Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

44

Am Freitag, dem 3. April, wurde die Gefangene 3921, die wegen Erpressung und Rauschgifthandels im Arbeitshaus war, und von der Ann rührenderweise glaubte, sie wäre von der Heroinsucht entwöhnt, um drei Uhr nachmittags mit einer kleinen Feierlichkeit im Amtszimmer entlassen, während deren Nr. 3921 (unter anderem hieß sie auch Sallie Swenson, Sarah Cohen und Sue Smith) Tee trank und weinte, dankbar zehn Dollar einsteckte und sagte, Dr. Vickers sei ihre Wohltäterin, ihr Vorbild, mit einem Wort so etwas wie ihre Schutzheilige.

Am selben Freitag noch wurde Sallie um zwölf Uhr nachts verhaftet, weil sie in beträchtlich angetrunkenem Zustande den Hinausschmeißer eines anständigen gesetzestreuen Speakeasy attackiert hatte; im Patrouillenwagen, auf dem Weg zur Wache, warf sie einem Polizisten einen Stein, den sie rätselhafterweise im Busen verborgen hatte, an den Kopf und sang »Mademoiselle von Armentières« in der Urfassung.

Da es gerade damals in New York keine besonderen Neuigkeiten gab, dachte ein Polizeireporter, Nr. 3921 könnte eine gute Geschichte abgeben, und unterhielt sich mit ihr. Sallie, Nr. 3921, hatte das heulende Elend und einen furchtbaren Anfall von Gewissensbissen. Sie sagte, das ganze Unglück wäre, daß man sie im Arbeitshaus, aus dem sie gerade entlassen worden sei, statt sie durch strenge Disziplin zu guter Führung zu erziehen, mit so waschlappiger Schlappheit behandelt hätte, daß sie ein ziemlich schlechtes Mädchen geworden wäre. Sallie sah, daß die Sache den Reporter erheblich zu interessieren schien, außerdem hatte sie ihre Freude an der in letzter Zeit von ihr entbehrten Aufmerksamkeit eines Mannes, und so fügte sie noch hinzu, als sie, bloß für ein bißchen Erpressung, eingesperrt worden wäre, hätte sie, ein unschuldiges Mädchen vom Lande, noch gar nicht gewußt, wie Alkohol oder Nikotin schmecken, von Koks und solchen Dingen ganz zu schweigen, und das Trinken und Rauchen hätte sie erst von den übersättigten Frauen im Gefängnis gelernt.

Die Zeitung zog die Geschichte ganz groß als zweite Seite in der Sonnabend-Morgenausgabe auf, gerade zu rechter Zeit als gefundenes Fressen für zwei gequälte, aber berühmte Prediger in Manhattan, die beide vor der Lektüre der Zeitung keine Ahnung davon gehabt hatten, was für eine Botschaft sie ihrer hungrigen Gemeinde am nächsten Tage geben sollten. Aber die Titel ihrer Predigten waren bereits angekündigt, und so hielten die beiden Propheten am Sonntagmorgen unter den verschiedenen Bezeichnungen »Gangster und Gottes Wort« und »Wann kommt der Tag des Gerichtes?« nahezu gleiche Predigten, etwa dieses Inhalts: der Grund für die Kriminalitätswelle sei, wie das Zeugnis der Miss Sallie Swenson beweise, darin zu suchen, daß die Gefängnisse solche Höhlen des Luxus und der Nachlässigkeit geworden wären, daß die Verbrecher nicht mehr durch Angst von ihren bösen Taten abgeschreckt würden. Der eine der hochwürdigen Barmherzigkeitsfachleute empfahl die Wiedereinführung der Prügelstrafe; der andere produzierte als neue Erfindung jahrelange Einzelhaft mit Redeverbot, in deren Verlauf die Gefangenen nichts anderes tun dürften, als die Bibel lesen und über ihre Schlechtigkeit nachdenken.

Ann lachte, als sie diese Bomben am Montag morgen las. Kein Mensch konnte solche Doktrinen ernst nehmen, die im Jahre 1800 verlockend gewesen waren.

Am Nachmittag bekam sie ein anonymes Telegramm.

Finde in heutigen Zeitungen predigten revs ingold und snow endlich erwischt man sie wolf im Schafspelz.

Am nächsten Morgen lagen neunzehn Schmähbriefe auf ihrem Schreibtisch im Arbeitshaus, drei darunter anonym. Die Zeitungen versuchten sie telephonisch zu erreichen, schon bevor sie in ihrem Amt war. Sie war gereizt, war bereit zu kämpfen, aber sie kam – unklugerweise, zweifellos – zu dem Schluß, daß es taktvoller wäre, den Reportern aus dem Weg zu gehen, die Öffentlichkeit zu vermeiden. Sie nahm sich den Tag frei, verbrachte ihn mit Pat Bramble in Connecticut und kam erst um Mitternacht zurück.

Als sie am Dienstagmorgen die Zeitungen zu sehen bekam, wurde sie, mitten im Verzehren ihrer Maisflocken mit Sahne, tobsüchtig. Ein Sensationsblatt, das Banner, hatte dem Fall: arme Sallie contra Arbeitshaus, eine ganze Seite gewidmet, an deren Kopf die Schlagzeile prangte: »Sind Gefängnispaläste eine Versuchung zu Laster und Verbrechen?« Etliche andere Geistliche waren noch herbeigeeilt, die Nation zu retten. Einer erklärte in einem Interview, er habe authentische Informationen darüber, daß in einer »Gewissen Besserungsanstalt für Verbrecherinnen« die Leiterin des Institutes mit den Gefangenen Zigaretten rauche und Angst davor habe, sie zu bestrafen. Ein Frauenverein in Flatbush, dem es seit Monaten nicht gelungen war, in die Öffentlichkeit vorzudringen, so viele Resolutionen gegen Rußland, den Whisky, den Atheismus und das gemeinsame Baden der beiden Geschlechter er auch von sich gegeben hatte, versuchte es nunmehr mit einer Resolution, in der über Ann der Stab gebrochen und eine Untersuchung der Zustände im Arbeitshaus durch eine vom Gouverneur ernannte Kommission gefordert wurde. Diesmal erreichten sie es. Ihre Resolution erschien als Kasten, umgeben von Frauenköpfen, die so verwischt waren, daß die Damen ebensowohl Ambulanzfahrerinnen, Angehörige des engeren Kreises der Sappho oder Mitglieder der dritten Kompanie von denen, »Die Es In Frankreich Machen«, hätten sein können. Aber es wurde versichert, es seien »prominente Damen der Gesellschaft von Flatbush, die gegen der Entartung des Strafvollzugs protestieren«.

Untersuchung durch ein vom Gouverneur ernanntes Komitee! Jetzt, so tobte Ann, wußte sie wirklich, wie es Barney ging.

Der Kernpunkt der ganzen Seite war ein Interview mit Anns Stellvertretender, der guten Schwester Keast.

In der Abwesenheit von Dr. Vickers, die rätselhafterweise nach außerhalb gerufen worden wäre, hätte Mrs. Keast eingeräumt, so erzählte der Reporter, sie seien möglicherweise zu milde mit Miss Sallie Swenson verfahren. Man bemühe sich versuchsweise, die Mädchen mit Liebe zu einer guten Lebensführung zu bringen. Mrs. Keast selbst sei mit dieser Methode nicht einverstanden, da sie eine vielleicht mannigfachere Erfahrung besitze als die Mehrzahl der Kriminologen. Aber ihr Chef, Dr. Vickers, und die anderen Beamten seien so reizende Menschen, daß sie bereit sei, ihre eigene praktische Erfahrung hintanzustellen und ihnen bei der praktischen Erprobung ihrer Theorie behilflich zu sein.

Der dümmste Leser konnte aus dem Interview herauslesen, daß Mrs. Keast, wenn ihr ihr Recht würde und sie Leiterin wäre, diesem ganzen Unsinn ein Ende setzen, mit dem Verwöhnen dieser Bestien Schluß machen, sie mit Hilfe ganz neuartiger Methoden – Dunkelzelle, neunschwänzige Katze, auf Wasser und Brot setzen – in Engel verwandeln würde.

Ann fegte über die Fronttreppe des Arbeitshauses wie ein Taifun. Noch ehe sie ihren Hut abnahm, drückte sie den Knopf für Miss Feldermaus und hielt ihn fest. »Schicken Sie die Keast her – schnell!« Dann zu der fischmäuligen Stellvertretenden Leiterin: »Keast, haben Sie das Interview im Banner gegeben?«

»Ach, war das nicht schrecklich! Natürlich hab ich es nicht gegeben! Sie haben einen Reporter hergeschickt, und ich hab ihm gesagt, ich will nicht mit ihm sprechen, und das einzige, was ich gesagt habe, war, daß es eine Freude für uns wäre, mit neuen Methoden zu experimentieren, und dann ist er losgegangen und hat die ganze Sache da drausgemacht!«

»Keast, ich sollte heute nach Philadelphia fahren und beim Essen eines Frauenklubs sprechen. Sie werden statt meiner hingehen, und zwar fahren Sie am besten jetzt gleich ab, noch in dieser Minute. Sie werden erst spät am Abend zurück sein können, Sie brauchen sich also nicht vor morgen früh zu melden. Hier ist die Notiz – Name der Vorsitzenden und Ort des Essens, und hier ist Ihre Fahrkarte. Machen Sie gefälligst rasch, schleunigst, Sie müssen den Zehnuhr-Zug noch kriegen. Ich werd telephonieren, daß Sie kommen. Feldermaus! Geben Sie mir die Nummer da in Philadelphia, schnell! Tag, Keast.«

Als Mrs. Keast aus dem Weg war, telephonierte Ann mit einem Banner-Reporter, den sie als ergebenen Freund Malvinas kannte. Er fragte jemand, und dieser fragte jemand anderen, der noch jemand fragte, und fünfzehn Minuten später hatte Ann die telephonische Information, daß Mrs. Keast das Interview im Banner selbst geschrieben hatte. Der Reporter hatte nur eine Einleitung und zwei Absätze Schilderung hinzugefügt.

An diesem Tag war Ann vierzehn Stunden lang im Gefängnis, von neun Uhr morgens bis elf Uhr nachts, und den größten Teil der Zeit verbrachte sie an ihrem Schreibtisch.

Als Miss Feldermaus sich um Mitternacht erschöpft nach Hause geschleppt hatte, berichtete sie ihrer Familie: »O weh, war das ein Tag heute! Aber fein war's. Hört zu! Seit Monaten hab ich nichts gesehen, was dem Großen Häuptling solchen Spaß gemacht hat! Sie hat ja ein bißchen vermeckert ausgesehen, aber heute, Junge, Junge, heute war sie die olle Mis' Dynamo persönlich, und sie hat die Sache vielleicht gefressen – ich kann euch sagen, jede Minute hat sie einen aus dem zwölften Stock rausgeschmissen, und die ganze Zeit hat sie gelacht. Ein fabelhafter Tag – und ein fabelhafter Chef! Herrgott, das Kleine von ihr möcht ich sehen! Der könnte sicher mit Gene Tunney und Max Schmeling zusammen fertig werden, jetzt schon!«

Und wirklich den ganzen Tag über sagte Ann immer wieder zu sich: »Und ich wollte es entscheiden! Was für eine Idiotie! Natürlich ist es für mich entschieden worden, und ich wußte, daß es so kommen wird. Die einsame Ann und der einsame Mat zusammen. Und die Arbeit, immer. Keine Ehemänner … Aber hoffentlich kommt Barney manchmal und haßt mich nicht allzu sehr, weil ich wieder Ann Vickers bin!«

Sie nahm sich den Akt vor, den sie über Mrs. Keast angefertigt hatte, klebte das Banner-Interview und Notizen dazu und rief den Gouverneur an, der sich ihr stets freundlich gezeigt hatte, immer bereit gewesen war, sie bei Reformen zu unterstützen.

»Sie werden heute ein bißchen vorgenommen, höre ich«, sagte der Gouverneur. »Das ist prächtig! Das fördert Ihre Aussichten, eines Tages selbst Gouverneur zu werden.«

»Das verhüte der Himmel! Die Gefangenen müssen dableiben und sich meine Reden anhören, Gouverneur, aber Auditorien könnten mir ins Gesicht springen. Ich möchte Ihnen ein paar Tatsachen über meine Stellvertretende – und Feindin – Mrs. Keast vorlesen, die meine Stellung haben will; ihr Interview, das sie selbst geschrieben hat, dafür habe ich Beweise, wird als Grundlage aller Angriffe gegen mich benutzt werden … Diese Mrs. Keast ist eine Cousine von Mick Denver, dem demokratischen Bezirksführer bei uns in der Stadt, und eine Schwägerin von Walton Pybick, dem republikanischen Führer in der Staatsfraktion; die beiden haben sich zusammengetan und sie hereingesetzt, bevor ich kam. Am Ende ihres zweiten Jahres an einer Höheren Schule in Chenango County wurde sie wegen groben Versagens in den Prüfungen entlassen, und seitdem hat sie keinerlei wissenschaftliche Ausbildung gehabt. Sie war in der schrecklichen Frauen-Besserungsanstalt in Fairlea Cottage, im Nordwesten, als da die furchtbare Revolte war, und wurde angeklagt wegen Schiebungen mit Nahrungsmitteln und weil sie Widerspenstige an einer Stange anbinden ließ, so daß nur ihre Zehen den Boden berührten; das war so freundlich besorgt worden, daß eine davon starb; aber die Sache wurde vertuscht und man hat ihr keinen Prozeß gemacht – man hat sie einfach laufen lassen, und dann kam sie zurück in den Osten.« Sie zählte noch ein Dutzend Punkte aus dem Akt auf, dann sagte sie: »Ich habe sie hiergelassen und ununterbrochen im Auge behalten, so daß sie keinen Schaden anrichten konnte; dadurch erreichte ich, daß die Politiker von meiner Schafhürde weggehalten wurden und mir freie Hand blieb. Jetzt will ich sie an die Luft setzen. Wenn sie Sperenzchen macht, werde ich diese Sachen zur Sprache bringen. Sie weiß nicht, wie viel ich weiß, dessen bin ich sicher. Was ich wissen möchte, ist, werden Sie mir den Rücken decken?«

»Sie sind in allen Ihren Punkten sicher? Sie haben Beweise dafür?«

»Ja, Dokumente, und außerdem die Namen und Adressen von Zeugen.«

»Dann werde ich Sie decken. Alles Gute, Doktor.«

»Danke schön, Gouverneur.«

»Ich wollte«, dachte Ann, »ich könnte ›Euer Exzellenz‹ zu ihm sagen, und zwar so, daß es echt klingt. Aber ich fürchte, ich bin kein guter Exzellenzsager … Feldermaus! Geben Sie mir die Hudson and Inland Immobilien-Gesellschaft in Yonkers. Schnell!«

Dann sprach sie mit dem Grundstückagenten, der Russell und sie durch Westchester begleitet hatte: »Hier Dr. Vickers – Stuyvesant-Arbeitshaus. Sie haben mir ein paar Häuser gezeigt. Wie? Ja, wenn Sie Wert darauf legen, ich bin auch Mrs. Russell Spaulding. Sie wissen doch noch – das kleine alte Haus am Rand von Scarsdale – Villa Piratenkopf? Nein, ich will kein größeres Haus. Aber ich mach mir einen Dreck – Entschuldigung, ich meine – also, das mein ich wirklich, ich mach mir einen Dreck aus gekachelten Badezimmern und Müllverbrennungsöfen mit Gasbetrieb. Sie wollten fünftausend für Piratenkopf haben. Was ist der allerniedrigste Preis, den der Besitzer nehmen würde? Wie? Ach Unsinn!« (Und sie war so sanft gewesen, an jenem Sonntag; eine richtige Mrs. Russell Spaulding!) »Ich bin bereit, sechsunddreißighundert zu zahlen – fünfundzwanzighundert bar, und die anderen elfhundert in zwei Jahren. Ja, besprechen Sie das mit den Besitzern, und sagen Sie ihnen, sie müßten sich rasch entscheiden, oder ich zieh das Angebot zurück. Wie? Ach Unsinn; nichts ist jetzt los zu werden, jetzt in dieser Depression; die können froh sein, überhaupt ein Angebot zu bekommen.«

Sie hatte Lust zu singen.

»Ich hab ein Heim für Mat und mich! Und vielleicht kommt Barney manchmal am Sonntag … Mal sehen; wenn Malvina kommt, nehm ich das kleine Zimmer und geb ihr mein großes. Wenn Barney kommt – – Jawohl!«

Die jüdische Rettungsanstalt für Gefallene Mädchen rief an und sagte überraschenderweise: »Dieser Pressequatsch macht dir wohl Sorgen – kann ich irgend etwas tun? Ausgezeichnet!«

Der nächste Anruf, eine abgespannte, schleppende Stimme: »Ann? Hier Pearl – Pearl McKaig. Ich nehme zurück, was ich gesagt habe – einen Teil davon! Ich freue mich, daß du von den Reaktionären Keile kriegst. Vielleicht bringt dich das zu uns zurück, Liebe. Alles Gute, du verdammte alte Liberale!«

Während sie die Zeitungen, alle ausnahmslos, anrief, und bald in brüskem Ton, bald mit ganz falscher Freundlichkeit sprach, machte sie schon Pläne für die Renovierung von Piratenkopf: der Rasenplatz mit unregelmäßig verstreuten Narzissen darauf für das Frühjahr, und ein kleiner Garten mit Zinnien und Dahlien und Hyazinthen, eingefaßt von Veilchen, und ein ganzes Beet einzig und allein für die unmoderne Blume, die sie am liebsten hatte – für das katzengesichtige treue Stiefmütterchen. Während sie Lokalredakteure anbluffte oder ihnen schmeichelte, baute sie ein Badezimmer ans Haus an (aber nur eines, mit einer Wandverkleidung aus weißem Fichtenholz und ohne eitle Kacheln) und entschloß sich zu einer altmodischen Tapete für das Wohnzimmer und einem weißen Kaminsims … »Mal sehen – der kleine Laden in New Canaan – da kann man billig einen alten Kamin kriegen – – Hallo, ja, ja. Hier Dr. Vickers vom Stuyvesant-Arbeitshaus, ich will den Chefredakteur sprechen, sofort – Doktor Vickers

Sie forderte alle Zeitungen in der Stadt auf, einen Reporter zu schicken (am liebsten eine Dame, aber sie bestand nicht darauf) der sich das Arbeitshaus ganz genau ansehen und mit den Insassen und Wärtern, die er sich selbst aussuchen konnte, unkontrolliert reden sollte, um so die Wahrheit zu erfahren, die die Antwort auf die Predigten und die patriotischen Damen von Flatbush wäre.

Sie kamen. Sie empfing sie nicht allzu überschwänglich. Nur eine Frage: »Wollen Sie lieber allein oder mit einer Wärterin durchgehen?«

Als sie fertig waren, versicherten sie ihr, daß sie ganz auf ihrer Seite stünden – und wann sie mit ihr lunchen dürften?

Da hatte sie wieder etwas Luft und einen Augenblick Zeit für das Problem eines alten Lappenteppichs, der auf die Treppe in Piratenkopf kommen sollte.

Die Hudson and Inland Immobiliengesellschaft gab ihr telephonisch Bescheid, sie könne das Haus zu den von ihr genannten Bedingungen haben.

Sie rief in Flatbush an und lud den Vorstand des »Klubs der Prominenten Damen der Gesellschaft« in corpore zum Tee ein.

Sie machte sich Notizen über die nicht sehr aussichtsreiche Möglichkeit, Jessie Van Tuyl, die einstige Verbrecherin und Heilige von Copperhead Gap, die jetzt Rektorin an einer Arbeiterinnenhochschule in Detroit war, als Stellvertretende Leiterin zu gewinnen.

Der letzte der Reporter verließ das Arbeitshaus um elf Uhr abends. Ann gab Miss Feldermaus einen Kuß und sagte entschuldigend: »Heut hab ich dich zu Tode gehetzt, du armer Liebling!« und ging selbst nach Hause. Sie war so glücklich, daß sie (nachdem sie einen Blick auf Mat geworfen hatte, der mit kriegerisch geballten Fäusten dalag und schlief) sehr freundlich und vergnügt zu Russell war, mit dem Erfolg, daß sie ihre Tür abriegeln und sich dahinter sein Getobe anhören mußte – das, wie sie sich nicht verhehlte, völlig berechtigt war. Am Mittwochmorgen stand sie früh auf, um die Dementis über das Arbeitshaus in der Presse zu genießen, und die ersten Schlagzeilen, die sie sah, standen im Recorder, auf der ersten Seite, in der ersten Spalte, ganz oben.

 

Zwei Richter von der
New Yorker Anklagebehörde
wegen
Annahme großer
Bestechungssummen in
Anklagezustand versetzt

Richter Bernard Dolphin
und Henry Seiffelt
angeklagt wegen Rechtsbeugung
im Queens-Kanal-Fall

Anklagebehörde untersucht
in Geheimsitzung Material der
Kontrollkommission und macht
sensationellen Bericht

 

Ann hatte den flüchtigen Eindruck, daß in allen Zeitungen günstige Berichte über das Arbeitshaus ständen. Sie las sie nicht. Sie las sie niemals.


 << zurück weiter >>