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Zwanzigstes Buch.
Historisch-poetische Ueberlieferungen. Die talmudischen Bücher sind reich an solchen Traditionen. Wir haben bloß diejenigen ausgewählt, die durch künstlerisches oder moralisches Colorit sich am meisten auszeichnen.

Die Familie Adam's.

Adam und der Untergang der Sonne.

Aus dem Eden verjagt, irrten Adamund Eva zerstreut durch die öden Fluren der Erde.

Und die Sonne fing damals an, sich dem Untergange zuzuneigen und das schuldbedeckte Paar sah erschrocken das Erblassen des Lichtes Die Tradition nimmt an, daß Adam und Eva am ersten Tage ihres Daseins ihre Sünde begangen haben; daher war es das erste Mal, daß sie den Untergang der Sonne sahen. und fühlte in der Seele den Schrecken der Verlassenheit und des Todes.

Und das Licht des Himmels erblaßte immer mehr und die Unglücklichen umschlangen sich verzweifelt und hatten keine Kraft mehr, einen Schritt zu machen, ein Wort hervorzubringen.

Und Alles war Finsterniß.

Und die Unglücklichen fielen kraftlos zur Erde und dachten, daß der göttliche Zorn, um ihrer Sünde willen, Alles in das Nichts zurückführen werde.

Und jene ganze lange Nacht brachten sie in Seufzern und Thränen zu.

Und als der erste Lichtstrahl von Neuem am Himmel hervorbrach, erhoben sie sich wieder gestärkt und begrüßten mit Gebeten und Opfern die Wiederkehr der Sonne und sprachen: »Unser Schrecken hat uns getäuscht; es ist dieses ein Gesetz, das Gott der Natur einprägte.«

Talmud Aboda Sara S. 8 a.

 

Der Streit Kain's und Abel's.

Kain und Abel, obwohl fast allein auf der Erde, lebten doch nicht in Eintracht und Frieden. Schon regten sich die Begier, der Neid, der Ehrgeiz in ihren Gemüthern. Abel, mäßiger und weiser, schlug dem Bruder ein Mittel vor, jeden Grund der Zwietracht unter sich zu beseitigen. »Herren der Erde«, sagte er, theilen wir alle Dinge unter uns und genießen wir ein Jeder in Frieden seinen Theil.«

Der Vorschlag gefiel dem Kain und sofort schritt man zur Theilung. Kain wurde die Erde zugewiesen; und Alles, was beweglich ist auf der Erde, wurde dem Abel zugewiesen.

Aber der heftige Neid, der sich in dem Herzen Kain's eingenistet hatte, ließ ihm keinen Frieden. Und gestachelt und getrieben von jener Wuth, nähert sich eines Tages jener Ruchlose drohend dem Abel und schreit: »Wo setzest du die Füße hin? Du setzest die Füße auf mein Reich. Hinaus … die Erde ist mein.«

Von dieser unerwarteten Aufforderung betroffen, antwortet ihm der Bruder mit sanften Worten also: »Aber auch das Kleid, das du trägst, ist von der Wolle meiner Schafe gemacht; und doch setze ich mich nicht entgegen.«

»Hinaus,« wiederholt wüthend der Bruder, »hinaus aus diesem Felde, die Erde ist mein.«

Von dem gräßlichen und drohenden Blicke Kains erschreckt, geht Abel rasch aus dem Felde und springt auf einen Hügel. Kain folgt ihm und ruft: »Was machst du auf jenem Hügel? Die Erde ist mein.« Abel flieht und springt auf einen Berg; der Bruder hinter ihm drein und ruft: »Was machst du auf jenem Berge? Die Erde ist mein.« Und holt ihn ein und tödtet ihn.

Jalkut S. 11 a.

 

Das Begräbniß Abel's.

Abel lag entseelt auf dem Boden.

Neben dem Leichnam wachte der treue Hund und beschützte ihn gegen die Beschimpfungen der wilden Thiere.

Ueber der leblosen Hülle des Sohnes standen unbeweglich und stumm Adam und Eva, und es schien, als erwarteten sie, daß der Unglückliche aus seinem Schlafe erwache Adam und Eva konnten noch nicht wissen, was Sterben sei und darum kamen sie nicht auf den Gedanken, den Todten zu begraben..

Und der Unglückliche erwachte nie wieder – und die Stunden vergingen – und die armen Aeltern standen unbeweglich und staunend, wußten nicht, weder was sie zu thun hätten, noch was sie dachten.

Und die Stunden vergingen.

Ein Rabe stand als Zuschauer der Angst und der Verwirrung der Armen und dachte bei sich: »Unglückliche! Sie wissen nicht, was sie jenem Leichnam zu thun haben; ich will sie selbst darüber belehren.«

Er nahm einen andern vor Kurzem gestorbenen Raben, trug ihn zu ihnen und nachdem er lange die Erde aufgegraben und ein kleines Loch geöffnet hatte, legte er den todten Gefährten hinein.

Adam und Eva verstanden den traurigen Unterricht, gruben eine Grube und begruben die theuern Reste hinein.

Ebendas.

 

Die Reue Kain's.

Gott hatte Kain verflucht und zu schrecklicher Qual verdammt. Aber zum Mitleid über seine Reue bewegt, hatte er ihm ein Zeichen seiner Vergebung auf die Stirne gedrückt.

Adam begegnet dem Kain und bemerkt verwundert dieses Zeichen und spricht: »Wie hast du doch den göttlichen Zorn besänftigen können?«

»Mein Vater!« antwortete er, »ich habe mich für schuldig erklärt, habe Buße gethan und habe den Herrn zum Mitleide mit mir bewegt.«

»Wehe mir,« rief Adam verzweifelt, indem er sich an die Stirne schlug; »ist die Kraft der Buße so groß: und ich wußte es nicht! Und ich hätte vielleicht durch die Reue meine Verurtheilung abändern können!«

Ebendas.

 


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