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Achtundzwanzigstes Kapitel

1

An diesem Sonntagnachmittag war sie mit Hugh den Eisenbahndamm entlang spazierengegangen.

Sie sah Erik Valborg daherkommen, in einem alten Anzug, verdrossen, einsam vor sich hinstapfend, mit einem Spazierstock auf die Schienen schlagend. Einen Moment lang wollte sie ihm ganz sinnlos ausweichen, aber sie schritt weiter und redete heiter von Gott, dessen Stimme, wie Hugh versicherte, das Summen in den Telegraphendrähten machte. Erik starrte sie an und richtete sich auf. Sie begrüßten einander: »Hallo.«

»Hugh, sag Herrn Valborg guten Tag.«

»Oh, er hat ja einen Knopf offen«, rief Erik und kniete nieder. Carola runzelte die Stirne, dann fiel ihr auf, mit welcher Kraft er das Kind in die Luft schwang.

»Darf ich ein Stück mit Ihnen gehen?«

»Ich bin müde. Ruhen wir dort auf den Schwellen aus. Dann muß ich nach Haus gehen.«

Sie setzten sich auf einen Stapel ausgemusterter Eisenbahnschwellen. Die Telegraphendrähte summten, summten, summten über ihnen; die Schienen waren schimmernde harte Linien; das Wundkraut duftete.

Erik sprach von Büchern; er erglühte wie ein Neubekehrter. Er redete von soviel Titeln und Autoren, wie er nur konnte, und machte bloß Pausen, um zu fragen: »Haben Sie sein letztes Buch gelesen? Glauben Sie nicht, daß er ein kolossal starker Schriftsteller ist?«

Ihr schwindelte. Als er aber immer wieder fragte: »Sie sind Bibliothekarin gewesen; sagen Sie: les' ich zu viel Romane?« belehrte sie ihn. Er habe, betonte sie, niemals studiert. Er sei von Gefühl zu Gefühl gesprungen. Vor allem – sie zauderte, dann versetzte sie es ihm – dürfe er die Aussprache von Worten nicht raten wollen; er müsse, und wenn es noch so langweilig sei, ein Wörterbuch benutzen.

»Ich rede wie eine verdrehte Lehrerin«, seufzte sie.

»Nein! Und ich will lernen! Dieses verdammte Wörterbuch ganz durchlesen.« Er schlug die Beine übereinander, beugte sich vor und umklammerte mit beiden Händen sein Fußgelenk. »Ich weiß, was Sie meinen. Ich lauf' von Bild zu Bild, wie ein kleiner Junge, den man das erstemal in einem Museum losläßt. Sehen Sie, es ist noch so schrecklich neu für mich, daß ich draufgekommen bin, daß es eine Welt gibt – also, eine Welt, in der schöne Dinge was zu sagen haben. Bis zu meinem neunzehnten Jahr war ich auf der Farm. Papa ist ein guter Farmer, aber auch nichts weiter. Wissen Sie, warum er mich zuerst in die Schneiderlehre geschickt hat? Ich wollte zeichnen lernen, und er hat 'nen Vetter, der in Dakota draußen 'ne Menge Geld mit der Schneiderei verdient hat, und da hat er gesagt, Schneidern ist ganz ähnlich wie Zeichnen, und deshalb hat er mich in ein elendes Nest geschickt – Curlew – damit ich dort in einer Schneiderwerkstatt arbeite. Bis zu der Zeit hab' ich immer nur drei Monate im Jahr Schule gehabt – zwei Meilen bin ich durch kniehohen Schnee gegangen – und Papa hat mir nie ein anderes Buch erlaubt als Schulbücher.

Ich hab' nie einen Roman gelesen, bis ich ›Dorothy Vernon von Haddon Hall‹ aus der Bibliothek von Curlew bekommen hab'. Ich hab's für das Wunderschönste auf der Welt gehalten! Dann hab' ich noch einen Roman gelesen, und dann die Homerübersetzung von Pope. Das ist 'ne Zusammenstellung, was! Wie ich nach Minneapolis gekommen bin, das ist jetzt gerade zwei Jahre her, da hab' ich wohl schon so ziemlich alles gelesen gehabt, was es in der Curlew-Bibliothek gibt, aber von Rossetti oder John Sargent oder Balzac oder Brahms hab' ich nichts gehört gehabt. Aber – Ja, ich will lernen. Hören Sie! Soll ich mit dem Schneidern und Bügeln und Flicken aufhören?«

Seine demütige Bescheidenheit machte sie klein; jeden Gedanken daran, ob nicht vielleicht sie die Naive sei, schob sie beiseite, weil sie sich jetzt nicht damit aufhalten wollte. Sie mahnte ihn: »Und was, wenn Sie wieder zurück müssen? So geht es den meisten von uns! Wir können nicht alle Künstler sein – ich selbst zum Beispiel. Wir müssen Socken stopfen, und doch befriedigt es uns nicht, nur an Socken und Wolle zu denken. Ich würde alles verlangen, was ich kriegen kann – ganz gleich, ob ich schließlich dazu komme, Kleider zu entwerfen, Tempel zu bauen oder Hosen zu bügeln. Und wenn Sie wirklich zurück müssen? Dann haben Sie das Erlebnis gehabt. Seien Sie nicht zu kleinmütig in Ihren Ansprüchen an das Leben! Gehen Sie! Sie sind jung, Sie sind ledig! Versuchen Sie alles! Hören Sie nicht auf Nat Hicks und Sam Clark, seien Sie kein ›gesetzter junger Mann‹ – der ihnen Geld verdienen hilft. Sie sind noch eine gesegnete Unschuld. Gehen Sie und spielen Sie, bis die guten Menschen Sie einfangen!«

»Aber ich will nicht nur spielen. Ich will etwas Schönes tun … Aber, Herrgott, sehen Sie sich die Felder da an. Groß! Neu! Sieht's nicht so aus, als ob's eine Schande wär', das zu lassen und nach dem Osten und nach Europa zurückzugehen und zu tun, was alle die Leute schon solang getan haben. Worte klauben, wenn es hier Millionen Scheffel Weizen gibt! Diesen Pater lesen, wo ich Papa geholfen hab', Felder roden!«

»Felder roden ist gut. Aber es ist nichts für Sie. Oh, ich will durchaus nicht die Zukunft der Prärie leugnen. Aber: Sam Clark und Nat Hicks, das ist das Resultat unserer großen Neuheit. Gehen Sie! Bevor es zu spät ist, wie für – für manche von uns. Junger Mann, gehen Sie nach dem Osten und entwickeln Sie sich mit der Revolution! Dann können Sie vielleicht zurückkommen und Sam und Nat und mir erzählen, was sich mit dem Land machen läßt, das wir gerodet haben – wenn wir Sie anhören – wenn wir Sie nicht vorher lynchen!«

Er blickte sie verehrungsvoll an. Sie glaubte ihn sagen zu hören: »Ich habe immer eine Frau kennenlernen wollen, die so zu mir spricht.«

Ihr Gehör täuschte sie. Er sagte nichts Derartiges. Er sagte:

»Warum sind Sie nicht glücklich mit Ihrem Mann?«

»Ich – Sie –«

»Ihm liegt nichts an dem ›gesegneten Unschuldigen‹ in Ihnen, was?«

»Erik, Sie dürfen nicht –«

»Erst sagen Sie mir, ich soll gehen und frei werden, und dann sagen Sie, ›Sie dürfen nicht‹!«

»Ich weiß. Aber Sie dürfen nicht – Sie müssen sachlicher sein!«

Wie eine flaumige junge Eule sah er sie mit großen Augen an. Sie war nicht sicher, aber sie glaubte ihn murmeln zu hören: »Der Teufel soll mich holen, wenn ich das tu'.« Sie dachte mit gesunder Furcht daran, wie gefährlich es ist, sich mit den Geschicken anderer Menschen zu befassen, und sagte ängstlich: »Wir müßten uns eigentlich jetzt auf den Rückweg machen.«

Er träumte: »Sie sind jünger als ich. Ihr Mund ist dazu geschaffen, von Flüssen im Morgenlicht und Seen in der Abenddämmerung zu singen. Ich wüßte nicht, wie jemand es über sich bringen könnte, Sie zu kränken … Ja. Es ist besser, wir gehen.«

Mit abgewendeten Augen stapfte er neben ihr einher. Hugh versuchte mit seinem Daumen zu spielen. Ernsthaft nickte er zu dem Kind hinunter. Dann brach er los: »Gut. Ich werd's tun. Ein Jahr werd' ich hierbleiben. Sparen. Nicht soviel Geld für Kleider ausgeben. Und dann geh' ich nach dem Osten an die Kunstschule. So werd' ich arbeiten – Schneideratelier oder Damenschneiderei. Ich werde rausbekommen, was ich kann: Kleider entwerfen, Bühnenbilder machen, illustrieren oder dicken Herren Kragen verkaufen. Alles klar.« Er starrte sie an, ohne zu lächeln.

»Können Sie's hier im Ort ein ganzes Jahr aushalten?«

»Wenn ich Sie zum Anschauen hab'?«

»Bitte! Ich habe gemeint: halten die Leute hier Sie nicht für einen absonderlichen Menschen? (Mich halten sie dafür, kann ich Ihnen versichern!)«

»Ich weiß nicht. Ich seh' so was fast nie. Ach, die Leute ziehen mich damit auf, daß ich nicht Soldat bin – besonders die alten Veteranen, die alten Knacker, die selber zu Haus bleiben. Und der Sohn von Herrn Hick – das ist ein schauderhafter Bengel. Aber wahrscheinlich hat er ein Recht, zu sagen, was er vom Angestellten seines Vaters hält!«

»Er ist ekelhaft!«

Sie waren wieder in der Stadt. Sie kamen an Tante Bessies Haus vorbei. Tante Bessie und Frau Bogart standen am Fenster, und Carola sah, daß die beiden vor angestrengtem Glotzen nur mit automatenhaft steifen Handbewegungen ihren Gruß erwiderten. Im nächsten Block starrte Frau Dr. Westlake von ihrer Veranda heraus. Carola sagte voll Unbehagen:

»Ich muß hineingehen, nach Frau Westlake sehen. Ich sage Ihnen also hier Adieu.«

Sie wich seinen Blicken aus.

Frau Westlake war sehr freundlich. Carola spürte, daß sie auf Erklärungen wartete; und während sie sich vornahm, sie würde sich eher aufhängen, als Erklärungen abgeben, erklärte sie:

»Hugh hat sich am Eisenbahndamm an den Valborg herangemacht. Sie sind recht gute Freunde geworden. Ich habe mich auch eine Zeitlang mit ihm unterhalten. Man hat mir erzählt, daß er exzentrisch ist, aber ich habe ihn wirklich recht vernünftig gefunden. Er hat nicht übermäßig viel Geschmack, aber er liest – er liest fast so wie Doktor Westlake.«

»Das ist schön. Warum bleibt er hier in dem Nest? Was ist denn das, ich hab' gehört, daß er sich für Myrtle Cass interessiert?«

»Ich weiß nicht. So? Ach, sicher nicht! Er hat gesagt, er sei ganz einsam! Außerdem ist Myrtle noch ein kleines Ding!«

»Ihr fehlt nicht mehr viel auf einundzwanzig!«

»Na – Geht der Doktor in diesem Herbst auf die Jagd?«

2

Sie war nicht sehr zufrieden, als Erik sich in der nächsten Woche unabhängig zeigte und, ohne um ihre Anregung zu bitten, auf den Gedanken kam, ein Tennisturnier zu veranstalten. Es stellte sich heraus, daß er in Minneapolis spielen gelernt hatte; daß er gleich nach Juanita Haydock das beste Service im Ort hatte.

Man hatte Erik in Flanellhosen, mit einem imitierten Panama, auf dem fast nie benutzten Tennisplatz mit Willis Woodford, dem Angestellten in Stowbodys Bank, spielen sehen. Plötzlich ging er umher, sprach von einer Reorganisation des Tennisklubs und schrieb Namen in ein Fünfzehncent-Notizbuch, das er für diesen Zweck bei Dyer gekauft hatte. Als er zu Carola kam, war er so begeistert davon, Organisator zu sein, daß er mehr als zehn Minuten lang nicht von sich und Aubrey Beardsley sprach. Er bat: »Wollen Sie zusehen, daß noch ein paar Leute dazukommen?« Und sie nickte ihm freundlich zu.

Er schlug zunächst ein öffentliches Match vor, das Reklame für den Klub machen sollte; er meinte, Carola und er selbst, die Haydocks, die Woodfords und die Dillons sollten Doppel spielen; aus den begeisterten Zuschauern könnte dann der Klub gebildet werden.

Im Laufe der Woche hörte Carola, daß eine erlesene Zuschauerschar dort sein würde. Kennicott brummte, ihm läge nichts daran, hinzugehen.

Ob er etwas dagegen einzuwenden habe, daß sie mit Erik spiele?

Nein; warum denn; sie brauche Bewegung.

Carola ging früh zum Match. Der Platz lag in einer Wiese an der Landstraße. Nur Erik war da. Er arbeitete mit einem Rechen herum und bemühte sich, den Platz in einen weniger ackerähnlichen Zustand zu bringen. Willis und Frau Woodford kamen, Willis in hausgenähten Knickerbockers und schwarzen Turnschuhen, die vorn durchgestoßen waren; dann erschienen Doktor und Frau Harvey Dillon, Leute, die ebenso harmlos und dankbar waren wie die Woodfords.

Sie warteten.

Das Match war auf drei Uhr angesetzt. Als Zuschauer versammelten sich ein Kaufmannsjunge, der mit seinem Lieferwagen stehenblieb und vom Sitz aus glotzte, und ein feierlich aufgeregter kleiner Junge, der seine noch kleinere Schwester nach sich zog.

»Wo nur die Haydocks bleiben? Die sollten sich doch wenigstens zeigen«, sagte Erik.

Carola lächelte ihm ermutigend zu und blickte die leere Straße entlang. Nichts als Hitzewellen und Staub und staubiges Gras.

Um halb vier war noch immer niemand gekommen, der Kaufmannsjunge entfernte sich widerwillig, kurbelte seinen Ford an, blickte die Wartenden enttäuscht an und ratterte davon. Der kleine Junge und seine Schwester aßen Gras und seufzten.

Die Spieler taten so, als mache es ihnen Freude, Bälle zu schlagen, fuhren aber zusammen, so oft sich die Staubwolke eines Automobils zeigte. Keiner der Wagen bog in die Wiese ein – bis drei Viertel vier, als Kennicott hereinfuhr.

Carola schwoll das Herz. »Wie gut er ist! Auf ihn kann man sich verlassen! Er mußte ja kommen, wenn auch sonst niemand. Obwohl ihm gar nichts am Spiel liegt. Der liebe Kerl!«

Kennicott stieg nicht aus. Er rief: »Carrie! Harry Haydock hat mir telephoniert, sie haben beschlossen, das Tennismatch, oder wie ihr's nennt, unten bei den Häuschen am See abzuhalten, nicht hier. Sie sind jetzt alle dort draußen: die Haydocks, die Dyers und Clarks und alle. Harry wollte wissen, ob ich dich hinausbringen kann. Ich glaub', so viel Zeit hab' ich schon – gleich nach dem Abendessen wollen wir dann nach Haus.«

Bevor Carola klug daraus werden konnte, stammelte Erik: »Wieso, Haydock hat mir von der Änderung nichts gesagt. Natürlich ist er der Klubleiter, aber –«

Kennicott sah ihn verständnislos an und brummte: »Davon weiß ich nichts … Kommst du, Carrie?«

»Nein! Das Match sollte hier stattfinden, und hier wird's auch sein! Du kannst Harry Haydock sagen, daß er ein ekelhafter Lümmel ist!« Sie sammelte die fünf, die ausgestoßen worden waren, die immer ausgestoßen bleiben würden. »Kommt! Wir wollen losen, wer von uns das erste und einzige diesjährige Tennisturnier von Forest Hills, Del Monte und Gopher Prairie spielt!«

»Ich weiß nicht, ob ich dir's übelnehmen kann«, sagte Kennicott. »Wir essen also zu Hause um zehn?« Er fuhr davon.

Sie haßte ihn wegen seiner Haltung. Er hatte ihr die Kampfpose verdorben.

Frau Dillon und Willis Woodford schieden aus. Die anderen spielten langsam, angestrengt ihr Spiel, stolperten über den unebenen Boden, verpatzten die leichtesten Bälle; der kleine Junge und seine rotznasige Schwester blieben die einzigen Zuschauer.

Sie gingen heim. Carola nahm Eriks Arm. Durch ihren dünnen Leinenärmel konnte sie die knüllige Wärme seiner wohlbekannten braunen Wolljacke spüren. Sie bemerkte, daß in das Braun violette und rotgoldene Fäden eingewebt waren. Sie mußte an den Sonntagvormittag denken, an dem sie ihn zum erstenmal gesehen hatte.

Ihre ganze Unterhaltung bestand aus Improvisationen über das Thema: »Der Haydock war mir nie sympathisch. Er denkt nur an seine Bequemlichkeit.« Vor ihnen sprachen die Dillons und die Woodfords über das Wetter und über B. J. Gougerlings neues Bungalow. Niemand erwähnte das Tennisturnier. An ihrer Tür drückte Carola Erik fest die Hand und lächelte ihm zu.

Am nächsten Vormittag, es war Sonntag, kamen die Haydocks, als Carola auf der Veranda saß.

»Wir wollten nicht unhöflich gegen Sie sein, Liebste!« flehte Juanita. »Ich möchte um keinen Preis, daß Sie das denken. Wir dachten, daß Will und Sie herauskommen und bei uns zu Abend essen würden.«

»Nein. Ich bin überzeugt, daß Sie das nicht sein wollten.« Carola war übertrieben nachbarlich. »Aber ich meine, Sie müßten sich beim armen Erik Valborg entschuldigen. Er war fürchterlich gekränkt.«

»Ach, Valborg. Mir liegt nicht so viel dran, was der sich denkt«, erwiderte Harry. »Er ist doch nur so ein ekelhafter Anarchist. Juanita und ich haben gefunden, daß er diese Tennissache doch 'n bißchen zu sehr nach seinem Kopf führen wollte.«

»Aber Sie haben ihn doch gebeten, die Arrangements zu treffen.«

»Ich weiß, aber ich kann ihn nicht ausstehen. Du lieber Gott, den kann man doch nicht in seinen Gefühlen kränken. Er zieht sich an wie 'n Opernstatist – und, weiß Gott, so sieht er auch aus – aber er ist nichts weiter als 'n schwedischer Bauernjunge; und die Ausländer, die haben ja alle 'ne Haut wie zehn Rhinozerosse.«

»Aber er ist gekränkt.«

»Na also – Ich hätt' vielleicht nicht so unüberlegt sein und ihn an der Nase rumführen sollen. Ich werd' ihm 'ne Zigarre geben. Dann wird er –«

Juanita hatte sich die Lippen geleckt und Carola angestarrt. Sie unterbrach ihren Mann: »Ja, ich glaube, Harry müßte die Sache wieder in Ordnung bringen. Sie haben ihn sehr gern, nicht wahr, Carola?«

Carola erschrak und wurde vorsichtig. »Gern haben? Ich hab' keine Ahnung. Er scheint ein sehr anständiger junger Mann zu sein. Ich hatte eben das Gefühl, wenn er schon einmal so angestrengt für das Match gearbeitet hat, ist es eine Schande, nicht nett zu ihm zu sein.«

»Da kann schon was dran sein«, murmelte Harry.

3

Sie mußte Erik sehen. Sie mußte jemand zum Spielen haben! Diesmal war keine so würdevolle und gute Ausrede da, wie Kennicotts bügelbedürftige Hosen; als sie die drei Paar untersuchte, sahen alle entmutigend ordentlich aus. Wahrscheinlich hätte sie es nicht gewagt, wenn ihr nicht aufgefallen wäre, daß Nat Hicks im Billardzimmer war. Erst als sie schon in der Schneiderwerkstatt stand, fand sie eine Ausrede.

Erik war im Hinterzimmer, er saß mit untergeschlagenen Beinen auf einem langen Tisch und nähte an einer Weste. Doch es sah ganz so aus, als benähme er sich zu seinem eigenen Vergnügen so exzentrisch.

»Hallo. Ich würde gern wissen, ob Sie ein Sportkostüm für mich entwerfen könnten?« sagte sie atemlos.

Er starrte sie an; er protestierte: »Nein, ich will nicht! Herrgott! Für Sie will ich kein Schneider sein!«

»Aber, Erik!« sagte sie im Ton einer gelinde empörten Mutter.

Es fiel ihr ein, daß sie gar kein Kostüm brauchte, und daß es auch etwas schwierig gewesen wäre, diese Bestellung Kennicott zu erklären.

Er sprang vom Tisch herunter. »Ich möchte Ihnen was zeigen.« Er durchstöberte den Zylinderschreibtisch Nat Hicks' und zog etwas heraus, das er ihr ängstlich zeigte. Es war eine Skizze für ein Kleid. Sie war nicht gut gezeichnet, zu manieriert; aber das Kleid hatte einen sehr originellen Rücken.

»Das ist fabelhaft. Aber Frau Clark wäre einfach entsetzt!«

»Ja, nicht wahr!«

»Sie müssen sich mehr gehen lassen, wenn Sie zeichnen.«

»Ich weiß nicht, ob ich kann. Ich hab' 'n bißchen spät angefangen. Aber hören Sie mal! Was, meinen Sie, hab' ich in den letzten zwei Wochen gemacht? Ich hab' eine Lateingrammatik fast ganz ausgelesen und so an die zwanzig Seiten Cäsar.«

»Ausgezeichnet! Sie haben Glück. Sie werden von keinem Lehrer verkünstelt.«

»Sie sind mein Lehrer!«

In seiner Stimme klang etwas gefährlich Persönliches mit. Sie war beleidigt und erregt. Sie drehte ihm den Rücken zu, sah durch das Hinterfenster hinaus und beobachtete eine Zeitlang dieses typische Zentrum eines typischen Hauptstraßenblocks.

Sie riß sich aus dem Mitleid mit sich selber und versetzte sich in Erik hinein. Sie drehte sich wieder um und sagte empört: »Es ist scheußlich, daß dieses hier Ihre ganze Aussicht ist.«

Er dachte nach. »Das da draußen? Das seh' ich kaum. Ich lerne, nach innen zu sehen. Das ist nicht grade leicht!«

»Ja … Ich muß mich tummeln.«

Als sie heimging – ohne sich zu beeilen – fiel ihr ein, daß ihr Vater einmal zu einer zehn Jahre alten Carola gesagt hatte: »Mein Kind, nur ein Narr glaubt schöne Einbände verachten zu können, aber nur ein dreidoppelter Narr liest nichts außer Einbänden.«

Es erschreckte sie, daß ihr Vater wiederkam, die plötzliche Überzeugung erschreckte sie, daß sie in diesem flachshaarigen Jungen den grauen, schweigsamen Richter wiedergefunden hatte, der die göttliche Liebe und vollkommenes Verstehen war. Sie stritt mit sich, sie leugnete es wütend, bestätigte es sich, machte es lächerlich. Nur einer Sache war sie voll Unbehagen sicher: in Will Kennicott war nichts von dem geliebten Bild des Vaters.

4

Frau Dyer schien nicht das Vorurteil der Stadt gegen Erik zu teilen. »Er ist ein hübscher Kerl; wir müssen ihn mal zu einem von unseren Picknicks mitnehmen.« Wider Erwarten hatte auch Dave Dyer ihn gern. Dieser filzige kleine Possenreißer empfand verwirrte Ehrfurcht vor allem, was ihm kultiviert oder klug vorkam. Auf Harry Haydocks Spötteleien antwortete er: »Jetzt ist's aber genug! ›Elizabeth‹ richtet sich vielleicht zu sehr her, aber er ist gescheit, das dürfen Sie nicht vergessen! Ich hab' überall rumgefragt, um rauszukriegen, wo diese Ukraine liegt, und ich will verdammt sein, wenn er mir's nicht gesagt hat. Was liegt schon dran, daß er so manierlich redet? Himmelherrgott noch einmal, Harry, höflich sein ist keine Sünde. Es gibt schon 'n paar richtige ganze Mannskerle, die genau so manierlich sind wie Weiber, so ziemlich.«

Carola ertappte sich dabei, daß sie frohlockte: »Wie freundlich ist doch die Stadt!« Bekümmert dachte sie weiter: Verlieb' ich mich in den Jungen? Das ist lächerlich! Ich interessiere mich nur für ihn. Es macht mir Freude, daran zu denken, wie ich ihm zu Erfolg verhelfen kann.

Aber während sie im Wohnzimmer Staub wischte, ein Hemdbündchen flickte, Hugh badete, malte sie sich aus, wie sie und ein junger Künstler – ein namenloser und zerfließender Apollo – ein Haus in den Berkshires oder in Virginien bauten; wie sie jubelnd vom ersten Scheck einen Sessel kauften; gemeinsam Gedichte lasen und öfters sich ernsthaft mit wertvollen Arbeiterstatistiken beschäftigten; früh aufstanden, um einen Sonntagsspaziergang zu machen und (wo Kennicott gegähnt hätte) bei Butter und Brot an einem See plauderten. Hugh war immer mit in den Phantasien und betete den jungen Künstler an, der aus Stühlen und Teppichen Schlösser für ihn baute. Außer diesen Spielereien sah sie, »was ich für Erik tun könnte« – und sie gestand sich ein, daß Erik zu dem Bild ihres ziemlich vollkommenen Künstlers gehörte.

Erschrocken ließ sie nicht davon ab, Kennicott Aufmerksamkeiten zu erweisen, wenn dieser in Ruhe gelassen werden und seine Zeitung lesen wollte.


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