Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

[Anhang]

Skizze des rabbinischen Lebens.

Rabbi Akiba.

Die Grundsätze, die Gleichnisse, die Sagen, die wir bisher gesammelt und zusammengestellt haben, können uns das Fühlen und Denken der Zeiten und Menschen, denen sie angehören, in deren ausgewähltestem und edelstem Theile, kennen lehren. Aber das Wort, das, wie mit allzu scharfer Ironie, ein großer Staatsmann sagte, dem Menschen gegeben wurde, um den Gedanken zu verbergen, ist ein allzuschwacher und trügerischer Beweis, um ein genaues Urtheil über die menschlichen Gemüther zu fällen. Um die Menschen kennen zu lernen und zu beurtheilen, muß man sie auf der Schaubühne sehen, ihre Thaten mit den Worten und die Worte mit den Thaten vergleichen.

Um daher unsere Studie vollständig zu machen, werden wir die Geschichte eines Gelehrten jener Zeiten darstellen und werden vor den Augen des Lesers die verschiedenartigsten Szenen, die das Drama seines Lebens bilden, entfalten. Es ist eine unserm Jahrhunderte ganz und gar ungewohnte und darum nicht so leicht verständliche religiöse, moralische und literarische Welt. Es geschieht in unserm Falle, Was oft im Studium des Alterthums geschieht, in welchem viele Sitten und Gedanken uns wie unlösbare Räthsel vorkommen, weil von jenen tausend Umständen losgetrennt, die den Grund derselben bildeten. Wir werden uns jedoch bemühen, unserer Geschichte eine solche Klarheit zu geben, daß sie, so viel möglich, leicht und faßlich auch für die Uneingeweihten werde; und wir haben das Vertrauen, daß wenigstens die Neuheit der Dinge vermögen werde, ihr die Aufmerksamkeit des Lesers zu gewinnen.

Folgend unserer Weise, die schönsten Blumen jener Zeiten zu sammeln, haben wir als Helden unserer Erzählung den berühmten Rabbi Akiba, einen der größten Gelehrten des Talmudismus, gewählt. Gewissenhaft der Wahrheit folgend, stellen wir die Facten nackt dar, wie sie in den alten Schriften enthalten sind, indem wir als Anhang die treue Uebersetzung einiger Abschnitte jener alten Documente, die sich auf das Leben jenes Weisen beziehen, beifügen.


Inmitten der Trümmer der aufgelösten jüdischen Nationalität erhob sich langsam das Gebäude des traditionellen Judenthums; ein Gebäude, das später fest und unbeweglich gegen die Angriffe so vieler Jahrhunderte und so vieler Nationen bleiben sollte. Unser Gelehrter war einer der wirksamsten, thätigsten, mächtigsten Urheber jenes Gebäudes; er bildete durch seinen Geist sein Jahrhundert und zog seine Volksgenossen mit unwiderstehlicher Gewalt an sich. Die Eigenschaften seines Geistes und seines Herzens erwarben ihm bei seinen Religionsgenossen ein solches Ansehen und solchen Einfluß, daß sie ihn, moralisch, als Vorstand und Haupt der jüdischen Nation einsetzten. Besondere Schärfe der Analyse, die bis zu den kleinlichsten Theorien der Dinge Hinabstieg und zu gleicher Zeit vorzügliche Macht der Synthese, welche in einem Momente die tausend kleinen Theile in ein großes und geordnetes Bild zusammenfaßte, bewegliche und unruhige Phantasie, vereinigt mit arbeitsamer und unermüdlicher Thätigkeit; kalte Dialektik, verbunden mit jugendlicher Empfindungskraft; unbeugsame Logik gegen sich selbst und höchste Schmiegsamkeit gegen Andere waren Gaben, die ihm leicht den ersten Rang unter den vielen, damals berühmten Weisen erwarben.

Nach den talmudischen Ueberliefernngen war Akiba in seinem jugendlichen Alter Hirte im Dienste eines berühmten Bürgers, Namens Kalba Schabua. Dieser, mit unermeßlichen Reichthümern versehen, ist in den thalmudischen Jahrbüchern der Belagerung Jerusalems berühmt durch sein großmüthiges Anerbieten, die Belagerten während der Einschließung der Stadt mit einigen Lebensmitteln zu versorgen.

Unser Held war, wie es eben sein niedriger Stand mit sich brachte, roh und unwissend und obendrein, wie er später von sich selbst zugestehen mußte, voll von Verachtung und Zorn gegen die Gelehrten und Rabbinen, eine Verachtung und ein Zorn, die vielleicht ihre Wurzel in dem Bewußtsein der eignen Unwissenheit und Verworfenheit hatten. Die Liebe und erwiderte Liebe genügte, dessen Gemüth zu veredeln und dessen Vorsätze, Neigungen und Schicksale zu ändern. Sterblich verliebt in die Tochter Kalba's, die ihn eben so wieder liebte, erhielt er von dem Mädchen das Versprechen und das Wort der Liebe und den geheimen Schwur des ehelichen Bundes, mit der sonderbaren Bedingung jedoch, daß der Verlobte sich auf irgend eine berühmte Studien-Academie begebe und sich ganz der Wissenschaft widme; so übernahm die Liebe das edle Amt, den rohen Hirten in einen großen Weisen umzubilden.

Obschon in den Jahren etwas vorgerückt, verließ Akiba, getreu seinem Versprechen, die ihm im Geheimen verbundene Frau, begab sich in die berühmte Schule des Nachum Gamsu, fing die ungeheuere Arbeit eines Schülers an, um von den ersten Elementen der talmudischen Wissenschaft bis zu deren unermeßlicher Entwicklung fortzuschreiten. Unterdessen entbrannte der Vater der Frau, als er von der geheimen Heirath hörte, von unerbittlichem Zorne, jagte die Tochter aus dem Hause und erklärte sie als enterbt. Die Arme aber, obwohl allein und jedes Subsistenzmittels beraubt, verlor dennoch den Muth nicht; fristete ein kärgliches Leben mit einem ärmlichen Verdienste und sandte unterdessen geheime und warme Ermuthigungen dem Verlobten, damit er in seinem edlen Vorhaben beharre.

Nach einem Jahre der Abwesenheit und wunderbarer Fortschritte, erlangte Akiba großen Ruhm unter den Gelehrten und zog eine große Anzahl Zuhörer und Schüler an sich. Alsdann schickte er sich zur Rückkehr an, begleitet von einem unzähligen Gefolge von Jünglingen, die zu seinem Unterricht herangekommen waren. Die ganze Stadt zog ihm entgegen, ihn zu feiern und Kalba, durch den Ruhm seines Schwiegersohnes besänftigt, billigte die so sehr widerstrittene Vermählung, nahm das edle Paar in sein Haus auf, und wies ihm alle seine Reichthümer zu.

Die zwei vorzüglichen Meister Akiba's hatten sehr verschiedenen Charakter und Geist. Elieser war ein Mann von mächtigem Geiste und unbegränzter Gelehrsamkeit, ein Gefäß (wie die Rabbinen von ihm sagten) ein Gefäß, eng verschlossen und versiegelt, das keinen Tropfen verlor von Allem, was darin angesammelt war. Der zweite, Nachum, war ein Mann von feinstem Geiste, der prüfte, abwog und maß, nicht bloß die Worte, sondern auch die Buchstaben der heiligen Schrift, und mit feinster Schärfe logische Schlüsse daraus zog, die der traditionellen Wissenschaft zur Stütze dienten. Akiba benützte in vollem Maaße die Unterweisungen des Einen und des Andern und von dem Ersten entnahm er einen reichen Vorrath von Gelehrsamkeit, von dem Zweiten eine feine Dialektik. Seine Schule nahm unterdessen jeden Tag mehr zu an Ruhm und an Schülern, sein Name wurde unter denen der größten Weisen genannt und er war nunmehr als der erste unter den Gelehrten Israels verehrt.

Die jüdische Ueberlieferung stellt eine Menge Satzungen und Axiome auf, die im biblischen Texte nicht im mindesten angedeutet, keine andere Autorität besitzen, als die Tradition. Es war das äußerste Bemühen Akiba's, die Ueberlieferung durch das Ansehen der heiligen Bibel selbst zu unterstützen. Aeußerst scharfsinnig über die Worte, über die Buchstaben, über die Punkte, über entfernte und seine Analogien nachgrübelnd, Sinn und Leben Partikeln gebend, die in der Sprache nichts bezeichnen, als die Verhältnisse der Wörter und der Gedanken, errichtete er auf dem mosaischen Texte selbst einen großen Theil des Gebäudes wieder, das von der Ueberlieferung ausgeführt war und wollte so die Tradition unauflösbar an das geoffenbarte Wort anknüpfen. Diese seine Wissenschaft erweckte unter den Gelehrten eine große Begeisterung und von vielen von ihnen erhielt er Beweise von hoher Achtung und Verehrung. Einer seiner College«, von Bewunderung hingerissen, rief aus: »O Akiba, wer deine Unterweisungen verläßt, verläßt das Leben.« Ein anderer gab Zeugniß, daß die feinsten logischen Erörterungen Akiba's mit Axiomen übereinstimmten, die er selbst von der Tradition gelernt und die er früher vergessen hatte.

Die Klarheit und die Ordnung waren die wichtigsten Vorzüge seiner Wissenschaft und seines Unterrichtes; und diese Eigenschaften suchte er mit unermüdlichem Eifer in die Gemüther seiner Schüler überzutragen. Er wollte, daß der studirende Jüngling Tag für Tag nur einen Satz lerne und auf diesen allein seine Gedanken gerichtet halte und ihn nach allen Seiten hinwende, ihn Prüfe und sich davon durchdringe. Den Meistern empfahl er, nicht zu ermüden, hundert Mal den nämlichen Unterricht zu wiederholen, damit er dem Verstande der Schüler klar und lichtvoll werde. Einer seiner Bewunderer verglich seinen Geist mit einem reichen Magazine, wo alle Dinge in schönster Ordnung vertheilt und aufgestellt sind. Ein Landmann (so sagt ein Anderer) wirft in einen großen Korb Gerste, Bohnen, Korn und Linsen durcheinander; aber kaum zu Hause angekommen, trennt er jeden Gegenstand sorgfältigst und macht verschiedene Haufen daraus; so schließt der Geist Akiba's in sich eine große Anzahl Erkenntnisse und Axiome und ordnet sie untereinander in verschiedenen Zellen.

In den ersten Jahrhunderten der gewöhnlichen Zeitrechnung schlossen sich eine Menge neuer Ideen, neuer Systeme und neuer Seelen dem Judaismus an und suchten, in denselben einzudringen, ihn zu modificiren, ihn umzuändern. Die heidnische Philosophie suchte ihn zu bezaubern durch den dichterischen Glanz und durch die verführerische Unabhängigkeit ihrer Theorien. Der Christianismus, der in seinen ersten Jahren noch Theil am Judaismus zu haben schien und sich leicht mit ihm vermischte, bemühte sich, ihn aus dem engen Kreise einer Idee und eines Landes herauszuziehen, um ihn mit der heidnischen Welt zu versöhnen und in derselben ihn umzugestalten. Der Gnosticismus hauchte den Odem seiner Phantasien hinein und mischte der Einfachheit der mosaischen Gotteslehre seine Träume von den zwei Urgründen, von den Genien und von der vergöttlichten Materie bei. Die alten Documente des Talmudismus tragen nicht wenige Spuren dieser Ideenmischung an sich und beweisen, daß viele seiner Lehrer sich leicht in diese neuen Studien verwickelten und die eignen Gedanken damit färbten. Die Sage selbst erwähnt mit Bedauern und Klagen die Namen einiger berühmten Rabbinen, die, aus dem Kreise der eignen Studien heraustretend und sich neuen metaphysischen Forschungen hingebend, davon, so sagt sie, krank an Geist und Körper wurden. Unser Akiba dagegen ist berühmt wegen seiner unerschütterlichen Beharrlichkeit in der strengen Reinheit der mosaischen Grundlehren. Er mied es nicht im Mindesten, sich der ganzen Tiefe der theologischen Forschungen hinzugeben; aber die Klarheit seines Geistes und die Kraft seiner Ueberzeugung bewahrten ihm den Glauben unbefleckt. Einmal, sagt die Legende, schlugen die Engel vor, ihn wegen der Kühnheit, mit welcher er wagte, in die Geheimnisse der Gottheit einzudringen, zu bestrafen; aber Gott sagte zu den Engeln: »Lasset ihn in Frieden; denn er ist ein Mann, würdig, über meine Größe nachzudenken.«

Die philosophische Schärfe womit er gewisse vorgebliche Wunder auf den gewöhnlichen Lauf der Dinge und auf die gemeinen Gesetze der Natur zurückzuführen wußte, scheint ihm mächtig geholfen zu haben, den Verführungen der neuen Theorien zu widerstehen. Sehr bemerkenswerth ist seine Unterredung mit einem Heiden, der, selbst ungläubig, ihn dennoch einlud, ihm die Ursache einiger wunderbaren Euren, die durch magische Operationen bewirkt und durch allgemeines Zeugniß bestätigt wurden, zu erklären. Unser Weiser, die schwierige und immer resultatlose Untersuchung über die Wahrhaftigkeit der Tatsachen bei Seite lassend, ging in einen weiteren Kreis edlerer Ideen ein. Er deutete aus die Gesetze der Natur hin, die viele Krankheiten durch eine regelmäßige Periode von Verschlimmerung und Besserung beherrschen; er bemerkte, daß öfters diese Periode durch einen einfachen Zufall mit der Epoche dieser magischen Operationen zusammentreffen mochte und daß die Vorsehung wegen der Thorheiten dieser Betrüger die Natur der Dinge nicht ändern konnte und daß er diese ihren regelmäßigen Lauf verfolgen ließ.

Sicher seiner selbst, fürchtete er sehr die Schwächen der Andern und diese Furcht bewog ihn zu Vorsichtsmaßregeln, die von Unduldsamkeit nicht frei waren. Die neuen gefährlichen Lehren schlichen sich leicht in die Gemüther seiner Mitbrüder durch Schriften ein, die mit großer Begier ausgesucht und gelesen wurden; und die Geschichte jener Zeit schreibt den Ursprung des Verderbnisses eines berühmten abtrünnigen Rabbinen der Begier zu, womit er, noch jung, diese Bücher suchte und sie mit sich in die Schule nahm und sie im Geheimen las, statt auf den Unterricht des Meisters aufzumerken. Akiba, um die Gefahr zu entfernen, verbot das Lesen der Bücher der Häretiker, und erklärte Jeden für der ewigen Seligkeit verlustig, der darauf sich verlegte. Seine Strenge ging soweit, daß sogar die heilige Schrift, von einem Min (Häretiker) geschrieben, für ihn entheiligt war und ohne Skrupel dem Feuer übergeben werden durfte. Vielleicht, daß die Fälschungen, die an dem biblischen Texte vorgenommen wurden, ihn zu dieser Maßregel äußerster Strenge bewogen.

Die Festigkeit des Gedankens und die Ueberlegenheit der Weisheit hatten ihm leicht großes Ansehen und Einfluß erworben; aber mehr noch als der Geist, scheinen die Eigenschaften des Herzens ihn geachtet und geehrt bei seinen Volksgenossen gemacht zu haben. Um diese seine Eigenschaften zu studiren, ist es uns nöthig, einige der vielen Grundsätze vorzuführen, die ihm am meisten eigen waren, die Urtheile, die seine Zeitgenossen darüber fällen und welche die Nachfolger dieser bestätigten, sowie einige kleine Zwischenfälle des Lebens, aus welchen die Gefühle des Herzens deutlicher hervorleuchten.

Die zeitgenössischen Documente sprechen von ihm mit dem ganzen emphatischen Aufwande der Bewunderung und mit dem der orientalischen Sprache eigenthümlichen Pomp. In ganz Palästina, sagen sie, war Keiner ihm gleich, sein Herz bedeckte heilige und weite Gedanken, wie der heilige Vorhang auf dem Allerheiligsten; wenn er weniger wird, wird weniger das Gesetz, weniger die Weisheit. Es sind dieses Ausdrücke, die deutlich beweisen, in welch hoher Achtung er allgemein stand. Dennoch, trotz solcher Ruhmeshöhe, erhob er sich nicht in Stolz, im Gegentheil, er wird hauptsächlich ausgezeichnet und bewundert wegen seiner besondern Bescheidenheit. Von dieser seiner Tugend werden einige kleine Facten erzählt, die verdienen, erwähnt zu werden, um jene Zeiten besser zu erkennen.

Es ist bekannt, wie im Morgenlande die Art zu sitzen, sehr verschieden von der unsrigen und ganz eigenthümlich ist. Besonders in den öffentlichen Schulen saßen sowohl Hörende als Lehrende nicht auf bequemen Stühlen, sondern auf der Erde und so ausgestreckt, betrieben sie das Studium. Wer zuletzt eintrat, mußte, wenn sein Platz unter den ersten war, um weiter zu kommen, inmitten jener Liegenden gehen und, wie die Rabbinen emphatisch sagen, jene heiligen Häupter mit den Füßen treten; ein Act des Stolzes und der Beleidigung in jenen Zeiten. Einmal kam unser Gelehrter in die Schule, als diese schon ganz von Personen angefüllt war. Statt durch die Liegenden hindurch zu gehen, um seinen Platz einzunehmen, blieb er bescheiden an der Thüre stehen, in der Haltung Eines, der demüthig zuhört. Aber die gelehrte Versammlung beobachtete unterdessen ein tiefes Stillschweigen, denn ohne ihn wollte Niemand irgend eine Frage oder ein Wort Vorbringen und, um die gewöhnlichen Verhandlungen zu beginnen, mußte man ihn bitten, weiter zu gehen. Der Gelehrte entspricht der Bitte, aber statt seinen Platz einzunehmen, setzte er sich zu den Füßen des Letzten zunächst am Ausgange.

Ein großer Gelehrter jener Zeiten, Rabbi Ismaël, beweinte den Tod seines geliebten Sohnes. In solchen Unglücksfällen pflegte die ganze Academie der Gelehrten sich zum Trauernden zu begeben, um ihn zu trösten und es war dieses ein Act höchster Ehre. Begleitet von seinen Collegen, begiebt sich Akiba in das Haus des unglücklichen Vaters. Als sie nahe daran waren, ehe er den Fuß hineinsetzte, spricht einer seiner Genossen so zur Gesellschaft: »Freunde! Unsere fromme Handlung muß ernst, feierlich, religiös sein. Treten wir Alle schweigend ein: der Würdigste von uns spreche zuerst und spreche Worte der Religion und der Frömmigkeit und Niemand unterbreche ihn; dann der Andere und so Alle.« Akiba nahm den Rath an; aber in keiner Weise ließ er sich bewegen, zuerst zu sprechen; vielmehr wollte er, als wenn er weniger, als alle Andern wäre, zuletzt sprechen.

Auch er empfing, als er einen Sohn verloren hatte, von den Gelehrten eine gleiche Ehrenbezeugung. Aber sich deren unwürdig haltend, sagte er: »Ich nehme diese Ehre an; denn ich weiß, daß ihr nicht die Person ehrt, sondern die Religion, deren Lehrer ich bin.« »Je mehr,« sagte er, »je mehr der Mensch sich seiner Wissenschaft rühmt, desto verachtungswerther ist er.« Und demüthig über sich selbst denkend und sich bescheiden gegen Andere benehmend, konnte er bei den Andern die Anmaßung und den Stolz nicht leiden und mit freien Worten zeigte er seinen Unwillen darüber. Einen seiner Collegen, der auf einen wissenschaftlichen Sieg, den er über den Nebenbuhler davon trug, sich ein Großes einzubilden schien, sagte er: »Du glänzest vor Freude über deinen Sieg und ich betrübe mich, weil ich fürchte, daß du dafür büßen mußt.«

Diese seine Bescheidenheit wurde für eine noch heiligere Sache gehalten, als seine Wissenschaft und die Urtheile, welche die Zeitgenossen darüber hinterlassen haben, bestätigen es. Es herrschte seit langer Zeit eine schreckliche Trockenheit und vergeblich betete man um Regen. Es wurde alsdann, erzählt die Legende, ein großes Fasten angesagt. Der Verehrteste der Meister Israels sprach mit weinerlicher und flehentlicher Stimme das lange Gebet, womit man um Regen zu bitten pflegte; aber auch nicht eine leichte Wolke erschien am Himmel. Akiba tritt ein und öffnet die Lippen, um das Gebet wieder anzufangen und siehe da! bei den ersten Worten fällt ein wohlthätiger Regen, die Felder zu erquicken. Er wurde sogleich erhört, fährt die Legende fort, nicht etwa, weil er gelehrter war, als der Erste, sondern weil bescheidener.

Diese Sanftmuth des Charakters machte, daß man ihn zu den schwierigsten und delicatesten Aemtern erwählte und zum Meister der Eintracht und des Friedens bestellte. Das Collegium der Gelehrten hatte den Bann gegen einen der Seinigen, der eine vom Collegium selbst sanctionirte Verordnung verletzte, ausgesprochen. Aber man fürchtete, sagt die Legende, daß Himmel und Erde in Trümmern gingen, wenn eine geringere Person, als der Exkommunicirte, der auch sehr gelehrt war, hinginge, demselben das Urtheil zu verkündigen. Wegen der Heiligkeit des Charakters und der Güte der Sitten wurde Akiba zu diesem peinlichen Amte gewühlt. Dieser war es, der in einem furchtbaren Streite zwischen einem Collegen von ihm und dem Vorsitzenden, den Beleidigten zur Vergebung bewog und von Neuem den Frieden unter den Gelehrten wieder herstellte.

Viele seiner uns gebliebenen Grundsätze lassen uns glauben, daß die Bescheidenheit ihn nicht verhinderte, einen hohen Begriff von der menschlichen Würde zu haben und die Bestimmung des Israeliten für eine hohe zu halten. Nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen zu sein, lehrte er, ist für den Menschen ein großer Sporn und eine Pflicht zur Tugend; für die Lehre der Religion auserwählt zu sein ist für den Israeliten eine große Würde; der Häßlichkeit der Sünde setze der Israelite den eignen Stolz entgegen, der Ungerechtigkeit das eigne Gewissen; Alles ist dort oben vorgesehen, aber der Mensch ist frech das Gewissen des Sünders selbst wird sein Ankläger, seine Strafe sein.

Dennoch, setzte er hinzu, werden eines Tages alle Israeliten zum göttlichen Mahle berufen werden; Worte, durch die er die Lehre von der Ewigkeit der Strafen zurückwies, eine Lehre, von einigen Rabbinen angenommen, aber von der größern Zahl verworfen.

Um den Menschen vor der Schuld zu bewahren, empfahl er warm eine fortwährende Furcht vor der Sünde; er bemerkte, daß der göttliche Gesetzgeber auch die Sühne einer unfreiwilligen Sünde, auch einer überlegten und unfreiwillig unterlassenen Sünde vorschreibe. Welch schrecklicher Sühne, setzte er hinzu, werden sich nicht diejenigen zu unterziehen haben, die wissentlich die Sünde ersinnen und freiwillig sie begehen?

Die Worte, die ihm am meisten auf die Lippen traten, waren folgende: »Gott thut Alles zum Guten!« und er wiederholte sie bei jeder Verlegenheit, in die er gerieth, bei jeder Gefahr, die ihn bedrohte, bei jedem Unglücke, das ihm zustieß. Er befand sich einmal auf der Reise und führte einen Esel und einen Hahn bei sich. Bei Nacht, sagt die Legende, geht er in ein Dorf, um Gastfreundschaft zu suchen, aber wird zurückgewiesen. Gott thut Alles zum Guten, sagte er und geht weiter mit einem Licht in einen dichten Wald; der Wind löscht ihm das Licht aus, er setzt sich im Dunkeln nieder, indem er wiederholt: Gott thut Alles zum Guten. Eine wilde Katze tödtet ihm den Hahn, ein Wolf zerreißt ihm den Esel. Und er immer ruhig: »Gott thut Alles zum Guten.« Und er hatte ganz Recht, setzt die Legende hinzu, denn man erkannte, daß alle jenen kleinen Unfälle es eigentlich waren, die beitrugen, ihm das Leben zu retten.

Dieses tiefe Gefühl religiöser Ergebung in die Fügungen der Vorsehung, verbunden mit höchstem Mißtrauen gegen sich selbst und die menschliche Schwäche, leuchtet aus allen Handlungen und aus allen Urtheilen, welche die Geschichte ihm zuschreibt, hervor.

Neben dem Sterbebette eines großen, von Allen als ein Heiliger geachteten Gelehrten saßen die Collegen traurig und schweigend und vergossen beim Anblicke der Leiden des Sterbenden zahlreiche Thränen; bloß Akiba schien jenen Leidenden mit nachdenklicher, fast freudiger Ruhe zu betrachten. Befragt über diese unerklärliche Ruhe, antwortete er, daß, da kein Sterblicher ohne Sünde ist, er sich freute, daß der edle Sterbende durch jene Leiden die wenigen Sünden, die er begangen haben möchte, büße.

Ein anderer großer Gelehrter lag seit einiger Zeit krank darnieder. Drei ehrwürdige Greise, seine Freunde, zugleich mit Akiba begaben sich zu ihm, um ihn zu besuchen und jeder um die Wette ergoß sich in großen Lobsprüchen über den berühmten Kranken. Der Erste sagte: deine Wissenschaft ist für Israel wohlthätiger, als der Regen für die Erde, denn der Regen erquickt die Felder für dieses sterbliche Leben: aber deine Wissenschaft erquickt die Seele für das unsterbliche Leben. Der zweite sagte: deine Wissenschaft ist wohlthätiger, als das Licht der Sonne denn das Licht der Sonne führt uns auf Erden; sie führt uns in den Himmel. Der dritte sagte: du bist für Israel mehr, als Vater und Mutter; denn diese sind für das irdische Leben; du bist ihm Vater und Mutter auch für das zweite Leben. Als die Reihe an Akiba kam, fing dieser also an: Wie süß sind die Leiden auf dieser Erde! Der Kranke fühlte sich ganz ergriffen von diesen heiligen Worten und zu den Freunden gewendet, sagte er: ach, haltet mich aufrecht, daß ich diese heilige Rede hören kann.

Diese Beteiligung des Schmerzes hatte ihm den folgenden Satz sprüchwörtlich gemacht: »Der Schmerz steht Israel wohl an, wie purpurne Zügel einem weißen Rosse.« Er wollte vielleicht mit der purpurnen Farbe auf die blutigen Gewaltthaten seiner Unterdrücker und auf die Unschuld des Unterdrückten mit der Weiße des Pferdes anspielen.

Obwohl von so heiligen Gedanken beseelt, vermied er es dennoch, davon Aufsehens zu machen. Dessen giebt Zeugniß, nach der Geschichte, seine Gewohnheit, seine Gebete ganz kurz abzuhalten, so oft er sich in Gegenwart des Publikums befand, obwohl er zu Hause und ganz allein, viele Stunden in andächtigen Gebeten zubrachte.

Seine Religion überschritt nicht, wie es bei solchen Menschen gewöhnlich zu geschehen Pflegt, die Gränzen des bürgerlichen Gebrauches, noch artete sie in Fanatismus aus. Obwohl die Satzungen des Judenthums als eine Pflicht vorschreiben, die heiligen Feste durch größern Pomp in den Kleidern und eine Auswahl in den Speisen zu ehren, so empfahl er doch ein bescheidenes Leben an den Festtagen, wie an den Werktagen zu führen, lieber als sich von der Mildthätigkeit Anderer abhängig zu machen. Er sagte: Gott sei nachsichtig bezüglich der gegen Gott selbst begangenen Fehler, aber sehr streng bezüglich der Vergehungen gegen die Menschen; man müsse strenge Gerechtigkeit gegen die Heiden, wie gegen die Israeliten üben; die Pflicht der Selbsterhaltung sei größer, als die Rücksichten, die man gegen das Leben Anderer zu beobachten habe. Diesen letzten Grundsatz sprach er aus bei Gelegenheit einer unter den Gelehrten ausgebrochenen Meinungsverschiedenheit über eine damals aufgeworfene moralische Frage. Man dachte sich zwei in der Wüste irrende und von Durst verschmachtende Gefährten. Einer der Beiden besitzt noch eine kleine Flasche Wassers, getheilt, reicht sie nicht hin, sie zu retten; ganz vom Besitzer getrunken, wäre sie genügend, ihn am Leben zu erhalten. Viele Weise machten es dem Besitzer zur Pflicht, seinen kärglichen Vorrath mit den Genossen zu theilen und mit ihm zu sterben. Akiba erklärte, daß die Pflicht der Selbsterhaltung dem Besitzer das Recht gebe, sich zu retten.

Es ist eine sehr merkwürdige Sache, daß die große moderne Frage über die Todesstrafe sich von einem jüdischen Gelehrten jener Zeiten kurz gelöst findet, eine um so merkwürdigere Sache, als die mosaische Gesetzgebung dieses schreckliche Recht des Menschen über den Menschen zu verfechten scheint.

Übereinstimmend mit einem anderen Collegen erklärte er: daß, wenn er Richter wäre, er nie ein Todesurtheil sprechen würde. Von diesem Grundsätze geleitet, wendete er in seinen juristischen Verhandlungen die ganze Schärfe seines Geistes dahin, die gesetzlichen Fälle solcher Strafen zu erschweren. Der Richter, der ein Todesurtheil gesprochen habe, solle an jenem ganzen Tage keine Speise genießen; neben dem Blute, sagt Akiba, Speise zu genießen, ist Sünde.

Dieser philosophischen Theorie entsprach die Sanftmuth seines Herzens und die Milde seiner Werke. Mit einem reichen Census (Schatzung) versehen, war er ein freigebiger Spender seiner Reichthümer an die Armen und mit Recht wegen seiner Wohlthätigkeit berühmt, wurde er als Vorsitzender und Beschützer aller Wohlthätigkeits-Vereine ernannt. Von tiefem Mitleide mit den Kranken beseelt, erklärte er als Mörder Jeden, der ihnen nicht beisteht. Die Heiligkeit der Ehe schätzte er über Alles; reich Jeder, der eine weise und tugendhafte Frau hat; einer einigen Ehe stehe die Gottheit selbst vor und ein verzehrendes Feuer vernichte die uneinigen Familien.

Der Ruin Jerusalem's und des heiligen Tempels und die gräßlichen Leiden seiner Nation hatten sein Vertrauen in die göttlichen Verheißungen nicht erschüttern können und nichts vermochte, seine unbeschränkte Hoffnung auf die erwartete Erlösung zu zerstreuen. Beim Anblicke der beleidigenden Triumphe der römischen Unterdrücker weinten seine Freunde; nur er lächelte ruhig inmitten der Ruinen der heiligen Stadt; es war das Lächeln der Hoffnung, die ihm die verheißene Zukunft vormalte. Er schätzte über jedes andere heilige Buch das Buch der Lieder und erklärte es als ein Sinnbild des unsterblichen Bündnisses zwischen Gott und Israel. Er sagte, daß Mose des heiligen Landes enterbt worden sei, weil er in den ersten Tagen seiner Sendung den göttlichen Verheißungen mißtraut habe.

Auf solche Art flößte er seinen Religionsgenossen das Vertrauen und den Muth ein, stärkte sie in ihren Schmerzen und nährte und entzündete jene Hoffnung und jenes Nationalgefühl, die allein vermochten, sie in der gegenwärtigen Erniedrigung aufrecht zu halten.

Aber die Geschichte seiner letzten Jahre läßt uns erkennen, daß in seinem Gemüthe ein verhaltener Zorn gegen den römischen Unterdrücker furchtbar grollte: daß das Mitleid mit seinen Brüdern und der Unwille gegen die Römer in seiner Brust verborgen brannten; daß das aufgeregte Gemüth mit Aengstlichkeit den Gang der politischen Ereignisse erspähte und die Begeisterung oder der Fanatismus malte ihm die leichtesten Zufalle als die Vorboten der göttlichen Rache, so daß er in aller Stille sich bereit hielt, entweder ein Märtyrer oder ein Held zu werden.

Ehe wir diese letzten tragischen Szenen seines Lebens entfalten, müssen wir einen Blick auf die Verhältnisse jener Zeiten und auf den Zustand seiner Nation werfen.

Die ersten Anfänge der thätigen und heilsamen Wirksamkeit Akiba's im Schooße seiner Glaubensbrüder fielen mit einer Epoche der Gewaltthätigkeiten und des Blutvergießens im römischen Reiche zusammen. Es war damals die traurige Regierung Domitian's, eine Regierung, welche die Tage zählte und bezeichnet nach den Todesstrafen und die keine andere Norm oder Gesetz hatte, als den Verdacht und die Berichte der Angeber. Unter einer so schrecklichen argwöhnischen Regierung mußte der Zustand der Juden, obwohl sie keiner besonderen religiösen Verfolgung unterworfen waren, fortwährend durch harte und grausame Behandlung verbittert werden; und es konnten damals die weiten Wunden, die der Ruin ihrer Nationalität geschlagen hatte, nicht leicht vernarben. Die besonderen von Vespasian den Juden aufgelegten Abgaben wurden damals mit unglaublicher Härte eingetrieben und dazu noch die Beschimpfung und Verachtung hinzugefügt. Diejenigen Unglücklichen, die ihre Eigenschaft als Israeliten zu verbergen suchten, um sich der Auflage zu entziehen, wurden öffentlich beschimpft und dann ihrer Habseligkeiten beraubt. Zu diesen ununterbrochenen Mißhandlungen kam für die Israeliten eine neue Quelle von Schmerzen. Nach den jüdischen Zeitgeschichten war dem Kaiser hinterbracht worden, es befände sich Jemand unter denselben, der sich für einen Abkömmling Davids hielte. Der Kaiser vermuthete, daß das Ansehen desselben bewirken könne, daß seine Religionsgenossen sich ihm anschlössen und daß er dieselben zu einer Empörung verleiten könnte. Er befahl nun sorgfältige Nachforschungen, um diesen angeblichen davidischen Nachkommen ausfindig zu machen, und Viele wurden aus bloßem Verdachte barbarischen Foltern unterworfen und hingerichtet. Die Wuth des Kaisers richtete sich furchtbarer auf die Proselyten des Judaismus oder auf die vielen Heiden, die den jüdischen Glauben annahmen. Die Zahl solcher Proselyten des Judaismus war damals, nach Juvenal's und Tacitus' Zeugniß sehr beträchtlich und Akiba zählte deren viele unter seinen Schülern. Man erzählt von einer hohen Dame, die mit der zahlreichen Schaar ihrer Diener die jüdische Religion annahm. Römer von hervorragender Familie zeigten offen eine gleiche Sympathie und Absicht. Domitian, immer mehr erzürnt, bestrafte solche Proselyten mit Gütereinziehung, mit Verbannung und selbst mit dem Tode. In seinen letzten Jahren, die von immer größern Gewaltthätigkeiten und Grausamkeiten verdüstert waren, ließ er auf eine solche Anklage seinen Verwandten, den Consul Flavius Clemens, hinrichten, verbannte dessen Frau Domitilla, die auch des Judaismus verdächtigt wurde. Die jüdische Tradition erzählt, daß er einmal ein Blutbad unter allen Israeliten des Reiches beschlossen habe; daß eine Gesandtschaft berühmter Gelehrten, unter welchen Akiba, eine beschwerliche Seereise im Herzen des Winters unternahm, um sich nach Rom zu begeben und den Sturm zu beschwören, daß ein mitleidiger Senator die Rettung der Israeliten mit dem eignen Leben erkaufte und den Akiba selbst zu seinem Erben eingesetzt habe.

Nach dem Tode Domitian's traten für die Juden einige Jahre der Ruhe ein, unter der kurzen Regierung Nerva's, der die religiösen Verfolgungen einstellte, den Angebern Schweigen auferlegte und die jüdische Steuer abschaffte. Auch die ersten zehn Jahre der Regierung Trajan's waren für die jüdische Nation ruhig und fast glücklich; aber die folgenden Jahre änderten in sehr schmerzlicher Weise deren Schicksal. Trajan hatte den Vorsatz gefaßt, den einzigen für das römische Reich noch furchtbaren Feind, die Parther, zu züchtigen, das von denselben damals noch beherrschte Armenien zurückzuerobern und das Reich bis an den Indus und Ganges auszudehnen. Im Jahre 108 der gewöhnlichen Zeitrechnung unternahm er einen Kriegszug nach Syrien, Mesopotamien, Armenien und Persien und kehrte triumphirend nach Rom zurück. Aber die zahlreichen in Adiabene und Nisibis, wo damals eine berühmte Schule blühte, zerstreuten Juden hatten einen muthigen Widerstand entgegengesetzt. Diese genossen unter der Herrschaft der Parther einer sehr glücklichen und ruhigen Stellung und behielten sogar eine halbe Unabhängigkeit und eine fast politische Existenz; haßten dagegen tief die Römer, welche die Urheber der Zerstörung des Tempels gewesen waren und die ihre Brüder so barbarisch mißhandelten. Daher war ihr patriotischer Eifer für die Vertheidigung des Gebietes der Parther desto lebhafter und ihr Kampf gegen die Römer desto erbitterter. Aber Trajan, nicht zufrieden, sie besiegt zu haben, wollte sich grausam rächen. Er ließ in Syrien eine große Anzahl derselben von seinen Legionen tödten.

Der Haß Hadrian's war besonders lebhaft gegen die Gelehrten Israel's, als diejenigen, die das National-Gefühl, den fortwährenden Zündstoff für den Widerstand und die Empörungen entflammten. Dieses Feuer war es, das, genährt von den beständigen Bedrückungen, worin sowohl die Regierenden als das deren Beispiel nachfolgende römische Volk übereinstimmten, unter der Asche glimmte, bereit, bei der ersten Gelegenheit auszubrechen. In der That, einige Jahre später, als die Völkerschaften nahe am Euphrat das römische Joch abzuschütteln versuchten, brach unter den Juden ein furchtbarer Aufstand in Cyrene, in Cypern und in Aegypten aus und eine unermeßliche Anzahl römischer Bürger fielen als Opfer desselben.

In so gefahrvollen Zeiten, bei solcher Aufregung der Gemüther blieb das Wirken Akiba's nicht auf das Cabinet seiner Studien eingeschlossen, sondern er mischte sich unter das Volk und nahm Theil an der Action. Er verließ seine Schule und eilte in die entferntesten Länder, um den Eifer der Mitbrüder zu entflammen und sie gegen die Gefahren und selbst gegen den Tod zu ermuthigen. Er durcheilte Cyrene, Cypern und andere entfernte Inseln und Städte und ließ dort die Keime zukünftiger Ereignisse zurück.

Er begab sich nach Nisibis, damaligem Sitze der jüdischen Lehre und Wissenschaft; er ging nach Arabien und es ist gewiß, daß die Israeliten keinen geringen Antheil an der in jenen Zeiten erlangten Unabhängigkeit der persischen Städte hatten. In Cyrene waren sie von einem gewissen Andreas geführt und nachdem sie sich auf die Hellenen geworfen, richteten sie ein schreckliches Blutbad unter ihnen an. Die Juden Aegyptens vereinigten sich mit den Ersteren, trugen das Verderben und die Verzweiflung in die von ihnen durchzogenen Länder und in der nämlichen Zeit erhoben sich in Cypern Andere, von einem gewissen Artemion geführt, in offener Empörung und wiederholten die nämlichen Blut-Szenen. Während Trajan in Babylonien war, zog der römische General Lupus gegen die Juden Aegyptens, wurde aber geschlagen. Die Aegypter rächten sich für die Niederlage an den Juden Alexandriens, die dort sehr zahlreich waren, richteten ein Blutbad unter ihnen an und zerstörten deren bewundernswerthen Tempel, den jüdischen Stolz und Schmuck.

Andreas rückte bis gegen Palästina vor, um es zu veranlassen, sich gegen die Römer zu erheben und in Mesopotamien unter den Augen des Kaisers selbst nahm der Aufstand eine drohende und furchtbare Haltung an.

Nach vielen Schlachten gelang es endlich dem General Martius Turbo die cyrenäische Empörung zu unterdrücken und den Andreas, der in der Schlacht fiel, zu besiegen. Hadrian, damals Kaiser, besiegte die Juden in Cypern, von wo sie für immer ausgeschlossen wurden; Lucius Quietus besiegte die des Euphrat und erhielt als Lohn für seinen mit Grausamkeit befleckten Sieg die Regierung Palästina's. Diese Siege wurden von den Römern für so wichtig gehalten, daß eine Münze mit folgender Inschrift geschlagen Wurde: » Assyria et Palaestina Sub potestatem populi redactae, senatus consulto.«

Je lebhafter und tiefer bei den Israeliten sich die Liebe zur Freiheit gezeigt hatte und je mehr Blut es die Römer gekostet hatte, desto heftiger ward der Zorn des Kaisers gegen die Besiegten. Eine furchtbare religiöse Verfolgung war die Wirkung jenes Zornes. Bei Todesstrafe verbot man den Juden, ihre wichtigsten Religions-Gesetze zu beobachten. Man hoffte, jeden Keim zukünftiger Empörungen zu zerstören, indem man den Glauben zerstörte, der diese Keime befruchtete. In so schwierigen Zeiten bemühte sich Akiba mit allen Kräften, unterstützt von seinen Collegen, die Brüder aufrecht zu halten, ihren Muth zu stählen, Mittel zu finden, um das barbarische Gesetz zu vereiteln. Man beschloß, jeden religiösen Act im Geheimen der Häuser zu verbergen. Als er nach Nehardea berufen wurde, um die Normen des Schaltjahres festzusetzen, benutzte er die Gelegenheit, um den Mitbrüdern im Morgenlande die Leiden ihrer unter dem römischen Joche seufzenden Brüder darzustellen und sie zur Hülfe zu bewegen. Die jüdischen Jahrbücher erwähnen einige seiner in einer Stadt Mediens gehaltenen Vorträge, die zum Zwecke hatten, die Begeisterung und das Mitleid anzufachen. Er sprach von der Katastrophe der Sündfluth; aber Keiner schien ergriffen. Er sprach dann von den Leiden Hiob's, eine deutliche Anspielung auf die Leiden der entfernten Brüder und Alle brachen in Thränen aus.

Es scheint, daß er damals schon geheime Einverständnisse mit dem berühmten Bar Kochba hatte und daß er ihm Proselyten und Anhänger anwarb; Einverständnisse, nicht unbekannt seinen Collegen, die schon früher für sein Leben fürchteten. Dem Tode nahe, machte Elieser dem Akiba, der neben seinem Bette weinte, einen leisen Vorwurf und ermahnte ihn, sich mit mehr Fleiß den heiligen Studien hinzugeben, und von demselben über die Geschicke, die die Zukunft bringen könnte, befragt, antwortete Akiba mit dunklen Andeutungen großer Unglücksfälle. Unterdessen wurde die Verfolgung gegen die Rabbinen heftiger. Rufus hatte Ordre gegeben, die letzten Reste des zerstörten Tempels als eine schmerzliche Erinnerung und Aufregung zum Zorne niederzureißen und den Tod Gamaliel's befohlen. Dieser letzte Befehl wurde nach den jüdischen Jahrbüchern vereitelt bloß durch den freiwilligen Tod eines römischen Senators, einen Tod, der nach dem Berichte derselben immer als ein himmlisches Zeichen gedeutet wurde, welches ermahnte, die Verordnung, an welcher der Verstorbene Antheil genommen hatte, nicht in Ausführung zu bringen.

Die grausamen Befehle Trajan's wurden grausam von seinem Procurator Quietus ausgeführt. Die Juden ertrugen mit bewundernswerther Standhaftigkeit jene Verfolgungen und ohne Mittel, Widerstand zu leisten, schlossen sie sich fester an den eignen Glauben und befolgten genau dessen Satzungen, trotz der Gefahren und Drohungen, denen sie ausgesetzt waren. Sehr wenige wurden abtrünnig und unter diesen Wenigen vermehrte Einer, der in der jüdischen Zeitgeschichte berühmt ist, sehr die Schmerzen seiner alten Brüder. Dieser, Elischah genannt, sehr gelehrt in der talmudischen und griechischen Wissenschaft, wurde ein Verräther seiner alten Religionsgenossen. Begleitet von den römischen Schergen begab er sich am Sabbathe in die Versammlungen der Rabbinen, nöthigte sie, das Fest zu verletzen und, sich der eignen Kenntniß bedienend, entdeckte er die frommen Täuschungen, durch welche jene Unglücklichen die Gewalt, die sie zur Sünde nöthigen wollte, zu vereiteln suchten. Sehr viele von den zahlreichen Schülern Akiba's fielen als Opfer jener schrecklichen Verfolgung.

Die Meister des Judaismus fingen damals an, schwere und peinliche Besorgnisse zu hegen, daß der Muth ihrer Brüder die Vernichtung der ganzen Nation herbeiführen könnte. Sie versammelten sich daher zu einer geheimen Berathung und dachten auf irgend eine fromme Vorkehrung. Eine sehr häufige Gelegenheit zur Gewalt und zu den grausamen Bestrafungen war die unglaubliche Hartnäckigkeit der Israeliten, jede Handlung zu verweigern, die den Satzungen zuwider wäre. Jene fromme Versammlung beschloß, daß jeder Israelite sich der Verpflichtung, die religiösen Satzungen zu beobachten, entledigt halten dürfe, so oft Todesgefahr daraus folgen könnte und daß, bloß um sich einer Handlung des Götzendienstes, dem Morde und der Unzucht zu entziehen, es eine ehrenhafte und gerechte Sache sei, das Leben hinzugeben. Aber fürchtend, daß das Beispiel einer allzugroßen Lauigkeit dem Glauben andere größere Nachtheile bringen könne, verordnte sie, daß man in Gegenwart anderer Brüder, wie groß auch immer die Gefahr sein möge, auch nicht die leichteste religiöse Vorschrift verletzen dürfte.

Unter den vielen Opfern waren vornehmlich zwei der Gegenstand allgemeinen Mitleids. Julianus und Pappus, Brüder, waren von Quietus zum Tode verurtheilt. Ihre Jugend, ihre Unschuld, ihr edler Muth rührten den Henker selbst zum Mitleide, der, um sie zu retten, ihnen zu verstehen gab, daß er sich mit einem Acte der Anbetung des Götzen und wäre es auch nur zum Scheine, zufrieden geben und auf diesen bloßen Schein hin ihre Bekehrung erklären würde. Aber die hochherzigen Jünglinge verweigerten ein Zugeständnis, das in jedem Falle den Religionsgenossen Aergerniß gegeben hätte und gingen unerschrocken in den Tod. Diese heldenmüthige That erzeugte bei den Meistern Israels ein unaussprechliches Gefühl des Mitleids und des Schmerzes; sie begaben sich zu einer teilnehmenden Matrone und baten sie um Rath und Hülfe. Auf den Rath derselben verfügten sie sich nach Rom, zerstreuten sich in den Straßen der Stadt und riefen: »o Himmel, sind wir nicht Brüder, Söhne eines Vaters, einer Mutter? sind wir nicht, wie die andern Menschen?«

Die jüdischen Traditionen berichten, daß diese herzzerreißende Stimme die Römer zum Mitleide rührte und daß Trajan in den letzten Jahren seiner Regierung das Verfolgungsdecret zurücknahm. Die religiösen jüdischen Jahrbücher erwähnen in der That den Tag dieser Widerrufung, einen Tag, der als Fest erklärt und mit dem Namen Trajan's selbst bezeichnet wurde.

Akiba hatte unterdessen die Länder des römischen Reichs verlassen, wo der Verdacht, der auf ihm lastete und die Wachsamkeit der Häscher ihm das Feld der Thätigkeit verschlossen, und hatte sich in das Morgenland begeben, vielleicht um seine Mitbrüder aufzuwiegeln und die Begeisterung und den Eifer derselben anzufeuern. Wir finden ihn bald in Zephirium, einer Stadt in Cilicien, bald in der Hauptstadt Capadociens, bald in Mesopotamien, bald in Apamea, am Euphrat und sogar in Aethiopien, wo er einige Unterredungen mit einem Fürsten des Landes hielt. Ueberall suchte er enge Verbindungen mit seinen Brüdern und studirte deren Ansichten und Bedürfnisse. Gebrauch machend von den eingetretenen ruhigern und günstigern Zeiten unter der römischen Regierung, kehrte er in das Vaterland zurück, vielleicht um inmitten des Friedens besser sein großes Vorhaben der Befreiung seiner Glaubensbrüder auszuführen. Nach dem Tode Trajan's hatte der Nachfolger Hadrian den grausamen Quietus abberufen und zum Tode verurtheilt, aber die der jüdischen Nation von jenem abscheulichen Proconsuln geschlagenen Wunden bluteten noch und die Erinnerungen waren frisch und schrecklich. Viele unschuldige Opfer hatten in den Gemüthern die traurige Erbschaft der Rache zurückgelassen; viele Gemeinden beweinten ihre Häupter, viele Familien ihre Stütze und die Zukunft stellte sich immer ungewisser und furchtbarer dar, da sie stets von der veränderlichen Laune der Regierenden abhing. Bei solcher Aufregung der Gemüther fand die thätige Begeisterung Akiba's nur zu leicht Stoff zu entzünden und zu entflammen.

Bei einem solchen moralischen Zustande einer Nation genügt es, daß ein Mann von energischer Thatkraft auftrete, um sie ganz aufzurütteln und fortzureißen. Und ein solcher Mann erschien damals unter den jüdischen Bevölkerungen. Er hieß Simon Bar Kochba, ein Name, den er von seinen Bewunderern erhielt und »der Sohn des Sternes« bedeutete, den jedoch der unglückliche Ausgang und die armen Getäuschten durch eine leichte Verwechselung in Bar Kosiba, das heißt »Sohn der Lüge« umänderten. Außer einem ungewöhnlichen Muthe und Unerschrockenheit hatte er einen hohen Wuchs, ein majestätisches Aussehen, eine herkulische Kraft, Eigenschaften, durch die man der Menge leicht imponirt.

Um jene Zeiten hatte Hadrian auf einer Umreise durch viele Staaten feines Reiches überall eine scheinbare Ruhe gefunden und die Tradition erwähnt einige seiner Unterredungen mit einem alten Rabbinen und setzt hinzu, daß er damals die Erlaubniß gegeben habe, den Tempel wieder zu erbauen und daß er später durch List und Ränke die Vollendung desselben verhinderte. Während der Kaiser abwesend war, begab sich Akiba zu Bar Kochba und, betroffen von dem majestätischen Aussehen und der wilden Unerschrockenheit, wendete er auf ihn die mosaische Stelle an: »siehe, es bricht der Stern Jacob's hervor« und proclamirte ihn als den erwarteten Messias. Die talmudischen Meister hatten voraus gesagt, daß den messianischen Zeiten unaussprechliche Mißgeschicke Israels vorhergehen würden. Nun. machte das frische Andenken an die erlittenen Schmerzen leicht glauben, daß diese das Vorspiel der erwarteten Erlösung gewesen seien. Fest in diesem Vertrauen wendete Akiba auf seine Zeiten die Worte des Propheten an: »In Kurzem werde ich Himmel und Erde erschüttern und den Thron der Reichen niederschlagen und die Macht der Heiden vernichten.« Es fehlte jedoch auch nicht an Ungläubigen und einer seiner College« sagte frei zu ihm: »O Akiba! eher wird das Gras auf deinem Kinne hervorwachsen, als der Messias angekommen ist.« Aber er verharrte unbeweglich in seinem Wahne und kündigte dem Volke die Ankunft des Erlösers an und entflammte ihre Begeisterung. Von allen Seiten kamen Krieger zu Bar Kochba und unter ihnen nicht wenige, des römischen Joches überdrüssige Heiden und schon war der Ausbruch eines furchtbaren Krieges gegen die römische Macht nahe.

Im tiefsten Geheimnisse wurden die Waffen zubereitet; man späht die für die Vertheidigung und für den Angriff passendsten Hinterhalte aus und geheime Einverständnisse mit festen Plätzen und Castellen wurden angeknüpft. Bar Kochba hielt sich für unbesiegbar, vertrauend auf sein Heer, ganz aus tapfern Kriegern bestehend. Die Legende sagt, daß Niemand in dasselbe zugelassen wurde, wenn er nicht zuvor zum Beweise seiner Kraft sich versuchte, einen Baum auszureißen. In seinem thörichten Vertrauen soll der angebliche Messias ausgerufen haben: »O Gott! wenn du uns nicht helfen willst, so hilf wenigstens unseren Feinden nicht und dann sind wir sicher zu siegen.« Erhabene Thorheit! die uns den erhabenen Ausruf des homerischen Helden in's Gedächtniß ruft, welcher Jupiter bat, die Finsterniß zu zerreißen, die das Schlachtfeld bedeckte und wenn nur Licht dort wäre, so bekümmere es ihn nicht, wenn Jupiter selbst gegen ihn kämpfte.

Beim ersten Bekanntwerden dieses Aufstandes eilte Rufus, der Statthalter Palästina's herbei, wurde aber geschlagen und seine Niederlage verzögerte den Brand. Im Zeiträume eines Jahres eroberten die Israeliten 50 feste Städte und 985 Dörfer. Hadrian, der anfänglich wenig Gewicht auf jene Bewegung legte, erkannte nach den Niederlagen seiner Generale die Gefahren und die Wichtigkeit derselben. Die Juden des Kaiserreichs, von jenen ersten Erfolgen ermuthigt, hörten auf, die gewöhnlichen Steuern zu geben. Der Mittelpunkt jenes Krieges war die Festung Bitar in Palästina. Bar Kochba benahm sich dort wie ein König und ließ Münzen schlagen, die er nach seinem Namen benannte. Nach zwei Jahren unnützer Versuche und blutiger und unglücklicher Kämpfe rief Hadrian den Severus, den größten seiner Generale, aus Britannien zurück, um ihn gegen die Rebellen zu schicken. Unterdessen hatten sich die Juden so stark in ihren Stellungen befestigt, daß der kluge Severus nicht wagte, eine Feldschlacht zu liefern, sondern versuchte, sie durch häufige Scharmützel zu ermüden, ihnen die Lebensmittel abzuschneiden, Schritt um Schritt Land und Stellungen zu erobern, so daß die zahllose Schaar der Aufständischen sich endlich in der Festung Bitar eingeschlossen fand. So von Hunger und Durst gequält, setzte Bar Kochba einen verzweifelten Kampf gegen die immer frischen Reihen der Feinde fort und trug oft den Schrecken und den Tod unter sie. Ein frommer Rabbiner, Namens Elieser von Modin, brachte lange Tage in Fasten und Beten zu, Rettung und Sieg von Gott erflehend und seine Brüder zur Ausdauer und zum Vertrauen entflammend. Unglücklicher! Er fiel als Opfer eines Angebers, der ihn bei Bar Kochba des Verrathes verdächtig machte und dieser, im Ungestüme der blinden Wuth tödtete ihn mit einem Streiche. Die Legende erzählt, daß nach diesem Verbrechen eine Stimme vom Himmel in folgenden Worten ertönte: »Du hast den Arm Israels abgehauen und sein Auge geblendet und ich werde deinen Arm abhauen und dein Auge blenden.« Jene blinde Wuth war vielleicht die Wirkung der Verzweiflung seines Gemüthes, das unmächtig war, den bevorstehenden Untergang abzuwenden. In der That kurz darauf wurde Bitar genommen und Bar Kochba fiel auf dem Schlachtfelde.

Die Opfer jenes unglücklichen Krieges, Opfer des Schwertes, des Hungers und der Mißhandlungen beliefen sich beiläufig auf eine halbe Million. Aber der Sieg war so blutig und kostete den Römern so schwere Verluste, daß Hadrian, als er dem Senate die Anzeige davon erstattete, nicht wagte, sich der gewöhnlichen Formel zu bedienen: equidem et exercitus valemus. Der Tag des Falles jener Festung fiel mit dem Unglückstage der Israeliten, dem 9. Ab, der Epoche der Zerstörung des ersten und zweiten Tempels zusammen. Nach dem Siege fing man an, auf die Flüchtlinge zu fahnden, die ein elendes Leben führten, verborgen in den Höhlen und Wäldern. Die vom Hunger geplagten Unglücklichen waren genöthigt, sich von den Leichen ihrer Brüder zu ernähren und manchmal durch lügenhafte Versprechungen aus den Höhlen gelockt, wurden sie gefangen und grausam gemartert und getödtet. Viele wurden in dunkle Kerker geworfen und als Sclaven verkauft; und Hadrian erneuerte das Edict Trajan's, das die Beobachtung der wichtigsten Religionsgesetze und den Unterricht und das Studium des Gesetzes verbot. Rufus, nach der Abreise des Severus zur Regierung Palästina's zurückberufen, zeigte sich desto grausamer gegen die Besiegten, je mehr die Erinnerung seiner Niederlagen in ihm kochte. Der Kaiser ließ Jerusalem von Heiden bevölkern, seine Bildsäulen auf dem Tempelberge aufstellen, errichtete daselbst einen Tempel dem Jupiter Capitolinus, veränderte den Namen der heiligen Stadt in den von Aelia Capitolina, nach seinem Namen ( Aelius) und verbot den Israeliten den Zutritt zu derselben. Auf das Thor gegen Bethlehem wurde die Figur eines Schweinskopfes gestellt, zur Verspottung und Beschimpfung der jüdischen Religion.

Es scheint, daß Akiba, der nur einen moralischen und geheimen Antheil an jener Erhebung gehabt hatte, in jenen ersten Tagen in Freiheit gelassen wurde. Aber nicht im mindesten gewillt, seinen Eifer für den Glauben erkalten zu lassen und sich durch eine schlaffe und feige Unthätigkeit zu retten, fühlte er schon sein nahes Schicksal voraus und beim Anblicke der Collegen, die als Märtyrer des Glaubens fielen, rief er aus: »Bereiten wir uns zum Tode vor! denn Tage großer Trauer stehen uns bevor.« Die Schergen des Rufus spähten aufmerksam auf jede Handlung der Israeliten, verfuhren jedes Mal grausam wenn sie sie über einer religiösen Uebung ergriffen und wütheten besonders gegen die Lehrer des Glaubens. Ein Rabbi rief aus: »Nachdem das grausame Rom unsere Kinder verhindert, durch den Vollzug der religiösen Satzung in den Bund des Herrn einzutreten, so sollten wir nicht mehr Väter werden; dennoch aber ist es besser, blindlings voran zu gehen, damit der Name Israels nicht erlösche.« Nicht abgeschreckt von der großen Strenge, fuhr Akiba fort, öffentlich den Glauben zu lehren. Ein gewisser Pappus wollte ihn eines Tages von jenem gefährlichen Werke abhalten und rieth ihm, Rettung und Leben im Vergessen des heiligen Gesetzes zu suchen. Akiba antwortete mit einer herrlichen Fabel: es sei für die Israeliten nur Leben im heiligen Gesetze und außer ihm finde er nur den Tod. Aber es währte nicht lange, so wurde er bei einer religiösen Handlung überrascht, zu Rufus geführt, der, einen der vorzüglichsten Anstifter der Empörung in ihm erkennend, ihn in einen finsteren Kerker werfen ließ und ihn für seine Rache bestimmte.

In seinem Gefängnisse zur Einsamkeit, zu den härtesten Entbehrungen, zu einem spärlichen Maaße an Brod und Wasser verdammt, ertrug Akiba Alles mit bewundernswerther Ergebung und richtete alle seine Sorge darauf, obwohl in einer solchen peinlichen Lage, auch nicht eine der rabbinischen Vorschriften zu verletzen. Es sind kleinliche und fast kindische Szenen, die aber, zusammen genommen, ein großes Schauspiel darbieten, ein Schauspiel, das uns einen ungezähmten Muth darstellt, der, auch in der Tiefe des Elendes und der Schmach, sich weigert, selbst der schrecklichsten Nothwendigkeit auch nur die unbedeutendste seiner religiösen Ueberzeugungen zu opfern. Einer seiner Freunde Josua aus Gerasa, war mit ihm im Gefängnisse geblieben, um ihm wenigstens einigen Dienst zu erweisen und reichte ihm die Speise, die von dem Kerkermeister zubereitet war. Eines Tages war es dem mitleidigen Freunde möglich geworden, eine größere Quantität Wassers zu besorgen, als gewöhnlich gestattet war. Aber der Kerkermeister ertappte ihn darüber, gab ihm einen derben Ausputzer und schüttete alles Wasser, das der mitleidige Freund zusammen gebracht hatte, auf die Erde. Dieser geht traurig in das stumme Gemach des Gefangenen, reicht ihm die wenigen noch zurückgebliebenen Tropfen Wassers und erzählt, was ihm begegnet war. »Gieße das Wasser auf meine Hände, sagte Akiba, damit ich mein Gebet sprechen kann.« Der gute Freund konnte es nicht über sich bringen, zu gehorchen und bemerkte, daß jene kärglichen Tropfen kaum hinreichten, um die verlechzte Kehle des Gefangenen anzufrischen und daß er sie nicht zu einem andern Gebrauche verschwenden sollte. Aber lieber, als der rabbinischen Vorschrift, die befiehlt, die Hände vor dem Gebete zu waschen, zuwider zu handeln, wollte Akiba den quälenden Durst leiden. In der Hoffnung, alle seine Mitschuldigen zu entdecken und die Sitten der jüdischen Nation besser kennen zu lernen, hielt Rufus mit dem Gefangenen häufige Unterredungen und richtete verfängliche Fragen an ihn. Die von der Tradition uns aufbewahrten Antworten Akiba's haben alle das Gepräge bewundernswerther Ruhe und reinster Moral. Einige seiner Collegen, die frei geblieben waren, hatten in ihren geheimen religiösen Zusammenkünften oft doppelte Ursache, seine Abwesenheit zu bedauern; denn es fehlte ihrer Berathung jener mächtige Geist, der leicht wußte, sie zur Auffindung der Wahrheit anzuleiten. Und der Eifer, mit dem sie ihre casuistischen und theologischen Studien fortsetzten, war so groß, daß sie manchmal, um Akiba darüber befragen zu können, zu sinnreichen Mitteln ihre Zuflucht nahmen, oder sich den schwersten Gefahren und Opfern aussetzten. Um von ihm die Lösung einer casuistischen Frage zu erhalten, zahlten sie 400 Susim (Münzen) einem Boten, welcher durch List in den Kerker zu dringen, mit ihm zu sprechen und seine Antwort zurück zu bringen wußte. Ein ander Mal verstellte sich einer seiner Collegen als Krämer, begab sich mit einigen Waaren an das Gefängniß Akiba's, lud mit erhobener Stimme die Hinzukommenden ein, zu kaufen und gebrauchte solche Ausdrücke, daß sie von dem Eingekerkerten als eine kasuistische Frage verstanden wurden, worauf mit Nachahmung der nämlichen List geantwortet wurde. Auch einem andern Gelehrten gelang es, obwohl mit Lebensgefahr, in das Gefängniß vorzudringen, um die letzten Unterweisungen des berühmten Eingekerkerten einzuholen. Es scheint, daß in jenen letzten Tagen dem Sohne die Erlaubniß ertheilt wurde, ihn zu sprechen und die Tradition hat uns die letzten moralischen Lehren, die dem Sohne von dem, dem Tode schon nahen Vater gegeben wurden, aufbewahrt.

Der unerschütterliche Muth, mit welchem jener Märtyrer dem Tode entgegen ging, bildet einen würdigen Schluß seines Lebens und es ist ein Schauspiel von solcher Größe, daß selbst das Mitleid, obwohl tief, der Bewunderung weicht. Der grausame Tyrann hatte befohlen, daß ihm mit eisernen Kämmen die Haut vom Kopfe gerissen werde; aber bei dieser Marter stieß Akiba keinen Laut der Klage aus; und als die Stunde gekommen war, das tägliche Gebet des Schema, eine biblische Stelle, die das israelitische Glaubensbekenntniß begreift, zu sprechen, verrichtete er sein Gebet mit ruhiger und wohlklingender Stimme. Außer sich vor Verwunderung, frug ihn der Henker, ob irgend ein Zauber ihm das Gefühl des Schmerzes nehme und ihm solche Standhaftigkeit gebe. Akiba antwortete: »ich habe keinerlei Zauber und ich fühle die Marter, die man mir anthut; aber ich habe einen hohen Grund, froh zu sein. Seit langer Zeit hegte ich den sehnlichsten Wunsch, meine Liebe zu Gott durch das Opfer meines Lebens zu beweisen. Nun ist die Stunde gekommen, wo mein Wunsch erfüllt ist, soll ich nicht froh sein?« So setzte er ruhig sein Schema fort und als er an die Worte kam, die Gott als einzig und einig verkündigen, hauchte er die große Seele aus.


 << zurück weiter >>