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Zweiunddreißigstes Kapitel

1

An einem Novemberabend, als Kennicott über Land war, klingelte es; Carola öffnete und fand zu ihrer Verwirrung Erik an der Tür, gebeugt, ein Flehen in den Augen, die Hände in den Manteltaschen. Als hätte er es auswendig gelernt, beschwor er sie:

»Ich hab' Ihren Mann wegfahren sehen. Ich muß mit Ihnen sprechen. Ich kann es nicht aushalten. Gehen Sie mit mir spazieren. Ich weiß! Man wird uns vielleicht sehen. Aber vielleicht doch nicht, wenn wir weiter hinausgehen. Ich werde beim Speicher auf Sie warten. Und wenn's auch lange dauert – Oh, kommen Sie schnell!«

»In ein paar Minuten«, versprach sie.

Sie murmelte: »Ich werd' nur eine Viertelstunde mit ihm reden und wieder nach Haus gehen.«

Sie fand ihn im Schatten des Weizenspeichers, wie er verdrossen mit seiner Fußspitze das Gleis bearbeitete. Als sie sich ihm näherte, glaubte sie zu sehen, daß sein ganzer Körper sich dehnte. Aber sie sagten beide nichts; er streichelte ihren Ärmel, sie den seinen, sie überquerten den Eisenbahndamm, kamen auf eine Straße und gingen ins Land hinaus.

»Eine kalte Nacht, aber ich hab' dieses melancholische Grau gern«, sagte er.

»Ja.«

Sie kamen an einer traurigen Baumgruppe vorbei und stapften auf der nassen Straße weiter. Er nahm ihre Hand in die Seitentasche seines Mantels. Sie griff nach seinem Daumen und hielt ihn, seufzend, genau so, wie Hugh den ihren hielt, wenn sie spazierengingen. Sie dachte an Hugh. Das Mädchen, das sie gerade hatte, war wohl im Haus, aber war es ganz ungefährlich, ihr das Kind zu überlassen? Der Gedanke war ganz fern und flüchtig.

Erik begann langsam zu sprechen. Er entwarf ihr ein Bild von seiner Arbeit in einer großen Schneiderwerkstatt in Minneapolis: der Dampf, die Hitze, die Plackerei. »Aber ich bin immer in die Kunstsammlungen und in die Walker-Galerie gegangen, ich hab' Spaziergänge um den Harrietsee gemacht oder bin zu Gates hinaus und hab' mir vorgestellt, es wäre ein Schloß in Italien, in dem ich wohne. Ich war ein Marquis und sammelte Gobelins – das war, nachdem ich in Padua verwundet worden war. Nur einmal ist es wirklich schlimm geworden, das war, wie ein Schneider, Finkelfarb, ein Tagebuch, das ich geführt hab', gefunden und in der Werkstatt laut vorgelesen hat – das hat 'ne böse Keilerei gegeben.« Er lachte. »Fünf Dollar sind mir aufgebrummt worden. Aber das ist jetzt alles vorbei. Mir scheint, Sie stehen zwischen mir und den Gasöfen – den langen Flammen mit purpurroten Rändern, die um die Eisen lecken und den ganzen Tag dieses höhnende Geräusch machen – eeeeeeih! … Sagen Sie, äh – Carola, ich hab' ein Gedicht über Sie geschrieben.«

»Das ist nett. Lassen Sie mal hören.«

»Verdammt noch einmal, seien Sie nicht so gleichgültig! Können Sie mich denn nicht ernst nehmen?«

»Mein lieber Junge, wenn ich Sie ernst nähme –! Ich will nicht, daß wir uns noch mehr weh tun als – als wir ohnedies müssen. Sagen Sie mir das Gedicht. Es ist noch nie ein Gedicht über mich geschrieben worden!«

»Es ist eigentlich kein Gedicht. Es sind nur ein paar Worte, die ich liebe, weil ich glaube, daß sie erfassen, was Sie sind. Natürlich, auf andere Leute werden sie nicht so wirken, aber – Also –

›Klein und zärtlich und heiter und klug
Mit Augen, die in meine Augen sehen.‹

Verstehen Sie's so, wie ich?«

»Ja! Ich bin schrecklich dankbar!« Und sie war dankbar – während sie sachlich konstatierte, wie schlecht es war.

Die Lichter eines Automobils wuchsen zauberhaft schnell; waren über ihnen; blieben plötzlich stehen. Aus dem Dunkel hinter der Windschutzscheibe kam eine Stimme hervor, geärgert, scharf: »Heda, ihr!«

Sie merkte, daß es Kennicott war.

Der Ärger in seiner Stimme legte sich. »Spazieren gegangen?«

Sie gestanden es ein wie Schulkinder.

»Hübsch naß, was? Besser, ihr fahrt zurück. Kommen Sie da vorn rauf, Valborg.«

Wie er die Tür aufmachte, das war ein Befehl. Carola sah, daß Erik hineinstieg, daß sie wohl im Fond sitzen sollte, und daß man es ihr überlassen hatte, sich selbst den Schlag zu öffnen. Im Nu war das Wunder, das über den stürmischen Himmel geflammt hatte, erloschen, und sie war Frau W. P. Kennicott aus Gopher Prairie, fuhr in einem klappernden alten Automobil und hatte wahrscheinlich eine Predigt von ihrem Mann zu erwarten.

Sie hatte Angst davor, was Kennicott zu Erik sagen würde. Sie beugte sich vor. Kennicott bemerkte: »'s wird wohl regnen, bevor die Nacht vorüber ist.«

Als sie zu Hause waren, kam es:

»Also, Carrie, es wär' gescheiter« – er warf seinen Mantel auf einen Sessel, ging auf sie zu und sprach mit etwas lauterer, erregter Stimme weiter – »es wär' gescheiter für dich, jetzt Schluß zu machen. Ich will nicht den empörten Ehemann spielen. Ich hab' dich gern und achte dich, und wahrscheinlich würd' ich wie ein Trottel aussehen, wenn ich dramatisch werden wollte. Aber ich glaub', es ist Zeit, daß du und Valborg haltmacht, bevor ihr in den Dreck kommt wie Fern Mullins.«

»Bitte! Du mußt wissen, daß ich dir heute abend alles erzählen wollte.«

»Na, da wird wohl nicht so viel zu erzählen sein.«

»Doch. Ich hab' Erik lieb. Er beschwört etwas da drinnen.« Sie faßte sich an die Brust. »Und ich bewundere ihn. Er ist nicht bloß ein ›junger schwedischer Farmer‹. Er ist ein Künstler –«

»Warte! Er hat den ganzen Abend Gelegenheit gehabt, dir zu erzählen, was für ein mordsfeiner Kerl er ist. Jetzt bin ich dran. Ich kann nicht von Kunstsachen daherreden, aber – Carrie, verstehst du denn meine Arbeit?« Er beugte sich vor, dicke tüchtige Hände auf dicken, kräftigen Schenkeln, reif und langsam, doch beschwörend. »Und wenn du auch kalt bist, ich hab' dich lieber als sonst wen auf der ganzen Welt. Einmal hab' ich gesagt, du bist meine Seele. Und das gilt auch noch jetzt. Begreifst du, wie's mit meiner Arbeit ist? Vierundzwanzig Stunden am Tag lauf ich rum, in Dreck und Schnee, und tu', was ich kann, um alle Menschen gesund zu machen, reich und arm. Du – die du immer so viel von Wissenschaftlern redest, die die Welt regieren sollten – kannst du denn nicht sehen, daß ich die ganze Wissenschaft bin, die's hier gibt? Und ich kann die Kälte und die holprigen Straßen und die einsamen Fahrten in allen Nächten aushalten. Ich muß nur dich hier zu Hause haben, von dir begrüßt werden. Ich erwarte nicht, daß du leidenschaftlich bist – wenigstens jetzt nicht mehr – aber ich erwarte, daß du meine Arbeit anerkennst. Ich bring' Kinder in die Welt und rette Leben und schaff s, daß verdrehte Ehemänner aufhören, ihre Frauen schlecht zu behandeln. Und dann stellst du dich hin und himmelst über einen schwedischen Schneider, weil er davon reden kann, wie man Rüschen an einen Rock näht! Auch 'ne Sache, daß 'n Mann sich damit abgibt!«

Sie schleuderte ihm entgegen: »Du machst alles von deiner Seite klar. Jetzt hör' auch mich an. Ich geb' alles zu, was du sagst – nur nicht das von Erik. Aber seid denn nur ihr es, du und das Kind, die mich brauchen, die etwas von mir verlangen? Sie sind alle hinter mir her, die ganze Stadt! Ich kann ihren heißen Atem in meinem Hals spüren! Tante Bessie und dieser scheußliche, geifernde Onkel Whittier und Juanita und Frau Westlake und Frau Bogart und alle miteinander. Und dir sind sie recht, du unterstützt sie darin, daß sie mich in ihr Loch hineinziehen! Das will ich mir nicht gefallen lassen! Hörst du? Jetzt, gerade jetzt, hab' ich genug. Und Erik gibt mir den Mut dazu. Du sagst, er denkt nur an Rüschen (die übrigens gewöhnlich gar nichts an Röcken zu suchen haben!). Ich sage dir, er denkt an Gott, an den Gott, den Frau Bogart mit schmierigen Kattunlappen einwickelt! Erik wird einmal ein großer Mann sein, und wenn ich ein ganz klein wenig zu seinem Erfolg beitragen könnte –«

»Warte, warte, so warte doch! Halt! Du glaubst, daß es mit deinem Erik gut gehen wird. Du kannst dich drauf verlassen, wenn er so alt sein wird wie ich, wird er 'ne Schneiderwerkstatt ohne Gehilfen in irgendeinem Nest haben, das ungefähr so groß ist wie Schoenstrom.«

»Das wird er nicht!«

»Warte noch! Was hat er denn wirklich in der Kunst geleistet? Hat er 'n erstklassiges Bild gemalt oder – 'ne Skizze, wie du's nennst? Oder hat er 'n Gedicht geschrieben oder Klavier gespielt oder überhaupt irgendwas getan, außer viel dahergeredet, was er alles tun will? … Und kannst du denn nicht einsehen – du, die du so viel von Psychologie redest – kannst du denn nicht sehen, daß der Mensch nur künstlerisch wirkt, weil er so ein Kontrast zu Leuten wie Doktor McGanum oder Lym Cass ist? Nimm mal an, du würdest ihn in einem von den richtigen Ateliers in New York treffen! Er würde nicht mehr auffallen als 'n Kaninchen!«

Kennicott stand schnell auf, setzte sich auf den Diwan und nahm sie bei den Händen. »Nimm an, er versagt – was auch geschehen wird! Nimm an, er muß wieder zu schneidern anfangen, und du bist seine Frau. Wird das das künstlerische Leben sein, von dem du geträumt hast? Er ist in irgend'ner miserablen Bude und bügelt den ganzen Tag Hosen oder näht zusammengekrümmt. Ja, und jedes Jahr wirst du 'n schreiendes Balg bekommen, das an dir zupft, während du Kleider bügelst, und die Kinder wirst du nicht lieben wie Hugh da droben, der ganz flaumig ist und jetzt schläft –«

»Bitte! Red' nicht weiter!«

Ihr Gesicht lag auf seinem Knie.

Er beugte sich herab, um sie auf den Hals zu küssen. »Ich will nicht ungerecht sein. Ich glaube, Liebe ist was Großartiges, sicher. Ach, Kind, bin ich so schlecht? Kannst du mich gar nicht leiden? Ich hab' – ich hab' dich so lieb gehabt!«

Sie griff nach seiner Hand und küßte sie. Gleich darauf schluchzte sie: »Ich will ihn nie wiedersehen. Ich kann jetzt nicht. Das heiße Wohnzimmer hinter der Schneiderwerkstatt – ich lieb' ihn nicht genug, um das zu ertragen. Und du bist – Selbst wenn ich seiner sicher wäre, sicher, daß er das richtige ist – Ich glaube, ich könnte dich in Wirklichkeit doch nicht verlassen. Die Ehe bindet die Menschen aneinander, es ist nicht leicht, sie zu zerbrechen, selbst wenn sie zerbrochen werden muß.«

»Und du willst sie zerbrechen?«

»Nein!«

Er hob sie auf, trug sie die Treppen hinauf, legte sie auf ihr Bett und wandte sich zur Tür.

»Komm, gib mir einen Kuß«, schluchzte sie.

Er küßte sie flüchtig und ging davon. Eine Stunde lang hörte sie ihn in seinem Zimmer, er zündete sich eine Zigarre an, trommelte mit den Knöcheln auf einen Stuhl. Sie fühlte, daß er ein Bollwerk war zwischen ihr und der Finsternis, die dichter wurde, während der lang erwartete Schnee in dichten Flockenwirbeln herunterkam.

2

Am Abend darauf gab Kennicott ihr, ohne etwas dazu zu sagen, ein Kuvert. Der Brief war »E. V.« unterzeichnet.

»Ich weiß, ich kann Ihnen nur Ungelegenheiten bereiten, glaube ich. Ich fahre heute abend nach Minneapolis, und von dort, sobald ich kann, nach New York oder Chicago. Ich will so Großes leisten, wie ich nur kann. Ich – ich kann nicht schreiben, ich liebe Sie zu sehr. Behüt Sie Gott.«

Bis sie das Pfeifen hörte, das ihr sagte, daß der Zug nach Minneapolis ausfuhr, dachte sie nicht, bewegte sie sich nicht. Dann war alles vorbei. Sie hatte keinen Plan, gar keinen Wunsch.

Als sie gewahr wurde, daß Kennicott sie über seine Zeitung hinweg ansah, flog sie in seine Arme, warf die Zeitung zur Seite, und zum erstenmal seit Jahren waren sie wieder Liebende. Aber sie wußte, daß ihr Leben noch immer planlos war, daß sie nur immer die gleichen Straßen entlang gehen, an den gleichen Leuten, an den gleichen Läden vorübergehen würde.

3

Eine Woche nach Eriks Verschwinden erschreckte das Mädchen sie, indem sie meldete: »Ein Herr Valborg ist unten, der sagt, er will Sie sprechen.«

Nicht Erik Valborg war es, der unten stand; es war ein kleiner, graubärtiger, gelbgesichtiger Mann in dreckigen Stiefeln, Leinenjacke und roten Fäustlingen. Er sah sie mit verschmitzten roten Augen böse an.

»Sie sind die Frau vom Doktor?«

»Ja.«

»Ich bin Adolph Valborg, von Jefferson oben. Ich bin der Vater von Erik.«

»Oh!«

»Was haben Sie mit meinem Sohn gemacht?«

»Ich glaube, ich verstehe Sie nicht.«

»Sie werden mich schon noch verstehen, bevor ich fertig bin. Wo ist er?«

»Aber, tatsächlich – Ich vermute, daß er in Minneapolis ist.«

»Sie vermuten! Vermuten! Das ist 'n feines Wort! Ich will keine feinen Worte, und ich will keine Lügen mehr! Ich will wissen, was Sie wissen!«

»Hören Sie, Herr Valborg, hören Sie lieber gleich mit Ihren Grobheiten auf. Ich bin keines von Ihren Farmweibern. Ich weiß nicht, wo Ihr Sohn ist, und hab' auch gar keinen Grund, es zu wissen.«

»Ihr dreckigen Stadtweiber mit euren feinen Manieren und feinen Kleidern! Einmal soll 'n Weibsbild wie Sie die Wahrheit hören, wie ihr seid und keine feinen Stadtworte.«

»Wirklich, Herr Valborg –«

»Was haben Sie mit ihm gemacht? He? Ich will Ihnen schon sagen, was Sie gemacht haben! Er war 'n guter Junge, auch wenn er 'n verdammter Narr war. Ich will ihn wieder auf der Farm haben. Er verdient nicht genug Geld mit dem Schneidern. Und ich kann mir keinen Knecht leisten! Ich will ihn wieder auf die Farm nehmen. Und Sie kommen daher und spielen mit ihm und poussieren mit ihm, und dann bringen Sie ihn dazu, daß er durchbrennt!«

»Das ist eine Lüge! Das ist nicht wahr, daß – Es ist nicht wahr, und wenn es wahr wäre, hätten Sie auch noch kein Recht, so zu sprechen.«

»Reden Sie keinen Blödsinn. Ich weiß, was Sie gemacht haben! Aufm Land mit ihm spazierengegangen! In die Wälder gekrochen mit ihm! Ja, und in den Wäldern haben Sie wahrscheinlich über Religion mit ihm geredet. Freilich! Weiber wie Sie sind schlimmer als Straßenweiber! Reiche Weiber wie Sie, die feine Männer haben und keine anständige Arbeit – und ich, sehen Sie sich meine Hände an! Aber Sie, o Gott nein, Sie dürfen nicht arbeiten, Sie sind zu fein für anständige Arbeit. Sie müssen mit jungen Burschen spielen, die jünger sind als Sie, lachen und sich mit ihnen rumwälzen und sich benehmen wie das liebe Vieh! Sie lassen mir meinen Sohn in Frieden, verstehen Sie!« Er fuchtelte ihr mit der geballten Faust vor dem Gesicht herum. Sie konnte den Dung und den Schweiß riechen, »'s hat keinen Sinn, mit Weibern wie mit Ihnen zu reden. Aus euch kriegt man doch nicht die Wahrheit raus. Aber das nächste Mal red' ich mit Ihrem Mann!«

Er marschierte in die Diele. Carola warf sich auf ihn, packte mit der Hand seine Schulter. »Sie fürchterlicher alter Mann, Sie haben immer Erik zu einem Sklaven machen wollen, um Ihre Brieftasche zu mästen! Sie haben ihn verhöhnt und zu viel arbeiten lassen, und wahrscheinlich ist es Ihnen auch gelungen, zu verhindern, daß er noch einmal über Ihren Misthaufen hinauswächst! Und jetzt, weil Sie ihn nicht zurückschleifen können, kommen Sie her und wa – Erzählen Sie's meinem Mann, erzählen Sie's ihm, und geben Sie nicht mir die Schuld, wenn er Sie umbringt, wenn mein Mann Sie umbringt – er wird Sie umbringen –«

Der Mann brummte, blickte sie ungerührt an, sagte ein Wort und ging hinaus.

Sie hörte das Wort sehr deutlich.

Sie kam nicht ganz bis zum Diwan. Ihre Knie gaben nach, sie fiel nach vorne. Sie hörte etwas in ihr sagen: »Du bist nicht ohnmächtig geworden. Das ist lächerlich. Du spielst nur Tragödie. Steh auf.« Doch sie konnte sich nicht bewegen. Als Kennicott kam, lag sie auf dem Diwan. Er beeilte sich. »Was ist denn passiert, Carrie? Du hast ja nicht einen Tropfen Blut im Gesicht.«

Sie faßte nach seinem Arm. »Du mußt lieb zu mir sein und freundlich! Ich geh nach Kalifornien – Gebirge, Meer. Bitte, streit nicht drüber, weil ich geh.«

Ganz ruhig: »Schön. Wir gehen. Du und ich. Das Kind lassen wir hier bei Tante Bessie.«

»Gleich!«

»Na ja, sobald wir wegkönnen. Jetzt red nicht mehr. Stell' dir nur vor, wir wären schon weg.« Er streichelte ihr Haar, und erst nach dem Abendessen sprach er wieder davon: »Es war mein Ernst mit Kalifornien, aber ich glaube, 's wird besser sein, wir warten noch drei Wochen oder so was, bis ich einen jungen Menschen kriegen kann, der vom Militär entlassen ist und meine Praxis führen kann. Und wenn die Leute klatschen, brauchst du ihnen nicht Wasser auf die Mühle zu geben, indem du wegläufst. Kannst du's nicht aushalten und sie noch drei Wochen oder so ertragen?«

»Ja«, sagte sie ganz leer.

4

Vier Wochen später. Dämmerung an einem verschneiten Dezembernachmittag. Der Schlafwagen, der in Kansas City an den kalifornischen Zug angeschlossen wird, rollte aus St. Paul heraus. Carola konnte nichts sehen als graue Felder, Felder, die sie den ganzen Weg von Gopher Prairie begleitet hatten. Vorne war Dunkel.

»Eine Stunde lang, in Minneapolis, muß ich in der Nähe von Erik gewesen sein. Er ist noch dort, irgendwo. Wenn ich zurückkomme, wird er schon weg sein. Nie werde ich wissen, wohin er gegangen ist.«

Als Kennicott Licht machte, begann sie traurig die Illustrationen in einem Filmmagazin anzusehen.


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