren!«)

Unerschütterliche Höflichkeit, rasche Ausführung der Bestellungen, ehrliche Beratungen der Abteilungsleiter darüber, worin die Wünsche der Gäste in der Tat beständen – Myron konnte nicht einsehen, warum diese selbstverständlichen Notwendigkeiten der Hotelführung als etwas ganz Besonderes austrompetet, oder warum ein ermüdeter, noch vom Reisestaub bedeckter Gast, der schon nervös war, weil der Portier gezirpt hatte: »Page! Führen Sie Mr. Jones auf Nr. 755«, gezwungen werden sollte, Plakate zu bewundern, die ungefähr besagten: »Sehen Sie doch, mit welcher Zärtlichkeit wir für Sie sorgen, und beachten Sie uns, bitte, beachten Sie uns und vergessen Sie nicht, daß eine hübsche neue Dose Talkumpuder, ob Sie es nun benützen oder nicht benützen, in Ihrem Badezimmer ist.«

Er sah nicht ein, warum ein Gast, der die ganze Nacht gefeiert hatte und nicht recht wußte, ob er das Frühstück noch erleben würde, gezwungen werden sollte, sich am Telephon ein Vogelgezwitscher anzuhören: »Guten Morgen, hier ist die Zimmerbedienung, es wird mir ein Vergnügen sein, Ihre Bestellungen entgegenzunehmen«, bevor er brummen konnte, was er haben wollte. Er sah nicht ein, warum ein Gast, der mit seinem Zimmer und dem Frühstück völlig zufrieden gewesen war, gezwungen werden sollte, sich eine höfliche Antwort für die stets wiederholte und absolut mechanische Frage ausdenken sollte, ob alles zu seiner Zufriedenheit sei. Myron vermutete, wenn nicht alles zu seiner Zufriedenheit wäre, würde der Gast es der Direktion schon mitteilen! Er wollte gutes Essen haben, ein bequemes Bett, einen bequemen Stuhl mit guter Beleuchtung zum Lesen, rasche Bedienung mit Wäsche, Kleiderbügeln und Post, akkurate Antworten, wenn er fragte, wie er dahin oder dorthin in der Stadt kommen könnte – so behauptete wenigstens Myron seinen Kollegen gegenüber – er wollte selten bemuttert oder bebrudert oder wie ein Steckkissenkind behandelt werden, noch verging er vor Sehnsucht danach, fremden Versicherungsagenten oder gurrenden Hotelangestellten Nachricht über das Befinden seiner Kleinen zu geben.

»Der altmodische Gastwirt vor dem Jahre 1860 war gern Herr im eigenen Hause und ekelte am liebsten jeden hinaus, der sich nicht an schmutzigen Betten und schlechtem Essen begeisterte. Der neumodische sonnt sich in seiner Überzeugung, ein kolossaler Gentleman zu sein, und macht sich ein Vergnügen daraus, gegenüber Fremden, an denen ihm persönlich nicht das mindeste liegt, überaus freundlich und liebenswürdig zu sein. Beides ist schlecht, und beides hat nichts mit der Lieferung von guten Betten und gutem Essen zu angemessenen Preisen zu tun«, sagte Myron in einer Ansprache bei einem Kongreß der Empfangsherren, und für diese Ketzerei, diese rote Revolution, mußte er sein Leben lang büßen … Ebensogut könnte man einem Kongreß großstädtischer Spezialisten, die Dreitausendsechshundert-Dollar-Automobile besitzen, erzählen, sie seien nicht notwendigerweise tüchtiger als Landärzte mit altgekauften Klapperkästen!

Seine Verdrehtheit ging so weit, daß er nicht sehr erbaut war, wenn er in Fahrstühlen Texte folgender Art las: »Tägliche Botschaft an Gäste und Personal: Wenn du überall Freunde hast, wirst du überall Behagen finden«, oder »Für Angestellte: Denke stets daran, daß es deine Pflicht ist, dafür zu sorgen, daß jeder Gast sich zu Hause fühlt.« Das in einem Hotel mit fünfzehnhundert Zimmern, in dem sich höchstens ein Tausendfüßler zu Hause fühlen konnte! Außerdem dachte Myron daran, eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Gästen könnte so sehr genug haben von Frauen, schreienden Kindern, besorgten Schwiegermüttern, nicht funktionierenden Heizungen, Wirtschaftsrechnungen, Ärger mit Köchinnen und Gartenarbeiten, daß sie einzig und allein ins Hotel kämen, um sich endlich einmal nicht zu Hause zu fühlen.

Im Zusammenhang mit dieser Spruchweisheit-Philosophie hatte Myron seine größten Differenzen mit Mark Elphinstone. Er bewunderte den Alten, er liebte ihn wie ein Sohn, aber Elphinstone ließ es sich nicht nehmen, immer wieder zahllose Aphorismen, die nicht den geringsten Sinn hatten, mit Begeisterung zu ersinnen, aufzukritzeln und drucken zu lassen. Zu seinen tieferen und sinnigeren Offenbarungen gehörten die folgenden:

Die Küche ist das Herz des Hotels, das Büro sein Nervensystem.

Der Hotelerfolg ist eine mathematische Formel: Zusammenarbeit plus Schmiß.

Knausere nicht mit Handtüchern. Auf jeden Gast, der eines mehr verlangt, kommt einer, der eines weniger braucht.

Ein modernes Hotel ist wie ein Automobil. Es besteht aus Tausenden von Teilen, von denen kein einziger vernachlässigt werden darf. Wenn der Page in der Toilette nicht auf seinem Posten ist, kann der Empfangschef mit dem Eckenkragen nicht funktionieren.

Das Hotel ist das vorübergehende Heim des Reisenden, und sein Zimmer ist seine Burg.

Als Vertreter der viert- oder fünftgrößten Industrie in den Vereinigten Staaten nehmen die Hotels stolz ihre rechtmäßige Stellung in der Wirtschaftsgemeinschaft der Nation ein.

Ein Lächeln von der Rezeption gleicht dem, was das Leuchtfeuer für den Schiffer auf See ist.

Der erste Hotelier war Adam.

 

»Na ja, und?« knurrte Myron, wenn die Botschaften auf Formularen, die in roten Lettern die Überschrift »Elphinstone-Dienst-Devisen« trugen, auf seinen Schreibtisch flatterten. Nun, im übrigen war Elphinstone ein ausgezeichneter Chef. Es gab Hotelbesitzer, die Morphium spritzten, ganze Abschnitte von Elbert Hubbard laut vorlasen, ihre Bilder in den Zeitungen sehen wollten oder erwarteten, daß man ihnen Rendezvous mit den hübschen Damen unter den Gästen arrangierte.

»Und vielleicht habe ich überhaupt unrecht. Vielleicht lehne ich das Händeschütteln und die Mottos als Methode zur Geschäftsbelebung allzusehr ab. Das ist wahrscheinlich mein schlimmster Fehler als Hotelier.«

Er hatte unrecht. Sein schlimmster Fehler als Hotelier war seine Unfähigkeit, mehr als normal höflich und aufmerksam zu sein, seine Unfähigkeit, allzu anspruchsvollen Gästen, und selbst wenn es sich um Berühmtheiten handelte, salbungsvoll die Füße zu lecken.

Zu den Tragödien seines Gewerbes gehörte der Empfang von Berühmtheiten – Senatoren, Generäle, Weltumflieger, Meisterschaftsboxer, Diplomaten, Forscher, ausländische Vortragsreisende. Manche von ihnen hielten ihren Besuch nicht für eine so große Gunst, daß sie erwarteten, kostenlos untergebracht zu werden, und es gab sogar seltene Geister, die keine Publizität wünschten und nicht erwarteten, daß der Pressechef des Hotels den Zeitungen das Geheimnis ihrer Anwesenheit verrate. Aber es gab andere, die nicht nur erwarteten, daß sie von Carlos Jaynes und Myron mit einem Gefolge von Empfangschefs, Portiers, Pagen, Vertretern der Pressestelle und einem Stab von Zeitungsberichterstattern und Photographen in der Halle erwartet würden, sondern auch, daß Mark Elphinstone selbst (sie hatten stets eine Empfehlung an ihn) einen ganzen Tag an das Vergnügen wendete, ihnen, selbstverständlich kostenlos, das beste Appartement des Hotels zu geben.

Mit welcher Munterkeit sie vom Taxi ins Hotel schritten! Wie sehr es sie überraschte, daß sie interviewt wurden! Mit welcher Bescheidenheit sie erklärten, daß sie nichts von Politik verständen – und es dann auch bewiesen! Mit welchem Widerstreben sie den Whisky tranken, von dem sie meinten, er gehöre zu Marks privatem Bourbonvorrat – es war auch ein Privatvorrat, aber nicht der, von dem er trank. Mit welch strahlender Miene sie von einem Privatappartement, das dreißig Dollar im Tag kostete und ihnen für zehn überlassen wurde, erklärten: »Ach ja, das ist ganz schön. Es wird schon gehen – es wird recht gut gehen! Der Preis ist ja etwas kräftig, aber ich bin sicher, daß ich es sehr bequem haben werde.«

Und man mußte ihnen Blumen schicken und einen Korb Obst.

Das Obst hatte man ja glücklicherweise manchmal von den Überbleibseln des Banketts am Abend vorher.

Und ebenso schwer zu verdauen wie die Berühmtheiten, die erwarteten, daß man ihretwegen mit den Lokalredaktionen telephonierte – wo einem wieder entgegengeknurrt wurde: »Wer zum Teufel ist denn das? Was hat der denn zu bestellen? Mein Vorrat an vertrottelten Gesellschaftsberichterstattern ist heute erschöpft« – ebenso schwer zu verdauen waren die anderen, meist echteren Berühmtheiten, die wirklich in Ruhe gelassen werden wollten. Wenn sie die Überfahrt über den Atlantik machten, sorgten sie dafür, daß ihre Namen nicht in der Passagierliste erschienen, und hegten den rührenden Glauben, niemand würde wissen, daß sie kämen, obwohl der Londoner oder Pariser Korrespondent ihre Ankunft schon vor der Abfahrt gekabelt hatte. Auf diese Unglückseligen stürzten sich die Reporter vom Fensterkreuz, durch das Schlüsselloch, über die Feuertreppe, durch den Kamin oder ganz einfach irgendwo aus der Luft, und dann machten die Berühmtheiten der Hoteldirektion Vorwürfe; sie sagten immer: »Ich dachte, man könnte sich darauf verlassen, daß Ihr wenigstens eine kleine Anstrengung machen würdet, meinen Wünschen nach Ungestörtheit gerecht zu werden!«

Nach einer solchen Berühmtheit wußte Myron einen ordentlichen, abgebrühten Geschäftsreisenden zu schätzen.

Kongresse – ach du lieber Gott, Kongresse!

Als Restaurant- und Bankettleiter hatte Myron Logensekretärinnen und Ausschußvorsitzenden den Hof machen müssen, um sie dazu zu überreden, daß sie ihre Essen im Westward gäben. Jetzt, als Assistent des Präsidenten, hatte er den verschiedenen Hoteldirektoren bei der Sicherung von Kongressen behilflich zu sein.

Für den Hotelier ist ein Kongreß ein Alpdruck, in dem er davon träumt, für immer und ewig in einem Untergrundbahngedränge eingekeilt zu sein.

Da gibt es, wollen wir sagen, ein Elphinstone-Hotel in der Stadt Golden Glow, die sich dadurch auszeichnet, daß sie das schmierigste und lärmendste Industrienest in Winnemac ist. Nun will der Landesverband der Schuheinzelhändler, Autogrammsammler, Petunienzüchter, Schnauzerliebhaber, Pazifisten, Marineförderer, der Groß- und Klein-Kaldaunenküchenbetriebsbesitzer oder der Absolventen der Pettifoot-Militär- und Landwirtschaftshochschule einen Kongreß abhalten. Die Handelskammer von Golden Glow schickt, im Verein mit den Hoteliers, Theaterbesitzern, Taxiunternehmern und ähnlichen Gewerbevertretern der Stadt, Briefe, Telegramme und Sendboten aus, die die Schönheiten Golden Glows verkünden – das Parksystem, das nahezu radioaktive Trinkwasser, die ganz außerordentliche geographische Lage, die es ermöglicht, daß Golden Glow von Key West, Medicine Hat und Konstantinopel gleich bequem erreicht werden kann, die Anzahl, die unerhörte Luxuriosität und unerreichte Billigkeit der Hotels, die landschaftlichen Reize, die der Golden River haben wird, sobald etliche hundert Fabriken und die Viehhöfe von seinen Ufern entfernt sind, die erhabene Pracht des Mount Glow, der nur fünfhundert Meter niedriger ist als der Mount Whitney, und die Akustik der Gedächtnishalle, in der zwanzigtausend Menschen die leisesten Flüstertöne hören können, vorausgesetzt daß das Lauschen auf Flüstertöne ihren Vorstellungen von Vergnügen entspricht.

Sobald das Zustandekommen des Kongresses gesichert ist, trennen sich die bis zu diesem Augenblick durch enge Kameradschaft verbundenen Hoteliers und beginnen ihre Versuche, einander Zimmerbestellungen zu entreißen.

Dann der Kongreß. Die Ankunft von Königen, Feldmarschällen und Erzbischöfen, die alle die ihnen zukommende Ehrfurcht erwarten: der Präsident des Landesverbandes, der Sekretär, der Vorsitzende des Versammlungsausschusses, der Vorsitzende des Quartierausschusses, der Vorsitzende des Bankettausschusses. Delegierte strömen herein und verlangen die Zimmer, die zu bestellen sie vergessen haben. In den Hallen drängen sich Männer, die sich langsam kreisend bewegen, Bemerkungen, Flaschen und Kaugummi austauschen und einstimmig der Meinung sind, daß ein Hotel mit dreihundert Zimmern, das nicht für zweihundert im letzten Augenblick noch dazukommende Gäste entsprechend sorgen könne, keine Tüchtigkeit und keinen Unternehmungsgeist habe, und daß sie hierher bestimmt nie wieder kommen würden! Ausschußsekretäre an kleinen Schreibtischen in großen Zimmern neben der Halle, die von so vielen Delegierten umdrängt werden, daß sie taub und blind werden und manchmal noch Wochen später, unter Bergen unbeantworteter Anfragen begraben, gefunden werden.

 

Und das nie endende Problem der Angestellten.

Myron war selbst ein Arbeitssklave gewesen; er hatte sich damals gelobt, wenn er jemals zu einer leitenden Stellung gelangen sollte, würde er nie nervös werden, würde er alle Angestellten voll Zärtlichkeit instruieren und sich ein Vergnügen daraus machen, ihnen in der Mitte der Woche Vorschüsse zu geben. Er dachte noch immer, daß er eigentlich so denken müßte.

Er dachte aber nicht so.

Er hatte noch immer ein unbehagliches Gefühl, das er wahrscheinlich Ora verdankte, er müßte eigentlich ein Sozialist sein, allen Arbeitern ein Kamerad.

Er war es aber nicht.

Es hatte so viele Fälle gegeben, in denen das »Personal« ihn im Stich gelassen hatte: der Koch, der plötzlich betrunken war, als die Vorbereitungen für das Danksagungstag-Dinner im Gange waren; der Page, der rasch eine dringende Botschaft an einen Gast weitergeben sollte, aber dabei ertappt wurde, wie er in der Wäschekammer eine Zigarette rauchte und trudelte; der Ökonom, der Provision von den Lieferanten nahm; der Portier, der seinem Freund ein Achtdollar-Zimmer für vier Dollar gab; und das Zimmermädchen, das, beauftragt, den Fliegenschmutz von einer elektrischen Birne abzuwaschen, die anderen schmutzigen Birnen im selben Zimmer nicht reinigte; der Fahrstuhlmann, der komischen alten Frauen mit violetten Hüten Gesichter schnitt – – Hundert solcher Fälle täglich.

Aber Myron war ein ziemlich gerechter und freundlicher Mann und machte sich Sorgen über seine Angestellten. Es bereitete ihm kein Vergnügen, jemand hinauszuwerfen, und wenn es sich auch um einen noch so mürrischen Menschen handelte. Wenn die Angestellten sich Tag um Tag mit dem Gedanken marterten, ob sie ihre Stellung verlieren würden, so marterte er sich Tag um Tag mit dem Gedanken: »O mein Gott, muß ich ihn hinauswerfen?« sooft er einen Mann beobachtete, der nachlässig wurde, weniger arbeitete, und kein Angestellter mußte sich mehr zusammenreißen, mehr mit unangenehmen Gefühlen im Magen kämpfen, bevor er sich in das Büro des Chefs wagte, um wegen einer Gehaltserhöhung vorzusprechen, als Myron, bevor er sich einen Angestellten kommen ließ, um ihm eine Strafpredigt zu halten.

Er wußte ganz genau, daß es schlimm genug war für einen Angestellten, mit seiner Arbeit, die für ihn und seine Familie die Existenz bedeutete, von den Launen eines Chefs abhängig zu sein, der ihn entlassen konnte, weil ihm seine Haarfarbe nicht gefiel, all seine Arbeitszeit für den Profit eines Besitzers herzugeben, der gar nicht da war und den er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. »Trotzdem, solang es meine Aufgabe ist, sie zu beaufsichtigen, werd ich sie ebenso scharf antreiben wie – ebenso scharf, wie ich immer mich selber angetrieben hab«, ermahnte er sich hartnäckig.

Nach der bolschewistischen Revolution und dem Sieg der Faschisten in Italien erfuhr er mit großem Interesse, daß in diesen neuen Systemen mit Faulpelzen, Dummköpfen und Leuten, die Berichte fälschten, noch ganz anders umgesprungen wurde – ihnen drohte Gefängnis oder noch Ärgeres – als innerhalb der kapitalistischen Demokratie, die er, ohne sich darüber Gedanken zu machen oder etwas Besonderes zu wollen, repräsentierte.

 

Das Nahen der Prohibition, das für die meisten Bürger Unannehmlichkeiten mit sich brachte, war für die Hotels eine Katastrophe. Sie hatten sich auf die Bar verlassen, die ihnen wenigstens Miete und Steuern einbrachte; sie hatte es ihnen ermöglicht, Verluste im Speisesaal auf sich zu nehmen, mit Wild, Schildkröte und Kaviar großzügig zu sein und die Gäste tatsächlich dazu zu zwingen, daß sie von der gehäuft vollen Schale auf dem Tisch mehr Butter nahmen, als sie brauchten – wenn die Küche ein Defizit hatte, was lag schon daran? Es war gute Reklame. Als die Prohibition kam, wurden sie gezwungen, entweder knickerig zu werden oder bankrott zu machen und zu schließen. Myron mußte eine Zeit lang seine Untersuchungen über Materialunkosten in der Küche wieder aufnehmen und ganz genau feststellen, wieviel Gramm Butter man jedem Gast geben konnte, ohne daran zu verlieren, und wieviel man, ganz genau, bis auf Zehntel eines Cent berechnet, für ein Ei bezahlen durfte.

Und zu den Verlusten, die die Prohibition brachte, kam noch das Wachsen der Steuerlast.

Hotels und Theater sind stets im Zweifelsfalle ausgezeichnet zu besteuernde Institutionen. Die vom flachen Lande stammenden Gesetzgeber leben bieder und anständig bei sich zu Hause oder, wenn sie in der Hauptstadt sind, in Pensionen; sie suchen weder Hotels noch Theater auf und sehen nicht ein, warum andere Leute das tun sollten; und bei der Aufstellung von Steuervorlagen sind sie stets einstimmig der Meinung, daß diese Stätten des Luxus eine weitere Belastung recht gut vertragen können. Die Einkommensteuern sind seit jeher eine ganz besondere Quelle der Plagen für Hotels. Eine Fabrik kann sich einen vernünftigen Durchschnitt für Maschinen- und Einrichtungsabnutzung errechnen; aber die Kundschaft eines Hotels setzt sich aus so verschiedenen Elementen zusammen, daß nur ein Prophet den jährlichen Schaden abschätzen kann. Ein so nettes Steckenpferd wie das Stehlen von Löffeln zur Erinnerung, das auf rätselhafte Weise auftaucht und sich in rasendem Tempo verbreitet, kostet einem Hotel mit einemmal Tausende im Jahr, die bis zu einem gewissen Grad von der Einkommensteuer abgesetzt werden dürfen, vorausgesetzt daß die Steuerrevisoren die Gnade haben, es zu gestatten.

Ein ganz besonderes Vergnügen war es für die Hotels, besondere Steuern zur Erhaltung besonderer Prohibitionsagenten zu zahlen, die dazu da waren, sie am Verdienen dieser besonderen Steuern zu verhindern, und ein ebenso großes Vergnügen war es, die Erfahrung zu machen, daß die Gäste privatim genau so viel tranken wie früher, lediglich mit dem Unterschied, daß die Hotels nichts vom Profit hatten, während die lustigen Männer, die gewöhnlich in ihren Schlafzimmern statt in der Bar tranken, lackierte Tische und Kommoden mit vergossenem Alkohol ruinierten, mit brennenden Zigaretten Betten, Stühle und Vorhänge in Brand setzten, durch die Fenster prozeßsüchtigen Passanten leere Flaschen auf den Kopf warfen und andere Gäste im Schlaf störten, wofür einzig und allein das Hotel verantwortlich gemacht wurde … Es schien sich wirklich kaum zu lohnen, daß man hohe zusätzliche Einkommensteuern zahlte, um zu solchen Resultaten zu kommen.

 

Wenn es den Anschein hat, daß die Einzelheiten der Kongreßveranstaltungen oder des Besteuerungssystems nichts mit der Seele des Dichters Myron Weagle zu tun haben, dann trügt der Schein, denn gerade mit diesen Einzelheiten hatte er sich abzumartern, und um ihretwillen mußte er in all den Jahren nach 1917 auf Muße und Liebe und Vergnügen verzichten.

Ora, der damit beschäftigt war, einer charmanten Erpresserin, die ein halbes Dutzend Männer in den Selbstmord getrieben hatte, ihre Memoiren zu schreiben, klagte darüber, daß Myron, trotz Heirat und Bermuda, weniger abenteuerlustig und interessant wäre als je, ein ganz ungeeignetes Objekt für die Verehrung eines Romanciers, wie er einer war; ihm wäre ein Forschungsreisender oder Soldat als Bruder lieber gewesen. Effie May, die sehr viel allein war und für die der Luxus der Hotelappartements bereits viel von seinen Reizen verloren hatte, klagte darüber, daß Myron sie vernachlässige.

Carlos Jaynes klagte darüber, daß der verdrehte Myron ihn mit seiner hartnäckigen schmutzigen Sparsamkeit daran verhindere, die Repräsentationsräume des Westward so auszustatten, daß sie es an Eleganz mit denen des Ritz, des Plaza oder des St. Regis aufnehmen könnten. Selbst Mark Elphinstone klagte darüber, daß Myron an seinen Ideen für neue Restaurants Kritik übe.

Aber während sie über seine Kälte aller Romantik gegenüber klagten, nährte und hegte Myron in seinem Herzen die Sehnsucht, den Vollkommenen Gasthof zu schaffen.

 

Er war der Erfinder, oder einer der Erfinder, der »Not-Nachtgarnitur« für Leute, die so lange in ihrem Büro aufgehalten wurden, daß sie nicht mehr in die Vororte hinaus konnten. Eine solche Garnitur bestand aus Pyjama, einem billigen Kamm, einer billigen Zahnbürste und einer kleinen Tube Zahnpaste; sie wurde nüchtern aussehenden Gästen, die unvorhergesehenerweise übernachten mußten, kostenlos zur Verfügung gestellt und brachte einige hundert Geschäftsleute dazu, sich den Aufenthalt im Westward zur Gewohnheit zu machen. Und da man erwartete, daß sie die Pyjamas nicht mitnahmen, die dann gewaschen und wieder benutzt werden konnten, waren die Kosten nicht so hoch, wie es den Anschein hatte.

Ora lachte fürchterlich, als er von Myrons Erfindung hörte. Er erklärte, das sei ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, was ein moderner amerikanischer Geschäftsmann für einen zivilisatorischen Fortschritt halte, und machte die komischsten Vorschläge (die Effie May sehr erheiterten) für weitere Dinge, die der Garnitur hinzugefügt werden sollten: ein broschiertes Exemplar des Johannes-Evangeliums, ein Sardinenbrötchen aus Zelluloid, das immer wieder benutzt werden konnte, eine Sammlung der Gedichte von Edgar Guest, Bettsöckchen aus rosa Wolle und ein sechs Meter langes Teleskop, mit dem die Gäste auf den gewaltigen Höhen des Westward astronomische Studien treiben könnten.

 

Myron hatte mit Carlos Jaynes und den anderen Hoteldirektoren Auseinandersetzungen darüber, daß man sich in verstärktem Maße um Geschäftsreisende und Musterräume kümmern sollte.

Jaynes besaß Zahlen – wie alle Statistiken sehr imposant, aber hinsichtlich ihrer Herkunft nicht allzu klar – mit denen er beweisen konnte, daß infolge der Katalogversendungen und der größeren Verbreitung von Grossisten im Jahre 1922 nur halb so viel Geschäftsreisende unterwegs wären wie 1902, und gab zu verstehen, daß Myron sich nicht von der Black-Thread-Center-Psychologie des Jahres 1895 freimachen könnte.

Das alles sei vielleicht richtig, sagte Myron, aber die Reisenden seien die wichtigsten von allen Hotelkritikern. Sie seien es, die in den Raucherabteilen der Eisenbahnzüge bemerkten: »Kommen Sie zum erstenmal nach Golden Glow? Probieren Sie's mit dem Smith Hotel. Dort werden Sie gut aufgenommen. Lauter neue Matratzen, nie Schweinereien mit der Post, und der Kaffee – mmmm!« Oder: »Lassen Sie sich bloß nicht einreden, daß das Grand Hotel Royal Magnificent was taugt. Tun Sie, was ich Ihnen sage, und gehen Sie nicht hin. In der Halle ist so viel Gold, daß man ein Schiff damit versenken könnte, aber wenn Sie ein Zimmer nehmen, das weniger als sechs Dollar im Tag kostet, werden Sie behandelt wie ein armer Verwandter, und für Orangensaft schreibt man Ihnen fünfzig Cent auf. Bloß nicht dorthin!«

So empörte Myron Carlos Jaynes, er erschreckte Effie May und entsetzte Ora, indem er hartnäckig dabei blieb, daß jeder Angestellte einen alten Geschäftsreisenden mit mehr Aufmerksamkeit behandeln müsse als die neapolitanischen Herzöge, die, Reporter abwimmelnd, ins Hotel kamen, und ganz besonders hartnäckig wurde er nach einem bestimmten Tag des Jahres 1923 – allerdings war er damals nicht mehr im Westward.

Er war in der Rezeption und überprüfte die Kartothek mit den Außenständen, die Fernschreiber, die Buchhaltungskartothek, die Frankiermaschine, die drei Feueralarmsysteme, die Kontrolluhr und all die anderen komplizierten Mechanismen, aus denen das Nervenzentrum eines Hotels besteht. Da kam ein Mann zum Pult, dessen Physiognomie er nebelhaft zu erkennen glaubte; ein großer, etwas vornüber gebeugter Mann mit sauberer Wäsche, aber in einem Anzug, der gleichzeitig auffallend und abgetragen war, auf dem Kopf einen schief aufgesetzten grauen Hut, unter dem Büschel grauen Haares hervorsahen. Ein Mann, so dachte Myron, der Schiffbruch erlitten hatte, aber trotzdem niemals seine großartigen Hoffnungen begraben würde.

Er mochte sechzig Jahre alt sein, oder zweiundsechzig?

Wer zum Teufel war das nur? Myron glaubte, ihn mit angenehmen, ja mit aufregenden Erinnerungen in Zusammenhang bringen zu können. Er schob den Empfangsherrn beiseite und las die verkehrt vor ihm liegende Unterschrift. Sie lautete: »J. Hector Warlock, Chicago, Benjamins Gürtelschnallen Sind Die Besten.«

Um ein Haar hätte Myron gesagt: »Nummer Vier wie immer, Mr. Warlock? Mr. Dummy Dumbolton ist auch da.«

Aber Dummy Dumbolton, der bescheidene, stets erstaunte und ohne Ende bewundernde Mann, war jetzt tot. Und der J. Hector Warlock, der sich als Vierunddreißigjähriger eine ganze Nacht mit Trinken und Spielen um die Ohren schlagen und dann am Morgen noch vergnügt und heiter sein konnte, war ebenso tot.

Myron sagte nichts.

J. Hector sah ihm ins Gesicht, ohne ihn zu erkennen; seine freundlichen Augen waren nicht mehr ganz klar. Er rief mit einer Stimme, die nichts von ihrer tönenden Klangfülle verloren hatte: »Bruder, haben Sie vielleicht ein hübsches Zimmer für ungefähr dreieinhalb?«

»Aber gewiß, Mr. Äh –« Myron tat so, als ob er nach der Eintragung sähe. J. Hectors Schrift war ebenso kühn wie früher, nur die Grundstriche waren zittrig geworden. »– Mr. Warlock. Genau drei fünfzig, und Sie werden zufrieden sein, glaub ich. Äh – Benjamins Gürtelschnallen, ja? Wie gehen denn da die Geschäfte?«

»Ach, ganz gut.« Dann lachte J. Hector und warf wie früher mit der Bewegung eines angebeteten Schauspielers den Kopf zurück. »Das heißt, ganz verdammt schlecht!« Er winkte einem Pagen und drehte sich um; Myron fiel keine zweite Frage ein. Es verlangte ihn danach, das Jahr 1895 zurückzuholen, seine Gläubigkeit von damals, seine Begeisterung über die Seltsamkeit und Vielfalt des Lebens und auch die runden Wangen, das gewaltige Lachen und die schwarzen Locken J. Hectors. Er nickte dem Pagen zu. »Führen Sie Mr. Warlock auf Nummer 539.« Er blickte J. Hector nach, der sich müde zum Fahrstuhl hinüberschleppte und die Schultern hängen ließ, sowie er sich nicht mehr beobachtet glaubte. Er verschwand hinter der Gittertür des Fahrstuhls, und mit ihm verschwand Myrons jugendlich sicherer Glaube, daß irgendwo in der schönen Welt ein gesegneter Zustand zu finden wäre, der »Erfolg« hieße.

In der Rezeption murmelte Myron: »Berechnen Sie Mr. Warlock für Nummer 539 nur drei fünfzig, den Rest schreiben Sie mir auf, und merken Sie sich folgendes: Sooft er kommt, muß er ein Sechs- oder Siebendollar-Zimmer, das schönste, das frei ist, für drei fünfzig kriegen. Mit der Differenz belasten Sie mich, und Sie sorgen dafür, daß er nichts davon erfährt, verstanden

Da wurde er auch schon ans Telephon gerufen: »Der Herr von 539 will Sie sprechen, Chef.«

»Sprech ich mit dem Herrn, der mir 539 gegeben hat?« J. Hectors Stimme zitterte und klang etwas ängstlich.

»Jawohl.«

»Ja, sehen Sie mal, alter Freund, es tut mir leid, daß ich Ihnen Scherereien mache, aber sind Sie sicher, daß das ein Dreieinhalbdollar-Zimmer ist?«

»Ja, natürlich; es ist alles in Ordnung.«

»Es ist so ein feines Zimmer, daß ich Angst kriegte – – Ich find es selber scheußlich, knauserig zu sein, aber Sie wissen ja, wie's ist; mehr bewilligt mir die Firma nicht auf Spesenkonto.«

»Aber selbstverständlich, ich weiß Bescheid, Mr. Warlock. Wir sehen gern Reisende bei uns.«

»Na, das hör ich wirklich gern. Ich bin jetzt seit mehr als vierzig Jahren Reisender, aber seit einiger Zeit sieht's so aus als ob die meisten von den jungen Grüßonkels lieber nen Bootlegger oder nen schönen jungen Filmfritzen im Hotel sehen als so nen altmodischen Handelsmann, der jedes Geldstück zweimal umdrehen muß. Früher mal, da könnt ich mir ja auch ein Sechsdollar-Zimmer leisten, aber irgendwie, in der letzten Zeit – – Ach, entschuldigen Sie; Sie brauchen sich wirklich nicht meine Sorgen vorflöten zu lassen! Also schönsten Dank, Captain; entschuldigen Sie, daß ich Sie gestört hab; und nochmals schönen Dank.«

An diesem Abend fühlte sich Myron alt, und Effie May, die vergnügt über das Stück schwatzte, das sie sich ansehen wollten, schien peinlich jung zu sein. Am liebsten hätte er eine kleine Pokerpartie mit J. Hector gemacht. Aber – na ja, für Effie May wäre es eine große Enttäuschung gewesen, auf das Theater verzichten zu müssen, nachdem sie den ganzen Tag allein gewesen war.

 

Er war wohl ein Freund von neuen Gerichten, aber als der Geschäftsführer des Westward-Lunchraums in aller Unschuld den Vorschlag machte, ein Sandwich einzuführen, das aus Ananas zwischen zwei Pfannkuchenhälften bestehen sollte, untersagte er die Ausführung dieses verbrecherischen Gedankens, ohne eine Berufung zuzulassen … Und die Frage nach dem Nutzen eines Gratiskorbes mit Obst in den Zimmern; oder konnte man für solche Körbe fünfzig Cent berechnen; oder war die ganze Sache einfach eine Schererei mehr, die nichts einbringen konnte? … Und die Komödie mit dem großzügigen Herrn, der, nachdem er eine Woche lang ein Appartement bewohnt und ausgiebige Mahlzeiten zu sich genommen hatte, so daß die Registrierkasse schon in Vorfreuden zu tanzen anfing, alles mit Gutscheinen für Inserate bezahlte … Und die zunehmende Wichtigkeit der Cafeterias und Kaffeehausbetriebe – und das hastige Verschlingen von Lebensmitteln in solchen Lokalen machte der Tradition behaglichen Speisens ein Ende … Und die Frage, wie man an den Abenden für die Zerstreuung einsamer Gäste sorgen sollte; wieviele gern Grammophon hörten – und später Radio … Hallennassauer – gutangezogene Leute, die nicht im Hotel wohnten und den ganzen Tag Plätze besetzt hielten, die für Gäste gebraucht wurden … Der Pressechef des Westward, der alle wahnsinnig machte, indem er das ganze Hotel Hochzeitsgesellschaften zur Verfügung stellte, so daß Myron, so sehr er sich auch mit aller Sentimentalität an junger Liebe ergötzte, zum Erbrechen genug bekam von welkenden Blumen, überlaufenden Sektgläsern und schluchzenden Verwandten, die mit wilder Entschlossenheit aufhörten zu weinen, sobald sie die Rechnungen bezahlen mußten … Die Journalisten, die einem Hotel mit tausend Zimmern Vorwürfe machten, weil es stereotyperes Essen servierte, normalisiertere Zimmereinrichtungen hatte und unter seinen Gästen weniger originelle, joviale, rotbäckige Dickens-plus-Chesterton-»Charaktere« aufwies als ein Gasthof mit fünfzehn Zimmern und zwanzig Tischplätzen in der »alten Welt«, geleitet von einem berühmten ehemaligen Küchenchef, der sich um jede Einzelheit selbst kümmert … Die unglückselige Tatsache, daß Myron, der Tüchtigkeit und Ordentlichkeit ganz einfach als ein von allem Persönlichen losgelöstes Ideal verehrte, sich über Nachlässigkeit und Unkenntnisse in Konkurrenzhotels nicht weniger ärgerte als in seinem eigenen. Auf einem Tisch einen Aschenbecher voll Zigarettenstummeln zu sehen, der der Aufmerksamkeit des Kellners entgangen war, bedeutete für ihn dasselbe wie für einen Diakon in Black Thread die Entdeckung, daß der Prediger eine Chorsängerin küßte. Eine schwärzere Schmach gab es überhaupt nicht – höchstens noch vielleicht die fürchterliche Untat eines Gastes, der mit einem Bleistift auf einem leinenen Tischtuch herumkritzelte. Wenn er auch formal keine Religion hatte und nicht viel über seine Aussichten in den Himmel zu kommen nachdachte, so glaubte er doch fast wörtlich an die Hölle, wenn er einen solchen Gast sah, und eine im übrigen wunderschöne Reise konnte für ihn auf eine Viertelstunde durch ein verschandeltes Tischtuch verdorben werden. Er konnte in einem anscheinend gut geführten Restaurant innerhalb von zwei Minuten mehr Fehler entdecken als der unangenehmste Gast in eben so vielen Stunden.

 

Er war keineswegs zufrieden mit sich, weil Untüchtigkeit ihm so auf die Nerven gehen konnte, daß er alle Schönheiten des Lebens vergaß. Er wußte, daß er sich über Dinge aufregte, die gar nicht so wichtig waren.

Es war auch so gut wie unmöglich für ihn, das nicht zu wissen, denn er hatte Ora und Effie May um sich.

Alle diese Kleinigkeiten seien so unwesentlich, sagten sie ihm.

Und doch schien Effie May die Gesundheit ihres Bruders, ihrer Schwester und ihres Vaters, eine für die Welt im ganzen überaus gleichgültige Angelegenheit sehr wichtig zu nehmen, und ebenso den Duft ihres Parfüms, ein Steinchen in ihrem Tanzschuh oder Laufmaschen in ihren Strümpfen. Und was Ora sehr ernst nahm, waren Dinge wie die Verwendung des Wortes »wonnig«, der Klang von Worten wie »Kolibri« und »kollern« und »ersterben«, das Verbrechen, Geschichten auf Rosen, Sonnenuntergängen und Mutterliebe aufzubauen, und die nicht uninteressante Frage, welche Magazine am besten zahlten.

Alberne Binsenweisheiten auf Plakaten in Rot und Grün – die Ansprüche der Berühmtheiten – Not-Nachtgarnituren – Pfannkuchen- und Annanas-Sandwiches – ungeleerte Aschenbecher: Myron leugnete nicht, daß keiner dieser Greuel im einzelnen von großer Wirkung auf die Weltgeschichte sei, aber er ließ sich nicht nehmen, daß darin eben der Unterschied zwischen ausgezeichneter und schlechter Arbeit bestehe und daß dies für ihn von größter Wichtigkeit sei.

Das Unglück ist, daß die Menschen, obgleich sie gewisse Ähnlichkeiten in Liebe, Hunger, und Patriotismus und Nasen haben, in den technischen Einzelheiten ihrer Arbeit äußerst verschieden sind und ein jeder darunter leidet, daß alle andern Idioten sind, wenn sie seine Spezialsprache nicht verstehen. Ob Hotelier oder Bildhauer, ob Seemann oder Nägelfabrikant – ein jeder hat seine eigene, ihrer selbst bewußte Welt und ist durchdrungen von ihrer Wichtigkeit für das ganze Universum, von der überragenden Würde ihrer sämtlichen Einzelheiten und den aufregenden Unterschieden zwischen Kollegen, die Außenstehenden ununterscheidbare »Typen« zu sein scheinen.

Für die meisten Gäste im Westward sah ein Kellner aus wie der andere und war ein Page einfach ein Page, aber für einander und für Myron Weagle unterschieden sie sich nicht weniger als etwa Albert Einstein und John L. Sullivan und waren sie insgesamt vernünftigere und verständigere Wesen als Mr. Einstein und Mr. Sullivan.

Jede Welt hat nicht nur ihre Technizismen, sondern auch ihre eigenen Helden. Für Myron hatte die wahre Geschichte nichts zu tun mit Karl dem Großen, Moses, Garibaldi, Goethe, Thomas Edison oder Abraham Lincoln – höchstens insofern, als Edison die Beleuchtung erfand, die für Hotels so nützlich ist, und Lincoln im Jahre 1833 in der Provinz Sangamon eine Gastwirtskonzession erwarb. Für ihn waren die Lenker der Geschichte die großen amerikanischen Hoteliers: David Reynolds, die Boydens, Barnum (nicht P. T., sondern David von der Indian Queen Tavern in Baltimore), Nathaniel Rogers, Cornelius Vanderbilt – bis zu der Zeit, da er die Leitung des Hotels Bellona in New Brunswick aufgab, um den absonderlichen Beruf eines Dampfschiffkapitäns auszuüben – Daniel Drew, der gleichfalls sein Lokal, die Bull's Head Tavern an der Boston Post Road, aufgab, um sich mit der eitlen Beschäftigung des Eisenbahnfinanzierens zu befassen, Rathbun, die Leylands, Paran Stevens, Potter Palmer, Oscar, Boldt, die beiden Generationen der Drakes, Statler, Muschenheim, Fred Harvey, Bowman, Boomer, Simeon Ford, Ralph Hitz, Willard, Flagler, Eppley, Ernie Byfield. Für ihn waren diese Namen ebenso vertraut und bedeutsam wie für Ora die Namen Dickens und Walter Scott, und keiner dieser Meister, erklärte Myron mit Nachdruck, wenn er sich gegen die Spöttereien Oras oder die Verständnislosigkeit Effie Mays verteidigte, hätte in einem ungeleerten Aschenbecher etwas Unwichtiges gesehen!

Im New-Yorker Messenger und später als Nachdruck überall im Lande war ein Schmähgedicht in freien Rhythmen erschienen, mit dem ein Automobilist zu Myrons Wut seinen Klagen über die Hotelwelt Luft machte:

 

Wirte!
Sie versprechen auf großen Tafeln im ganzen Lande
Für anderthalb Dollar Zimmer mit Bad,
Aber
Kommt man hin, so wird einem gesagt,
Grad heut
(Ein Viertel der Zimmer ist wirklich besetzt)
Muß man mindestens drei
Dollar berappen.

Portiers!
Sie wissen kein Kino, keine Hosenbügelei, wissen
nicht die Straße nach Hickville, nicht die Autoflickerei,
Sie wissen nichts und abermals nichts!
Sie wissen nur, wie weit man beim Gähnen das Maul öffnen kann.
sonst nichts!

Die Garage des Hotels
Ist inseriert als »Billig und rasch und äußerst modern«.
Das muß sie auch sein
(Nur ist sie es nicht)
Denn nämlich: es ist eine alte Scheune, so klein und so winzig, daß
Dich einer an- und den Kotflügel kaputtfährt,
und
Wenn du schimpfst, erklärt dir der Wärter,
Ein gewaltiger Freund des Badens – in Dreck,
Das war schon kaputt, bevor du hereinkamst, und
Verlangt einen halben Dollar von dir,
Oh, daß er am Galgen hinge und Bienen ihn stächen!

Pagen!
Sie pfeifen, während sie dir den Koffer tragen,
       und zeigen den anderen rotzigen Nasen, wie
       schäbig und armselig er ist,
und
Stoßen ihn dir im Fahrstuhl ans Schienbein
und
Wenns Winter ist, reißen sie dein Fenster dir auf,
       im August aber schließen sie's fest, dann
       drücken sie aufs Handtuch das Mal ihrer dreckigen
       Pfoten und halten Maulaffen feil, und
wenn
Du ihnen nicht mindestens einen Silberling gibst,
       ziehn sie die Schnauze schief und haun die Tür ins
       Schloß.

Kellner!
Sie geben zum trinken dir entweder lauwarmes
       Wasser oder ein Trumm Eis ins Glas, das so groß ist, daß nie,
Nie und nimmer, niemals du trinken kannst.
Auch warme Butter bringen sie dir, doch
Daß der Kaffee immer kalt ist, dessen kannst du sicher sein.
Bringen sie dir Eier, fehlt das Salz,
Bringen sie dir Waffeln, fehlt der Syrup,
Bringen sie dir Ingwerbier, ist die Flasche zu,
Bringen sie dir Fleisch, vergessen sie Messer
    und Gabel
       und Sauce
          und Salz
             und Pfeffer
                und manchmal das Fleisch!

Hotelbetten!
Entweder ist in der Mitte ein Berg,
So daß du die ganze Nacht herausfällst,
Oder in der Mitte ist ein Loch, so daß die ganze Nacht
Du träumst,
Du seist eine Ameise,
Eine kleine Ameise,
Eine unglückselige kleine, kleine weinende Ameise,
Die verzweifelt versucht,
Die ganze Nacht hindurch versucht,
Aus einer Grube im Sand zu klettern, und
Die Matratzen sind gestopft mit Ziegeln,
Zement,
Altem Eisen
Und Felsen,
Und riechen, sie riechen nach Lumpen, alten, uralten Lumpen,
Die schon lange im Dunkeln vermodern.

Und der ganze Hotelfraß hat den gleichen Geschmack,
Muschelragout schmeckt so wie Rindfleisch, und Rindfleisch wie die Pasteten,
Wohingegen die Pasteten – Sie werden verzeihen –
Sie schmecken – sie schmecken wie D-r-e-c-k.

Und am nächsten Morgen
Sagt der Fahrstuhlmann: »Ich hoffe,
Sie haben wohl geschlafen«, und die Pagen, die Hände
Liebevoll zum Gruß gereckt: »Wir hoffen,
Ein jeder von uns Elenden hofft,
Sie haben geschlafen wie ein Gott.«

Der lächelnde Portier, er hofft, du hast geschlafen; er hofft:
»Es hat Ihnen gefallen bei uns, Verehrtester«,
Während er den Schlaf mit der Rechnung ermordet,
Der ungeheuerlich unvorstellbar hohen Rechnung.

Hotels!
Von nun an will ich sanft in Straßengräben schlafen,
In Scheunen, Eulennestern, Schweineställen,
Speisen will ich mittags den Tau und Abends den Abendstern,
Alles, alles nur nie wieder Hotels!

 

Als Myron sich von seinem, wie er meinte, gerechten Zorn erholt hatte, verfaßte er sein erstes und letztes Gedicht. Er schickte es an die Hotel Era, und im Lauf der nächsten fünf Jahre wurde es in siebzehn Hotelzeitschriften von New York bis Cape Town abgedruckt:

 

Gäste!
Als Hotelmann hab ich für Gäste was übrig –
Ich muß ja.
Ich hab für sie was übrig, so wie der Boxer dafür, daß er ein Ding auf sein Kinn kriegt –
Er wird dafür bezahlt.

Gäste!
Sie stehlen Handtücher, Aschbecher, Bettlaken,
Birnen aus den elektrischen Lampen, Brücken
und Bettvorleger, Briefpapier, Schreibfedern,
Nadelkissen, Eßgeschirr und Adreßbücher.
Nie lassen sie die Schlüssel zurück, und selten schicken sie sie wieder.
Dem Hoteldetektiv erzählen sie, das Mädel sei ihre Base.
Sie verlangen, daß du gewaltige Schecks ihnen einlöst, und
Tust dus nicht gleich, so sagen sie, nie kämen sie wieder.
Dafür sei der Herr aber gepriesen!

Gäste!
Mit den Zigaretten brennen sie Löcher in Bettdecke und Teppich und Lehnstuhl.
Sie lassen das Wasser, das kostbare heiße Wasser laufen,
Stundenlang laufen.
Sie ruinieren die Matratzen, weil sie immer auf der Bettkante sitzen.
Mit Rasierklingen zerschneiden sie Handtücher.
Mit den Handtüchern putzen sie sich ihre Schuhe.
Und wenn sie Frauen sind, reiben sie sich die Schminke damit vom Gesicht.

Gäste!
Die Ängstlichen fürchten Einbrecher, Erdbeben, Feuer.
Die Mutigen gehen den Direktor an, er soll ihnen seinen Smoking leihen.
Sie alle führen Beschwerde, daß Portiers und Pagen,
Diener und Mädchen, Telephonistin und alles, mit Ausnahme höchstens des Staatsgouverneurs,
Unhöflich sei.
Mag sein.
Vielleicht aber ließ der Gast es als erster an Höflichkeit fehlen.

Gäste!
Sie wollen Erdbeeren außerhalb der Saison
(Unberechnet, als Teil des Frühstücks) aber
In der Saison wollen sie von Erdbeeren nichts wissen,
Großen, schönen, herrlichen Erdbeeren in der Saison, und dann
Wollen sie,
Klagen, es sei ihnen »unbegreiflich, warum es nicht da ist«,
Heringe aus Norwegen importiert,
Und Honig vom Mount Hybla
Und Regenpfeifereier
Und Täubchen auf Toast,
Und all das
Beim Frühstück zu achtzig Cent.
Sie wollen ein Spezialsteak in fünf Minuten gebraten,
Und dann erheben sie ein großes Geschrei,
Weil das Steak nicht gar ist.
Und dann wieder schimpfen sie,
Weil der Kaffee, seit zehn Minuten steht er vor ihnen, ganz kalt geworden ist.

Gäste!
Der Gast hat immer recht.
Ich hab für Gäste was übrig.
Ich muß.
Und so wird es bleiben, bis
Zu jenem lieblichen Tag, an welchem ich geh und zur Ruhe mich setz
In Nord-Saskatchewan, sechshundert Meilen
Von Eisenbahn, Autos, Telephon und Gästen.

»Na, vielleicht sind ein paar von den Zeilen nicht ganz glatt. Mein erstes Gedicht. Ora würde wahrscheinlich finden, daß es nicht an Longfellow oder Ezra Pound ranreicht oder an irgendeinen anderen von den alten klassischen Barden. Aber die Gedanken sind wirklich ausgezeichnet«, sagte Myron.


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