Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Buch.
Dämonologie (Geisterlehre.)

Ein Gespräch zweier Geister.

Es war einmal ein frommer Mann, ganz Liebe und Milde, aber in großer Dürftigkeit.

Es war ein Jahr schrecklicher Theuerung, und der arme Mann lebte kümmerlich mit seiner Familie.

Nahe am großen Feste des Neujahrs, nachdem er die für die Familie unumgänglich nothwendigen Gegenstände angeschafft, blieb ihm noch eine kleine Münze übrig. Ein Unglücklicher, abgemagert, zerrissen, ohne Schuhe, ausgehungert, stellt sich ihm dar, und bittet ihn um Hülfe.

Der fromme Mann nimmt die ihm übriggebliebene Münze und schenkt sie dem Armen.

Als die Frau von dem vom Gemahle gemachten Geschenke hörte, schreit sie, flucht, wüthet und läßt ihm keinen Frieden mehr.

Der fromme Mann, gequält, gemartert, geht aus dem Hause, und nimmt seine Zuflucht auf dem Friedhofe.

Und er streckt sich über dem Grabe seines Vaters aus, und löst sich in Gebeten und Weinen auf.

Und ringsherum herrscht das Schweigen der Gräber.

Und in jener Leichenstille hört man keine andere Stimme als das leise Murmeln und das beklommene Schluchzen des frommen, auf dem Grabe ausgestreckten Mannes.

Ein plötzliches Geknister ertönt aus dem Grunde der Grube und ein leises Grabesgeflüster dringt zum Ohre des Kummervollen. Und der Kummervolle hört auf zu beten und zu weinen und horcht aufmerksam.

»Komm, meine Freundin,« sagt eine Stimme, »gehe aus dem Grabe; erheben wir den Flug gegen die himmlischen Sphären, und verborgen hinter den himmlischen Vorhängen, werden wir hören, welche Schicksale dieses Jahr den Sterblichen begegnen werden.«

»Freundin,« antwortete die andere Stimme, »ich bin in dieser Rohrmatte eingekerkert, und ich vermag nicht, mich aus diesem Grabe loszumachen. Gehe, fliege, höre und berichte mir, was du hören wirst.«

Und der erste Geist geht heraus, fliegt, hört und kehrt zurück. »Meine Genossin, was hast du hinter den himmlischen Vorhängen gehört?«

»Wer nach dem zweiten Regen säen wird, wird eine reichliche Aerndte in diesem Jahre haben. So habe ich droben im Himmel gehört.«

Der fromme Mann steht auf, froh über das, was er entdeckt hatte und säet nach dem zweiten Regen; allen Andern mißrieth die Aerndte, und bloß die seinige ist reichlich.

Das folgende Jahr kehrt der fromme Mann zum Friedhofe zurück, und streckt sich über das Grab hin; und horcht von Neuem aufmerksam.

»Komm, meine Genossin,« sagt eine Stimme, »gehe aus dem Grabe; erheben wir den Flug gegen die himmlischen Sphären; und verborgen hinter den himmlischen Vorhängen, werden wir hören, welche Schicksale dieses Jahr den Sterblichen begegnen werden.«

»Freundin,« antwortet eine andere Stimme, »ich habe es schon einmal gesagt; eingekerkert in diesem Grabe, kann ich mich nicht losmachen. Gehe, fliege, höre und berichte mir, was du hören wirst.

Und der erste Geist geht heraus, fliegt, hört und kehrt zurück. »Wer nach dem zweiten Regen säet, dessen Felder werden vom Brand verwüstet werden. Dieses habe ich oben im Himmel gehört.«

Der fromme Mann erhebt sich, froh über das, was er entdeckt hatte; er geht und säet nach dem ersten Regen; allen Andern mißrieth die Aerndte und blos die seinige ist reichlich.

Und seine Frau wundert sich über diesen glücklichen Erfolg, und fragt den Mann nach der Ursache diesen großen Glücks.

Und der fromme Mann, der keine Lüge reden mochte, erzählte der Frau Alles pünktlich.

Nun traf es sich, daß diese Frau Streit anfing mit der Mutter jenes verstorbenen und in einer Rohrmatte begrabenen Mädchens.

Und die Ruchlose sagte zu jener armen Mutter: »Komm und ich werde dir etwas zeigen, was dich ehrt; ich werde dir dein Mädchen in einem Rohrgrabe zeigen.« Und im dritten Jahre kehrt der fromme Mann zum Friedhofe zurück und streckt sich über das Grab hin, und horcht von Neuem aufmerksam.

»Komme, meine Genossin,« sagt eine Stimme, »gehe aus dem Grabe, erheben wir den Flug zu den himmlischen Sphären, und verborgen hinter den himmlischen Vorhängen, werden wir hören, welche Schicksale dieses Jahr den Sterblichen begegnen werden.«

»Schweige, meine Freundin,« antwortet die andere Stimme: »unsre Worte wurden da oben unter den Lebendigen gehört.«

Und Alles schwieg.

Talmut Berachot S. 18 b.

 

Streit um einen Leichnam.

Legende.

Neben dem Sterbebette des Rabbi Eleasor seufzte trostlos die Gattin und klagte und weinte leise und dachte bei sich: »Verbunden mit der Person dieses Heiligen, war ich bisher glücklich; aber ach! ich Unglückliche! Die heiligen Reste des frommen Mannes werden bald eine Beute der Würmer sein!«

Der Sterbende errietst die Gedanken, die die Frau bewegten und sagte »Meine Gattin! mein Tod ist nahe; aber mein Körper wird unverletzt und unversehrt bleiben. Blos ein kleiner Theil von mir, blos mein Ohr wird eine Beute der Würmer werden, denn einmal hörte ich eine Beleidigung gegen einen Unschuldigen und ich hätte sollen die Bestrafung des Beleidigers veranlassen und that es nicht.«

Als er gestorben war, wurde er in dem Dorfe Gusch Chalab begraben, sehr weit vom väterlichen Grabe, welches sich in dem entfernten Dorfe Meronai befand.

Die Bürger von Meronai empfanden großes Leidwesen, daß der Sohn sein Grab entfernt vom Vater hatte und ihr Schlaf war immer von erschreckenden Träumen gestört; es schien ihnen, als sähen sie den Vater Eleasars unwillig und drohend, der ihnen zurief: »Dieser mein Sohn war mein rechtes Auge, und ihr duldet es, daß er fern von mir liege.«

Da sie die Qual jener nächtlichen Gesichte und Vorwürfe nicht mehr ertragen konnten, so beschlossen sie, um jeden Preis den empörten väterlichen Schatten zu versöhnen. Sie versammelten sich Alle, begaben sich in das Dorf Gusch Chalab und verlangten in drohender Haltung die Zurückgabe jener heiligen Reste. Aber die Bewohner von Gusch Chalab weigerten sich, ihrem Verlangen nachzugeben; und da die ersteren Miene machten, mit Gewalt ihren Zweck erreichen zu wollen, so ergriffen die Letztern Stöcke und Knittel und jagten sie, übel zugerichtet, fort.

Die Meronaiten hatten jedoch die frühere Absicht noch nicht aufgegeben und sannen auf ein Mittel, um sie zu erreichen. Es war damals der heilige Versöhnungstag nahe und am Rüsttage jener großen und ehrfurchtbaren Feier sprachen die Meronaiten also unter sich: »Unsre Gegner müssen jetzt alle mit Handlungen der Andacht beschäftigt sein, um sich für den großen Tag vorzubereiten. Dieses ist die günstigste Stunde; laufen wir auf ihren Friedhof und bemächtigen wir uns der heiligen Ueberreste, die sie uns mit Unrecht streitig machen.«

In wenigen Augenblicken sind Alle versammelt und machen sich auf den Weg. Als sie eine Strecke des Wegs zurückgelegt hatten, siehe da! zwei Licht-Schlangen vor ihnen, die gerade den Weg, der nach dem Friedhofe führt, einschlagen. Die Meronaiten waren froh über jene Erscheinung, die sie als eine himmlische Botschaft betrachteten, die ihr Unternehmen begünstigte. Sie folgten jenem wunderbaren Lichte und kamen an jener Grabesstütte an Es ist bekannt, daß die Alten verschiedene Arten, zu begraben, hatten. In geräumigen Grotten waren viele Zellen ausgehöhlt, und in die Zellen legte man die Leichname nieder, zuweilen ohne Bedeckung.. Dort blieben die zwei Lichtschlangen unbeweglich stehen und dort hielten die Meronaiten zögernd inne und sagten: »Wer wird den Heiligen in Mitten dieser Todten erkennen?«

Da rief die Frau: »Ich weiß ihn, zu erkennen, denn ich erinnere mich seiner letzten Prophezeihung.«

Die Frau ging muthig in der Todtengrotte vorwärts, und siehe da! der unverletzte Leichnam des Gatten vor ihr, fast noch voll Leben im Angesichte. Sie nähert sich ehrerbietig und bemerkt einen kleinen Wurm, der das Ohr des Heiligen benagte. Die Frau versucht, ihn davon wegzunehmen, aber eine Stimme ertönt, und ruft also: »Lasset dem Gläubiger seine Schuld eintreiben« Das heißt, lasset die göttliche Gerechtigkeit den Heiligen die Strafe erleiden machen, dis er für seine Sünde verdient hat. – Es ist sehr leicht, die Moral zu finden, die unter der rohen Hülle dieser Legende verborgen ist.. Der Leichnam des frommen Mannes wurde an die Seite des väterlichen Grabes gebracht; und von jener Stunde an ließ der Vater die Meronaiten in Frieden.

Midrasch Rabboth Kohel. S. 113 b.

 

Die Salomons-Sage
oder
Asmedai, der König der Geister.

Es war göttliche Vorschrift, daß der heilige Tempel, bestimmt zur Gegenwart des Herrn auf Erden, von keinem Eisen berührt werde noch von irgend einem Werkzeuge, das aus Eisen verfertigt war. Der weiseste der Könige, welchem der heilige Auftrag anvertraut war, den Bau des heiligen Hauses zu vollführen, war verwirrt und betroffen von diesem göttlichen Befehle und wußte kein Mittel zu finden, das große Werk zu vollbringen. Wie war es möglich, ungeheure Massen von Marmor zu zerbrechen, und harte Hölzer zu zerspalten, ohne Hülfe des Eisens? In dieser Verwirrung und Rathlosigkeit, ruft er seine Minister zu sich und setzt ihnen die Ursache seiner Verlegenheit auseinander und bittet sie um Auskunft und Rath.

Einer der Weisesten antwortet so: Großer König! Unter den, von dem göttlichen Worte geschaffenen Dingen ist eines, das dir vortreffliche Dienste leisten, und mächtiger als das Eisen, die Stelle des Eisens selbst vertreten könnte. Seit den ersten Tagen der Schöpfung, in der Stunde, wo die Nacht dem Tage die Herrschaft streitig macht, rief der Schöpfer ein Würmchen ins Leben, Schamir genannt, welches die besondere Eigenschaft besitzt, die härtesten Steine durch seine Berührung zu zerschlagen. Wo jenes Würmchen Hause, hat nie ein sterblicher Geist entdeckt.

Aber dem weisen Könige, dem volle Herrschaft über alle Geister gegeben war, konnte keine irdische Sache verborgen bleiben. Mit dem mächtigen Worte beschwört er alsbald und ruft vor sich zwei Schedim (Geister) und befiehlt ihnen, ihm den Ort anzugeben, wo der Schamir sich verbarg. Diese erklären zitternd, daß bloß ihrem großen Könige Asmedai jenes Geheimnis) bekannt sei. Und gefragt, wo jener große Fürst seine Wohnung habe, antworten sie: er wohnt sehr weit von hier auf dem Gipfel eines hohen Berges; und in dem Berge hat er einen tiefen Brunnen ausgegraben und den Brunnen hat er mit Wasser angefüllt, und darauf hat er einen großen Pflock gelegt, und den großen Pflock an den Boden angesiegelt, und jeden Tag steigt er in den Himmel und kehrt zur Erde zurück, und untersucht genau das Siegel, ob Niemand es berührt, und den Brunnen aufgedeckt habe und öffnet ihn und trinkt und bedeckt ihn wieder und versiegelt ihn.

Salomon entläßt die Geister und beruft seinen tapfern Feldherrn Benaja vor sich und übergiebt ihm eine Kette, in welche der heilige Name Gottes eingegraben war und ein Siegel mit dem heiligen Namen Gottes darauf, und eine große Last Wolle und eine große Zahl Weinflaschen und sagt zu ihm: jetzt gehe und vollbringe das glorreiche Unternehmen.

Der beherzte Krieger macht sich auf den Weg, reist viele Tage, und gelangt endlich an den bezeichnten Berg. Und ein Schauspiel der Trostlosigkeit, der Einsamkeit und des Schweigens bietet sich dem Blicke dar; nicht entmuthigt, schickt sich der tapfere Krieger zur schwierigen Arbeit an. Unter dem höllischen Brunnen, etwas mehr zur Rechten, höhlt er einen breiten Graben aus und macht alles Wasser des Brunnens dort hineinlaufen und verstopft darauf die Oeffnung desselben mit großen Wollflocken. Und oben, fast daneben, höhlt er einen andern Graben aus, der mit jenem höllischen Brunnen in Verbindung steht, und darauf gießt er all seinen Wein hinein. Und das Werk vollbracht, verbirgt er sich hinter einen Pflock und erwartet ungeduldig die Ankunft des Königs der Geister.

Bei Anbruch der Nacht kommt Asmedai vom Himmel herab, untersucht das Siegel und findet es unberührt, hebt den Pflock auf, und steigt in den Brunnen hinab, alsbald nimmt er den Wein wahr, athmet dessen balsamische Wohlgerüche ein, aber bösen Verdacht hegend, setzt er sich vor, ihn nicht zu kosten und giebt Acht. Aber unterdessen quält ihn ein brennender Durst, und ungeduldig jagte er in die vertrocknete Kehle große Schlucke Weins und hinter dem ersten einen zweiten und noch einen, und immer gieriger stürzt er hinunter, der Geist wird ihm wirr der Kopf wankt, der Körper taumelt und er fällt und versinkt in tiefen Schlaf.

Benaja, der genau aufschaute, wirft sich eilends auf den Schlafenden, legt ihm die heilige Kette um den Hals und verschließt sie mit dem heiligen Siegel und wartet.

Der Fürst der Geister erwacht endlich, bemerkt die Kette, die ihn umschließt, und stößt ein solches Geheul aus, daß der Berg davon erdröhnt und erbebt. Er krümmt sich verzweifelt, spritzt Feuerflammen aus den Augen und geifernden Schaum von den Lippen, er windet und rüttelt und schüttelt sich. Höre auf, ruft ihm endlich Benaja zu; du hast den heiligen Namen Gottes auf dir; jeder Versuch ist vergeblich.

Asmedai beruhigte sich und erklärt sich bereit, den Willen seines neuen Herrn zu thun. Benaja befiehlt ihm, ihm zu folgen, und er folgt ihm.

Aber wo immer der König der Geister vorüberkam, ließ er die Zeichen seiner fürchterlichen Macht zurück. Hier entblättert er mit der Seite einen Baum und wirft ihn nieder, dort streift er ein Haus, und stürzt es zur Erde. Weiterhin begegnet er einem festlichen Hochzeitszuge, und der König der Geister fängt bei jenem Anblicke laut zu weinen an.

Warum weinst du? fragt Benaja. O, unheilvolles Fest antwortet Asmedai. Innerhalb dreier Tage wird der Bräutigam todt sein.

Sie ziehen weiter und kommen an einem Landmann vorüber, der zu einem Schuster sagte: Hab Acht, daß meine Schuhe mir sieben Jahre ausdauern. Asmedai schlägt ein lautes Gelächter auf. Warum lachst du? fragt Benaja. Warum ich lache? antwortet er. Jener Unglückliche wird keine sechs Tage mehr leben und will Schuhe für sieben Jahre.

Sie kommen vor den großen König. Asmedai zittert vor Zorn und schweigt; einen kleinen Stock, den er zwischen den Füßen hatte, warf er zu den Füßen Salomo's nieder. Was machst du? fragt der König. Der da, antwortet grimmig Asmedai, der da, wird nach dem Tode nicht mehr Raum einnehmen, als dieser Stock; und doch, nicht zufrieden mit der Herrschaft der ganzen Erde, will er auch die Geister beherrschen.

Aergere dich nicht, Asmedai! sagt Salomo. Ich verlange von dir nur eine Sache. Ich soll den heiligen Tempel bauen und ich habe den Schamir nöthig; sage mir, wo der Schamir sich verbirgt.

Der Schamir wurde dem König des Meeres anvertraut, und dieser hat ihn dem Waldhahne anvertraut und ihn mit dem schrecklichsten Schwure verpflichtet, ihn unverletzt und immer zu erhalten. Und der Waldhahn hat sich auf einen hohen nackten und einsamen Berg gezogen und dort sein Nest aufgeschlagen; und in die Spalten der Steine hat er einige Saamen gelegt, von denen er sich ernährt, und nie entfernt er sich, ohne daß er das anvertraute Gut an sich schließe und drücke.

Salomo ruft von Neuem seinen treuen Benaja zu sich und schickt ihn aus, den Waldhahn zu entdecken. Der Tapfere macht sich auf den Weg, geht über Flüsse und geht über Berge, und auf dem Gipfel eines hohen Berges entdeckt er das Nest eines Waldhahnes. Trunken vor Freude läuft er hin, wirft über die kleinen Hähnchen eine große und harte Glasglocke und verbirgt sich und wartet.

Der Hahn kommt zurück und läuft an sein Nest und bleibt beim Glase stehen; und sieht die Hähnchen, stößt und geht umher; schlägt mit den Flügeln, und stößt von Neuem. Und unterdessen schreien und weinen die Hähnchen und der Hahn dreht sich um und um, und hackt, und immer vergebens. Endlich nimmt er zu dem kostbaren anvertrauten Gute seine Zuflucht, um das Glas zu zerbrechen, er zieht den Schamir unter den Flügeln hervor, und nähert ihn … Aber in diesem Augenblicke stößt Benaja einen schrecklichen Schrei aus; der Schamir fällt zur Erde, und Benaja nimmt ihn gierig auf und entflieht.

Der arme Hahn, verzweifelnd wegen des verletzten Eidschwures, gab sich den Tod.

Unterdessen wurde das heilge Gebäude vollendet, und der König der Geister lag noch angekettet zu den Füßen Salomo's.

Und dieser, berauscht von seiner Macht, schwelgte in allen Lüsten. Und unersättlich an Reichthümern, häufte er Schätze auf Schätze; und unersättlich an Größe, errichtete er Palläste neben Pallästen, und Städte neben Städten: und unersättlich an Vergnügungen, versammelte er Sänger und Sängerinnen, Tänzer und Tänzerinnen um sich; und war doch nie befriedigt.

Eines Tages sprach sein königlicher Gefangener also zu ihm: Großer König! du bist mit Hülfe der Geister und meiner Macht der Größte der Sterblichen geworden. Aber meine Macht, so gefesselt, vermag kaum einen kleinen Theil von dem, was ich vermöchte, wenn ich frei wäre. Löse mich von den Fesseln, übergieb mir deinen heiligen Ring nur einen einzigen Augenblick; und ich werde dich größer machen, als irgend ein sterbliches Wesen.

Der König gestachelt von wahnsinnigem Ehrgeiz, befiehlt, daß ihm die Ketten abgenommen werden und reicht ihm seinen heiligen Ring. Der Geist, kaum frei, wächst zu einem Riesen an; mit den Füßen berührt er die Erde und mit dem Kopfe die Wolken; er ergreift den Ring und schleudert ihn in's Meer, er ergreift Salomo, und schleudert ihn tausend Meilen weit; dann nimmt er selbst das Gesicht und das Aussehen Salomo's an und mischt sich unter die Minister, und macht glauben, daß er der König sei und als König beherrscht und regiert er Israel.

Unterdessen irrte der arme Salomo in entfernten Ländern unbekannt und allein, und von der königlichen Größe trug er keine Spur mehr an sich. Niemand beachtete sein Kommen, Niemand blieb stehen, wenn er fragte, Niemand hörte auf seine Bitten. Vergebens versuchte er, sich zu erkennen zu geben; vergebens erklärte er, der große König Israel's zu sein. Hohn und Beleidigungen folgten seinen Betheuerungen; sie nannten ihn den König der Bettler, und liefen hinter ihm her, um ihn zu verspotten.

Zu den gegenwärtigen Mühsalen kam noch bei dem Unglücklichen die Qual der Erinnerungen. Der Ruf seines großen Namens, die Macht seines Wortes, die Größe seines Reiches, der Prunk seiner Palläste, der Reichthum seiner Schätze, die Wollüste seiner Lebensweise tummelten sich wild in seinem Geiste und berauschten ihn mit Schmerz und Zorn. Er schaute um sich und sah sich allein, verlassen auf der Erde; er eilte in Gedanken an den Sitz seiner Herrschaft, und stürzt sich in jene glänzenden Gemächer, in jenen bezaubernden Aufenthalt von Gold und Wohlgerüchen und kehrte wieder zu sich selbst zurück und fühlt die Wirbel des Wahnsinnes ihm den Geist umstricken und das Herz erstarren.

Da faßte er sich in den Sinn, daß die große Entfernung, in der er sich befand, und die wenige Bekanntschaft, die man daselbst von ihm und seiner Macht haben mußte, die Ursache der Verachtung und Mißhandlung sei, die er erleiden mußte; und er gab sich der Hoffnung hin, daß, sobald er sich in seiner königlichen Stadt zeigen würde, er sofort als König begrüßt und alle verlorenen Ehren wieder erlangen würde.

Verlockt und getrieben von dieser süßen Hoffnung, faßt er wieder Muth, nimmt den alten Stolz wieder an, beginnt wieder die alten Träume von Größe und Glück und macht sich auf die Reise. Auf der Reise hatte er die härtesten Entbehrungen, die schwersten Mühen, den Hunger selbst zu erdulden und seine Täuschungen wurden ihm verdorben, und seine Befürchtungen erwachten von Neuem. Aber mit dem Gedanken unbeweglich auf das geliebte Jerusalem gerichtet, gewinnt er wieder neue Kräfte, und setzt muthig seine Reise fort. Schon ist er endlich den heiligen Mauern nahe, er betritt bald die heiligen Schollen, er entdeckt schon die Zinnen der ersehnten Stadt. Das Herz wird ihm weit, vor Freude schlagend, und sein gebieterischer Blick bewegt sich langsam umher, wie um Befehle auszugeben und Ehrfurcht zu erzwingen; sein Einherschreiten wird, trotz der innern Hast, langsamer und majestätischer. Er tritt endlich in die königliche Stadt ein und begegnet einer eiligen Menge, die von verschiedenen Seiten herauskommt und nach verschiedenen Seiten sich vertheilt. Salomo bleibt festen Schrittes vor den Laufenden stehen und erwartet, daß von der Menge ein plötzlicher Ruf des Grußes und der Huldigung hervorbreche.

Aber die Menge setzt ihren Weg fort und Niemand achtet auf ihn. Der Enttäuschte zittert in seinem Herzen, und unwillig eilt er stracks seinem Pallaste zu, sicher, dort das gewünschte Ende seiner Leiden zu finden. Er schlägt gebieterisch an das Thor, und dem Pförtner, der ihn fragt, wer er sei, antwortet er mit der ganzen königlichen Würde: ich bin es, der König. Der Pförtner mißt ihn mit einem höhnischen Blicke, schlägt ein schallendes Gelächter auf und schließt zu. Diesen Schimpf vermag Salomo nicht zu ertragen, fängt an zu schreien, zu drohen, zu toben, so daß sich bald ein Haufen Neugieriger versammelt, der ihn verspottet. Der königliche Mundschenk kommt heraus; Salomo fliegt ihm entgegen; und du, ruft er, du, mein treuer Diener, wirst deinen König erkennen. Erinnere dich unserer vielen Mahlzeiten, unserer heitern Unterhaltungen, unserer süßen Vertraulichkeiten. – Daß der Satan euch diese Dinge mitgetheilt haben mag, sagte der Mundschenk, kann sein, aber daß ihr der König seid, wird Niemand glauben. Diese Worte gesprochen, ließ er ihm ein Kleid umwerfen und seine Lumpen ablegen und jagte ihn mit Gewalt fort.

Die Verzweiflung im Herzen durchläuft er mit gesenktem Haupt und in sich gekehrtem Blicke die Straßen Jerusalems. Von der ganzen zahlreichen Bevölkerung erkannten ihn nur ein Reicher und ein Armer. Der Reiche lud ihn zu Tische ein, und sagte ihm: »Unglücklicher, in welchen Zustand bist du versetzt nach solcher Größe?« Salomo ärgerlich über diese unangenehmen Tröstungen, floh vom Tische weg. Der Arme sagte ihm: »Ertrage in Frieden den Willen des Herrn und verliere die Hoffnung nicht. Gott kann dir wieder geben, was er dir genommen hat.«

Aber diese freundschaftlichen Worte genügten nicht, ihm die Bitterkeit jenes Aufenthaltes zu mildern. Ein Gegenstand der Verachtung da zu sein, wo ehedem sich Alles seinem Willen beugte, war ein Schmerz, der seine Kräfte überstieg. Salomo nimmt sich vor, die undankbare Stadt zu verlassen, und getrieben von der Noth, von Neugierde, von ungewissen Hoffnungen, begiebt er sich in die königliche Stadt von Ammon und geht graden Weges nach dem königlichen Pallast. Um Zutritt zu erlangen, empfiehlt er sich den Dienern, und erbietet sich zu jedem niedrigen und mühsamen Dienste. Der königliche Koch, der gerade Einen nöthig hatte, nimmt ihn an und giebt ihm den Auftrag, Holz zu tragen, Wasser zu schöpfen und andere ähnliche Arbeiten. Aber der Koch merkte bald, daß der Mann höhere Fähigkeiten besaß, als zu jenen Verrichtungen gehörten; und voll Bewunderung hörte er seine gelehrten Reden über die Thiere, über die Pflanzen, über die ganze Natur. Er gewann Liebe und Achtung gegen ihn, gab ihm Theil an seinem eignen Dienste und beschäftigt ihn mit sich in der Küche.

Eines Tages erlangte Salomo von seinem Collegen, daß der königliche Tisch mit Speisen besetzt werde, die er allein zugerichtet hatte. Jene Speisen schienen dem königlichen Gaumen so ausgesucht, daß, als der König den Zubereiter derselben erfahren hatte, er ihn vor sich rufen ließ und ihn zum Vorgesetzten der Küche ernannte.

Der König hatte eine Tochter, Namens Noëmie, von seltener und wunderbarer Schönheit. Von königlichen Prinzen gefreit, schlug sie immer aus, weil sie von geheimer Liebe zu Salomo entbrannt war. Die Mutter, welche wußte, wie ihre Tochter verliebt war, entschloß sich, zu erlauben, daß sie sich heiratheten. Aber der König wurde wüthend darüber und bedrohte die Verlobten mit dem Tode, und bloß die Thränen der Mutter konnten bewirken, daß das Todesurtheil in die Verbannung in eine Wüste umgewandelt wurde.

In jener Einsamkeit verursachte die großmüthige Zärtlichkeit der Verlobten dem Herzen Salomo's um so mehr Kummer, als er dieselbe nur mit Thränen erwiedern konnte. Schon stahl sich ein verzweifelter Gedanke in sein Gemüth, als ihm in den Sinn kam, daß ihm noch ein Trost, eine Hoffnung übrig blieb, das Gebet. Er wirft sich zur Erde, vergießt Ströme von Thränen und betet und demüthigt sich vor dem Herrn der Throne und aller menschlichen Größe und wälzt sich im Staube; und betet wieder.

Dann macht er sich auf den Weg nach einer Stadt, die nahe am Meere lag. Ein Fischer nähert sich ihm und bietet ihm einen Fisch zum Kaufe an. Er kauft ihn, öffnet ihn; o Erstaunen! o Freude! er findet darin den heiligen Ring, den Asmedai in's Meer geworfen hatte. Er erhebt ein Jubelgeschrei, fühlt sich alsbald einen andern Menschen, nimmt die alte Majestät des Ansehens an und fühlt sich von Neuem vom göttlichen Geiste beseelt.

Er eilt mit seiner treuen Gefährtin nach Jerusalem, kündigt sich dem großen Sanhedrin an und erzählt genau alle seine Abenteuer.

Das Synedrium fragt den Benaja, wie er vom Könige behandelt worden sei und erfährt, daß der König seinen treuen Rathgeber von sich verstoßen und ihm jedes Vertrauen versagt habe. Er frägt die Herren des königlichen Hofes, ob der König wirklich nach seinem Aussehen als der alte Salomo erscheine, und ob sie zufällig jemals seine Füße Anspielungen auf den Glauben, daß die Füße der Geister denen der Hühner ähnlich seien. gesehen hätten. Die Herren antworteten, daß der König immer die Füße sorgfältig bedeckt und in einen weiten Mantel eingehüllt trage.

Das Synedrium räth alsdann dem Salomo, plötzlich in das königliche Gemach zu treten. Er tritt ein und läßt vor den Augen Asmedai's den heiligen Ring blitzen. Asmedaistößt einen schrecklichen Schrei aus und verschwindet.

Dennoch blieb von damals so viel Schrecken in dem Gemüthe Salomo's, daß, wie das hohe Lied sagt Hohes Lied Cap. 3 V. 6., in der Nacht sein Bett immer von sechszig bewaffneten Helden bewacht war.

Talmud Gittin S. 68 und folg.

 



 << zurück weiter >>