Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigstes Kapitel

1

Die ständige Pokerpartie kam: Sam Clark, Jack Elder, Dave Dyer, Jim Howland. Carola begrüßten sie mit einem mechanischen »'n Abend«, Kennicott riefen sie aber männlich und heldisch zu: »Also, also, sollen wir mit dem Spielen anfangen? Ich hab' so 'ne Ahnung, als ob ich heute jemand mächtig hochnehmen würde.« Niemand schlug vor, daß sie mitspielen sollte. Sie sagte sich, das sei ihre eigene Schuld, weil sie nicht freundlicher sei, dann fiel ihr aber ein, daß auch Frau Sam Clark nie zum Mithalten aufgefordert wurde.

Bresnahan hätte sie aufgefordert.

Bis Mitternacht ignorierten die Männer sie. Dann rief Kennicott: »Gibt's was zu essen, Carrie?« Als sie durch das Eßzimmer ging, lächelten die Männer ihr zu, ein Magenlächeln. Niemand nahm Notiz von ihr, während sie Zwieback, Käse, Sardinen und Bier servierte. Sie untersuchten auf das genaueste, in welchem Seelenzustand Dave Dyer vor zwei Stunden, als er nicht zukaufte, gewesen war.

Nachdem sie gegangen waren, sagte Carola zu Kennicott: »Deine Freunde benehmen sich wie in einer Kneipe. Sie erwarten von mir, daß ich sie wie ein Dienstbote bediene. Sie zeigen für mich nicht einmal so viel Interesse wie für einen Kellner, weil sie mir kein Trinkgeld geben müssen. Unglückseligerweise! Na, gute Nacht.«

Sie war so selten in einer derartigen kleinlich nörgelnden Gewitterstimmung, daß er eher erstaunt als böse war. »He! Warte! Was ist denn los? Ich muß sagen, ich versteh' dich nicht. Die Jungs – Kneipe? Nanu, Perce Bresnahan hat gesagt, eine bessere Gesellschaft wirklich guter Kameraden als die Blase, die heute abend da war, gibt's nirgends!«

Sie standen in der Parterrediele. Er war so entsetzt, daß er gar nicht an seine Pflichten dachte, an das Versperren der Haustür, an das Aufziehen der Taschen- und der Zimmeruhr.

»Bresnahan! Der hängt mir zum Hals heraus!« Sie meinte nichts Besonderes damit.

»Aber, Carrie, er ist einer von den größten Männern im Land. Boston frißt ihm einfach aus der Hand!«

»Das ist noch gar nicht so sicher. Woher wissen wir, ob er nicht in Boston, unter wohlerzogenen Menschen, als absoluter Flegel verachtet wird? Seine Art, wie er ›Schwester‹ zu Frauen sagt, und seine Art –«

»Also, jetzt paß mal auf! Das ist aber genug! Selbstverständlich weiß ich, daß du's gar nicht ernst meinst – du bist ganz einfach aufgeregt und müde und willst deine schlechte Laune an mir auslassen. Aber trotzdem, daß du auf Perce losgehst, werd' ich nicht dulden. Du – Das ist genau so wie deine Haltung zum Krieg – mit deiner verdammten Angst, daß Amerika militaristisch wird –«

»Aber du, du bist der reine Patriot!«

»Weiß Gott, das bin ich!«

»Ja, und heute abend hab' ich dich mit Sam Clark darüber sprechen hören, wie man sich von der Einkommensteuer drücken kann!«

Er hatte sich so weit erholt, daß er die Tür zusperren konnte; er polterte vor ihr die Treppe hinauf und brummte: »Du weißt gar nicht, wovon du redest. Ich bin ganz und gar bereit, meine Steuer voll zu zahlen – ja, ich bin für die Einkommensteuer – obwohl ich sie für eine Bestrafung der Sparsamkeit und des Unternehmungsgeistes halte – wirklich, es ist eine ungerechte, ganz blödsinnige Steuer. Aber trotzdem, ich bezahl' sie. Nur, ich bin nicht so ein Narr, daß ich mehr zahl', als die Regierung von mir haben will, und Sam und ich haben uns bloß überlegt, ob nicht überhaupt alle Automobilausgaben steuerfrei sind. Ich will eine ganze Menge von dir einstecken, Carrie, aber ich hab' nicht vor, mir auch nur eine Sekunde gefallen zu lassen, daß du mir sagst, ich bin kein Patriot. Du weißt recht gut, daß ich einrücken wollte. Und schon ganz zu Anfang hab' ich gesagt – ich hab's immer wieder gesagt – daß wir uns sofort am Krieg beteiligen müssen, wenn Deutschland in Belgien einmarschiert. Du verstehst mich überhaupt nicht. Du kannst die Arbeit eines Mannes nicht würdigen. Du bist nicht normal. Du spielst so viel mit den dummen Romanen und Büchern und den ganzen obergescheiten Sachen rum – du möchtest immer streiten!«

Das Ende, eine Viertelstunde später, war, daß er sie »hysterisch« nannte, bevor er sich auf die andere Seite drehte und sich schlafend stellte.

Zum erstenmal hatten sie nicht Frieden gemacht.

»Es gibt zwei Gattungen Menschen, nur zwei, und die leben Seite an Seite. Er nennt die meine ›hysterisch‹; und die meine nennt die seine ›blöd‹. Wir werden einander nie verstehen, niemals; und es ist glatter Wahnsinn von uns, zu debattieren – zusammen in einem heißen Bett in einem ekelhaften Zimmer zu liegen – Feinde, unter ein Joch gespannt.«

2

Das bestärkte sie in ihrem Wunsch nach einem eigenen Zimmer.

»Solang es so heiß ist, werde ich wohl im freien Zimmer schlafen«, sagte sie am nächsten Tag.

»Ganz gute Idee.« Er war heiter und freundlich.

Im Zimmer stand ein Doppelbett und ein billiger Tannenschreibtisch. Sie schaffte das Bett auf den Boden, ersetzte es durch einen Diwan und richtete sich ein wenig ein; von Miles Bjornstam ließ sie sich ein Bücherregal machen.

Kennicott begriff allmählich, daß sie die Trennung aufrechterhalten wollte. Aus seinen Fragen: »Du richtest das ganze Zimmer anders ein?«, »Du nimmst deine Bücher rüber?« erkannte sie, daß es ihn quälte. Aber wenn sie ihre Tür einmal geschlossen hatte, war es so leicht, seinen Ärger nicht an sich herankommen zu lassen. Das kränkte sie – daß es ihr so leicht wurde, ihn zu vergessen.

Tante Bessie Smail jammerte: »Aber, Carrie, du wirst doch nicht ganz allein schlafen? Das glaub' ich nicht. Verheiratete Leute sollen natürlich ein Zimmer haben! Setz dir nur keine Dummheiten in den Kopf. Und wohin so was führen kann! Stell dir mal vor, ich würde hingehen und deinem Onkel Whit sagen, daß ich 'n Zimmer für mich allein haben will!«

Carola sprach von einem Rezept für Maispudding.

Doch bei Frau Dr. Westlake fand sie Ermutigung. Sie machte der freundlichen alten Dame einen Nachmittagsbesuch und wurde in ihr Zimmer hinaufgeführt; es war ein behaglicher Raum mit hellen Möbeln und einem Bett.

»Oh, Sie haben Ihr eigenes Zimmer?« rief Carola.

»Ja! Der Doktor sagt, es ist schlimm genug, daß er bei den Mahlzeiten unter meiner schlechten Laune leiden muß. Haben –« Frau Westlake blickte sie scharf an. »Ja, machen Sie's nicht auch so?«

»Ich hab' schon daran gedacht.« Carola lachte verlegen. »Sie würden mich also nicht für ganz verkommen halten, wenn ich ab und zu allein sein will?«

Nachdem Frau Westlake sie beruhigt hatte, drängte es sie zu bekennen; nicht nur ihren Haß gegen die Tanten, sondern auch ihre geheime Verärgerung gegen ihre besten Freunde: ihre Entfremdung von Kennicott, ihre Enttäuschung an Guy Pollock, ihr unbehagliches Gefühl in Vidas Gesellschaft.

Sie kam nach Hause, beruhigt durch ihre Beichte, aufgerichtet, weil sie eine neue Freundin gefunden hatte.

3

Die Tragikomödie der »Dienstbotenfrage«.

Oscarina ging wieder nach Hause, um auf der Farm zu helfen, und Carola hatte ein Mädchen nach dem anderen, mit Unterbrechungen. Der Mangel an Dienstboten wurde zu einem der unangenehmsten Probleme in den Präriestädten. Immer mehr revoltierten die Farmertöchter gegen die Dorfstumpfheit und gegen das immer gleiche Verhalten der Juanitas gegen »Dienstmädel«. Sie verdingten sich in größeren Städten, oder gingen in städtische Läden und Fabriken, um nach ihrer Arbeitszeit frei und sogar Mensch sein zu können.

Die Lustige Siebzehn war entzückt darüber, daß Carola von ihrer treuen Oscarina verlassen wurde. Sie erinnerten sie daran, daß sie gesagt hatte: »Ich hab' keinen Ärger mit Mädchen; sehen Sie, wie Oscarina bei mir bleibt.«

Sie hielt sich mit aller Energie davon zurück, Kennicott zu klagen. Aber die Augen taten ihr weh; sie war nicht mehr das Mädchen in Breeches und Flanellhemd, das vor fünf Jahren über einem Lagerfeuer im Coloradogebirge gekocht hatte. Ihr ganzes Streben ging dahin, um neun ins Bett zu kommen; ihre größte Gefühlsanstrengung war der Ärger darüber, daß sie um halb sieben aufstehen mußte, um Hugh zu versorgen. Wenn sie aus dem Bett stieg, hatte sie Rückenschmerzen. Sie äußerte zynische Ansichten über die Freuden eines einfachen arbeitsamen Lebens. Sie begriff, warum Arbeiter und Arbeiterfrauen ihren freundlichen Arbeitgebern nicht dankbar sind.

Am späteren Vormittag, wenn sie für Augenblicke ihre Schmerzen im Rücken nicht spürte, freute sie sich über die Wirklichkeit der Arbeit. Aber sie hatte keinen Wunsch, die wortreichen kleinen Zeitungsaufsätze zum Lobe der Arbeit zu lesen, die täglich von glattstirnigen Journalistenpropheten geschrieben werden.

Bei der Hausreinigung kam sie in die Mädchenkammer hinauf. Es war ein im Sommer durchglühtes, im Winter eiskaltes Loch mit einem kleinen Fenster im schrägen Dach. Sie sah, daß sie, während sie sich für eine besonders gute Herrin hielt, ihre Freundinnen Bea und Oscarina in einem Schweinestall hatte leben lassen. Sie beklagte sich bei Kennicott. »Was ist denn los damit?« brummte er, während sie auf der halsbrecherischen Stiege standen, die von der Küche hinaufführte. »Vielleicht ist's kein Hotelsalon, aber schließlich ist es doch viel besser als alles, woran diese Dienstmädchen gewöhnt sind, und was sie zu Hause für schön halten. Es kommt mir dumm vor, Geld auszugeben für etwas, was die doch nicht zu schätzen wissen.«

Doch an diesem Abend sagte er langsam mit der Gleichgültigkeit eines Mannes, der überraschend und köstlich sein will: »Carrie, ich weiß nicht, ob wir nicht dran denken sollten, jetzt bald mit dem Bau eines neuen Hauses anzufangen. Wie würde dir das gefallen?«

»W–wieso –«

»Ich bin jetzt so weit, daß ich meine, wir können uns eins leisten – ein blendendes noch dazu! Ich werd' dem Nest zeigen, wie'n richtiges Haus aussieht! Sam und Harry sollen mal die Augen aufreißen! Die Leute sollen mal was zu sehen kriegen!«

»Ja«, sagte sie.

Täglich kam er wieder auf das neue Haus zu sprechen, aber vom Wann und Wie redete er nicht sehr deutlich. Zuerst glaubte sie ihm. Wenn sie begeistert ihre Ideen auspackte, antwortete er: »Hm, ja, darüber müßt' man nachdenken. Weißt du, wo ich meine Pfeife hingetan hab'?« Wenn sie ihn drängte, wich er ihr aus: »Ich weiß nicht; mir scheint, die Häuser, von denen du redest, sind überholt.«

Es stellte sich heraus, daß er nichts anderes wollte als ein Haus genau wie das Sam Clarks, das aussah wie jedes dritte neue Haus in jeder Präriestadt im Land.

Eines Abends, als Carola verschlafen für ein Häuschen in einem Rosengarten sprach, kamen Onkel Whittier und Tante Bessie dazu.

Tante Bessie arbeitete mit ihren Lippen, als wären sie Gummibänder. »Ja natürlich! Ich weiß, was mit jungen Leuten wie mit dir los ist, Carrie; du möchtest Türme und Erkerfenster und Klaviere und weiß der Himmel, was alles, haben, aber die Hauptsache ist, daß man Wandschränke und eine gute Heizung und einen praktischen Platz zum Wäscheaufhängen kriegt, und alles andere ist Nebensache.«

Carola erreichte ihr Zimmer, bevor sie wild wurde. Sie blieb einen Augenblick oben, puderte sich die Nase, zupfte ihren Kragen zurecht und marschierte kalt hinunter. Die drei Älteren nahmen keine Notiz von ihr. Sie waren vom neuen Haus auf wohltuenden allgemeinen Klatsch gekommen.

Nachdem Carola eine Weile zugehört hatte, lächelte sie ihnen einschmeichelnd zu. »Ihr seid doch nicht böse, wenn ich hinaufgehe, schlafen? Ich bin ziemlich müde – ich hab' heute oben alles rein gemacht.«

Sie zog sich zurück. Sie war überzeugt, daß man sie beredete und ihr auf schmierige Weise vergab. Sie blieb wach, bis sie an einem entfernten Bettknarren hörte, daß Kennicott schlafen gegangen war. Dann fühlte sie sich sicher.

Nach zehn Tagen war das Haus vergessen.


 << zurück weiter >>