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Von allen Handlungsreisenden, die im Jahre 1895 von Bridgeport aus arbeiteten, sah keiner besser aus, war keiner liebenswürdiger und redegewandter als Mr. J. Hector Warlock, Reisevertreter, wie er es nannte, der Spurgis & Pownall Eisenwaren-, Ofen- und Kücheneinrichtungs-Gesellschaft. Er zählte vierunddreißig Jahre. Sein Haar war sehr schwarz, sehr wellig und sehr dicht wie das der beliebteren mannhaften christlichen Evangelisten jener Zeit, und kein Evangelist konnte eine Hymne mit besser gesalbtem Baß dröhnen. (Das soll nicht etwa heißen, daß von Mr. Warlock zu erwarten war, er würde an den Sabbathvormittagen tatsächlich Hymnen im Haus des Herrn singen; viel wahrscheinlicher war es, daß er sich von einer ausgedehnten Samstagabendpokerpartie ausschlief.) Sein berühmtes und oft gezeigtes Lächeln war von zwei Goldzähnen belebt, und an seinen weichen, weißen, dicken Fingern trug er einen Freimaurerring und einen Ring in Form einer goldenen Schlange, deren Augen Rubine waren; an seiner breiten Uhrkette hing als geschmackvolles Symbol ein winziger Küchenherd aus Gold.

Er war schon von Natur aus groß und breit genug, aber er wirkte noch größer und breiter infolge seiner für das Jahr 1895 korrekten Kleidung: weicher Hut, dicker dunkler Anzug mit gewaltig wattierten Schultern, steife Hemdbrust – deren Feierlichkeit allerdings durch ein Muster aus winzigen Veilchen etwas gemildert wurde – und Riesenschleife. Dazu trug er die phantastischsten Phantasiewesten, von denen er nicht nur eine besaß wie die Provinzelegants, sondern ein halbes Dutzend: gelbe mit roten Tüpfelchen, blaue mit weißen Streifen, lohgelbe mit scharlachroten Blättchen. Er trug auch die vornehmsten spitzen Dandy-Schuhe, die jemals in Black Thread gesehen wurden.

Er hatte ein Gesicht, das die Friseure liebten. Diesem breiten, blassen, aber gesund aussehenden, fleischigen und doch angenehmen Gesicht wurde mehr Aufmerksamkeit zuteil als den Wangen einer Herzogin. Er ließ sich beim Friseur immer machen, was er »die ganze Kunst« nannte: Rasieren, Haarschneiden, Shampoonieren, Föhnen, Gesichtsmassage, Veilchenwasser, Talkum-Puder und zarter Fliederduft für sein dichtes Haar.

Er war imposant, aber er wirkte nicht bedrückend, so herzlich und unwiderstehlich war sein freundliches Wesen. Er sagte zu allen Eisenbahnern, Hotelpagen, Barmännern und Kellnern »Captain«, und sobald sie ihn kommen sahen, riefen sie vergnügt: »Halloh, Mr. Warlock! Wieder mal bei uns?« Seine Kunden, die größeren Eisengeschäft-Besitzer im südlichen Neuengland sprach er als »Chef« an, mit einer wohl abgewogenen Zusammensetzung aus Freundlichkeit und Respekt, und sie mochten ihn gern, gaben ihm große Ordres und luden ihn zum Sonntagmittagessen zu sich nach Hause ein, was für den Reisenden sozusagen der Ritterschlag ist.

Im American House in Black Thread Center bedauerte das Personal, daß J. Hector so selten kam – nur viermal im Jahr. Mutter Weagle pflegte, ohne sichtlichen Anlaß, plötzlich das allgemeine Schweigen zu brechen und kichernd auszurufen: »Nein sowas – dieser Mr. Warlock – nimmt eine alte Henne wie mich am Kinn und sagt mir, ich bin die beste Köchin in Connecticut! So eine Frechheit!«

Albert Dumbolton, vulgo »Dummy«, der als Kolonialwaren-Reisender (aus Torrington) alle zehn Tage herüberkam, war auf nichts so stolz wie auf seine Freundschaft mit J. Hector und erklärte oft der ganzen Bar: »Ich will euch mal was sagen. Seit sechsundzwanzig Jahren bin ich jetzt auf der Achse, und ich muß euch erklären, daß ich in meinem ganzen Leben keinen besseren Reisenden und überhaupt, in jeder Hinsicht, keinen besseren Mann kennengelernt habe als J. Hector Warlock. Ein goldenes Herz hat er, der Junge! Zahlt seine Rechnungen, steht seinen Freunden nie im Weg, erzählt gute Geschichten, behandelt einen, als ob man die Königin von England wäre, ganz egal, wer man ist! Und dann hört mal, der Junge, wenn er Poker spielt, da kann er seine Klappe zuhalten, als ob er taub und stumm wäre, und am nächsten Vormittag geht er dann in ein Eisengeschäft und redet den Leuten große Löcher in den Bauch. Der, der kann alles verkaufen! Er könnte Pelzüberschuhe in der Hölle verkaufen! Und mit so nem Erfolg! Hört mal, ich geh jede Wette ein, daß Heck Warlock seine fünfundvierzig oder achtundvierzighundert Dollar in jedem Jahr macht – das ist mehr Geld, als irgendwer in diesem Mistnest da verdient! Und gebildet ist er! Ich kann euch bloß sagen, in der Eisenbahn, wenn keiner da ist, mit dem er reden kann, da liest er oft ein ganzes Buch, von Anfang bis zu Ende!«

Dieser Kriegsheld und Prophet war es, der gerade in dem Augenblick nach Black Thread kam, als Myron im Alter von fünfzehn Jahren bemüht war, zu einem Entschluß über das Schicksal seiner Seele zu kommen – was in den Vereinigten Staaten von Amerika nichts anders heißt, als über seinen künftigen Beruf.

Myron war hinter dem Pult, als der Sieben-Uhr-sechsunddreißig-Zug aus dem Süden ankam. Bald wurde draußen ein erregtes Rufen laut: »Halloh – halloh – wieder da?« Myron ging zu dem Spiegelglasfenster, und als er auf die Hauptstraße hinaussah, erblickte er keinen anderen als J. Hector Warlock, der, den linken Daumen in das Ärmelloch der Weste gesteckt, mit der rechten Hand der bewundernden Bürgerschaft zuwinkend, heranwandelte – er schien die ganze Straße auszufüllen. Hinter ihm kam ein Junge mit seinem Gepäck auf einem Karren. Es war nicht J. Hectors Sache, sein Köfferchen wie ein gewöhnlicher Reisender selbst zu schleppen; noch weniger war es seine Sache, im Hotel in seinem Hemd zu schlafen und abzuwarten, bis der Rollwagenkutscher am nächsten Morgen seine Tasche zusammen mit den Musterkoffern brachte.

Er riß die Tür auf und rief Myron entgegen: »Halloh Captain, das Elefantenbaby ist wieder mal da! Wie geht's, wie steht's? Den alten Papa weggejagt und selber das Hotel übernommen, was? Na, wie wär's mit einer schönen Zimmerflucht mit Privatfahrstuhl und massivem Goldbett?«

Er klopfte Myron auf die Schulter. Myron strahlte. Myron jubilierte. J. Hector behandelte ihn, als wäre er erwachsen, als wäre er wirklich der Direktor … Das war einer der großen Augenblicke im Hotelgewerbe.

Er galoppierte hinter das Pult, warf mit einer eleganten Bewegung das Fremdenbuch herum, präsentierte die Feder und vertauschte sie dann hastig mit einer anderen, die eine bessere Spitze hatte. Während J. Hector schrieb, mit einem Schnörkel und zwei kleinen Strichelchen wie Anführungsstriche unter der kühnen Unterschrift, fragte er freundlich: »Wer ist da? Wie stehen die Chancen für ein kleines Geschicklichkeitsspiel?«

»Al Dumbolton ist hier.«

»Fein! Wo ist das Jungchen?«

»Er wird wohl in seinem Zimmer oben sein und seine Ordres kopieren. Er war hier unten, aber sie haben angefangen, ihn aufzuziehen – sie haben ihm einen Frosch unter den Stuhl gelegt, und da ist er wild geworden und raufgegangen. Aber wahrscheinlich wird er sehr rasch wieder in der Bar sein.«

(Der arme Al! Er sah aus wie ein zerknautschtes rotes Sofakissen aus Atlas. Es kam sehr oft dazu, daß »sie anfingen ihn aufzuziehen«.)

»Sicher! Sicher! Er wird gleich wieder unten sein in der wohlbekannten Bar! Da kann man sich auf Dummy verlassen. Aber passen Sie mal auf, Captain, hören Sie zu. Mir ist was eingefallen. Sie gehen rauf, klopfen bei ihm an und sagen ihm, der Sheriff ist da und sucht ihn. Ich weiß ganz genau, daß er hinter dem hübschen kleinen Frauchen vom Nachtwächter in der Fabrik her ist, und daß ihm dabei nicht ganz geheuer zumute ist. Sie müssen ganz ernst mit ihm reden. Ich werd mich direkt hinter Sie stellen.«

Myron fiel es, im Gegensatz zu Ora, durchaus nicht leicht, Nervosität und Aufregung zu mimen, aber für J. Hector Warlock war er bereit, alles zu versuchen. Er klopfte, und als Mr. Dumbolton in Hemdsärmeln und auf grauen Wollsocken zur Tür kam, krächzte Myron: »Hören Sie mal, Al, herrje, der Sheriff ist unten und will Sie sprechen! Er sieht fürchterlich geheimnisvoll aus und scheint wegen irgendwas wütend zu sein. Ich hab ihm gesagt, ich glaube, Sie sind nicht zu Hause. Sie könnten hintenrum durch die Küche verschwinden.«

Mr. Dumbolton riß den Mund auf. Als er in ängstlichem Ton zu reden anfing, hörte es sich an, als würde Dampf aus einer Lokomotive abgelassen. »Ha-hat er gesagt, warum er mich sprechen will?«

»Nein, aber er war sehr hartnäckig.«

»O du meine Güte, das hätt ich mir denken können! Was für ein Idiot ich – Myron! Ich verschwinde durch den Hinterausgang. Ich muß den gemischten Zug an der Kreuzung kriegen. Heb mir meine Tasche auf. Sag dem verfluchten Sheriff, du kannst mich nicht finden. Tu so, als ob du mich überall suchst. Halt ihn auf! Ich mach ganz rasch!«

J. Hector Warlock knurrte mit ausgezeichnet verstellter Stimme: »Das wird Ihnen nicht gelingen! Sie brauchen es gar nicht erst zu versuchen, Dumbolton!«

Während das Opfer sich aus einem großen roten Sofakissen in ein sehr kleines rotes Sofakissen verwandelte, schob J. Hector Myron zur Seite und pflanzte sich grinsend vor Mr. Dumbolton auf, der ihn anstarrte, sich wand und schließlich aufstöhnte: »Na, da sollen mich doch zehn gerupfte Geier holen! Das hätt ich mir denken können! Ich hab gemeint, du kommst erst in einer Woche! Wenn ich gewußt hätte, daß du im Umkreis von fünfzig Meilen von hier bist, hätt ich auch gewußt, daß du dahinter steckst, du altes Kartoffelgesicht! Aber ich werd dich schon noch kriegen!«

Die beiden Männer klopften einander überaus zärtlich und schmerzhaft auf den Rücken.

»Wie wär's mit einem kleinen Opfer für die Göttin des Glücks heute abend? Wie wär's, wieder mal die Asse galoppieren zu lassen?« schlug J. Hector vor. »Nein, Myron; einen Moment noch.«

»Wär gar nicht so schlecht«, meinte Dumbolton.

»Dann paß mal auf, Myron. Wer ist noch im Haus, der an einer unschuldigen, freundschaftlichen kleinen Geschicklichkeitsprobe teilnehmen könnte … mit Dynamit in den Handschuhen?«

»Mr. Wood Harris aus Hartford ist da – Stiefel und Schuhe.«

»Großartig! Ja, mit dem hab ich schon gespielt. Sag ihm, er möchte in einer halben Stunde in mein Zimmer kommen. Übrigens, Captain, Sie haben mir doch hoffentlich das Doppelzimmer mit Privatbad gegeben wie gewöhnlich.«

»Aber!« gekränkt und ein wenig empört. »Natürlich! Selbstverständlich, Mr. Warlock! Nr. 4.«

Noch dreißig Jahre später konnte sich Myron, was ja in der Tat auch zu seinem Beruf gehörte, darauf besinnen, daß es J. Hector Warlock Freude gemacht hatte, mit Mr. Woodland F. Harris Karten zu spielen; daß er das Zimmer mit dem Privatbad gehabt hatte; und daß er – das war das Außerordentlichste und Unerklärlichste an diesem großen Mann – tatsächlich zum Frühstück lieber Tee als Kaffee trank.

Bloß gab es im ganzen American House in Black Thread kein Privatbad.

Das Bad war in Wirklichkeit nichts anderes als eine der vier allen zur Verfügung stehenden Wannen, ein »Flurbad«, wie es genannt wurde. Aber es war nicht nur vom Flur, sondern auch vom Doppelzimmer Nr. 4 zu betreten, und sechs- oder achtmal im Jahr wurde es als Privatbad verlangt, es hieß Privatbad, und so wurde es auf magische Weise, wie es sonst nur in der Theologie geschieht, zu einem Privatbad.

Mr. Warlock sprach weiter: »Du gehst jetzt Harris verständigen. Dann schickst oder jagst du den frechen Bengel, deinen Bruder, raus und siehst zu, daß er Cal Bigus und Ed Stuart und den Mietsstallbesitzer – wie heißt er nur? – zu einem Spiel für heute abend kriegt. Und schick eine Flasche anständigen Whisky, genug Gläser und Eiswasser herauf. Hier! Verschwend das nicht. Leg es in einer New-York-Central-Vorzugs an.«

Er überreichte Myron ein ganzes Fünfundzwanzig-Cent-Stück. Das größte Trinkgeld, das Myron jemals bekommen hatte, waren fünfzig Cent gewesen; die hatte er von einem Mann bekommen, der zwei Wochen geblieben war und besonderer Aufmerksamkeit bedurfte, weil er Symptome von Delirium tremens, Verfolgungswahn, Gicht, Magenkatarrh und religiösem Wahnsinn zeigte. Sein normales Trinkgeld waren zehn Cent – nein, sein normales Trinkgeld für das Heraufschleppen einer bleischweren Reisetasche und das Bringen eines Kruges Eiswasser war gar nichts; zehn Cent waren ein New-Yorker Trinkgeld.

»Ach herrje, danke schön! Ich werd Ora schicken – meinen Bruder. Ich bin gleich wieder mit Ihrer Tasche da.«

Myron wollte es sich nicht entgehen lassen, so viel Zeit, wie ihm nur möglich war, in Gesellschaft seines Idols J. Hector zuzubringen, der in seinen Augen etwas ebenso Auserlesenes war wie Miss Absolom und ihn bedeutend mehr interessierte. Er zwang seinen Vater dazu, seine Partie Casino in der Bar zu unterbrechen und das Pult in der Halle zu übernehmen. Er bestach Ora, damit er nach Cal und Ed und dem Mann von dem Mietsstall suchte, bestach ihn mit fünfzehn Cent von seinem Fünfundzwanzig-Cent-Stück … Vielleicht hatte Ora recht mit seiner Behauptung, Myron sei ein geborener Geschäftsmann und kein Künstler, denn selbst in diesem Augenblick der frohen Erregung über J. Hectors wundersame Ankunft und der Mühe, den verdrehten Ora dazu zu bringen, daß er überhaupt etwas tat, vergaß Myron keineswegs daran, seinen rechtschaffenen kapitalistischen Profit von zehn Cent zu machen.

Er rief Mr. Woodland F. Harris aus der Bar ab und schleppte J. Hectors mächtige Reisetasche auf Zimmer Nr. 4 hinauf. Solange es möglich war, ohne sich aufdringlich vorzukommen, wich er J. Hector nicht von der Seite. Er sah ihm beim Auspacken zu und holte sich einen Vorgeschmack von den Üppigkeiten der großen Welt, der er eines Tages anzugehören hoffte.

J. Hector besaß Toilettegegenstände, wie Myron sie bisher nur auf der Kommode Miss Absoloms gesehen hatte, aber die J. Hectors waren luxuriöser und männlicher. J. Hector holte, während Myron an der Tür stand und glotzte, aus seiner Tasche nicht etwa eine, sondern zwei Haarbürsten heraus, dicke, schwere Bürsten ohne Stiel.

»Militärbürsten!« dachte Myron außer sich vor Aufregung. Er hatte in den Inseraten der New-Yorker Zeitungen davon gelesen.

Und Schuhe mit Dingern darin, die wie hellgelbe Holzfüße aussahen und die Aufgabe hatten, die Form zu erhalten. Und eine Flasche mit einem Gummiball und einem Zerstäuber daran. Aus dieser spritzte J. Hector etwas in Myrons Richtung, und Myron verspürte einen selteneren und sonderbareren Duft, als er je gekannt hatte. Und dann diese neumodischen Pyjamas anstatt eines weißen Nachthemdes, am Hals säuberlich mit einem roten Bändchen zu verschließen, wie Albert Dumbolton und Tom Weagle – und Myron und Ora Weagle – natürlich trugen. Und nicht ein oder zwei, sondern nicht weniger als sechs verschiedene Krawatten. Und ein ganzes Kistchen mit fünfzig Zigarren, die rotgoldene Bauchbinden hatten. Und – abgesehen von der Flasche Old Taylor, die Myron heraufgebracht hatte – eine Flasche Whisky, die den komischen Namen »John Haig« führte.

Und sogar ein Buch. Dieses Buch warf J. Hector Myron zu. »Liest du viel, Captain? Schöne Sache. Erweitert den Horizont und gibt einem einen Wortschatz, so daß man die Kunden dumm reden und ihnen viele Bestellungen abschwatzen kann, und man lernt dabei sogar bei einem Kirchenabendessen Ansprachen zu halten.«

Myron betrachtete das Buch voll Ehrfurcht. Der Papiereinband zeigte ein aufregendes Bild: ein schnurrbärtiger Herr küßte eine junge Dame mit hoher Frisur in Anwesenheit des Mondes und eines Kirchturms. Es führte den Titel: » Die Gefahren der Leidenschaft, oder Die Kämpfe der Sally St. Cyr; Eine Erzählung von Demütigen Herzen und dem Stolzen Blut der Cumberlands.«

Als J. Hector fertig ausgepackt hatte, ließ er sich, die Daumen in den Armlöchern der Weste, von Zigarrenrauch umwallt, bequem auf einem der geraden Stühle nieder, der sich unter ihm in einen Samtfauteuil zu verwandeln schien. (Myron kannte das Wort »Fauteuil« aus den Katalogen, die er zur Zeit der Einrichtung des Salons studiert hatte.) Myron nahm niemals, wie der in aller Naivität zudringliche Ora, von vornherein an, daß seine Anwesenheit stets erwünscht sei; aber J. Hector schien froh darüber zu sein, daß er bis zum Beginn der Pokerpartie Gesellschaft hatte, und so stand Myron glückstrahlend da, vor Verlegenheit mit den Füßen scharrend, während J. Hector von Bridgeport erzählte, von New York (»ein ganz gehörig größeres Nest als Bridgeport, aber wenn ich dir's sage, kannst du dich drauf verlassen, Junge, nicht halb so munter und lebendig«), von den Wundern des neuen Spurgis & Pownall Küchenherdes und den geradezu verstiegenen Mengen von Nickel, die auf Mr. Pownalls Geheiß an diesem Modell funkelten und glänzten.

Im Jahre 1895 war in allen amerikanischen Provinzstädten, mit Ausnahme des halben Dutzends alter, wohlhabender Familien, die New York, Boston, Chicago oder Europa gut kannten, der Geschäftsreisende der einzige Sendbote aus der großen Welt, dem die jungen Leute ehrfürchtig lauschten. Er war der aus Paris zurückgekehrte Marquis; er war Erasmus und Casanova in einer Person, er war der aus Ostia heimkehrende phönizische Galeerenkapitän; er war das Radio, der Harvard-Absolvent und das Etikettenbuch.

J. Hector plauderte über Cocktails in der Waldorf-Bar, über geröstete Makrelen in Fulton Market, über Champagner im Martin, über die gigantischen Ozeandampfer Campagna und Lucania, Dreizehntausend-Tonnen-Schiffe, groß wie Kathedralen, die die Überfahrt von New York nach Liverpool machten, und über einen intimen Freund J. Hectors, der tatsächlich auf einem dieser beiden Wunderschiffe gereist war und nicht weniger als acht ganze Wochen im Ausland verbracht hatte, so daß er ein ausgezeichneter Kenner war von England, Schottland, Frankreich, Holland, Belgien, Deutschland, Österreich-Ungarn, Italien, der Schweiz und Spanien.

Myron sah ganz hingerissen aus und scharrte noch mehr mit den Füßen als sonst. »Herrgott!« sagte er.

Die Spieler trafen ein und begrüßten J. Hector voll Zärtlichkeit abwechselnd als Pferdedieb, Hundesohn und Falschspieler. Während J. Hector ihnen die Hände zerquetschte und sie Bauernlümmel, Bankräuber und Kinderentführer nannte, machte sich Myron beseligt zu schaffen. Er brachte Gläser und Eiswasser, das Eis klapperte melodisch in dem weißen irdenen Krug, während er den Gang entlangging; er zog ordentlich und sauber die Flasche »Old Taylor« auf, er besorgte einen Extratisch aus einem leeren Zimmer und brachte ihn keuchend und unter der Last taumelnd, die eine Seite gegen den Magen stützend, herein.

Die fünf verfügbaren Spieler, J. Hector, Dummy Dumbolton, Woodland F. Harris, der Juwelier Cal Bigus und der Stationsvorsteher Ed Stuart, zogen sich die Röcke aus, legten die steifen Röllchen ab, knöpften die Westen auf – nicht ohne zwischen den einzelnen Handlungen ein Schlückchen Korn zu sich zu nehmen – und setzten sich an die beiden aneinandergeschobenen Tische mit einer Entschlossenheit, die zeigte, daß sie es ernst meinten und bei der Sache bleiben wollten. J. Hector begann damit, daß er seinen Stuhl herumdrehte, so daß die Lehne vorn war, statt zu warten, bis er gezwungen sein würde, es zur Herbeiführung des Glückswandels zu tun. Diese Neuerung verblüffte die einheimischen Lebemänner und imponierte ihnen, und Myron vergaß diese großartige Spielergeste in seinem ganzen Leben nicht mehr. Aber noch mehr gerieten die Lebemänner und Myron außer sich, als J. Hector ein ganz neues Päckchen Karten mit unversehrter Hülle auf den Tisch warf und in aller Bescheidenheit verkündete: »Also Jungs, heute spielen wir nicht mit zweiundfünfzig Fetzen. Das ist ein Fünfzig-Cent-Spiel, direkt aus dem guten alten Bridgeport!«

Myron hatte gar nicht geahnt, daß man für ein Spiel Karten mehr als fünfzehn Cents zahlen konnte. Als das Paket geöffnet wurde, beugte er sich vor, um die Kartenrücken zu sehen. Da waren nicht rote und weiße Schnörkel wie auf den Karten, die er bisher gesehen hatte, sondern richtige Bilder, künstlerische Bilder – eine Mondsichel, und daran gelehnt ein liebreizendes junges Weib, das, wie Myron fand, mangelhaft bekleidet war.

Nun konnte er keinen Vorwand mehr finden, noch zu bleiben. Aber er kam ein halb dutzendmal wieder, um, unaufgefordert, das Eiswasser zu erneuern, und einmal, sehr heftig aufgefordert, um noch zwei Flaschen »Old Taylor« zu bringen. Für gewöhnlich lag er um halb elf im Bett und stand um halb sechs auf, heute abend aber wohnte er dem großartigen und abenteuerlichen Erlebnis des Spiels bei und wurde Zeuge von manchen Momenten des Titanenkampfes.

Er kam um Mitternacht mit Eiswasser herein und sah, wie J. Hector und Ed Stuart einander mit dem Ausdruck entschlossener Ausdruckslosigkeit belauerten. Die anderen drei hatten ihre Karten weggelegt und sahen mit einem ehrfurchtähnlichen Gefühl zu. »Ganz netter kleiner Pott«, flüsterte Dummy Dumbolton Myron zu; » bloß fünfundsechzig Dollar!«

»Fünf–und–sechzig Dollar!« ächzte Myron.

Ed Stuart war kein wehrloses Opfer J. Hectors. Er war selbst ein ziemlich homerischer Kämpe, und in den Straßen und Ländereien und geheimen Plätzen Black Threads erzählte man sich von ihm, er wäre einmal sechsunddreißig Stunden ununterbrochen bei einer Pokerpartie in Beulah gesessen. Und er war das, was in Black Thread als »ganz gehörig wohlhabend« galt; er war nicht nur Stationsvorsteher, er war auch Mitinhaber des Fahrradgeschäftes und Besitzer von hundertsechzig Morgen Land im Norden der Stadt, das er verpachtete. Und doch klang seine Stimme jetzt ein wenig schärfer, während die J. Hectors noch immer sanft wie Mayonnaise war.

»Erhöhe um zwei Dinger«, krächzte Ed, sich den Kragen aufknöpfend.

» Und zwei!« flötete J. Hector.

Myron, der jene Eigenschaft des Unsichtbarseinkönnens hatte, die die Kellner manchmal erniedrigt und ihnen manchmal zum Schutz dient, konnte ihre Blätter sehen. Ed Stuart hatte ein Füll House, während J. Hector voll Liebe mit der Piquevier, der Karosieben, der Karoacht, dem Herzjungen und der Treffdame dasaß, einer Kombination, die dem absoluten Nullpunkt gleichkam.

Ed starrte nochmals in seine Karten; er vergaß ganz und gar die hochgeschätzte Tugend, völlig idiotisch auszusehen; er warf J. Hector einen ängstlichen Blick zu und sagte zaudernd: »Na, noch zwei kleine.«

»Und fünfzehn harte Dollar mehr!« lachte J. Hector vergnügt.

»Ach verflucht, nimm den Pott!« rief Ed wehmütig, und während J. Hector bescheiden seine Kätzchen und Hündchen auf den Tisch legte, ganz widerwillig eines nach dem andern, ehrten die Spieler den großen J. Hector Warlock mit Gebrüll.

 

Um ein Uhr hatten sie nur noch die Unterhemden an (zwei aus rotem Flanell, zwei aus irischer Baumwolle, und J. Hectors elegantes aus weicher Wolle und Seide). Um zwei Uhr sprachen sie mit heiserer und gepreßter Stimme, und J. Hector bestach Myron (was gar nicht nötig gewesen wäre) hinunterzugehen, sich einer Gesetzesübertretung schuldig zu machen und noch eine Flasche »Old Taylor« heraufzubringen. Um drei Uhr hatte sich J. Hectors Gewinn von vierundsiebzig Dollar auf fünfzig Cent verringert, aber er sah nicht, wie Ed Stuart, niedergeschlagen aus, er hatte rote Augen, und sein üppiges Haar fiel ihm in die Stirn, aber er war gutmütig. Er allein schien in dem Vorgang wirklich ein Spiel zu sehen, das eine entfernte, aber durchaus feststellbare Verwandtschaft mit Vergnügen hatte. Er brummte Myron zu: »Du lieber Himmel, Junge, du solltest längst im Bett sein! Wir halten dich wohl auf? Geh jetzt schlafen!«

»Ach herrje, es macht gar nichts. Ich möchte beim Spielen zusehen.«

»Geht in Ordnung, Captain, du bist der Chef hier. Kein kluger Reisender mischt sich in die Angelegenheiten eines Karawanserei-Wirtes ein. Man kann nie wissen, wann man ihn braucht –«

»Halloh, spielst du Poker, Heck, oder hältst du einen Schulvortrag?« knurrte Ed Stuart.

»– wann man den Direktor braucht, damit er nicht viel über die Haarnadeln im Bett redet. Aber wenn du schon aufbleiben willst, Myron, wie wär's, wenn du uns ein paar Eier braten würdest – oder Flußpferdohren oder was gerade zur Hand ist?«

»Wird sofort gemacht, Mr. Warlock!«

Als Myron mit einem gewaltigen Tablett hereingesegelt kam, auf dem er Rühreier, Schinkenspeck, Toast, Kaffee und das von seiner Mutter alljährlich gemachte Holzapfelgelee hereinbrachte, verletzte J. Hector alle geheiligten Überlieferungen, er sprang inmitten eines Spiels auf, klopfte Myron auf die Schulter und erklärte: »Na, beim großen hüpfenden Hieronymus! Du bist der beste Nachtportier, den ich in meinem ganzen Leben gesehen hab, Myron! George Boldt soll sich vorsehen; in fünf Jahren oder sowas wirst du das Waldorf leiten! Nanu, was ist denn passiert?«

»Ach, ich weiß nicht, was ich in Rechnung stellen soll. Gewöhnlich sind's fünfundzwanzig Cent, wenn ein Gast ein Frühstück kriegt, weil er den späten Gemischten oder den Sechs-Uhr-sieben nach Bridgeport kriegen will.«

»Also weiß Gott, dann wollen wir mal sagen, zwei Dollar – das ist vierzig pro Mann und Nase für das Futter – und da sind fünfzig Cent für dich, Myron.«

»Ach, ich kann nicht – –«

»Quatsch, natürlich kannst du! Da!« Er schob Myron mit Gewalt zweieinhalb Dollar in die Tasche, drehte ihn herum, stieß ihn zur Tür hinaus und kommandierte freundlich: »Jetzt gehst du in die Klappe, oder es tut sich allerhand, und wenn ich dich schnarchen oder mit den Wanzen raufen hör, komm ich rauf, und dann tut sich erst recht allerhand! Du verschwindest! Meinen Segen, mein Sohn; du hast uns blendend versorgt!«

Myron stand vor der Tür draußen und verrichtete ein stilles Gebet: »Das ist der feinste Kerl, den ich kenne!« Verschlafen verglich er J. Hector mit dem in seiner trübseligen und schwerfälligen Weise respektablen Trumbull Lambkin, mit der schnippisch-überlegenen Julia, mit dem ebenso gearteten Herbert Lambkin, mit dem niederdrückend fleißigen Mr. Barstow, dem Möbelhändler gegenüber, und mit seinem schwächlichen und reizbaren Vater, mit dem hochmütigen Ora und sogar mit der stets in beunruhigender Weise geheimnisvoll lächelnden Miss Absolom.

»Er ist einfach großartig!« sagte Myron.

Das war um halb drei. Um Viertel vor fünf fand Mr. Dummy Dumbolton, als er, sich nicht gerade recht wohl fühlend, mit Schlagseite durch den Flur von dem prächtigen Doppelzimmer Nr. 4 zu seinem eigenen, bescheideneren Zimmer kreuzte, Myron in einem Stuhl mit ausgebauchter Lehne vor seiner Tür schlafend. Dummy betrachtete angestrengt diese Erscheinung. Sie war ein Teil der großen Unwirklichkeit, die seit der letzten halben Stunde die Welt in Nebel hüllte. Myron fuhr mit einem Ruck hoch, war sofort wach und fragte: »Hat er gewonnen, Mr. Dumbolton, hat er gewonnen?«

»Wer hat gewonnen – was gewonnen?« gurgelte Dummy hervor.

»Mr. Warlock. Hat er gewonnen?«

»Ja – paar – glaube, paar, paar Dollar. G'Nacht … O mein Gott!«

Es war für Myron zu spät, schlafen zu gehen; er wäre dann nur beim Aufstehen um so müder gewesen. In dreiviertel Stunden begann ohnedies sein Dienst. Er ging schwankend in die Küche hinunter, ließ das Wasser ablaufen, bis es eiskalt war, und hielt den Kopf darunter; nachher begann er mit gar nicht großer Unlust auszufegen. Er wußte, daß die drei einheimischen Gladiatoren gemeinsame Sache gegen J. Hector gemacht hatten und daß J. Hector, wenn er überhaupt etwas gewonnen hatte, sehr tüchtig gewesen sein mußte. Myron hatte das Gefühl, in dieser Nacht zusammen mit seinem Idol triumphiert zu haben.

Um sechs Uhr pfiff er vergnügt, war hell wach und munter, und das mußte auch so sein, denn die Fähigkeit, den ganzen Tag und die ganze Nacht und wieder den ganzen Tag vergnügt aufzubleiben, ist wahrscheinlich in viel höherem Maße als alle technischen Tricks oder profundes Studium das Geheimnis der Hotelleiter, Ärzte, Schiffskapitäne, Flieger, Schmuggler und Bräutigame.

 

Als Myron mittags aus der Schule nach Hause kam, saß J. Hector mit roten Augen, aber lustig und vergnügt in einem ledergepolsterten Schaukelstuhl in der Halle.

»Morgen, Captain. Überhaupt noch zum Schlafen gekommen?« rief J. Hector.

»Ach klar, ausgiebig!«

»Na, von mir kann ich das nicht sagen. Das habe ich heute so 'n bißchen gemerkt, wie ich dem Bruder Hickman eine Serie Kühlschränke in seinem Laden verkaufen wollte und mich dabei erwischte, wie ich ihm erzählte, daß sie mit Kohle, Holz oder alten Fetzen betrieben werden können und für Schmoren, Braten und Backen einfach unübertrefflich sind. Na ja – – Sag mal, das war ne feine Mahlzeit, die du uns heute nacht gebracht hast. Hab ich dafür bezahlt?«

»Jawohl. Sagen Sie, ah, sagen Sie, Mr. Warlock –« Myron brachte den Mut auf, sich neben J. Hector zu setzen und sich ihm anzuvertrauen. »Sagen Sie, meinen Sie, daß die Hotelbranche was Gutes ist? Oder finden Sie, daß man, wenn man so bißchen ehrgeizig ist, sich eigentlich dran machen sollte, Bankier oder Fabrikant oder Doktor oder sowas zu werden?«

»Paß mal auf, mein Sohn! Dir hat jemand einreden wollen, daß die Hotelbranche nicht vornehm und fein genug ist, was? Dem, der das probiert hat, kannst du sagen, er soll sich einmarinieren lassen! Vornehm! Paß mal auf, mir hat jemand erzählt, das war ein College-Professor oder sowas, den ich im Eisenbahnzug kennengelernt hab, also der hat mir bewiesen, daß die Ärzte früher auch Barbiere waren, und daß die Leute sie nicht gerade sehr hoch eingeschätzt haben. Sie waren so ziemlich auf einer Stufe mit nem drittgradigen Aushilfsdienstmädel. Und jetzt, du lieber Himmel, wenn ein Chirurg dir die Gnade erweist, dich aufzuschneiden, dann könntst du meinen, es war der König von Frankreich! Die Hotelbranche – na ja, bis jetzt war nicht sehr viel dran, weil die Hotels – Herbergen bat man sie genannt und Gasthöfe und so weiter – sie haben ja nicht viel getaugt. Aber das ändert sich jetzt alles. Ich sage dir, meiner Meinung nach wird bald eine Zeit kommen, in der wird's Hotels geben, die noch größer und feiner sind als das Waldorf, und dann, wenn die Hotels besser werden, werden auch die Hoteliers wichtiger. Ne ganze Menge piekfeine Leute werden den eigenen Haushalt satt kriegen und in Hotels ziehen. Das wird eine der wichtigsten Branchen in unserem Lande sein, und die größten Tiere werden dazu gehören.

Und ob Hotels nützlich sind, also, ich kann dir bloß sagen, man muß Reisender sein, um ein Hotel würdigen zu können – man kommt ganz müde und naß und elend von dem Eisenbahngeruckel und dem Ruß an und kriegt ne gute heiße Tasse Kaffee, wie Mutter Weagle ihn kocht, und ein gutes, sauberes Bett wie hier – obwohl ihr euch wirklich mal Matratzen anschaffen könntet, die was taugen, statt diesem klumpigen Zeug. Aber das ist bloß n Spaß. Was Wichtigeres – und auch Interessanteres – könntest du gar nicht tun; du lernst alle möglichen Menschen kennen und kriegst sie sozusagen zu sehen, wenn sie das Hemd ausgezogen haben; du siehst den Senator besoffen und den Provinzbankier bei Rendezvous, die er um jeden Preis geheim halten will. Und du gehörst ins Hotel; du hast richtig angefangen. Es hat wohl noch nie einer die Hotelbranche gelernt, bis in jede kleinste Einzelheit, wenn er nicht unterm Küchenausguß auf die Welt gekommen ist und seine ersten Zähne im Büro mit den unbezahlten Rechnungen gekriegt hat! Mach das nur, Junge! Du wirst ne ganze Menge lernen müssen. Du wirst in alle möglichen Hotels gehen müssen, die größer sind als das hier – zum Beispiel in Bridgeport – das ist die größte Stadt ihrer Größe in den USA! Du wirst Buchführen und Einkaufen lernen müssen; nicht bloß so mal rüberspringen und ein Beefsteak holen, wie du's hier machst, sondern mit großen Lieferfirmen verhandeln, um, sagen wir mal, tausend Messer und Gabeln, hundert Puter, fünf Fäßchen Austern – du wirst dahinter kommen müssen, wie man Verhandlungen führt und sich dabei durchsetzt. Du wirst Manieren lernen müssen – wirst lernen müssen, wie man Leuten gegenüber, die einen über's Ohr hauen wollen, ein Pokergesicht aufsetzt. Jetzt bist du natürlich noch n Junge, aber sogar dafür bist du viel zu offenherzig; ich kann dir immer sofort sagen, ob du vergnügt bist oder n bißchen gekränkt. Du wirst alles verstehen müssen von Porzellan und Silber und Glas und Leinen und Brokatstoffen und den besten Hölzern für Fußböden und für Möbel. Ein Hoteldirektor muß eine Kombination sein aus Hausfrau, Küchenchef, Rausschmeißer, Arzt für Notfälle, Amme, Rechtsanwalt, und zwar einer, der davon, was ein Gast darf und was nicht, und was er vom Gepäck von Durchgängern mit Beschlag belegen darf, mehr versteht als der Oberste Gerichtshof selber, und dann muß er noch Tapezierer sein, wandelndes Adreßbuch, das auswendig weiß, ohne nachzusehen, wo die und die Baptistenkirche ist und um welche Zeit das Standesamt aufmacht und wann der Lokalzug nach Hick Junction abgeht. Er muß diplomierter Buchsachverständiger sein, Sprachlehrer, Eilwäscher, Installateur, Heizungssachverständiger, Zimmermann, Redner, Autorität auf dem Gebiet der Wichtigkeit von Hinterwäldler-Senatoren und Vortragsreisenden, die auf eine Nacht kommen und erwarten, daß man schon einen roten Teppich für sie über die Straße gelegt hat, Detektiv muß er sein, der jedem Weib an den Ohren ansieht, ob sie auch wirklich mit dem Kerl verheiratet ist oder nicht, und Geldverleiher – nur kriegt er keine Zinsen und hat keine Sicherheit. Er muß sich anziehen wie ein Bonvivant, und wenn er auch nur einen Nickel in der Tasche hat. Er muß imstande sein, einer Kuh am Muhen anzuhören, ob sie gute Steaks liefern wird oder nicht. Er muß mehr von Wein und Zigarren verstehen als die Leute, die sie machen – die können sich rumspielen und Experimente machen, aber er muß sie verkaufen. Und außerdem und vor allem muß er ein Diplomat sein, an dem gemessen Thomas F. Bayard aussehen würde wie John L. Sullivan auf einem kleinen Bummel. Er muß eine Tafel führen können wie ein Vanderbilt und doch die Pfennige zusammenhalten wie ein jüdischer Hausierer. Wenn du das alles kannst, wirst du's gut haben. Mach dich nur ran, Captain. Na, ich will jetzt mal reingehen und was essen.«

Nie wieder, abgesehen von gelegentlichen schwachen Stunden, strebte Myron danach, etwas anderes zu werden als Hotelier – ein großer Hotelier der künftigen fabelhaften Tage der Nach-Waldorf-Ära.


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