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Siebenzehntes Buch.
Didaktisches.

Rechtschaffenheit des Meisters.

Es war ein Mal ein Gelehrter von großer und unübertrefflicher Weisheit, aber von wenig ehrbaren Sitten. Die Academie der Weisen war in großer Verlegenheit, ungewiß, ob sie ihn mit dem Banne belegen, oder seine große Weisheit berücksichtigen solle. »Wer wüßte uns in solcher Ungewißheit zu rathen?« »Ein alter Lehrer von mir, sagte einer von ihnen, hat mich so gelehrt. Wenn der Meister einem himmlischen Engel gleich ist Maleachi Cap. 2. V. 7., so berücksichtiget seine Weisheit, wo nicht, so fliehet ihn.«

Rabbi Jehuda theilte im Namen der Academie dem unehrbaren Gelehrten den Bann mit.

Nach einigen Tagen wurde Jehuda schwer krank und seine Collegen begaben sich zu ihm, um ihn zu besuchen und mit ihnen auch der Excommunicirte. Beim Erscheinen dieses lächelte Jehuda. Der Excommunicirte gerieth in Zorn und rief: »Genügt es dir nicht, mir den Bann auf das Haupt geschleudert zu haben und du verhöhnst mich noch?«

»Beruhige dich, antwortete der Kranke; ich lache nicht über dich, sondern ich lächle aus Wohlgefallen an mir selbst. Nahe daran, diese Welt zu verlassen und vor dem himmlischen Tribunale zu erscheinen, bin ich froh, meine Pflicht nicht verletzt zu haben; und zur Ehre des heiligen Gesetzes habe ich dich so großen Mann nicht berücksichtigt.«

Talmud Moed Katan S. 11a.

 

Pflichten der Väter.

Wer seinen Kindern die heilige Wissenschaft lehrt, hat so viel Verdienst, wie wenn er sie selbst vom Sinai empfangen hätte.

Ein Gelehrter traf einen Freund, der, mit einem schlecht zugebundenen Tuche um den Kopf, den Sohn eilig zur Schule führte. »Warum solche Eile? sagte ich zu ihm. Warum bist du so nachlässig gekleidet ausgegangen?«

»Weil die Pflicht, die Kinder zum Unterricht zu führen, jeder andern Sorge vorangehen muß.«

Von damals an genoß jener Gelehrte des Morgens keine Speise, ehe er den Sohn in die Schule führte. – Ein Anderer genoß keine Speise, ehe er den Sohn die Aufgabe des vorhergehenden Tages hatte wiederholen lassen und irgend einen neuen Unterricht hinzugefügt hatte.

Talmud Kiduschin S. 30a.

 

Achtung den Lehrern.

Die Achtung, die Rücksichten, die man den Lehrern schuldig ist, sind größer als die, die man den Aeltern schuldig ist. Der Vater giebt nur das irdische Leben, jener giebt das ewige Leben. – Wenn der Vater auch zum Unterrichte beigetragen hat, so vereinigt er in sich die Rechte des Vaters und des Lehrers.

Baba Mezia S. 33a. Mischna.

 

Volks-Unterricht.

Wer den Genossen unterrichtet, wird im Himmel gut ausgenommen werden. – Wer das Volk unterrichtet, dessen Gebet wird so mächtig sein, daß es die göttlichen Gerichte zum Guten wendet.

Talmud Baba Mezia S. 85a.

 

Bescheidenheit im Studium.

Wer sich in dieser Welt für das Studium des Gesetzes klein macht, wird groß sein in der andern; wer sich zum Sclaven macht, wird dort ein Herr sein.

Talmud Erubin S. 54a. Baba Mezia S. 35b.

 

Mache aus deiner religiösen Wissenschaft nicht eine Krone des Stolzes, noch ein Werkzeug des Gewinns.

Abot.

 

Größe des Weisen.

Ein Weiser ist größer als ein Prophet.

Talmud Horioth Seite 13a.

 

Strafen.

Wenn es sein muß, daß du den Schüler schlägst, so schlage ihn nur mit einem Schuhriemen (sehr leicht). Wer Fortschritte macht, mache; wer keine Fortschritte macht, fahre fort, bei den Mitschülern zu sitzen, von denen er Wetteifer annehmen wird.

Talmud Baba Batra S. 21a.

 

Ausdauer im Studium.

Wer studirt und zu seinem Studium nicht zurückkehrt, ist einem Menschen gleich, der säet und nicht erntet. – Wer studirt und die studirten Sachen vergißt, ist einer Frau gleich, die gebiert und begräbt.

Talmud Sanhedrin S. 99a.

 

Mütterliche Erziehung.

Rabbi Janai sagte: Bei wem findest du die religiöse Wissenschaft? bei dem, der eine gute mütterliche Erziehung genossen.

Talmut Berachot S. 63b.

 

Bescheidenheit der Weisen.

Wenn du viel weißt, thue dir nicht zu viel zu gut; denn dazu wurdest du geboren.

Abot.

 

Die Erhalter der Stadt.

Der Präsident der Academie schickte einmal einige Gelehrten von Palästina, um den Unterricht zu fördern und Schulen zu errichten, wo solche fehlten.

Diese kamen in eine Stadt, wo sie keine Spur von Unterricht, noch irgend welche Lehrer fanden. Unwillig sagten sie zu den Bürgern: »Bringt die Erhalter der Stadt hierher vor uns.«

Und siehe da, es erschienen vor den Gelehrten der Magistrat der Stadt und die andern mit den bürgerlichen Aemtern betrauten Personen. »Was? riefen die Weisen aus, das sind nicht die Erhalter der Stadt, die wir meinen.«

»Aber welche sind es denn? antworteten die Bürger mit Verwunderung.«

»Welche? die Erhalter der Stadt sind die Lehrer. Wenn der Herr das Haus nicht baut Bedeutet, daß das Haus durch die Wissenschaft des Herrn, das heißt: durch das Studium gebaut werden muß., sagte der Sängerkönig, sind vergeblich die Mühen der Handwerker Psalm 127 V. 1.

Talmud Jeruschalmi Chagiga, Abschnitt 2.

 

Methode.

Der Lehrer wähle immer die kürzeste Methode. Die Wissenschaft wird nur erworben durch Hülfe der Erinnerung.

Besser ein wenig mit Aufmerksamkeit, als Vieles oberflächlich.

Talmud Joma S. 71a. Sabbath S. 63a.

 

Alter der Lehrer.

Unterricht junger Lehrer ist wie saure Traube und neuer Wein. – Unterricht alter Lehrer, ist wie reife Traube und alter Wein.

Abot.

 

Geduld des Lehrers.

Der Lehrer hat die Pflicht, den Unterricht so viele Male zu wiederholen, bis der Schüler gut verstanden hat.

Rabbi Perida hatte einen Schüler, dem er die Aufgabe vierhundert Mal wiederholen mußte Wahrscheinlich ist es eine bestimmte Zahl für eine unbestimmte. und alsdann verstand sie endlich der Schüler. Einmal wurde der Meister in Kenntniß gesetzt, daß er sogleich sich wegzubegeben habe, um ein verdienstliches Werk zu verrichten. Ehe er dahin ging, erklärt er, wie gewöhnlich, vier hundert Male seine Lection: aber der Schüler versteht nichts davon.

»Aus welchem Grunde, mein Sohn, sagte der Meister zu ihm, haben meine Wiederholungen dieses Mal nichts genützt.«

»Herr! erwiederte der Schüler, als ich wußte, daß ihr wo anders hin gerufen worden, so blieb ich immer auf diesem Gedanken stehen. Jedes Mal stellte ich mir vor, daß ihr mich verlassen müßtet; und dieser Zerstreuung ganz hingegeben, habe ich nichts verstanden.«

»Nun gut, fangen wir wieder an.« Und er wiederholte die Lection andere vierhundert Male.

Da erscholl die Tochter der Stimme So nennen die Rabbinen ein Echo, ein Zeichen, einen Wink des göttlichen Willens. Jedes Mal, wo sie die Gottheit in die menschlichen Dinge eingreifen lassen wollen, bedienen sie sich dieser Stimme. Man muß jedoch glauben, daß dieselbe den nämlichen Zweck hatte, wie das Wunderbare in den Dichtwerken, da es allgemeiner Grundsatz im Talmud ist, daß man auf die Tochter der Stimme nicht achtet. und sprach: »Willst du lieber vierhundert Lebensjahre, oder du und dein Zeitalter der ewigen Glückseligkeit theilhaftig werden?«

»Ich will lieber das ewige Glück für mich und für mein Zeitalter,« antwortete der Meister.

»Dieser, versetzte die Stimme, verdient das Eine und das Andere.« Wer auf sein Studium hundert und einmal zurückkehrt, wird viel weiser als der, der nur hundert Male darauf zurückkehrt.

Erubin Seite 54b.

 

Wichtigkeit des Unterrichtes.

Jerusalem wurde zerstört, weil der Unterricht verlassen war. Der Psalmist sagt: »Berühret meine Gesalbten nicht; thut nichts Böses meinen Propheten« Chronik. Cap. 16. V. 22.. Die Gesalbten sind die Schüler, die Propheten sind die Lehrer.

Die Welt wird erhalten durch den Odem der Kinder in den Schulen.

Eine Stadt, wo keine Schule ist, muß zu Grunde gehen.

So lange die rosigen Lippen der unschuldigen Kinder in den Schulen die heiligen Worte des Gesetzes wiederholen, ist Israel gerettet.

Der Unterricht in der Schule darf selbst nicht zum Aufbau Jerusalems unterbrochen werden.

Talmud Sabbath S. 119b.

 

Heilsame Wirkungen des Studiums.

Wer die Wissenschaft des Gesetzes erhält, erhält seine Seele. – Wer sich vom Studium des Gesetzes entfernt, fällt in die Unterwelt. Thut dir der Kopf weh, die Brust, oder ein anderer Theil des Körpers, so beschäftige dich mit dem Gesetze. Hast du keinen Reisegefährten, so begleite dich mit dem Studium des Gesetzes.

Talmud Erubin S. 54a.

 

Verdienst des Studiums.

Wer sich mit dem Gesetze beschäftigt, hat weder nöthig, noch eine Pflicht, Opfer auf dem Altare darzubringen. Das Studium des Gesetzes ist so verdienstlich, wie das Darbringen von Opfern.

Talmud Menachoth S. 110a.

 

Der Unterricht dem Alter anpassend.

Gott hat sich auf dem Sinai den Erwachsenen, den Alten, den Kindern, Allen, nach der Fassungskraft eines Jeden geoffenbart.

Rabboth S. 144 b.

 

Eintheilung des Studiums.

Bestimme fest deine Stunden für das Studium. – Theile dein Studium in drei gleiche Theile ein: für die Bibel, für die Mischna und für den Talmud.

Kiduschin S. 30 a.

 

Ein um den Unterricht wohlverdienter Großer.

Es sei immer mit Segensspruch erwähnt der Name des Ben-Gamla, eines der Hohenpriester des zweiten Tempels, der das Studium des Gesetzes auf feste Basis begründete.

Es wurden damals besondere Lehrer in Jerusalem aufgestellt.

Aber wer einen Vater hatte, wurde vom Vater zur Schule angehalten; wer eine Waise war, irrte verlassen umher.

Es wurden nun Lehrer in allen Städten angestellt, um diese Jünglinge, schon von sechszehn oder siebenzehn Jahren zu unterrichten. Aber der Uebermuth des Alters bewog diese öfters, die Schule zu fliehen.

Ben Gamla stellte Lehrer in allen Provinzen, in allen Städten auf, mit dem Befehle, alle Kinder von sechs Jahren an und weiter zur Schule zu verpflichten.

Baba Batra S. 21 a.

 

Unterricht in der Jugend.

Das Studium in der Jugend ist wie die Schrift auf neuem Papiere; im späten Alter ist es wie die Schrift auf beschmutztem Papiere.

Abot.

 

Zahl der Schüler.

Für je fünfundzwanzig Schüler ist ein Lehrer nöthig; zwei für fünfzig; für vierzig einer und ein Gehülfe.

Baba Batra S. 21 a.

 

Gemeinschaftliche Schule.

Kinder sollen nur dann die Schule einer andern Gemeinde besuchen, wenn der Weg dahin nicht zu beschwerlich für das zarte Alter ist.

Ebendaselbst.

 

Wahrer Unterricht.

Den Schüler soll man das Wesen und den Grund des Studiums lehren.

Der weiß nicht gut, dessen Studium nicht leicht und geläufig ist.

Die Praxis ist besser als das Studium.

Talmud Nedarim S. 37 und 38. Kiduschin S. 30 a. und b. Abot.

 

Uneigennützigkeit.

Wie Gott Israel ohne Interesse unterrichtet hat, so soll der Mensch den Menschen ohne Interesse unterrichten.

Talmud Bechoroth S. 29 a.

 

Die Wissenschaft ist für das ganze Leben.

Rabbi Nehair sagte: »Ich lasse jedes Handwerk bei Seite und lehre meinem Sohne nur Gesetz; denn der alte oder kranke Mensch ist unfähig zur Arbeit und stirbt vor Hunger, aber das heilige Gesetz bewahrt uns vor dem Uebel in der Jugend und giebt uns gute Hoffnung im Alter.

Kiduschin S. 82 b.

 

Regeln, um die Weisheit zu erlangen.

Dein Haus sei ein Versammlungsort für die Weisen; bestaube dich mit dem Staube ihrer Füße; trinke mit Durst ihre Worte.

Abot, Abschnitt 1.

 

Unwissenheit, Handel, Leidenschaften.

Der Unwissende weiß sich vor der Sünde nicht zu bewahren.

Wer roh ist, ist nicht fromm – wer furchtsam ist, lernt nicht – wer zornig ist, lehret nicht – wer dem Handel obliegt, wird nicht weise.

Abot.

 

Der durch die Wissenschaft mit dem Vater ausgesöhnte Sohn.

Hyrkanus war ein sehr reicher Herr, Eigenthümer vieler Ländereien und vieler Heerden und Vater vieler Kinder. Ganz der Sorge für sein großes Besitzthum hingegeben, lebte er mit seinen Söhnen in den Feldern und besorgte fleißig den Anbau derselben und die Jungen nahmen ebenfalls Antheil an diesen seinen Sorgen und Mühen.

Der Vater, der öfter die Jungen auf ihren Gängen durch die Felder begleitete, die ihnen anvertrauten Verrichtungen überwachte, bemerkte mehrere Male, daß einer von ihnen, Namens Elieser, sehr betrübt und nachdenklich war. Eines Tages frug er ihn nach der Ursache seiner Betrübniß. Der Junge fing an, bitterlich zu weinen, und gab keine Antwort. Der gute Vater vermuthete, daß die dem Elieser anvertraute Verrichtung in der Bestellung der Felder dem Jungen nicht angenehm sei, und um ihm jede Ursache zur Unzufriedenheit zu benehmen, wechselte er dessen Verrichtung und gab ihm eine andere Arbeit, die er für höher und weniger mühsam hielt. Die Schwermuth des Jungen dauerte fort und noch tiefer als je.

Der Vater, immer unruhiger und bekümmerter, frug ihn abermals nach der Ursache der Betrübniß und der Junge statt zu antworten, brach in einen Strom von Thränen aus. Aber Hyrkanus bestand mit Wärme darauf, den geheimen Schmerz des Sohnes zu erkennen und schlug vor, seine Beschäftigung zu ändern, wenn er eine andere wünsche. Der so bedrängte und gebetene Sohn öffnete endlich sein Herz und sagte, schluchzend: »ich will mich den Studien ergeben.«

»Den Studien? rief der Vater überrascht aus: kannst du in deinem Alter die Studien anfangen? Du bist jetzt achtundzwanzig Jahr alt und es ist Zeit an die Heirath zu denken und nicht an die Studien. Folge meinem Rathe, heirathe; Gott wird deine Ehe segnen und wenn es dir im Herzen daran liegt, dem heiligen Gesetze die Ehre zu geben, so wirst du deine Söhne dem Studium widmen können.«

Der arme Junge wußte keine Antwort zu geben, sondern wurde noch betrübter und verwirrter als zuvor. Er nahm keine Speise mehr zu sich, genoß keine Ruhe mehr und war ganz seinem ungezähmten Verlangen hingegeben, sich dem Studium des heiligen Gesetzes zu widmen.

Ungewiß, was er thun sollte, irrte er ganz allein, seufzend und weinend, durch die Felder. Eines Tages stellte sich ihm ein Unbekannter (es war der Prophet Elia) dar, der zu ihm sprach: »Wozu weinst du? Wenn du Durst nach dem Studium und dem heiligen Gesetze hast so fliehe nach Jerusalem in die Schule des berühmten Meisters Ben Saccai

Elieser nahm diesen Rath, wie vom Himmel gekommen, an und ohne von irgend Jemand Abschied zu nehmen, entfloh er nach Jerusalem und trat in die Schule Ben Saccai's ein und stand unbeweglich da, ohne ein Wort zu reden, ganz verlegen und in Thränen.

»Guter Jüngling, sagte der Meister, warum weinst du?« »Ich weine, antwortete Elieser, weil ich unwissend bin und Verlangen nach Studium habe.« »Hast du schon etwas gelernt? kannst du das Schema hersagen?« »Ich weiß nichts, nichts,« antwortete der Jüngling schluchzend.

Der gute Meister suchte ihn zu trösten und fing an, ihn zu unterrichten, ohne sich auch nur zu erkundigen, von welcher Familie er sei. Nach und nach machte der Junge sehr große Fortschritte und übertraf bald durch die Macht des Willens alle seine Genossen und immer weiter fortschreitend im Studium und in der Wissenschaft, erlangte er große und bewundernswerthe Gelehrsamkeit, gab zu erkennen, von welcher Familie er sei und wurde als einer der ersten Meister in Israel verehrt.

Unterdessen sannen seine Brüder, seine Entfernung und seine Flucht benutzend, auf sein Verderben. Sie schilderten dem Vater mit den schwärzesten Farben die That Elieser's, der die Familie verlassen habe und flößten ihm einen solchen Unwillen darüber ein, daß sie ihn bewogen, den flüchtigen Sohn zu enterben.

Mit diesem abscheulichen Vorsatze machte sich Hyrkanos auf den Weg nach Jerusalem, um den feierlichen Act der Enterbung Elieser's zu vollbringen. Angekommen in der heiligen Stadt, wurde er von einigen seiner Bekannten in das Haus Ben Saccai's eingeführt, welcher gerade an jenem Tage den angesehensten Personen Jerusalem's ein großes Gastmahl gab. Hyrkanos wurde aufgenommen, wie es dem hohen Range seiner Familie gebührte und an die Seite Elieser's gesetzt. Aber Hyrkanos konnte in jenem Augenblicke seinen Sohn nicht erkennen, da er nie gedacht hätte, ihn in jener edlen Gesellschaft zu finden und weil der Jüngling in den wenigen Jahren der Abwesenheit sein Aussehen sehr verändert hatte.

Als sie im Essen etwas vorgerückt waren, wendete sich Ben Saccai an Elieser und sagte: »Mein Sohn, jetzt ist Zeit, die Ströme deiner Wissenschaft auszugießen; erhebe dich und rede über das heilige Gesetz.«

»Meister! antwortete Elieser erröthend, die Cisterne kann nur dasjenige Wasser ausströmen lassen, das man in dieselbe gegossen hat. Was kann ich sagen, das dir nicht schon bekannt wäre?«

»Mein Sohn! antwortete der Meister, die Quelle strömt das Wasser aus, das sie hat und dann noch anderes und immer anderes. Erhebe dich und rede über das heilige Gesetz.«

Aber Elieser, ganz beschämt, schwieg und der Meister vermuthend, daß seine Gegenwart ihm zu große Scheu einflöße, ging aus dem Zimmer.

Elieser begann hierauf eine tiefe Betrachtung über die heiligen Dinge und die Augen funkelten von einem göttlichen Lichte und die Lippen schütteten Ströme der Wissenschaft aus.

Der Meister, von Bewunderung und Begeisterung hingerissen, stürzte sich in das Zimmer, küßte ihn auf die Stirne und rief: »o gesegneter Sohn des Hyrkanos! glücklich Israel, das solche Meister hat!«

Hyrkanos springt auf und fragt überrascht: »Von wem sprachst du?« »Ich spreche von deinem Sohne, sagte Ben Saccai; ich spreche von Elieser, der dir zur Seite steht.«

Der Vater erkennt ihn wieder, schließt ihn an seine Brust und ruft: »glücklich ich, der ich einen solchen Sohn besitze. Ich war nach Jerusalem gekommen, um dich zu enterben; aber statt dessen werden deine Brüder enterbt werden und dir allein behalte ich alle meine Reichthümer vor.«

»Vater! antwortete Elieser, wenn ich Verlangen nach Feldern gehabt hätte, hätte ich solche von Gott erbitten können, der der Herr der Erde ist. Wenn ich Durst nach Gold gehabt hätte, hätte ich solches von Gott erflehen können, der der Herr der Reichthümer ist. Aber ich habe nur Durst nach der heiligen Wissenschaft und diese genügt mir.

Pirke Rabbi Elieser S. 4.

 

Bestimmung und Größe der religiösen Wissenschaft.

Ein wenig Brod und Salz, ein wenig abgemessenes Wasser, als Bett der nackte Boden, ein Leben der Entbehrungen; dieses ist das den Studirenden des Gesetzes zugewiesene Loos. Glücklich, wer es annimmt! Glücklich in diesem Leben und ewig! – Trachte nicht nach Größe – trachte nach keiner andern Ehre, als der Ehre der Wissenschaft.

Der Große, für den du arbeitest, wird seine Versprechen nicht unerfüllt lassen.

Abot Cap. 6.

 

Bild des religiösen Weisen.

Freund des Studiums – aufmerksam auf jede Sache mit dem Ohre, mit den Lippen, mit dem Herzen – erfüllt von Demuth, Achtung, Ehrerbietung, Reinheit, liebevoller Munterkeit – herzlich mit den Weisen, den Freunden, den Schülern – geduldig, gut, ergeben in den Leiden – mäßig im Schlafe, in den Vergnügungen, in den irdischen Geschäften – beseelt von der eignen Würde und zufrieden mit seinem Loose – gemessen in den Unterhaltungen – nicht anmaßend, nicht stolz – liebenswürdig und liebend Gott, die Menschen, die Mildthätigkeit, die Gerechtigkeit, die Besserung – verschmähend die Ehren, demüthig und bescheiden in seinen Unterweisungen – duldsam in der Gesellschaft, nachsichtig in seinen Urtheilen – bestrebt, Alle zur Wahrheit, zum Frieden zu führen – standhaft in seinem Studium und bemüht, die Wissenschaft zu verstehen und ihren Fortschritt zu befördern – eifrig, das Gute zu lernen, um es Andere zu lehren und es selber zu üben – dies das Bild des religiösen Weisen.

Ebendas.

 

Der Aufenthalt der Wissenschaft.

Rabbi Jose erzählt von sich selbst also:

Indem ich mich auf der Reise befand, traf ich einen großen Herrn, der mich höflich grüßte und ich beantwortete seinen Gruß. – Er frug mich hierauf, in welcher Stadt ich wohnte und ich bezeichnete ihm meine Vaterstadt und fügte hinzu, daß dieses der Aufenthalt unterrichteter Leute und der größten Weisen sei. Jener Herr bot mir große Reichthümer an, unter der Bedingung, daß ich ihm folgte und den Umgang jener Weisen verließe. Ich antwortete ihm: »Wenn ich auch alle irdischen Reichthümer zu gewinnen hätte, möchte ich nicht an einem Orte wohnen, wo nicht die Weisheit des Gesetzes wäre. – Wann der Mensch stirbt, begleiten ihn weder das Gold noch das Silber, noch die Ehren, sondern die Buße und die guten Werke, die Frucht der wahren Wissenschaft.

Ebendas.

 



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