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34

Es traf sich zufällig so, daß es diesen beiden Menschen, die mit allen guten Werken beschäftigt waren, paßte, am Donnerstag nachmittag zu heiraten. Aber an diesem Abend hatte Russell ein Essen der Gesellschaft zur Durchführung der Einheitssteuer, und am nächsten Abend eine Ausschußsitzung der Freunde Rußlands, und so deutete er taktvoll an, daß es sehr nett wäre, wenn sie bis Sonnabend nichts Hochzeitsmäßiges tun würden; dann wollten sie drei Tage Flitterwochen im Landhaus von Malvina Wormser begehen.

»Schön. Geht in Ordnung«, sagte Ann.

Sie kamen an einem Vorfrühlingstag um sechs Uhr abends bei Mondschein im Landhaus an. Russell war im Zuge sehr lustig gewesen und hatte erzählt, wie der Redakteur des Statesman in der Ausschußsitzung eine Stunde lang versucht hatte, vollkommene Loyalität gegenüber Sowjet-Rußland mit vollkommenem Pazifismus und liebevoller Freundlichkeit gegenüber Konterrevolutionären zu vereinigen.

Auf dem Bahnhof gab es keinen Gepäckträger. Sie bewunderte – immer vergaß sie, wie stark Russell sein mußte – die Art und Weise, wie er ihre Koffer auf die Schulter nahm und in den Bahnhof schleppte; die sichere Art, in der er telephonisch eine Taxe bestellte.

In Dr. Wormsers langgestrecktem Wohnzimmer mit der Decke aus Fichtenholz, in dem es nach Holz, salzigem Wind und Büchern roch, dachte sie traurig an Pride, die in diesem Haus getötet worden war. Als Russell sie aber vom Boden aufhob und an seine Brust drückte, vergaß sie wieder,

»Hm! Ganz ordentlich! Ich bin kein Leichtgewicht«, sagte sie.

»Für mich –« Mit einem raschen Blick stellte sie fest, daß er wirklich nicht spaßte. »Für mich bist du nur ein zerbrechliches kleines Ding, das ich schirmen und bemuttern und beschützen muß, trotz deinem gigantischen Gehirn!«

»Hm, das ist ein neuer Gesichtspunkt. Aber wenn du jemals eine Freundin von mir namens Katherine Cognac triffst, dann erzähl ihr nichts davon. Wie wär's mit Abendbrot? Hast du wirklich dran gedacht, was zum Essen mitzubringen?«

»Schatzi, als Soziologe ist dein Alter vielleicht keine große Nummer, aber als Picknickorganisator ist er prima prima. Er ist ein erstklassiger Pfadfinder!«

»Russell, mein Guter, sag, was du willst über dich, aber nicht das.«

Es klang nicht besonders fröhlich.

Aber sie war gerührt von der Gründlichkeit seiner Einkäufe. Aus einem hölzernen Kasten, den er so leicht getragen hatte, als wäre es – also so leicht, als wäre es ein ziemlich schwerer Holzkasten – kam ein halber Smithfield-Schinken ans Tageslicht, irischer Speck, ein Hühnchen, zwei Tauben, Kalbskoteletts, die sie sofort in die elektrische Kühlmaschine packten, Büchsen und Pakete mit Mais, Tomaten, Haferflocken, Mehl für Eierkuchen, Roquefort – – Sie hatte eine Leidenschaft für Lebensmittelläden, wie alle gesunden Träumer, und hier hatte sie einen ganz für sich.

Mit einer Schürze um die Hüften, »Lächle, lächle …« singend, half ihr Russell bei der Zubereitung ihrer ersten Flitterwochenmahlzeit und beim Decken der Festtafel. Er war wirklich fast allzu hilfreich und lustig. Nach kurzer Zeit verspürte Ann den dringenden Wunsch, er möchte ruhig sein. Sie war über alle Maßen abgespannt. Sie wollte gut essen, still dasitzen und auf die vom Mondlicht überspülte See hinaussehen, ordentlich geküßt werden, bis sie taumelte und dann in einem Männerarm einschlafen. »Lang, lang ist der Weeeeg –«

»Verdammt, laß ihn lang sein.«

»Aber Liebling!«

»Oh, entschuldige Russell. Weißt du, ich hab mir das Lied während des Krieges ein bißchen übergehört.«

»Dann werd ich das Komische singen: ›Arm war sie, aber ehrlich auch.‹ Oder – – Ich mach wohl zu viel Krach? Heiraten geht einem ein bißchen auf die Nerven, nicht! Aber es ist wunderschön. Also, dann werd ich ein kleines Mäuschen sein, so gut wie n Schwergewicht eben eine Maus sein kann – eine Kreuzung zwischen Maus und Elefanten, zwischen Küchenschwabe und Nilpferd – der liebe Gott hätte viel amüsantere Tierchen erfinden können – –«

Und so machte er weiter. Aber anscheinend verlangte er nicht, daß sie ihm zuhörte, und sie war beinahe glücklich. Sie saßen da und betrachteten den garantiert echten Mond überm Ozean, und er hielt sie fachmännisch umschlungen – weder mit schaler und fischiger Schüchternheit, noch mit allzu gieriger Leidenschaft.

Plötzlich, um elf Uhr, sagte er: »Wir wollen ins Bett gehen.«

»Ja – –« Sie kam sich jungfräulich vor und hatte Angst.

Im Wohnzimmer ergriff er ihre Hand, führte sie zu dem Fensterplatz und zog sie zu sich nieder. Sie war nervös, bis sie in sein Gesicht sah; dann hätte sie am liebsten gelacht. Er sah so kläglich sentimental aus, und seine Stimme klang so sehr nach Vereinigung Christlicher Junger Männer, so männlich wie möglich und ganz wichtig:

»Ann, der Augenblick ist gekommen – – Wir sind beide Leute, die das Leben kennen, und ich glaube, wir haben beide ungewöhnlich viel Sinn für Humor, aber laß uns für diesmal den Humor beiseite stellen und diese Stunde heilig halten. Vielleicht hätt ich es dir schon vorher sagen sollen, aber jetzt muß ich es unbedingt tun. Wenn ich auch zweifellos niemals ein Lebemann gewesen bin, so bin ich doch nicht mehr ganz unberührt.«

»Wie?«

»Nein, es ist mir schmerzlich, es zu sagen, nicht ganz – –«

»Na, ich bin's auch nicht.«

»Du bist nicht?«

»Nein – nicht ganz.«

»Oh. Ja, natürlich, das macht es – – Trotzdem. Natürlich. Du bist ein moderner Mensch.«

»Das bin ich nicht! Ich bin eine Frau! Ich hoffe, das ist nicht bloß eine moderne Erfindung!«

Er kämpfte mit sich. In seinem Gesicht arbeitete es wie in dem eines verwirrten kleinen Jungen, der nur deshalb groß aussah, weil er in einem Vergrößerungsspiegel gesehen wurde. Dann hellte sein Gesicht sich auf; er lachte:

»Und weiß Gott, ich bin froh, daß du's nicht bist. Ach Ann, ich bin ein Sentimentaler, ein Blender, ein Windbeutel, ein Komödiant! Ich bin nur deswegen Reformator, weil ich ein Komödiant bin. (Mein gutes Kind, wenn du mich je an diese Beichte erinnerst, bring ich dich um!) Ich hatte wahrscheinlich eine schöne saftige Szene vor – wollte in ganz edler Weise gestehen, wie überaus schlecht ich gewesen bin! Ach, ich bin ein typischer sentimentaler Liberaler! Und du bist so groß, so ehrlich, so – – Nein, weiß Gott, das bist du nicht! Heut nacht nicht! Du bist mein Mädel! Komm her! Wie macht man das hier auf?«

 

Sie hatte Russell gern gehabt. Zumindest hatte sie sich gern von ihm gern haben lassen. In dieser Nacht, von dem Augenblick an, da er seine Neigung zur kindischen Schauspielerei zugab, bis zum Augenblick des Erwachens in seinen Armen, als sie beide dicht aneinander zusammengerollt lagen wie aufgeschichtete Teller, glaubte sie, daß sie ihn liebte.

Nachdem Russell einmal die Überzeugung gewonnen hatte, daß er nicht zart und verehrungsvoll zu sein brauchte, war er mit Begeisterung unanständig. Am nächsten Tag gab er groß an mit nackt Schwimmen, mit Tischdecken nur in Strohsandalen und einer Schürze, und er erzählte ihr Geschichten, die nicht nur ziemlich schmutzig, sondern, viel schlimmer, sehr alt waren.

Einen Tag lang machte es ihr Spaß, sich dieser munteren Unanständigkeit auszuliefern, und auch später störte es sie nicht. Aber nach ihren Erfahrungen mit vielen Kitty Cognacs erschien ihr Unanständigkeit als solche nicht besonders interessant. Sie begann Russell ein bißchen laut zu finden, allzustolz auf seine athletischen Kräfte im Schlafzimmer. Ihm fehlte es an Hemmungen, so wie es Lindsay Atwell an Entschlußkraft fehlte.

Sie schlich sich voll Niedertracht heimlich von ihm weg, während er auf der Veranda Kartoffeln schälte, ließ ihn in dem Glauben, daß sie in der Küche wäre, weiterplappern, lief zum Strand hinunter und setzte sich in die sonnige Höhlung zwischen zwei Dünen. Sie sah glücklich und jung aus, als sie da lief, und ihr Haar flatterte unter den Rändern des roten Taschentuches hervor, das sie um den Kopf trug. Aber als die Sonne alles an ihr einlullte außer der kleinen Maschine, die unaufhörlich in ihrem Schädel tickte, wurde sie ernst.

»Er ist ein Kind. Er meint es gut. Er ist kein Idiot. (Ich wollte wirklich, er wär nicht so scherzhaft, und ich wollte bei Gott, er kitzelte mich nicht!) Aber er ist ein Kind. Er ist eitel. Er ist anmaßend. Ich will ihn nicht haben als Vater für meine Kinder – für Pride.

Nein. Das stimmt nicht. Er wäre wahrscheinlich ein hervorragender Vater – verstehend und lustig. Aber ich will nicht, daß Pride wird wie er. Das will eine Frau mit ihrem Kind: den Mann neuschaffen, den sie liebt.

O mein Gott! Wie könnt ich das tun? Nur um Lindsay eins auszuwischen, nur um es ihm zu zeigen! Russell! Diese Schießbudenfigur! Dieser Hampelmann! Dieser Witzbold, der es komisch findet, ›Doktor‹ zu mir zu sagen! Dieser dicke Provinzonkel, der Sehnsucht nach handfester Liebe hinter der Hecke hat! Ich, die ich so stolz und frei und stark war! Mich selbst in die Lage zu bringen, daß ich mit diesem Clown das Bett teilen muß – und was noch schlimmer ist, mir seine Scherze anhören muß!«

Sie zischte vor Wut.

Aber die Sonne schien zärtlich, die Wellen glucksten fröhlich, und sie war eine gesunde Frau, die ausgehungert war. Sie ging langsam zurück und wurde auf dem Fensterplatz zu ihrer Zufriedenheit empfangen. Aber nachher traf sie Vorsichtsmaßregeln, um keine Kinder von Russell Spaulding, von Ignatz, von dem verspielten Jungen des Liberalismus, zu bekommen.


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