Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundzwanzigstes Kapitel

1

»Carrie ist schon richtig. Sie tut sich 'n bißchen, aber das wird sich schon mal geben. Wenn's nur etwas schneller damit ginge! Sie kann eben durchaus nicht verstehen, daß ein Mensch, der in einer Kleinstadt wie hier doktert, auf alle die gescheiten Sachen verzichten muß und keine Zeit dazu haben kann, in Konzerte zu gehen und seine Stiefel zu putzen. (Was noch lange nicht heißen soll, daß ein solcher Mensch nicht ebenso viel in den geistigen und künstlerischen Sachen leisten könnte, wie andere Leute, wenn er Zeit dazu hätte!)« Dr. Will Kennicott saß an einem Spätsommernachmittag in seinem Büro und grübelte in einem freien Augenblick.

»Weiß Gott, sie riskiert aber allerhand. Man sollte meinen, daß sie nach und nach einsehen lernt, daß ich kein geschleckter Salonaffe bin. Sie sagt, wir wollen sie ›ummodeln‹. Na, sie will immer mich ummodeln; ich bin ein ganz anständiger Dr. med., und sie will einen verdammten Dichter mit Sozialistenkrawatte aus mir machen! Sie würde 'nen schönen Anfall kriegen, wenn sie wüßte, wieviel Frauen recht gern zum lieben Will kommen und ihn trösten würden, wenn er ihnen nur die Gelegenheit dazu gäbe! 's gibt noch immer 'n paar Weiber, die an dem alten Mann was finden! Es ist mir ja recht, daß ich mit allen Weibergeschichten Schluß gemacht hab', seitdem ich verheiratet bin, aber –

Carrie glaubt, sie versteht mächtig viel von den Gedanken der anderen Leute. Na, wenn die mal draufkäme, wie wenig sie davon weiß, wie man sich amüsieren kann, wenn man seiner Frau nicht treu ist. Aber ich bin's. Hübsch ist sie – Herrgott, ja. Aber kalt. Sie weiß ganz einfach nicht, was Leidenschaft ist. Sie hat ganz einfach gar keine Ahnung, was es für einen Mann, der Blut in den Adern hat, heißt, immer so zu tun, als ob er zufrieden damit war', bloß geduldet zu werden. Mit der Zeit geht's mir schon schrecklich auf die Nerven, wenn ich mir immer wie 'n Verbrecher vorkommen muß, wo ich ganz einfach normal bin. Sie tut ja so, als ob ihr nicht mal was dran liegen würde, wenn ich sie küsse. Na –

Ich werd' mich wohl durchfressen können, genau so wie ich mir während der Schulzeit selber mein Geld verdient und mir dann selber meine Praxis geschaffen hab'. Aber ich weiß nicht, wie lang ich's aushalten werd', in meinem eigenen Haus ein Fremder zu sein.«

Frau Dave Dyer kam herein, und er richtete sich auf. Sie ließ sich in einen Sessel fallen und stöhnte vor Hitze. Er lachte: »Nanu, Maud, das ist schön. Wo ist die Subskriptionsliste? Wofür soll ich diesmal ausgeräubert werden?«

»Ich hab' keine Subskriptionsliste, Will. Ich muß mit Ihnen als Arzt sprechen.«

»Und Ihre Christian Science? Haben Sie die aufgegeben? Was kommt jetzt? Neudenken oder Spiritismus?«

»Nein, ich hab' sie nicht aufgegeben!«

»Na, das sieht mir aber aus wie ein Verrat am Glauben, daß Sie zu einem Doktor gehen!«

»Nein, das ist es nicht. Mein Glaube ist bloß noch nicht stark genug. Na, lassen wir das! Und außerdem können Sie einen ein bißchen trösten, Will. Ich meine als Mann, nicht als Doktor. Sie sind so stark und ruhig.«

Er saß auf der Kante seines Schreibtischs, in Hemdsärmeln, die Weste war offen, seine dicke goldene Uhrkette spannte sich quer über das Hemd, die Hände hatte er in den Hosentaschen. Während sie redete, beobachtete er sie interessiert. Maud Dyer war hysterisch, überspannt religiös, verblüht; sie hatte verschwommene Gefühle, ihre Gestalt war unharmonisch – prachtvolle Schenkel und Arme, dicke Fesseln, ein Körper, der an den falschen Stellen üppig war. Aber ihre milchweiße Haut war köstlich, ihre Augen lebendig, ihr kastanienbraunes Haar schimmerte, und ihre Wangen waren zart.

In viel tröstlicherem Ton als gewöhnlich stellte er seine abgedroschene Frage: »Na, wo fehlt's, Maud?«

»Ich hab' die ganze Zeit so schreckliche Rückenschmerzen. Ich fürchte, mein altes Leiden, mit dem ich schon bei Ihnen war, macht mir wieder zu schaffen.«

»Irgendwelche bestimmten Anzeichen?«

»N–nein, aber ich glaube, Sie sollten mich untersuchen.«

»Nein, nein. Das halt' ich nicht für notwendig, Maud. Um als alter Freund ganz offen zu sprechen, ich glaube, Ihre Leiden sind zum größten Teil eingebildet. Ich kann Ihnen wirklich nicht raten, sich untersuchen zu lassen.«

Sie wurde rot und sah aus dem Fenster hinaus. Er merkte, daß seine Stimme nicht sachlich und ruhig war.

Sie drehte sich rasch wieder um. »Will, Sie sagen immer, meine Leiden sind eingebildet. Warum können Sie nicht wissenschaftlich sein? Ich hab' einen Artikel über diese neuen Nervenspezialisten gelesen, und die behaupten, daß eine Menge von ›eingebildeten Schmerzen‹, ja, und eine Menge von wirklichen Schmerzen auch, sogenannte Psychosen sind, und sie verordnen einer Frau Veränderung, damit sie auf eine bessere Basis kommen kann –«

»Warten Sie! Warten Sie! Ho, brrr! Warten Sie nur! Bringen Sie nicht Ihre Christian Science und Ihre Psychologie durcheinander! Das sind zwei ganz verschiedene Dinge! Bald werden Sie auch noch den Sozialismus da reinmischen! Sie sind genau so schlimm wie Carrie mit Ihren ›Psychosen‹. Ach du lieber Gott, Maud, ich könnte genau so gut wie irgendein verdammter Spezialist über Neurosen und Psychosen und Hemmungen und Verdrängungen und Komplexe reden, wenn man mich dafür bezahlen würde, wenn ich in der Stadt wär' und die Unverschämtheit hätte, solche Honorare zu verlangen wie die Kerle. Aber wenn ich Ihnen sagen würde: ›Gehen Sie nach New York‹, dann würden Sie und Dave sich halb tot lachen und sagen: ›Seht mal, wie der Will sich tut. Was glaubt er denn, daß er ist?‹

Selbstverständlich haben Sie recht. Sie haben einen wunderschön entwickelten Fall von Verdrängung des Sexualtriebs, und der treibt allen möglichen Unfug mit Ihrem Körper. Sie müßten eigentlich von Dave loskommen und reisen, ja, und zu jedem blödsinnigen bißchen Neudenker- und Bahai- und Swami- und Quatschmeeting gehen. Ich weiß, daß das gut für Sie wäre. Aber wie kann ich's Ihnen raten? Dave würde wild werden und mir die Haut vom Leibe ziehen. Ich will gern Hausarzt und Priester und Anwalt und Installateur und Amme sein, aber wenn es sich drum handelt, aus Dave bißchen Geld rauszuholen, da muß ich Schluß machen. Das wäre zu schwere Arbeit bei so'nem Wetter! Verstandez-vous, meine Liebe? Ich glaub', 's wird regnen, wenn's so heiß bleibt –«

»Aber, Will, wenn ich's ihm sag', wird er mir's ja nie geben. Er würde mich nie weglassen. Sie wissen ja, wie Dave ist: so nett und freigebig in Gesellschaft, und, ach, es ist ihm ganz einfach eine Wonne, um 'nen Vierteldollar zu wetten und ihn dann mit der lustigsten Miene zu verlieren! Aber zu Haus dreht er jeden Cent zehnmal um. Um jeden einzelnen Dollar muß ich ihn bitten und betteln.«

»Freilich, ich weiß, aber das müssen Sie ausfressen, Herzchen. Lassen Sie ihn nicht aus. Er würde wild werden, wenn ich da die Nase reinstecken würde.«

Er ging zu ihr hinüber und klopfte ihr auf die Schulter. Draußen, jenseits der Fliegengaze im Fenster, lag die Hauptstraße, still, bis auf das ungeduldige Rattern eines wartenden Automobils. Sie nahm seine feste Hand und drückte die Knöchel an ihre Wange.

»O Will, Dave ist so bös und klein und grauslich – so ein Knirps! Sie sind so ruhig. Wenn er bei Unterhaltungen aufschneidet, seh' ich, wie Sie hinten stehen und ihm zusehen – so wie eine Bulldogge einem Terrier!«

Er suchte seine Berufswürde zu wahren und sagte: »Dave ist kein schlechter Kerl.«

Zögernd ließ sie seine Hand los. »Will, kommen Sie heute abend zu mir rüber und schimpfen Sie mich aus. Reden Sie mir zu und bringen Sie mich zur Vernunft. Und ich bin so allein.«

»Wenn ich das täte, wär' Dave da, und wir müßten Karten spielen. Das ist der Abend, an dem er nicht im Laden zu tun hat.«

»Nein. Der Kommis ist nach Corinth gerufen worden – seine Mutter ist krank. Dave wird bis Mitternacht im Laden sein. Ach, kommen Sie rüber. 's wird gutes Bier auf dem Eis sein, und wir können sitzen und plaudern und es ganz kühl und faul haben. Das war' doch nicht schlecht für uns, nicht wahr!«

»Nein, nein, natürlich wär's nicht schlecht. Aber trotzdem, ich sollte nicht –« Er sah Carola vor sich, hoch und schlank, kühl, voll Verachtung für Heimlichkeiten.

»Schön. Aber ich werd' so allein sein.«

Ihr Hals über dem Ausschnitt ihrer weiten Mousselinbluse sah jung aus.

»Ich will Ihnen was sagen, Maud: ich werd' bloß auf eine Minute reinkommen, wenn ich zufällig bei Ihnen vorbei muß.«

»Wenn Sie Lust haben«, sagte sie zimperlich. »Ach, Will, ich brauch' wirklich Trost. Ich weiß, Sie sind ganz verheiratet, und, ach ja, so ein stolzer Papa, und jetzt natürlich – Wenn ich nur in der Dunkelheit neben ihnen sitzen und still sein und Dave vergessen könnte. Sie werden kommen?«

»Freilich komm ich!«

»Ich werd' auf Sie warten. Es wird einsam sein, wenn Sie nicht kommen! Auf Wiedersehn.«

Er beschimpfte sich: »Verdammter Narr, wozu hab' ich versprochen, hinzukommen? Ich muß mein Versprechen halten, oder sie wird gekränkt sein. Sie ist ein gutes, anständiges, zärtliches Mädel, und Dave ist eine alte Schindmähre. Das stimmt schon. Und sie hat mehr Leben als Carola. Trotzdem, nur meine Schuld. Warum kann ich nicht schlauer sein, wie McGanum und alle anderen Doktoren? Ach, schließlich bin ich's ja, aber Maud ist so 'ne dumme Gans, die immer was haben will. Legt mich da richtig rein, daß ich ihr verspreche, abends zu ihr zu kommen. Schon prinzipiell darf ich ihr so was nicht durchgehn lassen. Ich werd' nicht gehn. Ich werd' sie anrufen und ihr sagen, daß ich nicht komm'. Ich, wo ich Carrie daheim hab', die prächtigste kleine Frau von der Welt, und so 'ne verrückte Ziege wie Maud Dyer – nicht daran zu denken! Obwohl, 's ist doch nicht notwendig, sie zu kränken. Ich kann ja bloß auf 'ne Sekunde reinschauen, um ihr zu sagen, daß ich nicht bleiben kann. Trotzdem, ganz meine Schuld; ich hätt' damals nicht damit anfangen und Maud so 'n bißchen den Hof machen sollen. Wenn's meine Schuld ist, hab' ich kein Recht, Maud dafür zu strafen. Ich kann ja ganz einfach auf eine Sekunde reinschauen und ihr dann erzählen, daß ich über Land muß, und abhauen. Verdammter Mist aber trotzdem, daß ich Ausreden erfinden muß. Herrgott, warum können die Weiber einen denn nicht in Frieden lassen? Bloß weil man ein oder zweimal vor siebenhundert Millionen Jahren ein blöder Trottel war, was können sie einen das denn nicht vergessen lassen? Das ist Mauds Schuld. Ich werd' ganz einfach nicht hingehen. Ich werd' Carrie ins Kino mitnehmen und nicht an Maud denken … Aber bißchen heiß wär's heute schon im Kino.«

Er entfloh sich. Er stülpte sich den Hut auf den Kopf, warf den Mantel über den Arm, schlug die Tür zu, versperrte sie, trampelte die Stufen hinunter. »Ich geh' nicht!« sagte er verbissen, und während er es sagte, hätte er viel darum gegeben, zu wissen, ob er gehen würde oder nicht.

Er begegnete Dave Dyer.

»Wohin, Dave?«

»In den Laden. Ich hab' grad gegessen.«

»Aber am Donnerstag haben Sie doch keinen Nachtdienst.«

»Freilich, aber Pete hat nach Hause müssen. Seine Mutter ist angeblich krank. Herrgott, die Angestellten, die man jetzt kriegt – man überzahlt sie, und dann machen sie nicht mal ihre Arbeit!«

»Ja, so ist's, Dave. Da werden Sie also bis Mitternacht zu tun haben.«

»Ja. Kommen Sie doch rein und rauchen Sie 'ne Zigarre, wenn Sie in der Stadt sind.«

»Na ja, das kann ich vielleicht. Ich werd' vielleicht nach Frau Champ Perry sehen müssen, 's geht ihr nicht gut. Wiedersehn, Dave.«

Er machte sich noch im Garten zu scharfen, dann ging er langsam ins Haus, ins Kinderzimmer hinauf und rief Hugh zu: »Zeit zum Geschichtenerzählen, was, mein Junge?«

Carola sang dem Kleinen ein Liedchen vor. Kennicott war entzückt.

»Maud Dyer? Nicht daran zu denken!«

Er legte seinen Arm um Carolas Schulter, und als er mit ihr zum Abendessen hinunterging, freute er sich, diese gefährliche Sache überwunden zu haben. Während Carola das Kind zu Bett brachte, saß er auf den Stufen vor seinem Haus. Der Schneider und Lebemann Nat Hicks kam und setzte sich neben ihn. Zwischen Handbewegungen, mit denen er Moskitos vertrieb, flüsterte er Kennicott zu: »Sagen Sie, Doktor, hätten Sie nicht 'n bißchen Lust, heute wieder Junggeselle zu spielen und sich zu amüsieren, was?«

»Na, wie denn?«

»Sie kennen doch die neue Schneiderin, Frau Swiftwaite – blendendes Frauenzimmer mit blondem Haar? Na, die hat was los. Ich und Harry Haydock nehmen heute sie und die dicke Person, die im Bon Ton arbeitet – hübsches Kind auch – die nehmen wir auf 'ne Autofahrt mit. Vielleicht fahren wir zu der Farm raus, die Harry gekauft hat. Wir nehmen 'n bißchen Bier mit und tadellosen Korn.«

»Und ich soll wohl fünftes Rad am Wagen spielen?«

»Nee, nee, passen Sie mal auf: die kleine Swiftwaite hat 'ne Freundin aus Winona bei sich, hübsches Ding, sehr lustig, und Harry und ich haben gemeint, Sie würden sich vielleicht mal für 'nen Abend dünne machen.«

»Nein – nein –«

»Ach Quatsch, Doktor, vergessen Sie doch mal Ihre ewige Würde. Sie waren doch selber 'n ganz lustiges Huhn, wie Sie noch frei waren.«

Vielleicht lag es daran, daß Frau Swiftwaites Freundin für Kennicott nicht mehr als ein Gerücht war, vielleicht lag es an Carolas Stimme, die so sehnsüchtig geklungen hatte, als sie Hugh vorsang, vielleicht war es auch ganz einfach natürliche und lobenswerte Tugendhaftigkeit, auf jeden Fall blieb er fest:

»Nein. Ich bin verheiratet und bleib' es. Ich will gar nicht den Heiligen markieren. Ich würde ganz gern mal rauskommen, was ausfressen und 'n paar Tropfen trinken. Aber man hat seine Pflichten –«

Er war froh, daß Nat sich zum Gehen anschickte. Doch er war unruhig. Er hörte Carola auf der Treppe. »Komm, setz dich zu mir!« rief er freundlich.

Sie reagierte nicht auf seine Freundlichkeit. Sie saß auf der Veranda, schaukelte schweigend und seufzte dann: »So viele Moskitos heute. Du hast die Netze noch nicht vorgehängt.«

Als ob er sie untersuchte, fragte er ruhig: »Wieder Kopfschmerzen?«

»Ach, nicht sehr, aber – das Mädel lernt so langsam. Alles muß ich ihr zeigen. Den größten Teil vom Besteck hab' ich selber putzen müssen. Und Hugh war den ganzen Nachmittag so schlimm. Er hat immer gewinselt. Der arme Kerl, 's war ihm heiß, aber er hat mich todmüd gemacht. Na – ich denke, ich geh' hinein und les' einen Augenblick – ich möchte mir die letzte Vogue ansehen – und dann werd' ich wohl schlafen gehen. Das heißt, wenn du mich nicht brauchst, Lieber? Natürlich, wenn du mich wirklich für etwas brauchst –?«

»Nein. Nein … Ja, eigentlich muß ich ja rein und nach Frau Champ Perry sehen. Es geht ihr nicht gut. Also geh nur rein und – Vielleicht mach' ich auch noch 'nen Sprung in die Drogerie. Wenn du schläfrig wirst und ich noch nicht zu Haus bin, so wart nicht auf mich.«

Er küßte sie, machte sich auf den Weg, nickte Jim Howland einen Gruß zu, blieb stehen, um ein paar gleichgültige Worte mit Frau Terry Gould zu sprechen. Aber sein Herz raste, sein Magen krampfte sich zusammen. Er ging langsamer. Er kam zu Dave Dyers Hof. Er sah hinein. Auf der Veranda, von wildem Wein eingerahmt, saß die Gestalt einer in Weiß gekleideten Frau. Er hörte das Sofa knacken, als sie sich plötzlich aufsetzte, hinausstarrte und sich dann wieder zurücklehnte.

»'n Glas kaltes Bier war' nicht schlecht. Nur auf 'ne Sekunde hineinschauen«, prägte er sich ein, während er die Tür öffnete.

2

Unter dem Schutz von Tante Bessie Smail machte Frau Bogart Carola einen Besuch.

»Haben Sie von der schrecklichen Person gehört, die angeblich hergekommen ist, um Kostüme zu nähen – eine Frau Swiftwaite – eine schreckliche Wasserstoffsuperoxydblonde?« ächzte Frau Bogart. »Bei ihr im Haus sollen ja die fürchterlichsten Dinge vor sich gehen, erzählt man – ganz junge Burschen und alte grauköpfige Knacker schleichen am Abend dort rein und trinken Schnaps, und alles mögliche soll sich da tun. Wir Frauen können uns nie ganz die fleischlichen Gedanken in den Herzen der Männer vorstellen. Ich sage Ihnen, obwohl ich Will Kennicott kenne, fast seit er 'n kleiner Junge war, ich würde nicht mal ihm trauen! Wer weiß, wozu raffinierte Frauenzimmer ihn verführen könnten! Besonders einen Arzt, wo immer Weiber reinkommen, um in seinem Büro mit ihm zu sprechen und so! Sie wissen, ich red' nie rum, aber haben Sie nicht auch so ein Gefühl gehabt, daß –«

Carola war wütend. »Ich will gar nicht behaupten, daß Will keine Fehler hat. Aber eines weiß ich: er ist so unschuldig in dem, was Sie ›sich tun‹ nennen, wie ein Kind. Und wenn er jemals ein so trauriger Schuft sein sollte, eine andere Frau anzusehen, dann hoffe ich wenigstens, daß er helle genug sein wird, um selbst die Frau zu verführen und sich nicht reinlegen zu lassen wie in Ihrer scheußlichen Geschichte da.«

»Aber, wie sündhaft, so etwas zu sagen, Carrie«, rief Tante Bessie.

»Nein, ich mein's ernst! Ach, natürlich mein' ich es nicht ernst! Aber – Ich kenne jeden Gedanken in seinem Kopf so gut, daß er mir nichts verbergen könnte, auch wenn er wollte. Erst heute früh – Er war gestern abend lang ausgeblieben: er hat zu Frau Perry gehen müssen, die nicht ganz auf dem Posten war, und dann hat er noch einem Mann die Hand in Ordnung gebracht, und heute früh war er so still und nachdenklich beim Frühstück und –« Sie beugte sich vor und flüsterte den beiden gespannt dahockenden Harpyen in dramatischen Tönen zu: »Woran, glauben Sie, hat er gedacht?«

»Nun?« zitterte Frau Bogart.

»Ob das Gras geschnitten werden muß, wahrscheinlich! Na, na! Seien Sie nicht böse, daß ich so ungezogen bin. Ich hab' ein bißchen frisches Rosinenbackwerk für Sie.«


 << zurück weiter >>