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5

Das Point Royal Frauen College – georgianische Backsteinbauten, Rasenflächen, Eichen und Ulmen – liegt hübsch auf einem Hügelhang über dem Housatonic River in Connecticut.

Ann Vickers' Vater hatte bei seinem Tod – er starb, so war er nun einmal, sehr still und bescheiden – tausend Dollar, sein ganzes Besitztum, hinterlassen. Um ihre weitere Ausbildung zu finanzieren, servierte sie in der Dawley Hall, dem College-Speisesaal, und korrigierte soziologische Aufsätze.

Sie war jetzt, im Herbst 1910, Juniorin.

Die neunzehnjährige Ann Vickers sah »erschreckend gesund« aus. So drückte sie sich selbst aus. Sie war ziemlich groß, hatte derbe Knochen und mußte fürchten, dick zu werden, wenn sie nicht, was sie stets tat, dagegen ankämpfte. Ihr Haar war braun und konnte nur mit der verzweifeltsten Mühe in Ordnung gehalten werden. Das Schönste an ihr waren ihre Augen, die in ihrer Dunkelheit einen überraschenden Gegensatz zu ihrer hellen Haut bildeten; und es waren Augen, die niemals leer waren; sie blitzten rasch in Fröhlichkeit oder Ärger auf. Ihre Hüften drohten zwar Fett anzusetzen, aber sie hatte schöne schlanke Beine, und lange, sehr kräftige Hände. Und sie, die sich für einen stillen Menschen hielt, für ein Feldmäuschen unter diesen großartigen, funkelnden Mädchen aus der Fifth Avenue, Farmington und Brookline, war in Wirklichkeit ein ziemlich unruhiges Geschöpf, war niemals demütig, nicht einmal gegenüber der Tochter eines Pittsburgher Stahlmillionärs. Immer war sie empört oder vergnügt oder tief bekümmert oder niedergeschlagen – in der Stimmung, die später von Lindsay Atwell ihre »Kleine Mißstimmung« genannt wurde. Wenn eine Theatertruppe nach Point Royal kam und die anderen Mädchen sagten: »Das war eine hübsche Aufführung«, oder: »Gar so großartig habe ich das nicht gefunden«, ging Ann nachher stundenlang – na, minutenlang – umher, haßte den Schurken, sonnte sich in der Glorie der Heldin, und bisweilen liebte sie auch den Helden.

Sie war, ohne es eigentlich recht zu wollen, wichtig. Sie war in der Basketball-Mannschaft, sie war Sekretärin des vorsichtigen Sozialistenklubs, sie war Vizepräsidentin des Y.W.C.A., der Vereinigung Christlicher Junger Frauen, und konnte damit rechnen, im nächsten Jahr, als Seniorin, Präsidentin der Vereinigung zu werden.

Zwei Jahre lang hatte sie allein gewohnt. Jetzt aber teilte sie eine hübsche Wohnung (es gab dort fließendes Wasser) mit Eula Towers, der bleichen und lieblichen Eula, die eine Vorliebe für mattes Licht und zarte Farben, für eine bleiche und lieblich laubgrüne Kunst hatte – sie war eine Fin-de-Siècle-Empfindsame, die um zehn Jahre zu spät kam. Eula machte die meisten Zeichnungen für den Jahrgangsalmanach: Porträts von jungen Damen mit Schwanenhälsen und einem gewissen Mangel an Milchdrüsen, von präraffaelitischen jungen Damen, überaus künstlerisch und ziemlich langweilig.

Ann hatte Eula stets bewundert und niemals gekannt. Für Ann, die ein beim Basketballspiel verletztes Bein bandagieren oder sich mit den statistischen Angaben in einem soziologischen Aufsatz abplagen oder die fürchterliche Kontroverse in der Y.W., ob man ein gemeinsames Treffen mit der Y.W. des Bethel College veranstalten sollte, mit gespielter Fröhlichkeit zu einem friedlichen Ende führen konnte – für Ann war es etwas Überwältigendes, daß Eula imstande war, Porträts von den Mitgliedern des Lehrkörpers zu zeichnen, daß sie fünf Armbänder gleichzeitig tragen konnte, daß sie manchmal einen Turban auf dem Kopf trug, und daß sie für den Literary Argus von Point Royal das herzbewegende Gedicht geschrieben hatte:

Nacht – dunkel ist die Nacht und von Ängsten schwanger –
Nacht – einsam muß ich wandeln auf verlass'nen Pfaden –
Ach, du bist so fern, du mein geliebtes Wesen – ach allzusehr geliebtes Wesen –
Unter dem erstorb'nen Mond.

Und Eula war reich. Ihr Vater war ein bedeutender Großdrogist in Buffalo. Ann bestand zwar darauf, ihre Mietshälfte zu bezahlen, aber sie überließ Eula das Einrichten und Ausschmücken der beiden Zimmer, und was für eine Einrichtung, was für eine Ausschmückung war das! Eula liebte ausschließlich bläßliche Pastelle und war überhaupt dafür, ganz allgemein den allzu hellen Genauigkeiten des Drogengroßgeschäftes zu entrinnen. Sie hatten ein Arbeitszimmer und einen Schlafraum. Das Arbeitszimmer, das sie »das Atelier« nannte, richtete Eula in Schwarz und Heliotrop ein; goldene und heliotropfarbene japanische Gewebe vor den hellgelb getünchten Wänden, die von den unästhetischen Collegebehörden geliefert waren; ein schwarzer Teppich; eine mit schwarzer Seide zugedeckte Couch, die so breit und üppig war, daß man nicht auf ihr sitzen konnte, ohne Kreuzschmerzen zu bekommen; Stühle aus schwarzgestrichenem Holz mit heliotropfarbener Polsterung; und Bilder und Bilder und Bilder … Aubrey Beardsley, Bakst, van Gogh, eine kostbare signierte Photographie von Richard Mansfield, und nicht unbedingt aus Japan stammende japanische Drucke, die nach Tausenden zu zählen schienen.

Als diese Grundlage einmal gelegt war, machte Eula sich daran, das Licht zu verdunkeln und die Luft auszusperren. Die drei Gasglühlampen – auf den beiden Schreibtischen je eine, und eine an der Decke – verhüllte sie mit dreifachen heliotropfarbenen Seidenschirmen. Die beiden guten Fenster, mit dem Blick auf Eichen, Wiesenland und Anhöhen im Hintergrund, merzte sie mit Hilfe von Gardinen aus heliotropfarbener Seide und schwarzen Samtvorhängen aus.

Auf einem kleinen Tischchen hatte sie einen vergoldeten Buddha aus Gußeisen stehen.

Ann war beunruhigt, aber sie schwieg. Sie machte sich Vorwürfe darüber, daß sie von den ganzen Kunstsachen »nicht viel« verstehe.

Als das schöne und wunderbare Werk vollendet war, sagte Eula eifrig zu Ann: »Ist das nicht entzückend? Die Zimmer in Point Royal, ach, die sind zum größten Teil so hart und sachlich. So fürchterlich männlich und gewöhnlich und vulgär! Wir werden einen richtigen Salon haben, in dem wir reden und müßig sein und unsere Seelen zu Gast laden können. Und träääumen! Das Schlafzimmer denke ich mir so. Wir wollen das schwarze Motiv beibehalten, aber als Hilfsthema Altrosa nehmen. Wieder schwarze Samtvorhänge, aber – –«

»Jetzt paß einmal auf!« Anns Ehrfurcht vor dem Hohen und Zierlichen war untergegangen im Begehren nach Licht und frischer Luft, zweien der höchsten Götter in ihrem kleinen harten Pantheon, in dem ferner noch auf Piedestalen standen: Mut, Treue und die Neugier eines Einstein hinsichtlich der Kräfte, welche die Welt in Gang halten. »Dieses Zimmer da ist bestimmt großartig, meine Liebe. Es sieht bestimmt hübsch aus. Ja, es wird wohl bestimmt hübsch sein. Aber im Schlafzimmer will ich keine schweren Vorhänge und keine großartigen Lampenschirme haben. Ich muß Luft haben. Und wenn du nichts dagegen hast, werd ich auch meinen Schreibtisch hinüberstellen und dort am Fenster arbeiten, und auf die Lampe kommt nur ein grüner Glasschirm. Du behältst dieses Zimmer hier. Und außerdem werden wir im Schlafzimmer zwei einfache Betten haben und zwei Kommoden und eine Binsenmatte, und weiter nichts.«

Eula trat dieser Philisterei entgegen. (Es war das Jahr 1910: man gebrauchte noch das Wort »Philister«.) Sie klagte gleich einem Silberhorn in einem Trauermarsch: »Ann! Ach, mein Liebling! Ich habe es ja nur getan, weil ich dachte, es gefällt dir – es gefällt dir – – Ach, wenn du nur etwas gesagt hättest!«

»Natürlich, es ist großartig, so ein Wohnzimmer zu haben. Aber man muß auch einen Raum haben, wo man arbeiten kann. Das siehst du doch ein!«

»Aber natürlich. Mein Liebling! Alles, was du willst!« Eula bewegte sich wie eine Schlange auf Ann zu: sie umfing sie, küßte sie auf den Hals. »Ich will doch nur tun, was du willst! Alles, womit meine Gaben deiner Größe dienen können – –«

»Ach, laß nach! Hör auf!« Das Sonderbare daran war, daß dieser glitschige Angriff Ann mehr erschreckte als ärgerte. Es kam ihr unheilig vor. Sie zeigte nicht den geringsten Mut und floh. »Ich muß rasch in die Sporthalle«, brummte sie, sich losreißend und nach ihrer Pudelmütze greifend.

»Das versteh ich nicht. Ich mag es nicht, wenn Mädels so an einem rumstreicheln. Ich hab ja richtig so was wie Angst gehabt. Nicht nett, wie damals bei Adolph!« dachte sie verwundert auf ihrem Weg zur Bibliothek.

Aber nachdem sie mit Danbys Grundsätzlichen Steuerfragen im Zusammenhang mit dem Zollwesen eine glückliche Stunde verbracht hatte, seufzte sie: »Ach, das ist bloß so eine dumme Schulmädelsache. Weil sie dich küßt, schnappst du auch schon ein. Du hältst dich auch für was besonders Heiliges! … Aber wir werden keine solchen babylonischen – karthagischen vielleicht? na, was es auch ist – Dekorationen im Schlafzimmer haben!«

Und so war es auch.

Obwohl Eula wehleidig über offene Fenster in kalten Nächten jammerte, erklärte sie vor anderen, sie sei einfach begeistert von der »schönen spartanischen Einfachheit unserer Schlafgelegenheit«.

 

Am dritten Tag des Juniorenjahres hatten sich sechs Mädchen in Eulas »Salon« versammelt. Das Zimmer war noch nicht vollständig eingerichtet, aber die breite schwarze Couch und einige hundert japanische Drucke gab es bereits. Die sechs saßen rings um eine Wärmschüssel, in der Welsh Rabbits dampften. Abgesehen davon, daß die Welsh Rabbits giftiger waren, glich das Ganze so ziemlich einem Beisammensein von sechs jungen Herren in Harvard, Yale oder Princeton, die sich im Jahre 1932 in einem der Collegeräume um eine kostbare Flasche Gin versammelt haben.

Sie redeten – sie erregten sich – sie schwatzten – sie bebten in ihrer Freude, das Leben zu entdecken. Die beiden ersten Collegejahre hindurch waren sie Schulmädchen gewesen. Jetzt blickten sie hinaus in die große Welt und in die Zeit, in der sie Absolventinnen sein und über Macht, Throne und Fürstentümer verfügen würden, über glänzende Stellungen an den besten Höheren Schulen oder über prächtige Gatten (am liebsten Akademiker), in der sie in Frankreich reisen oder den Armen und Ungebildeten ernsthaft Gutes tun würden.

»Es gibt so viele Mädels im Jahrgang, die ganz einfach heiraten wollen. Ich will nicht heiraten. Einen Haufen Bälger waschen und sich einen Mann beim Frühstück anhören müssen! Ich will einen Beruf haben«, sagte Tess Morrissey.

Es war 1910. Damals redeten sie, die vor Eifer glühenden Mädchen, als wären Ehe und »Beruf« notwendigerweise Gegensätze.

»Ach, ich nicht! Ich find es auch nicht ganz nett, so über das Familienleben zu sprechen!« sagte Amy Jones. »Ist denn schließlich nicht der Herd die Grundlage der Zivilisation? Und wie könnte eine wirklich nette Frau besser auf die Welt wirken als durch das Beispiel, das sie ihrem Mann und ihren Söhnen gibt?«

»Ach Quatsch, du bist so altmodisch!« widersprach Edna Derby. »Was meinst du, warum wir eigentlich aufs College gehen? Die Frauen waren immer die Sklaven der Männer. Jetzt hat die Stunde der Frauen geschlagen. Wir müssen die ganze Freiheit fordern und – und die Reisemöglichkeiten und den Ruhm und so weiter und so fort, alles, was die Männer haben. Und unser eigenes Geld zum Ausgeben! Oh, ich werd auch einen Beruf haben! Ich werde Schauspielerin. Wie la belle Sarah. Denkt doch! Die Lichter! Der Applaus! Der Geruch von – von Schminke, und alle möglichen interessanten Menschen kommen zu einem in die Garderobe und beglückwünschen einen. Die Zauberwelt! Ja, das muß ich haben … Oder ich könnte auch Landschaftsgärtnerei machen, da soll man famos Geld verdienen können.«

»Wenn du zum Theater gehst«, knurrte Ann, »wirst du aber wahrscheinlich auch noch was spielen und nicht bloß Applaus einheimsen!«

»Ach natürlich. Ich würde sehr gern das Niveau des Theaters heben. Jetzt ist es so ungeistig. Shakespeare.«

»Na, mir ist das gleich«, sagte Mary Vance. »Ich finde, Amy hat recht. Es ist ja ganz schön und gut, einen Beruf zu haben, und ich will auch mein Klavier und mein Banjo nicht aufgeben, aber ich möchte ein Heim haben. Dazu erwirbt man doch seine gute Bildung – damit man einen wirklich feinen Kerl heiraten kann, mit Verstand und allem, und damit man ihn versteht und ihm hilft, so daß man dann der Welt zu zweit entgegentreten kann, so wie – wie der französische König, ihr wißt schon, mit seiner Gattin.«

»Ich habe keine Angst vor der Welt. Ich werde Malerin. Studieren werde ich. Paris! O schönes Paris! Graue alte Stadt an der Seine. Und Gemälde, die immer in den Salons hängen werden!« erklärte Eula.

»Ja, und ich möchte schreiben«, schmachtete Tess.

» Was schreiben?« hakte Ann ein.

»Ach, du weißt schon. Schreiben! Du weißt ja – Gedichte und Essays und Romane und Kritiken und alles so was. Ich denke, ich werde wohl damit anfangen, daß ich Manuskripte für einen Verlag lese. Oder ich könnte eine Stellung an einer New Yorker Zeitung annehmen. Ich habe schon jetzt eine einfach blendende Idee für einen Essay – nämlich darüber, daß die Bücher unsere besten Freunde sind und einen nie im Stich lassen, wenn man noch so im Pech sitzt. Aber was meckerst du eigentlich? Du willst doch nicht sagen, daß du auf den ganzen Quatsch mit Ehemann und Herd hereinfallen wirst, wenn du einmal so viel gelernt hast? Willst du keinen Beruf haben, Ann?«

»Du kannst Gift darauf nehmen, daß ich das will! Aber der Unterschied zwischen mir und euch Dilettantinnen – euch Marias – ich hab immer gefunden, daß Martha damals schlecht weggekommen ist! – aber der Unterschied zwischen uns ist: ich hab vor zu arbeiten! Ich will so viel Beifall und Geld, wie ich nur kriegen kann, aber ich hab vor, dafür zu arbeiten! Und außerdem! Ich will was tun, was nicht ohne Wirkung für die Menschheit ist. Ja, wenn ich malen könnte wie Velasquez, so daß euch allen die Spucke wegbleibt, oder wenn ich die Lady Macbeth so spielen könnte, daß die Leute vom Stuhl fallen, dann war ich ganz wild danach, es zu tun, aber winzige kleine Schneelandschaften malen – –«

»Aber Aaann!« kam es von Eula.

»– oder Charles Klein spielen, das ist ja alles Goulasch! Ich will was tun, was auf die Menschen wirkt – was, weiß ich noch nicht – dazu versteh ich zu wenig. Missionarin vielleicht? Oder ist das ganz einfach ein Mittel, um nach China zu kommen? Ärztin vielleicht? Oder in einem Wohlfahrtshaus arbeiten? Ich weiß nicht. Aber ich will etwas in der Welt tun.«

»O ja«, erklärte das künftige literarische Genie, die kleine Tess, voll Tugendhaftigkeit, »natürlich will ich auch den Menschen helfen, sie heben.«

»Ach, ich meine nicht so was wie Kohle und Decken verteilen und den Südseeinsulanern beibringen, daß sie sich Hosen anziehen sollen. Ich meine – –« Wenn Ann schwerer darum kämpfte als die anderen, auszudrücken, für sich selbst dahinter zu kommen, was sie sagen wollte, so lag es daran, daß sie in irgendeiner primitiven Art wirklich etwas zu sagen hatte. »Es ist wie das, was man von dem neuen Roman von H. G. Wells, von Tono-Bungay hat. Ich möcht etwas dazu beitragen, ach nur ein Millionstel Teilchen, daß aus diesem Geschlecht von Dickschädeln und Brummbären etwas gemacht wird, was ein bißchen mehr Ähnlichkeit mit Engeln hat.«

»Aber Ann Vickers!« sagte die kultivierte Jones. »Findest du es nett, die Menschheit, von der die Bibel sagt, daß sie nach Gottes Ebenbild geschaffen worden ist, als einen Haufen Dickschädel zu bezeichnen?«

»Na, Johannes der Täufer hat seine Landsleute ein Otterngezücht genannt. Aber ich glaube, so gut sind wir gar nicht – wir sind nicht so geschwind und nicht so glatt wie eine anständige Otter. Wir brauchen mehr Gift, nicht weniger. Wir sind alle so – so – so verdammt weich! Wir haben solche Angst vor dem Leben!«

Francine Merriweather kam mit einem Knall ins Zimmer, und die Unterhaltung über die Ziele des Lebens, die so aufregend geworden war, kroch in sich zusammen und fand augenblicklich ein Ende, als Francine in der Manier der griechischen Tragödie schrie:

»Hört mich an, Schwestern! Wie findet ihr das? Die Sigma-Di-Gamma-Clique will Snippy Mueller als Jahrgangspräsidentin aufstellen und Gertie als Vorsitzende für den Literarischen! Wir müssen etwas tun!«

»Was tun!« rief Ann. Jetzt war sehr wenig von der Retterin der Menschheit in ihr; sie war ganz Energie und Wut. »Mädels! Wir müssen Mag Dougherty als Präsidentin aufstellen! Gleich an die Arbeit! Und wenn ihr nichts dagegen habt, denke ich, ich werd Vizepräsidentin! Und Mitzi Brewer ernennen wir zur Sekretärin.«

»Nanu, gestern hast du doch noch gesagt, die ist ein ganz gewöhnliches Mensch!« piepste Edna Derby.

»Ach«, ganz oben hin, »das hab ich nicht so gemeint. Außerdem kriegen wir, wenn wir sie da hereinnehmen, wahrscheinlich alle Stimmen von der Musikvereinigung. Die sind zwar alle reichlich angebumst, aber ihre Stimmen sind genau so gut wie die von allen anderen.«

»Aber Ann Vickers, wenn man dir zuhört, könnte man meinen, du bist bloß Politikerin. Ich glaube nicht, daß du auch nur ein Wort von allem, was du gesagt hat, ernst meinst – das Ganze da mit auf die Menschheit wirken wie H. G, Wells und so weiter.«

Ann war ehrlich erstaunt. »Ich? Politikerin? Aber Politiker sind doch scheußlich! Ich hab gar nicht an Politik gedacht. Ich hab mir bloß überlegt, wie man die beste Jahrgangswahl kriegen kann – ich meine die beste, die wir durchbringen können!«

Ebenso scharf, wie die praktischen Angelegenheiten die Lösung der Lebensprobleme unterbrochen hatten, ebenso scharf wurde die Politik von einem noch interessanteren Thema unterbrochen, als die zuletzt hereingekommene Francine aufgeregt erzählte: »Sagt mal, Mädels, hat eine von euch schon den neuen Professor für Europäische Geschichte, Dr. Hargis, kennengelernt? Ich hab ihn in seiner Kanzlei gesehen.«

»Wie sieht er denn aus?« gurrten die Mädchen im Chor.

»Hört mal! Er ist blendend! Stille, mein fliegendes Herz! Was haben die Gewaltigen in dieses Nonnenkloster eingelassen! Er ist einer von den gut aussehenden rothaarigen Männern.«

» Gibt's überhaupt gut aussehende rothaarige Männer? Frauen ja, aber Männer?« näselte Eula.

»Wart nur, bis du den griechischen Gott siehst! So das Rot, das fast wie Gold ist. Und Locken! Und reizende graue Augen, und ganz braun gebrannt, als ob er den ganzen Sommer geschwommen wäre, und blendende Schultern, und ein Lächeln – ach, wie ihr jungen Porzias alle auf ihn fliegen werdet!«

»Wie alt ist er denn?« fragte der Chor.

»Nicht mehr als dreißig, und er soll den Dr. phil. von Chicago und Deutschland und überall her haben. Ich geh jede Wette ein, daß er ein famoser Tänzer ist. Ob ich Europäische Geschichte belege? Alle, die dafür sind, heben die rechte Hand hoch! Die Majorität ist dafür!«

Aber Ann gelobte bei sich: »Dann werd ich nicht Europäische Geschichte belegen … Trotzdem, ich hab noch ein Loch in meinem Stundenplan … Aber bei mir wird's keine griechischen Götter geben. Die Männer sind Troglodyten – was immer das auch ist! … Was hat Vater nur immer gesagt: ›Männer sind Wiesel, und Weiber sind Vipern, und Kinder sind Würmer‹? Nein, die Männer sind einfach Tiere … Aber trotzdem, von Eula hier hab ich auch nicht viel vertragen können … Aber auf einen Mann fall ich, solang ich lebe, nie wieder herein … Aber beraten könnt ich mich ja auf jeden Fall mit dem Hargis über den Kursus.«


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