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Sechzehntes Kapitel

1

In einer mondhellen Januarnacht fuhren sie den See entlang zu den Sommerhäuschen, zu zwanzig in einem Schlitten. Sie sangen »Märchenland« und »Mit Nelly auf dem Heimweg«; sie sprangen aus dem niedrigen Schlittenkasten heraus, um über die schlüpfrigen Schneegeleise zu laufen; und wenn sie müde waren, stellten sie sich auf die Kufen, um ein Stück mitzufahren. Die von den Pferden aufgeworfenen, im Mondlicht funkelnden Schneeflocken sprangen den Schwärmern in den Hals, aber sie lachten, schrien und trommelten sich mit ihren Lederfäustlingen auf die Brust. Das Geschirr knarrte, die Schlittenglocken waren laut, Jack Elders Setter umsprang bellend die Pferde.

Eine Zeitlang lief Carola mit ihnen. Die kalte Luft schien Kraft zu wecken. Sie glaubte, sie könnte die ganze Nacht weiterlaufen, mit jedem Schritt zwanzig Fuß weit springen. Aber der übermäßige Energieaufwand ermüdete sie, bald war sie froh, sich unter die Decken zu schmiegen, die auf dem Heu im Schlittenkasten lagen.

Bei Jack Elders Hütte stiegen sie aus. Frau Elder und Frau Sam Clark bereiteten in einem ungeheuren Zinkkessel Kaffee; Vida Sherwin und Frau McGanum packten Pfannkuchen und Backwerk aus; Frau Dave Dyer machte Würstchen heiß; Dr. Terry Gould verkündete: »Meine Damen und Herren, bereiten Sie sich darauf vor, sich zu empören; die Empörten, bitte, auf die rechte Seite«, und zog dann eine Flasche Bourbon-Whisky heraus.

Die anderen tanzten und riefen leise »Autsch«, wenn ihre erfrorenen Füße hart auf den Fußboden stießen. Harry Haydock nahm Carola um die Taille und drehte sie herum. Sie lachte. Der Ernst der anderen, die an der Seite standen und sich unterhielten, ließ ihren Wunsch nach Fröhlichkeit noch ungeduldiger werden.

Kennicott, Sam Clark, Jackson Elder, der junge Doktor McGanum und James Madison Howland stiegen am Ofen von einem Fuß auf den anderen und unterhielten sich mit der geruhigen Prahlerei von Geschäftsleuten. In Einzelheiten unterschieden sich die Männer, doch sie sagten die gleichen Dinge mit den gleichen herzlich monotonen Stimmen. Man mußte hinsehen, wenn man wissen wollte, wer sprach.

»Na, wir sind ziemlich schnell rausgekommen«, sagte einer – irgendeiner.

»Ja, wie wir am See waren, ist es recht flott gegangen.«

»Wenn man ans Autofahren denkt, kommt's einem aber doch ein bißchen langsam vor.«

»Ja, das ist soweit schon richtig. Hören Sie, wie macht sich denn der Sphinxreifen, den Sie jetzt haben?«

»Der scheint recht gut zu halten. Aber, ich weiß doch nicht, ob er mir lieber ist als der Roadeater Cord.«

»Ja, 's gibt nichts Besseres als Roadeater. Besonders der Cord. Der Cord ist viel besser als der glatte.«

»Ja, da haben Sie ganz recht – der Roadeater ist 'n guter Reifen.«

»Sagen Sie, wie sind Sie denn mit den Zahlungen von Pete Garsheim zufrieden?«

»Er zahlt ganz anständig. Ein schönes Stück Land hat er da gekriegt.«

»Ja, das ist 'ne blendende Farm.«

»Ja, Pete hat dort was Gutes erwischt.«

Von diesen ernsthaften Themen gingen sie zu den scherzhaften Grobheiten über, die den Witz der Hauptstraße bilden. Sam Clark zeichnete sich darin besonders aus. »Was ist denn mit dem tollen Verkauf von Sommermützen, mit dem Sie jetzt anfangen?« brüllte er Harry Haydock zu. »Haben Sie die gestohlen, oder hauen Sie uns ganz einfach wieder übers Ohr? … Ach, übrigens, weil wir grad' von Mützen reden, hab' ich euch schon erzählt, was ich mit Will für 'nen Spaß gehabt hab'? Der Doktor da glaubt, daß er 'n ganz guter Fahrer ist, wirklich, er glaubt, daß er fast 'nen Menschenverstand hat, aber einmal war er mit seinem Wagen im Regen draußen, und das arme Huhn hat nicht mal Ketten angelegt gehabt, und da hab' ich gedacht –«

Carola hatte die Geschichte ziemlich oft gehört. Sie floh zu den Tänzern zurück, und bei Dave Dyers Meisterstreich – er steckte Frau McGanum einen Eiszapfen in den Rücken – applaudierte sie wie hysterisch.

Sie saßen auf dem Fußboden und verschlangen das Essen. Die Männer kicherten freundlich, wenn sie die Whiskyflasche weiterreichten, und lachten: »Das ist wirklich tüchtig!« als Juanita Haydock einen Schluck nahm. Carola wollte ihr nachahmen; sie glaubte, sie habe den Wunsch, sich zu betrinken und ausgelassen zu werden; aber der Whisky erstickte sie, und als sie Kennicott die Stirn runzeln sah, gab sie die Flasche reuig weiter. Etwas zu spät fiel ihr ein, daß sie nicht mehr brave Ehefrau sein und nicht mehr bereuen wollte.

»Stellen wir Scharaden!« sagte Raymie Wutherspoon.

»O ja, das wollen wir«, sagte Ella Stowbody.

»Das ist fein«, rief Harry Haydock.

Sie vergaßen, daß sie wohlgesittet waren. Sie heuchelten; nach der ersten Scharade war Carola so angeregt, daß sie rief:

»Gründen wir einen Theaterklub und machen wir eine Aufführung, ja? Es ist heute abend so lustig gewesen!«

Alle zeigten freundliche Mienen.

»Freilich«, sagte Sam Clark.

»Ach ja, das wollen wir! Es wäre doch entzückend, ›Romeo und Julia‹ aufzuführen!« schmachtete Ella Stowbody.

»Das wäre ein Heidenspaß«, rief Dr. Terry Gould.

»Aber wenn wir das tun,« sagte Carola vorsichtig, »dürfen wir nicht so albern sein, lauter Dilettantenaufführungen zu machen. Wir müssen selbst die Dekorationen malen und wirklich was Schönes leisten. Es würde viel schwere Arbeit geben. Was meinen Sie, würden Sie – würden wir alle pünktlich zu den Proben kommen?«

»Klar!«, »Freilich«, »Na selbstverständlich«, »Bei Proben muß man doch pünktlich sein«, riefen alle.

»Dann wollen wir in der nächsten Woche zusammenkommen und die Theatergesellschaft Gopher Prairie gründen!« jubelte Carola.

Als sie heimfuhr, liebte sie diese Freunde, die durch den mondbeschienenen Schnee liefen, lustige Bohemiengesellschaften hatten und Schönheit auf dem Theater schaffen wollten. Alles war gelöst. Sie würde wirklich in der Stadt aufgehen und doch der Lähmung durch den Dorfbazillus entrinnen … Sie würde von Kennicott wieder frei sein, ohne ihm weh zu tun, ohne daß er es wüßte.

Der Mond stand jetzt hoch und war klein.

2

Obgleich sie alle überzeugt gewesen waren, daß sie sich nach dem Vorrecht sehnten, Komiteesitzungen und Proben beizuwohnen, bestand die Theatergesellschaft in ihrer endgültigen Zusammensetzung nur aus Kennicott, Carola, Guy Pollock, Vida Sherwin, Ella Stowbody, den Harry Haydocks, den Dave Dyers, Raymie Wutherspoon, Dr. Terry Gould und vier neuen Kandidaten: der koketten Rita Simons, Dr. und Frau Harvey Dillon, und Myrtle Cass, einem neunzehnjährigen Mädchen, das sich mehr durch Eifer als durch Anmut auszeichnete. Von diesen fünfzehn erschienen nur sieben bei der ersten Zusammenkunft. Die übrigen telephonierten ihr unvergleichliches Bedauern über ihre Abhaltungen und Krankheiten und teilten mit, daß sie zu allen anderen Zusammenkünften in aller Ewigkeit kommen würden.

Carola wurde zur Vorsitzenden und Geschäftsführerin erwählt.

Sie hatte die Dillons gebracht. Trotz Kennicotts Vermutung waren der Zahnarzt und seine Frau von den Westlakes nicht aufgenommen worden, sie waren ebenso außerhalb der wirklich eleganten Gesellschaft geblieben wie Willis Woodford, der in Stowbodys Bank Hilfskassierer, Buchhalter und Pförtner war. Carola hatte während einer Bridgepartie bei der Lustigen Siebzehn einmal beobachtet, daß Frau Dillon am Haus vorbeikam und in schmerzlicher Sehnsucht zum Glanz der Aufgenommenen hinaufgeblickt hatte. Daraufhin lud sie die Dillons zur Sitzung des Theatervereins ein, und als Kennicott grob zu ihnen war, legte sie besondere Herzlichkeit an den Tag und kam sich tugendhaft vor.

Das half ihr darüber hinweg, daß so wenige zur Zusammenkunft erschienen waren, und daß Raymie Wutherspoon immer wiederholte: »Das Theater muß gefördert werden« und: »Ich glaube, in einigen Stücken sind große Lehren«.

Ella Stowbody, die vom Fach war, weil sie in Milwaukee die Sprechkunst studiert hatte, war mit Carolas Begeisterung für neue Stücke nicht einverstanden. Fräulein Stowbody sprach das Grundprinzip des amerikanischen Theaters aus: die einzige Möglichkeit, künstlerisch zu sein, besteht darin, daß man Shakespeare spielt. Als kein Mensch auf sie hörte, lehnte sie sich zurück und setzte eine Lady Macbeth-Miene auf.

3

Die Kleinbühnen, die drei bis vier Jahre später das amerikanische Theater beleben sollten, waren noch im Embryonalzustand. Doch Carola ahnte diesen bevorstehenden Umsturz voraus. Sie wußte aus einem vereinzelten Magazinartikel, daß es in Dublin Neuerer gab, die sich »The Irish Players« nannten. Sie hatte verworrene Kenntnis davon, daß ein Mann namens Gordon Craig Dekorationen gemalt hatte – oder hatte er Stücke geschrieben? In einer Zeitung aus Minneapolis fiel ihr ein Inserat in die Augen:

 

Die Kosmos-Schule für Musik, Sprechkunst und Theater. Nächstes Programm: Vier Einakter von Schnitzler, Shaw, Yeats und Lord Dunsany.

 

Da mußte sie dabei sein! Sie bat Kennicott, mit ihr »einen Sprung in die Stadt« zu machen.

»Na, ich weiß nicht. Es wär' ja ganz nett, sich 'ne Vorstellung anzusehen, aber, verdammt noch mal, warum willst du denn die dummen ausländischen Stücke sehen, die da von Dilettanten gespielt werden? Warum willst du nicht auf 'n richtiges Stück warten? Es kommen bald paar blendende Sachen: ›Lottie von der Schießfarm‹ und ›Polizei und Verbrecher‹, richtige Broadwaysachen mit der New Yorker Besetzung. Was ist denn der Schmarrn, den du sehen möchtest? Hm. ›Wie er ihren Mann belog‹. Das klingt nicht schlecht. Scheint pikant zu sein. Und, äh, na ja, da könnt' ich ja auch in die Automobilausstellung gehen. Das neue Hupmobil-Modell würd' ich mir gern ansehen. Schön –«

Ob ihn das Theater oder die Automobilausstellung zum Entschluß brachte, erfuhr sie nicht.

Kennicott ging herum und ließ nebenbei durchblicken, daß er »'nen Sprung in die Stadt machen und sich ein bißchen Theater ansehen wollte.«

Während der Zug über die graue Prärie keuchte, an einem windlosen Tag, an dem der Rauch von der Maschine in ungeheuren Schwaden über den Feldern hing und ihre Schneedecke verhüllte, sah sie nicht ein Mal aus dem Fenster. Sie hatte die Augen geschlossen und summte vor sich hin, ohne zu wissen, daß sie summte.

Sie war die junge Dichterin, die sich den Ruhm und Paris erobern wollte.

Auf dem Bahnhof in Minneapolis verwirrten sie die Mengen von Holzfällern, Farmern und schwedischen Familien mit zahllosen Kindern, Großeltern und Papierpaketen, das Durcheinander und der Lärm machten sie fassungslos. In dieser ihr einst so vertrauten Stadt kam sie sich provinziell vor, nach eineinhalb Jahren in Gopher Prairie. Sie war überzeugt, daß Kennicott in die falsche Elektrische stieg. In der Dämmerung sahen die Flaschenspeicher, die jüdischen Kleiderläden und die Pensionshäuser in der unteren Hennepin Avenue verräuchert, scheußlich und verdrossen aus. Der Lärm und das Rütteln in der Stunde des Hauptverkehrs betäubten sie. Als ein Kommis in einem Paletot, der in der Taille zu eng geschnitten war, sie anstarrte, drängte sie sich näher an Kennicotts Arm. Der Kommis war eingebildet und städtisch. Er war ihr überlegen, war diesen Tumult gewohnt. Lachte er über sie?

Einen Augenblick lang sehnte sie sich nach dem sicheren Frieden Gopher Prairies.

In der Hotelhalle war sie verlegen. Sie war nicht an Hotels gewöhnt; voll Eifersucht dachte sie daran, wie oft Juanita Haydock von den berühmten Hotels in Chicago gesprochen hatte. Den Geschäftsreisenden, die sich wie Barone in großen Lederstühlen streckten, konnte sie nicht ins Gesicht blicken. Sie wollte, man solle glauben, daß ihr Mann und sie an Luxus und Eleganz gewöhnt seien; sie ärgerte sich ein wenig über die Vulgarität, mit der er, nachdem er »Dr. W. P. Kennicott und Frau« eingetragen hatte, dem Sekretär laut zurief: »Hab'n Sie 'n hübsches Zimmer mit Bad für uns, alter Junge?« Sie warf hochmütige Blicke um sich, als sie aber merkte, daß kein Mensch sich für sie interessierte, kam sie sich töricht vor und schämte sich ihrer Unruhe.

Sie behauptete: »Diese dumme Halle ist zu überladen«, und bewunderte sie gleichzeitig: die Onyxsäulen mit den vergoldeten Kapitälen, die mit Kronen bestickten Vorhänge an der Tür zum Speisesaal, die mit Seide bespannte Nische, in der hübsche Mädchen unaufhörlich rätselhafte Männer erwarteten, die Zweipfundschachteln mit Konfekt und die vielen Magazine am Zeitungsstand. Es fiel ihr ein Herr auf, der wie ein europäischer Diplomat aussah. Eine Dame in einem Breitschwanzmantel, mit schwerem Spitzenschleier, Ohrringen und schwarzem Hut war in den Speisesaal gegangen. »Himmel! Das ist die erste wirklich elegante Frau, die ich seit einem Jahr sehe!« jubelte Carola. Sie kam sich großstädtisch vor.

Als sie aber Kennicott zum Fahrstuhl folgte, wurde sie wieder schüchtern. Sobald sie in ihrem Zimmer waren, musterte sie Kennicott kritisch. Das erstemal seit Monaten sah sie ihn wirklich.

Seine Kleider waren zu schwerfällig und provinziell. Sein schlichter grauer Anzug, von Nat Hicks in Gopher Prairie angefertigt, hätte ebensogut aus Eisenblech sein können; er hatte keinen besonderen Schnitt, keine leichte Anmut wie der des Diplomaten. Seine schwarzen Schuhe waren derb und schlecht geputzt. Seine Krawatte war langweilig braun. Unrasiert war er auch.

Doch sie vergaß das alles, als sie die genialen Einrichtungen im Zimmer erblickte. Sie lief umher, drehte die Hähne an der Badewanne auf, aus denen das Wasser hervorschoß, nicht tröpfelte wie zu Hause, riß den neuen Waschlappen aus seinem Ölpapierkuvert, probierte die Lampe mit dem rosa Schirm über dem Doppelbett, zog die Schubladen des nierenförmigen Nußbaumschreibtisches heraus, um das Briefpapier zu untersuchen, nahm sich vor, allen Bekannten zu schreiben, bewunderte den bordeauxroten Samtlehnstuhl und den blauen Teppich, probierte den Eiswasserhahn und jubelte auf, als das Wasser wirklich kalt herauskam. Sie schlang die Arme um Kennicott und küßte ihn.

»Gefällt's dir, mein Mädel?«

»Es ist herrlich. Es ist so lustig. Ich hab' dich lieb, weil du mich hergebracht hast, du bist wirklich ein lieber Kerl!«

4

Sie waren in einem langen getünchten Saal, dessen Vorderteil von einem plumpen Vorhang abgeschlossen war. Auf den Klappstühlen saßen Leute, die frisch gewaschen und aufgebügelt aussahen: die Eltern der Schüler, Studentinnen, pflichtgetreue Lehrer.

»Die Sache sieht mir ziemlich faul aus. Wenn das erste Stück nicht gut ist, wollen wir abhauen«, sagte Kennicott hoffnungsvoll.

»Schön«, gähnte sie. Mit verschleierten Augen bemühte sie sich, das Personenverzeichnis zu lesen, das zwischen langweiligen Inseraten von Klavieren, Musikalienhändlern, Restaurants und Konfekt verborgen war.

Das Stück von Schnitzler sah sie mit nicht sehr großem Interesse an. Die Schauspieler bewegten sich und sprachen steif. Gerade als der Zynismus des Einakters ihre im Dorf eingeschläferte Frivolität wieder zu wecken begann, war es aus.

»Na, das hat mir nicht gerade sehr viel Eindruck gemacht. Wollen wir uns nicht drücken?« bat Kennicott.

»Ach, probieren wir's noch mit dem nächsten, ›Wie er ihren Mann belog‹.«

Der Witz Shaws amüsierte sie und verblüffte Kennicott.

»Kommt mir lausig frech vor. Aber 's ist pikant. Ich glaub' nicht, daß ich viel von 'nem Stück halten kann, wo der Mann wirklich will, daß einer seiner Frau den Hof macht. Das hat noch nie 'n Mann getan. Wollen wir?«

»Ich möchte noch gern diesen Yeats sehen, ›Land der Sehnsucht‹. Ich habe es im College so geliebt.« Sie war jetzt ganz wach und redete ihm zu. »Ich weiß, du hast dir nicht viel aus Yeats gemacht, wie ich dir laut aus ihm vorgelesen habe, aber du wirst selbst finden, daß du ihn auf der Bühne ganz einfach bewundern wirst.«

Die meisten Darsteller waren schwerfällig wie Eichenstühle, die laufen sollten, das Bühnenbild war ein kunstvolles Arrangement aus Batikschals und schweren Tischen, doch Maire Bruin war schlank wie Carola, sie hatte noch größere Augen, ihre Stimme klang wie eine Glocke. In ihr lebte Carola, auf ihrer Stimme wurde sie von diesem verschlafenen Kleinstadtgatten und diesen höflichen Eltern in das stille Kämmerchen einer Strohhütte getragen, wo sie sich in grüner Dämmerung an einem Fenster, das von Lindenzweigen gestreichelt wurde, über eine alte Chronik beugte.

»Na – Herrgott – 'n hübsches Ding, die das Mädel da gespielt hat – fesche Person«, sagte Kennicott. »Willst du dir noch das letzte ansehen? He?«

Sie fuhr zusammen. Sie antwortete nicht.

Wieder wurde der Vorhang zur Seite gezogen. Auf der Bühne sah man nichts als lange grüne Vorhänge und einen Lederstuhl. Zwei junge Männer in braunen Gewändern, die wie Möbelüberzüge aussahen, machten große Bewegungen und sprachen langsam rätselhafte Sätze voller Wiederholungen.

Es war das erstemal, daß Carola Dunsany hörte. Sie hatte Verständnis für Kennicott, als dieser unruhig in seiner Tasche nach einer Zigarre suchte und sie unglücklich wieder zurücksteckte.

Ohne zu begreifen, wann oder wie, ohne daß sich ein greifbarer Wechsel in dem einherstelzenden Singsang der Bühnenpuppen ereignete, wurde sie sich einer anderen Zeit und eines anderen Ortes bewußt.

Stattlich und erhaben unter hochmütigen Zofen, eine Königin in Gewändern, die flüsternd über den Marmorboden fegten, schritt sie in der Säulenhalle eines zerfallenden Palastes einher. Im Hof trompeteten Elefanten, standen dunkelhäutige Männer mit rotgefärbten Bärten, die blutbefleckten Hände auf ihre Degenknäufe gestützt, und bewachten die Karawane aus El Sharnak, die Kamele mit Lasten topasbrauner und zinnoberroter Stoffe von Tyrus. Hinter den Wachtürmen der äußeren Mauer flammte und gellte die Dschungel, brannte die Sonne wild auf vertrocknete Orchideen. Ein Jüngling kam durch die stahlgebuckelten Tore hereingeschritten, durch die schwertzerhauenen Tore, die höher waren als zehn großgewachsene Männer. Er trug eine biegsame Rüstung, und unter dem Rand seiner gehämmerten Sturmhaube ringelten sich verliebte Locken. Seine Hand war ihr entgegengestreckt, noch bevor sie sie berührte, konnte sie die Wärme spüren –

»Verflucht und zugenäht! Was soll denn das ganze Zeugs heißen, Carola?«

Sie war keine syrische Königin. Sie war Frau Dr. Kennicott. Mit einem Ruck fiel sie in einen getünchten Saal und sah zwei verschüchterte Mädchen und einen jungen Mann in zerdrückten Trikots an.

Während sie aus dem Saal gingen, polterte Kennicott freundlich:

»Teufel, was sollte das letzte Stück denn eigentlich bedeuten? Das hatte doch weder Hand noch Fuß, soviel ich verstehen konnte. Wenn das das ernste Theater ist, dann ist mir immer noch 'n Cowboyfilm lieber! Gott sei Dank, das ist überstanden, und wir können schlafen gehen. Vielleicht können wir ein bißchen Zeit sparen, wenn wir drüben bei Nicollet einsteigen. Aber eins muß ich schon sagen: warm genug war's in der Bude. Die müssen 'ne große Heißluftheizung haben, denk' ich. Wieviel Kohlen die wohl für den ganzen Winter brauchen?«

Im Wagen klopfte er ihr zärtlich auf das Knie, für eine Sekunde war er der im Panzer einherschreitende Jüngling; dann war er wieder Doktor Kennicott aus Gopher Prairie, und die Hauptstraße hatte sie wieder. Niemals, ihr ganzes Leben lang, würde sie Dschungel und Königsgräber zu sehen bekommen. Seltsame Dinge waren in der Welt, es gab sie wirklich; doch sie würde sie nie sehen.

Sie würde sie auf der Bühne neu schaffen!

Sie würde die Theatergesellschaft dazu bringen, ihre Ziele zu begreifen. Sie würden, ganz bestimmt würden sie –

Zweifelnd betrachtete sie die undurchdringliche Wirklichkeit des gähnenden Straßenbahnschaffners, der schläfrigen Passagiere und der Plakate, die für Seife und Wäsche Reklame machten.


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