Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Kapitel

1

Als Amerika in den Weltkrieg eintrat, schickte Vida Raymie in ein Offiziersausbildungslager – nicht ganz ein Jahr nach ihrer Hochzeit. Raymie war eifrig und ziemlich kräftig. Bald war er Oberleutnant der Infanterie und wurde mit einem der ersten Transporte nach Frankreich geschickt.

Carola bekam wirklich Angst vor Vida, als diese ihre Leidenschaftlichkeit, die in der Ehe befreit worden war, an die Kriegssache wandte und alle Duldsamkeit verlor. Als Carola von Raymies Heroismus gerührt wurde und taktvoll davon zu sprechen suchte, behandelte Vida sie, daß sie sich wie ein vorlautes Kind vorkam.

Die Söhne von Lyman Cass, Nat Hicks und Sam Clark rückten ein. Aber die meisten Soldaten waren Söhne deutscher und schwedischer Farmer, die Carola nicht kannte. Dr. Terry Gould und Dr. McGanum wurden Regimentsärzte und kamen in Iowa und Georgia in Garnison. Außer Raymie waren sie die einzigen Offiziere aus dem Bezirk Gopher Prairie. Kennicott wollte mit ihnen gehen, aber die Ärzte der Stadt vergaßen ihre Rivalität und entschieden sich in einer Beratung dafür, daß er warten und für die Stadt sorgen sollte, bis er gebraucht würde. Kennicott war jetzt zweiundvierzig; der einzige jüngere Arzt, der im Umkreis von achtzehn Meilen noch da war. Der alte Dr. Westlake, der sein Behagen liebte wie eine Katze, fuhr unter Protesten nachts über Land und suchte in der Kragenschachtel nach seinem Bürgerkriegsveteranen-Abzeichen.

Carola wußte nicht recht, wie sie über Kennicotts Gehen dachte. Entschieden war sie keine Spartanerin. Sie wußte, daß er gehen wollte; sie wußte, daß diese Sehnsucht immer in ihm steckte, hinter seiner angestrengten Arbeit und seinen Kommentaren über das Wetter. Sie empfand bewundernde Zuneigung für ihn – und war traurig, daß sie nicht mehr als Zuneigung aufbrachte.

Cy Bogart war der Renommierkrieger der Stadt. Cy war nicht mehr der schlaksige Junge, der im Speicher über dem Garageschuppen Unterhaltungen über Carolas Selbstsucht und über die Geheimnisse der Zeugung führte. Er war jetzt neunzehn Jahre alt, groß, breit, geschäftig, der »Mordskerl« von Gopher Prairie, berühmt für seine Tüchtigkeit im Biertrinken und Würfelspielen und im Erzählen von unangenehmen Geschichten, der Schrecken der Mädchen, die er von seinem Posten vor Dyers Drogerie durch »Zurufe« in Verlegenheit brachte. Sein Gesicht war gleichzeitig rosig und picklig.

Cy verkündete öffentlich, wenn er nicht von der Witwe Bogart die Erlaubnis bekäme, würde er davonlaufen und sich ohne Erlaubnis stellen. Er brüllte, daß er »jeden dreckigen Hunnen hasse; weiß Gott, wenn er einem dicken fetten Heini ein Bajonett in den Leib rennen und ihm so Anständigkeit und Demokratie beibringen könnte, würde er glücklich sterben«. Cy erwarb sich viel Ruhm, indem er einen Bauernjungen namens Adolph Pochbauer peitschte, weil er ein »verdammter Bindestrich-Deutscher« war. Das war der jüngere Pochbauer, der in den Argonnen fiel, während er die Leiche seines Yankeehauptmanns aus der Gefechtslinie zu bringen suchte. Um diese Zeit war Cy Bogart noch immer in Gopher Prairie und wollte in den Krieg ziehen.

2

Überall hörte Carola, der Krieg solle eine grundlegende Änderung in der Seelenverfassung bringen, alles, von ehelichen Beziehungen bis zur Völkerpolitik, reinigen und erheben, und sie gab sich redlich Mühe, darüber zu frohlocken. Aber sie konnte nichts davon finden. Sie sah wohl die Frauen, die Bandagen für das Rote Kreuz machten, auf ihr Bridge verzichten und über den zuckerlosen Tee lachen, allein über ihrem Verbandzeug sprachen sie nicht von Gott und den Seelen der Menschen, sondern von Miles Bjornstams Unverschämtheit, von Terry Goulds skandalösen Umtrieben mit einer Farmerstochter vor vier Jahren, vom Kohlkochen und vom Umarbeiten ihrer Blusen. Wenn über den Krieg geredet wurde, so galt das Gespräch nur Scheußlichkeiten. Sie selbst war pünktlich und tüchtig in der Herstellung von Verbandpäckchen, aber sie konnte sie nicht, wie Frau Lyman Cass und Frau Bogart, mit Haß gegen die Feinde füllen.

Wenn sie sich bei Vida beklagte: »Die Jungen arbeiten, während die Alten herumsitzen, uns stören und Haß speien, weil sie zu schwach sind, um etwas anderes zu können als hassen«, dann fuhr Vida auf sie los:

»Wenn Sie schon keine Ehrfurcht haben können, dann seien Sie wenigstens nicht so schnippisch und eigensinnig, jetzt, wo Männer und Frauen sterben. Einige von uns – wir haben soviel geopfert, und wir sind froh darüber. Aber wir erwarten wenigstens, daß ihr anderen nicht auf unsere Kosten witzig zu sein versucht.«

Es gab Tränen.

Carola wünschte wirklich, daß die preußische Autokratie zerschlagen würde, sie redete sich wirklich ein, daß es keine anderen Autokratien als die preußische gäbe; sie war wirklich aufgeregt, wenn sie im Kino Truppeneinschiffungen im New Yorker Hafen sah; und sie hatte ein unangenehmes Gefühl, als Miles Bjornstam ihr auf der Straße begegnete und krächzte:

»Was gibt's Neues? Mir geht's tadellos. Ich hab' zwei neue Kühe. Also, Sie sind Patriotin geworden? Na selbstverständlich, sie bringen ja die Demokratie – die Demokratie des Todes. Ja, natürlich, in jedem Krieg seit dem Paradies sind die Arbeiter ins Feld gegangen und haben sich bekämpft, für vollkommen schöne Ziele – die ihnen das Kapital geliefert hat. Ich aber, ich bin gescheit. Ich bin so gescheit, daß ich weiß, ich weiß gar nichts vom Krieg.«

Nicht ein Gedanke an den Krieg blieb ihr nach Miles Vortrag, sondern die Erkenntnis, daß sie und Vida und alle Wohlmeinenden, die »etwas für das gewöhnliche Volk tun« wollen, bedeutungslos seien, weil das »gewöhnliche Volk« imstande sei, für sich selbst zu handeln, und es wahrscheinlich auch tun werde, sobald es den Tatbestand erkannt habe. Die Vorstellung, daß Millionen Arbeiter wie Miles ans Ruder kämen, erschreckte sie, und hastig rettete sie sich vor den Gedanken an eine Zeit, in der sie nicht mehr die gute Fee für die Bjornstams und Beas und Oscarinas sein würde, die sie liebte – und von oben herab begönnerte.

3

Im Juni, zwei Monate nach Amerikas Eintritt in den Krieg, geschah das große Ereignis – der Besuch des großen Percy Bresnahan, des millionenschweren Generaldirektors der Velvet Motor Car Company in Boston, des Sohnes der Stadt, der vor Fremden immer erwähnt werden mußte.

Zwei Wochen lang kursierten Gerüchte. Sam Clark rief Kennicott zu: »Hören Sie, Perce Bresnahan soll kommen! Herrgott noch einmal, 's wird großartig sein, wenn wir den alten Kerl wieder mal sehen, was?« Endlich druckte der »Unverzagte« auf der ersten Seite mit großer Überschrift einen Brief von Bresnahan an Jackson Elder ab:

 

»Lieber Jack,

Also, Jack, ich kann's machen. Ich soll nach Washington in die Regierung gehen (ein Dollar Jahresgehalt), in das Flugmotoren-Departement, und den Leuten erzählen, wieviel ich von Vergasern nicht weiß. Aber bevor ich mit dem Heldentum anfange, will ich nochmal raus, mir einen großmächtigen Barsch fangen und Dich und Sam Clark und Harry Haydock und Will Kennicott und alle anderen Gauner noch mal sehen. Ich werde am 7. Juni mit Nr. 7 von Mpls. in G. P. ankommen. Bestell schönes Wetter. Sag Bert Tybee, er soll mir ein Glas Bier aufheben.

Dein ergebener
Perce.«

 

Alle Mitglieder der gesellschaftlichen, finanziellen, wissenschaftlichen, literarischen und sportliebenden Kreise waren bei der Ankunft von Nr. 7 am Bahnhof, um Bresnahan abzuholen; Frau Lyman Cass stand neben dem Friseur Del Snafflin, und Juanita Haydock war fast herzlich zu der Bibliothekarin Fräulein Villets. Carola sah Bresnahan aus dem Waggonfenster zu ihnen herunterlächeln – einen großen sauberen Mann mit vorspringendem Kinn und befehlsgewohnten Blicken. Im Ton des Guten Kameraden von Beruf brüllte er: »Tag, Herrschaften!« Als sie ihm vorgestellt wurde (nicht er ihr), sah Bresnahan ihr in die Augen, sein Händedruck war warm und nicht kurz.

Er lehnte die angebotenen Automobile ab; er ging zu Fuß, den Arm um die Schultern Nat Hicks', des jagdliebenden Schneiders, gelegt, der elegante Harry Haydock trug die eine seiner ungeheuren hellen Ledertaschen, Del Snafflin die andere, Jack Elder trug einen Mantel und Julius Flickerbough das Angelgerät. Carola bemerkte, daß kein einziger kleiner Junge grinste, obwohl Bresnahan Gamaschen trug und einen Stock in der Hand hatte.

Als Kennicott abends das Gras am Weg mit einer Schafschere stutzte, kam Bresnahan, allein, heran. Er war jetzt in Cordhosen, am Hals offenem Khakihemd, mit einem weißen Südwester und wunderbaren lederbesetzten Leinenschuhen. »An der Arbeit, alter Will! Ja, du lieber Gott, das ist ein Leben, wenn man wieder mal in ein paar richtige Männerhosen fahren kann. Die Leute können von der Stadt sagen, was sie wollen, aber für mich bleibt's das größte Vergnügen, rumzubummeln, euch Jungs zu sehen und 'nen feinen Barsch zu fangen!«

Er lief zum Haus und schrie Carola zu: »Wo ist der kleine Bursche? Ich hab' gehört, daß Sie einen prachtvollen großen Mannsbuben haben, den Sie vor mir verstecken!«

»Er ist schon im Bett«, sagte sie ziemlich kurz.

»Ich weiß. Aber kommen Sie jetzt, Onkel Perce muß ihn mal ansehen. Also jetzt, Schwester?«

Er legte seinen Arm um ihre Taille; es war ein großer, starker und sehr angenehmer Arm; er grinste sie breit an, während Kennicott albern verlegen wurde. Sie wurde rot; die Selbstverständlichkeit, mit der dieser Großstädter in ihre behütete Persönlichkeit eindrang, erschreckte sie. Sie fühlte sich erleichtert, als sie vor den beiden Männern zu dem großen Zimmer hinaufging, in dem Hugh schlief. Immer wieder murmelte Kennicott: »Ja, ja, wissen Sie, Herrgott, ist doch nett, daß Sie wieder da sind, ist doch wirklich schön, daß man Sie wieder sieht!«

Hugh lag auf dem Bauch und beschäftigte sich ernsthaft mit seinem Schlaf. Er bohrte die Augen in das kleine blaue Kissen, um sich vor dem elektrischen Licht zu schützen, dann setzte er sich mit einem Ruck auf, klein und zierlich in seinem Nachtgewand, mit wild zerzaustem Haar, das Kissen an die Brust gedrückt. Er weinte. Er starrte den Fremden gewissermaßen geduldig abfertigend an.

Bresnahan legte seinen Arm zärtlich um Carolas Schulter und verkündete: »Herrgott, sind Sie aber ein glückliches Ding, mit dem schönen und kräftigen Jungen da. Ich kann mir denken, Will hat gewußt, was er tut, wie er sie überredet hat, es mit so einem alten Trottel zu versuchen, wie er ist! Ich hab' gehört, daß Sie aus St. Paul kommen. Wir werden Sie schon einmal nach Boston bringen.« Er beugte sich über das Bett. »Junger Mann, du bist der angenehmste Anblick, den ich westlich von Boston gehabt hab'. Gestattest du, daß wir dir eine kleine Gabe zum Zeichen unserer Ehrfurcht und der Anerkennung für deine langjährigen Dienste überreichen?«

Er hielt einen Gummipierrot hin. Hugh bemerkte: »Geben«, steckte ihn unter sein Bettzeug und starrte Bresnahan an, als hätte er diesen Menschen vorher überhaupt noch nie gesehen.

Zum erstenmal fragte Carola nicht: »Aber, Hugh, wie sagt man, wenn man etwas geschenkt bekommt?« Der große Mann wartete anscheinend. Sie standen albern verlegen herum, bis Bresnahan sie hinausführte und polternd fragte: »Sollen wir nicht 'ne Angelpartie verabreden, Will?«

Er blieb eine halbe Stunde. Unaufhörlich sagte er Carola, wie entzückend sie sei; unaufhörlich betrachtete er sie mit wissenden Blicken.

»Ja. Er wird wohl eine Frau in sich verliebt machen können. Aber das würde keine Woche dauern. Mir würde seine verfluchte strahlende Freundlichkeit auf die Nerven gehen. Seine Heuchelei. O ja, er freut sich, daß er hier ist. Er hat uns gern. Er ist ein so guter Schauspieler, daß er sich selbst überzeugt … in Boston würde ich ihn hassen. Er würde alle diese selbstverständlichen Großstadtdinge haben. Limousinen. Feine Abendanzüge. Er würde ein ausgezeichnetes Dinner in einem eleganten Restaurant bestellen. Einen von der besten Firma eingerichteten Salon – aber die Bilder würden ihn verraten. Ich würde mich viel lieber mit Guy Pollock in seinem verstaubten Büro unterhalten … Wie ich lüge! Sein Arm hat meiner Schulter geschmeichelt, und seine Augen haben gesagt: ›Untersteh dich, mich nicht zu bewundern.‹ Ich würde Angst vor ihm haben. Ich hasse ihn! … Oh, diese unbegreifliche, egoistische Phantasie der Frauen! Dieses ganze Durcheinander von Gedanken über einen Mann, über einen guten, anständigen, freundlichen, tüchtigen Mann, der nett zu mir war, weil ich Wills Frau bin!«

4

Die Kennicotts, die Elders, die Clarks und Bresnahan waren an den Indianersquaw-See fischen gegangen. Beim Essen sprach man vom Krieg. Nachdem Bresnahan unter dem Siegel der Verschwiegenheit verraten hatte, daß die Kriegserklärung Spaniens an Deutschland bevorstehe, fragte Kennicott ehrfürchtig: »Wie ist es mit den Aussichten für eine Revolution in Deutschland?«

Die Autorität brummte: »Da ist nichts dran. Das einzige, worauf ihr euch verlassen könnt, ist, daß das deutsche Volk, ganz egal was passiert, ob es siegt oder verliert, zum Kaiser halten wird, bis die Hölle kalt geworden ist. Ich weiß das ganz positiv von einem, der in Washington an der allerersten Quelle sitzt. Nein, nein! Ich behaupte ja nicht, daß ich viel von den internationalen Sachen verstehe, aber eines könnt ihr für bombensicher halten: Deutschland wird die nächsten vierzig Jahre noch ein Hohenzollernreich sein, und ich weiß auch gar nicht, ob das so schlecht ist. Der Kaiser und die Junker lassen diese roten Agitatoren nicht aufkommen, die schlimmer wären als jeder König, wenn sie sich durchsetzen könnten.«

»Ich interessiere mich sehr für den Umsturz, der den Zaren in Rußland abgesetzt hat«, sagte Carola. Sie war von den zauberhaften Kenntnissen dieses Mannes endlich erobert worden.

Kennicott bat für sie um Entschuldigung. »Carries Verrücktheiten mit der russischen Revolution. Ist wirklich was dran, Perce?«

»Gar nichts!« sagte Bresnahan überzeugend. »Darüber weiß ich Bescheid. Carola, mein Herzchen, ich bin wirklich überrascht, daß Sie reden wie ein New Yorker russischer Jude oder wie einer von den Kerls mit langen Haaren! Ich kann Ihnen sagen, aber Sie brauchen's niemand weiterzuerzählen, das ist vertraulich, ich hab's von einem Mann, der enge Beziehungen zum Auswärtigen Amt hat, aber es ist Tatsache, daß der Zar wieder zur Macht kommt, bevor noch das Jahr um ist. Man liest ja eine Menge über seinen Rücktritt, und daß er ermordet ist, aber ich weiß, er hat eine große Armee hinter sich und wird diesen verdammten Agitatoren, diesen faulen Bettlern, die sich ein feines Pöstchen erjagen wollen und die armen Teufel kujonieren, die auf sie reinfallen, er wird ihnen schon zeigen, wo sie hingehören!«

Carola tat es leid, daß der Zar wiederkommen sollte, aber sie sagte nichts. Die anderen machten dumme Gesichter, als von einem Land die Rede war, das so weit weg ist. Jetzt rückten sie näher heran und fragten Bresnahan nach seinen Ansichten über das Packard-Automobil, über Texasöl-Aktien, über die Verdienste einzelner in Minnesota und in Massachusetts geborener junger Männer, über die Zukunftspreise von Automobilreifen, und wollten wissen, ob es nicht wahr sei, daß die amerikanischen Flieger diesen Franzosen weit überlegen seien.

Zu ihrer Freude fanden sie, daß er in jedem dieser Punkte derselben Meinung war wie sie.

Als Carola Bresnahan verkünden hörte: »Wir sind durchaus bereit, mit jedem Ausschuß zu reden, den die Leute wählen, aber wir wollen's uns nicht gefallen lassen, daß irgendein Agitator von draußen daherkommt und uns erzählt, wie wir unseren Betrieb leiten sollen!« mußte Carola daran denken, daß Jackson Elder (der jetzt schüchtern neue Ideen in sich aufnahm) dasselbe mit denselben Worten gesagt hatte.

5

Bresnahan hatte sich Jackson Elders Wagen geliehen; bei den Kennicotts blieb er stehen und rief Carola, die mit Hugh auf der Veranda schaukelte, zu: »Kommen Sie, fahren Sie doch mit.«

Sie wollte ihn abweisen. »Vielen Dank, aber ich muß beim Kind bleiben.«

»Nehmen Sie ihn mit! Nehmen Sie ihn mit!« Bresnahan stieg aus dem Wagen, ging hinauf, und der Rest ihres würdevollen Protestierens war schwach.

Sie nahm Hugh nicht mit.

Eine Zeitlang sprach Bresnahan nicht. Aber mit um so beredteren Blicken sah er sie an, als wollte er ihr zu verstehen geben, daß er alles wüßte, was sie dächte.

Sie bemerkte, wie mächtig seine Brust war.

»Hübsche Wiesen sind das hier«, sagte er.

»Gefallen sie Ihnen wirklich? Es ist nichts zu verdienen an ihnen.«

Er lachte. »Schwester, mir können Sie nichts vormachen. Ich bin mir über Sie im klaren. Sie glauben, ich spiel' immer nur Komödie. Aber das tun Sie auch, meine Liebe – und so gut, daß ich Ihnen den Hof machen würde, wenn ich nicht Angst davor hätte, daß Sie mir eine runterhauen.«

»Herr Bresnahan, reden Sie so mit den Frauen Ihrer Freunde? Und sagen Sie ›Schwester‹ zu ihnen?«

»Na selbstverständlich mach' ich das! Und ich sorg' auch dafür, daß es ihnen recht ist. Klar!« Aber sein Lachen klang nicht sehr gut, und er mußte plötzlich aufmerksam den Ampèremeter beobachten.

Im nächsten Augenblick machte er einen vorsichtigen Angriff: »Das ist ein Prachtkerl, der Will Kennicott. Großartig, was diese Landärzte leisten. Vor ein paar Tagen hab' ich in Washington mit einem Ia Wissenschaftler geredet, einem Professor von der John-Hopkins-Universität, und der hat gesagt, daß bis jetzt noch niemand genug anerkannt hat, wie der praktische Arzt den Menschen hilft. Die Spezialisten, diese jungen gelehrten Affen, die sind so stinksicher und haben sich so mit ihren Laboratorien, daß sie an das Menschliche überhaupt nicht mehr denken. Abgesehen von ein paar verrückten Krankheiten, an die kein anständiger Kerl seine Zeit verschwenden würde, sorgt der alte Doktor für Leib und Seele der Menschen. Und ich muß sagen, Will ist einer der sichersten und hellsten Landärzte, die ich kenne, was?«

»Freilich ist er das. Er dient der Wirklichkeit.«

»Hm. Ja. Das Ganze, was da … Sagen Sie, Kindchen, Ihnen liegt nicht grade viel an Gopher Prairie, wenn ich mich nicht irre.«

»Gar nichts.«

»Da lassen Sie sich viel entgehen. An den großen Städten ist nichts. Glauben Sie mir, ich kenn' mich aus! Das ist eine recht gute Stadt hier. Sie können froh sein, daß Sie da sind. Ich wollte, ich könnt' dableiben!«

»Nun also, warum tun Sie's nicht?«

»He? Wieso – Gott – ich kann mich nicht fr…«

»Sie müssen nicht bleiben. Ich muß aber! Deshalb möcht' ich's nicht. Wissen Sie, daß Männer wie Sie, hervorragende Männer, ziemlich viel Unheil anrichten, indem sie immer wieder behaupten, daß die Städte und die Staaten, in denen sie geboren sind, vollkommen sind? Sie ermutigen die Bürger in ihrer Beharrlichkeit. Die Leute zitieren Sie und glauben weiter, daß sie im Paradies leben, und –«

Er tätschelte ihre Hand. »Schwes – Carola, Sie sind ein liebes Mädel, aber Sie sind ein bißchen schwierig. Wissen Sie, was ich denke?«

»Ja«

»Hm. Vielleicht wissen Sie's, aber – Meine bescheidene – nicht allzu bescheidene – Ansicht ist, daß Sie gern schwierig sind. Sie halten sich gern für etwas Besonderes. Also, wenn Sie wüßten, wieviel tausend Frauen, besonders in New York, genau so reden wie Sie, würden Sie die ganze Freude dran verlieren, sich für ein einsames Genie zu halten.«

Er predigte sein Evangelium: Liebe zur Natur, Jagd, Freundestreue. Seine großen Hände, seine sinnlichen Lippen, seine ruhige Stimme unterstrichen seine arrogante Sicherheit: er erweckte in ihr ein Gefühl der Jugend und Zärtlichkeit – wie einst Kennicott. Sie wußte nichts zu sagen, als er seinen mächtigen Schädel vorbeugte und versuchend flüsterte: »Meine Liebe, es tut mir leid, daß ich wieder von hier weg muß. Sie wären ein nettes Kind zum Spielen. Sie sind wirklich hübsch! In Boston werde ich Ihnen einmal zeigen, wie wir zusammen essen gehen. Na, zum Kuckuck, wir müssen wieder zurück.«

Die einzige Antwort, die sie auf sein Evangelium des Rindfleischs finden konnte, als sie zu Hause war, war ein jammerndes: »Aber trotzdem –«

Bis zu seiner Abreise nach Washington sah sie ihn nicht wieder.

Seine Augen blieben. Seine Blicke auf ihre Lippen, Haar und Schultern hatten ihr verraten, daß sie nicht nur Weib und Mutter allein war, sondern auch noch Mädchen; daß es noch immer Männer in der Welt gab, wie seinerzeit in den Collegetagen.


 << zurück weiter >>