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Fünfzehntes Buch.
Principien bürgerlicher Weisheit und Tugend.

Aphorismen.

Armuth und Heiterkeit.

Warum sind die heiligen Feste unter den babylonischen Israeliten heiterer? fragte man Rabbi Assi. – Weil sie arm sind, antwortete der Weise.

Talmud Sabbath S. 145 b.

 

Schein und Wesen.

Im Vaterland der Name, außerhalb des Vaterlandes das Kleid Will sagen: daß da, wo man bekannt ist, der Name hinreichte, um geehrt zu werden, aber da, wo man unbekannt ist, der Pomp der Kleider nöthig sei..

Ebendaselbst.

 

Die unfruchtbare Weisheit.

Die Weisheit, die sich in sich verschließt, gleicht einer Myrthe in der Wüste, die Niemanden erfreut.

Talmud Rosch haschana Seite 20 a.

 

Der Wein ein Verräther.

Geht der Wein ein, schlüpft das Geheimniß heraus.

Talmud Erubin S. 65 a. Talmud Sanhedrin S. 63 a.

 

Der Wein endigt im Blut.

Talmud Sanhedrin S. 70 a.

 

Der Zorn.

Im Zorn wird der Weise wahnsinnig und der Prophet verstummt.

Talmud Pesachim S. 66 b.

 

Dem Zorne gegenüber ist selbst Gott ein Nichts.

Talmud Nedarim S. 22 b.

 

Menschliche Größe.

Die menschliche Größe ist das Grab ihrer selbst.

Talmud Pesachim S. 87 b.

 

Die menschliche Größe ist ein Werkzeug der Sühne und des Märtyrerthums für den, der sie besitzt.

Ebendas.

 

Die am wenigsten gern gesehenen Personen.

Vier Personen kann die menschliche Vernunft nicht ertragen den stolzen Armen; den heuchlerischen Reichen; einen sittenlosen Greis und einen Vorgesetzten, der befiehlt, ohne sich um das Wohl Anderer zu bekümmern.

Talmud Pesachim S. 113 b.

 

Zweckmäßige Ausgabe.

Gieb weniger für Kleider und Speisen aus und erweitere das Haus.

Pesachim S. 114 a.

 

Verderbniß des Gemüths.

Das Verderbniß des Gedankens ist schlimmer, als die Sünde selbst.

Talmud Joma S. 29 a.

 

Die Leidenschaften der großen Menschen.

Je größer ein Mensch ist, desto größer sind seine Leidenschaften.

Talmud Succa S. 52 b.

 

Die Leidenschaften befriedigen.

Die gesättigte Leidenschaft hat immer Hunger; die hungrige ist satt.

Talmud Succa S. 52 a.

 

Studium in Gesellschaft.

Die kleinen Studirenden schärfen den Verstand der erwachsenen Studirenden in der nämlichen Weise, wie dünne Hölzer dickern Hölzern helfen, sich zu entzünden.

Taanith S. 7 a.

 

Wissenschaft und Bescheidenheit.

Die Wissenschaft ist dem Wasser verglichen Jesaja Cap. 55 V. 1., das von der Höhe in die Tiefe fließt. So erhält sich auch die Wissenschaft nur in der Bescheidenheit.

Talmud Taanith S. 21 b.

 

Ehren und Ehre.

Es ist nicht die Stelle, die den Mann ehrt, sondern der Mann, der die Stelle ehrt.

Taanith S. 21 b.

 

Natur des Stolzes.

Der Stolz ist eine Maske der eignen Fehler.

Megilla Seite 29 a.

 

Das Schweigen.

Das Schweigen geziemt auch dem Weisen, um so mehr dem Thoren.

Tosephta Pesachim Abschnitt 8.

 

Das Reden ein Gulden, das Schweigen zwei Gulden werth.

Megilla S. 18 a.

 

Schamhaftigkeit.

Die Schamhaftigkeit führt zur Furcht vor der Sünde.

Nedarim S. 20 a.

 

Die Schamhaftigkeit ist ein schöner Schmuck des Menschen.

Ebendaselbst.

 

Schäme dich vor dir selbst mehr noch, als vor Andern.

Taanith S. 15 b.

 

Alte und Junge.

Rabbi Simeon sagte: Wenn die Alten dir rathen, einzureißen und die Jungen zu bauen, so reiße ein, wie die Alten dir rathen und baue nicht, wie die Jungen dir rathen; denn das Zerstören der Alten ist ein Bauen und das Bauen der Jungen ist ein Zerstören.

Nedarim S. 40 a.

 

Ueber das Ehren zur Zeit.

Beim Studium ehre die Wissenschaft, bei den Gastmählern das Alter.

Baba Batra S. 120 a.

 

Verstand.

Die wahre Armuth ist die Armuth des Urtheils.

Nedarim Seite 41 a.

 

Wer Verstand hat, hat Alles; wer keinen Verstand hat, was hat er? Wer Verstand erwirbt, was fehlt ihm? Wer des Verstandes ermangelt, was hat er erworben?

Ebendas.

 

Der Geiz der Rechtschaffenen.

Die Rechtschaffenen halten ihr Vermögen sehr werth, weil sie sich nicht das Vermögen Anderer aneignen.

Sota S. 12a.

 

Die natürlichen Sympathien.

Es giebt drei natürliche Sympathien: des Menschen für seinen Geburtsort, des Gatten für die Gattin, des Käufers für den gekauften Gegenstand.

Sota S. 47a.

 

Sanftmuth und Strenge.

Die Weisen sagten: Immer soll die linke Hand wegstoßen und die rechte soll heranziehen.

Ebendas.

 

Schwatzhaftigkeit und Schlaftrunkenheit.

Zehn Maaß Schwatzhaftigkeit wurden der Welt zugewiesen; neun haben die Frauen für sich genommen. Zehn Maß Trunkenheit; neun haben sich die Knechte davon genommen.

Kiduschin S. 49b.

 

Schweigen und Adel.

Von zweien, die miteinander streiten, ist der erste, der schweigt sicher von edlerer Familie.

KiduschinS. 71b.

 

Der Blinde.

Der Blinde hat keine Scham.

Baba Kama S. 86b.

 

Der abhängige Vater.

Wer ist der, der sich selbst einen Herrn kauft? Derjenige Vater, der, noch am Leben, auf sein Vermögen zu Gunsten seiner Kinder verzichtet.

Baba Mezia S. 75b.

 

Unkluges Vertrauen.

Wer ohne Zeugen verleiht, setzt Andere in die Versuchung, zu sündigen.

Talmud Baba Mezia S. 75b.

 

Der Gedanke.

Der Gedanke ist das eiserne Joch des Menschen.

Baba Mezia Seite 107b.

 

Eine providenzielle Befriedigung.

Gott, sagt die Weisheit Salomo's Koheleth Cap. 3 V. 11., Gott hat jede Sache schön zu ihrer Zeit gemacht. – So ist es ein Werk der göttlichen Vorsehung, daß einem Jeden das eigne Gewerbe schön scheint.

Talmud Berachot S. 43b.

 

Träume.

Rab Chisda sagte: Ein nicht ausgelegter Traum ist wie ein ungeöffneter Brief (von keiner moralischen Wirkung).

Talmud Berachot S. 55b.

 

Woran man den Menschen kennt.

An drei Dingen kennt man den Menschen: an der Börse, am Glase, am Zorne.

Midrasch Tanchuma Korach am Ende.

 

Glück.

Das Glück stößt den zurück, der ihm Gewalt anthun will; es sucht den auf, der es erwartet.

Talmud Berachot S. 64.

 

Die Unterhändler der Sünde.

Herz und Auge sind zwei Unterhändler der Sünde.

Jeruschalmi Berachot S. 6b.

 

Wichtigkeit der Richter.

Der gerechte Richter bewirkt, daß die Majestät Gottes unter den Menschen erscheint.

Talmud Sanhedrin S. 6a.

 

Die Frechheit.

Die Frechheit ist eine Herrschaft ohne Krone.

Sanhedrin Seite 105a.

 

Verleumdung.

Die Verleumdung schadet drei Personen: dem, der sie ausspricht; dem, der sie anhört; dem, gegen den sie gerichtet ist.

Talmud Erachin S. 15b.

 

Der am liebsten gesehene Mensch.

Wie kann der Mensch sich bei Allen beliebt machen? Wenn er die Hoheit und die Herrschsucht haßt.

Aboth Kap. l.

 

Ueberfluß und Freundschaft.

An der Ladenthüre sind Alle Freunde Will heißen: An der Ladenthüre, wo Speisen vertheilt werden, sind Alle Freunde; in Zeiten des Ueberflusses finden sich Freunde genug., an der Thür der Armuth keiner.

Sabbath S. 32a.

 

Großer Lärm um Weniges.

Eine einzige Münze in einer Büchse macht großes Geräusch.

Talmud Baba Mezia S. 85b.

 

Das Gute ist immer gut.

Die Myrthe, auch in der Mitte der Dornen, bleibt immer Myrthe und heißt immer Myrthe.

Talmud Sanhedrin S. 44a.

 

Der Tadel Anderer.

Wenn ein einziger dich Esel nennt, so ziehe weiter und achte nicht darauf. Aber wenn zwei dir das Nämliche sagen, so lege dir einen Halfter um Das will sagen: Denke an dich selbst und überlege, ob jener Titel dir gebührt, wenn Viele übereinstimmen, dich so zu beurtheilen..

Jalkut S. 79.

 

Gesellige Rücksichten.

Wohin du gehst, thue, wie es daselbst Sitte ist.

Rabboth. S. 53b. Baba Mezia S. 87a.

 

Der Herr und der Verwalter.

Der Wein ist des Herrn, aber der Dank ist für den Verwalter Der Verwalter bedient sich der Sache des Herrn, um Andern Dienste zu erweisen.

Baba Kamma S. 92b.

 

Die Lüge.

Die Strafe des Lügners ist, daß man ihm nicht glaubt, auch wenn er die Wahrheit spricht.

Sanhedrin S. 89b.

 

Liebkosungen der Spitzbuben.

Wenn ein Spitzbube dich liebkost, zähle gleich deine Zähne.

Chulin S. 127a.

 

Wechsel des Glückes.

Ein Rad geht in der Welt.

Sabbath S. 151.

 

Die Welt gleicht den Eimern in Brunnen; der volle wird leer, der leere voll.

Rabboth S. 33b.

 

Wetteifer der Weisen.

Der Wetteifer der Weisen ist das Leben der Wissenschaft.

Baba Batra S. 22a.

 

Die Erziehung.

Die Tändeleien des Kindes auf dem Platze sind entweder vom Vater, oder von der Mutter.

Succa, am Ende.

 

Zuerst Zicklein und dann Böcke.

Rabboth S. 43b. Jalkut Seite 79a.

 

Die Wissenschaft und das Studium.

Wenn Einer sagt: ich habe mich bemüht, aber die Wissenschaft nicht erreicht, glaube ihm nicht. Ich habe sie ohne Mühe gefunden, glaube ihm nicht. Ich habe mich bemüht und habe sie gefunden, glaube ihm vollständig.

Megilla S. 6b.

 

Von Allen lernen.

Ein Weiser sagte: Vieles habe ich von meinen Lehrern gelernt, mehr von meinen Genossen, am meisten von meinen Schülern.

Taanith S. 7 a.

 

Die Säulen der Gesellschaft.

Auf drei Säulen ruht die Gesellschaft: auf der Gerechtigkeit, der Wahrheit und dem Frieden. Ein andrer Weiser sagte: auf der Wissenschaft, der Gottesverehrung, und der Wohlthäthigkeit.

Abot.

 

Die Bedürfnisse des Menschen.

Verschaffe dir einen Lehrer, erwirb dir einen Freund, denke gut von Allen.

Ebendas.

 

Einige Regeln des Anstandes.

Wenn du in einen Speisesaal trittst, so nimm deinen Platz nicht eher ein, als bis du vom Herrn dazu eingeladen wirst.

Wer zu einem Essen eingeladen wird, der lade nicht selbst einen Andern ein, daran Theil zu nehmen.

Die angesehensten Personen von Jerusalem nahmen keine Einladung an, bevor sie die Tischgenossen kannten.

Der Eingeladene richte sich möglichst nach dem Willen seines Gastgebers.

Biete weder den Kindern, noch den Dienern etwas an, ehe du den Herrn um Erlaubniß gefragt hast.

Genieße nichts, bis derjenige, der das Mahl durch den Segen einweiht, zu essen anfängt.

Der Gast, dem das Glas dargeboten wird, werfe sich nicht gierig darauf, sondern zögere einen Augenblick und trinke.

Trinke nicht aus einem Glase und blinke dabei auf ein anderes.

Das Glas in einem Zuge leeren, ist unschicklich, in drei Zügen ist Ziererei, in zwei, ist das gehörige Maaß.

Derech ErezKap. 3, 4 und 5.

 

Literarische Vorzüge.

Die schönste Elegie ist die, die weinen macht; die beredtste Predigt, welche die Menge anzieht.

Berachot S. 5b.

 

Menschlicher Stolz.

Der Mensch war das letzte der Geschöpfe. Wenn er sich dem Stolze überläßt, kann man zu ihm sagen: Thor! das Insekt wurde vor dir erschaffen.

Rabboth S. 9b.

 

Gegenseitige Hülfe.

Der Mensch für sich allein kann nur eine Last sich aufladen, mit der Hülfe eines Andern kann er sich eine dreifache Last aufladen.

Sota S. 34a.

 

Der Ehestand.

Baue das Haus, pflanze den Weinberg, dann heirathe.

Sota Seite 44a.

 

Klugheit in den Worten.

Sei gemessen in deinen Gesprächen und gieb Acht, daß deine Worte nicht Andern Stoff zur Lüge und zum Irrthume geben.

Abot.

 

Regeln, um in Frieden zu leben.

Liebe dein Gewerbe – hasse die Größe und verbirg dich den Hoffärtigen.

Ebendas.

 

Wie unsre Nächsten beurtheilen.

Verurtheile deinen Nächsten nicht, bis du dich in derselben Lage befindest, wie er.

Ursachen und Wirkungen.

Viele Reichthümer, viele Gedanken; viele Knechte, viele Diebstähle; viele Mühe der Gelehrten, viele Weisheit; viele Beobachtung, viel Verstand; viel Fettigkeit, viel Speise für die Würmer Anspielung auf den, der nur trachtet die Welt zu genießen..

Was die Gesundheit aufreibt.

Neid, Leidenschaft und Haß – führen schneller zum Tode.

Die bürgerliche Ordnung.

Es ist Pflicht, Gott für das Wohl der Regierung zu bitten. Ohne den Zügel der Regierung würden sich die Menschen untereinander zerfleischen.

Anständige Sitten, um sich geliebt zu machen.

Gegen den Größern sei gefällig – gegen die Jugend sei nachsichtig – nimm jede Person gütig auf.

Der wahre Weise.

Wer ist weise? wer von Allen zu lernen weiß.

Der wahre Starke.

Wer ist stark? Wer seine Leidenschaften zu bezähmen weiß.

Der wahre Reiche.

Wer ist reich? derjenige, der mit seinem Loose zufrieden ist.

Wer Achtung verdient.

Wer ist achtungswerth? Wer Alle achtet.

Die Folgen des guten und bösen Handelns.

Sei eifrig für das Gute und furchtsam vor dem Bösen, auch wenn das Böse und das Gute von geringer Wichtigkeit zu sein scheinen. – Der Lohn des guten Handelns ist, daß es uns zu einem andern guten Werke führt; die Strafe des bösen Handelns ist, daß es uns zu einer andern schlechten Handlung führt.

Beachte Alles und Alle.

Achte nie weder irgend eine Person noch eine Sache gering; jede Person hat ihre Stunde; jede Sache hat ihren Ort Will heißen, daß jede Person und jede Sache irgend eine Seite des Guten und Nützlichen haben kann..

Vorsicht in den Urtheilen.

Mache, daß du nicht allein bist zu urtheilen –, ein einziger Richter ist bloß Gott.

Rücksichten der Klugheit und der Liebe.

Versuche nicht, den Menschen zu besänftigen in dem Momente, wo sein Zorn ausbricht. Versuche nicht, seinen Schmerz zu beruhigen, wenn die kalten Reste seines Geliebten noch vor ihm liegen. – Zeige dich nicht oft dem Freunde, wenn er Ursache hat, zu erröthen.

Schein und Wirklichkeit.

Schaue nicht auf die Flasche, sondern auf den Wein, der darinnen ist. – Es giebt neue Flaschen, voll von altem Wein, – und alte, ganz leere Flaschen.

Die Sitten der Weisen.

Sieben Sitten hat der Weise, entgegengesetzt denen des Thoren – er redet nicht vor dem, der größer ist, als er, an Wissenschaft und Jahren – er unterbricht nicht die Rede des Andern – er ist nicht ungeduldig zu antworten – er fragt und antwortet wie sichs schickt – hat Ordnung in seinen Gesprächen – wenn er nicht versteht, gesteht er nicht verstanden zu haben – er stimmt der Wahrheit zu.

Verschiedene Grade der Tugend und der Bosheit.

Der Thor sagt: Das Meinige ist dein und das Deinige ist mein. Der Unedle sagt: Das Meinige ist mein und das Deinige ist dein. Der Fromme sagt: Das Deinige ist dein und das Meinige ist dein. Der Gottlose sagt: Das Meinige ist mein und das Deinige ist mein.

Verschiedenheit der Charaktere.

Wer bald sich erzürnt und bald sich beruhigt, ersetzt das Böse durch das Gute. – Wer sich spät erzürnt und sich spät beruhigt, verliert das Gute durch das Böse. – Wer spät sich erzürnt und bald sich beruhigt, ist ein rechtschaffner Mensch. – Wer schnell sich erzürnt und spät sich beruhigt, ist ein Bösewicht.

Die Liebe.

Eigennützige Liebe verraucht bald – uneigennützige Liebe ist ewig Sämmtliche Stellen in Aboth..

Die Gewohnheiten Anderer achten.

Der Mensch soll sich, so viel er kann, nach den Gewohnheiten Derer richten, mit denen er zusammenlebt Als Mose in den Himmel stieg, blieb er vierzig Tage ohne Speise und Trank; die Engel, die in's Haus Abrahams herabkamen, stellten sich, als äßen sie wie Menschen.

Talmud Baba Mezia S. 86 b.

 

Der häusliche Zwist.

Wenn der Kasten leer ist, klopft der Zwist an die Thüre und tritt ein.

Baba Mezia S. 59 a.

 

Boshafte Güte.

Die Weisen geben folgenden Rath: »Sage zur Wespe: ich verzichte auf deinen Honig aus Furcht vor deinem Stachel.«

Tanchuma Balak S. 237 a.

 

Gang der Leidenschaft.

Die Leidenschaft geht achtungsvoll wie ein Reisender an dir vorüber, sie tritt bescheiden in's Haus wie ein Gast, sie verweilt darin als Herr.

Talmud Succoth S. 52 b.

 

Das Geburtsland.

Die göttliche Vorsehung hat einen geheimnißvollen Liebesbund zwischen den Menschen und dem Geburtslande geschlossen.

Rabbi Simeon, Sohn Lakisch, hielt auf dem großen und schönen Platze vor Tiberias öffentliche Vorlesungen. Indem sagten zwei Frauen, die in ihre Heimath zurückkehrten, unter sich: »O, endlich kommen wir aus dieser schlechten Luft hinaus.« Neugierig fragte sie der Gelehrte, aus welchem Lande sie wären: »Aus Masga«, antworteten sie.

Der Meister sagte, zu den Schülern gewendet: »Ich kenne jenes Land; es ist das häßlichste und unglücklichste, das es giebt. Sehet, wie mächtig die Liebe zum Geburtslande ist.«

Rabboth S. 38 b.

 


Es gab keinen Vers, den ein gewisser Schüler hätte lernen können. Der Lehrer erklärte und erklärte und der Andere verstand wenig davon. Der arme Junge sagte endlich: »Ich bin hier fremd außerhalb meines Geburtslandes begreife ich nichts mehr.«

»Aber aus welchem Lande bist du?« sagte der Meister. »Ich bin aus Gobat-Schamai.« Der erstaunte Meister sagte zu den Genossen: »Ich kenne jenes Land, es ist so ungesund, daß man die kleinen Kinder vor den Insekten in Acht nehmen muß, die sie umbringen würden. Wie groß ist doch die Liebe zum Geburtslande!«

Midrasch Rabba S. 38 b.

 

Freude bei der Geburt und bei dem Tode.

Zwei Schiffe segeln zu gleicher Zeit im Meere; das eine verläßt den Hafen, das andere fährt in den Hafen ein. Dem, das aus dem Hafen hinaus fährt, macht eine Gesellschaft von Freunden ein frohes Fest und mit Händeschlagen und Freudengeschrei begleitet sie seine Abreise. Von dem, das wieder hineinfährt, schweigt Alles.

Ein verständiger Mann, der ein Zuschauer dieser Scene war, sagte: »Hier geschieht ganz das Umgekehrte, als geschehen sollte. Man feiert den, der abreist und nimmt gleichgültig auf den, der zurückkehrt. Arme Getäuschte! Feiert vielmehr das Schiff, das seine Reise vollbracht hat und gerettet von den vielen Gefahren, denen es begegnet, zurückkehrt; und beweinet das Schiff, das abreist und den Stürmen des unbeständigen Meeres entgegen segelt.«

So, wenn der Mensch geboren wird, macht man ein Fest und man weint, wenn er stirbt. Man sollte vielmehr weinen, wenn er geboren wird, da man nicht wohl weiß, ob er wissen wird, die Gefahren und die Verführungen des Lebens zu besiegen; und man sollte lachen, wenn er stirbt, wenn er einen guten Namen hinterläßt.

Der Mensch, wenn er geboren wird, wird in das Buch des Lebens eingetragen.

Midrasch Koheleth S. 100 a.

 

Bitterkeiten in den irdischen Gütern.

Rabba hatte mit einem Heiden, Namens Bar Scheschach Freundschaft geschlossen.

Der Israelit, der einem Heiden ein Geschenk schickt an dem Tage, wo dieser seine Götzen feiert, giebt sich den Schein, daß er diesen Götzen selbst huldige. Rabba hingegen machte sich mit seinem Freunde keinen Scrupel daraus, weil er gewiß war, daß dieser an die Götter nicht glaubte.

An einem für den Freund festlichen Tage begab sich Rabba zu ihm, um ihn zu besuchen. O welch Schauspiel bot sich den Blicken dar? Der Freund lag weich auf einem Rosenbette, neben einem prachtvoll besetzten Tische und ganz umgeben von einer glänzenden Dienerschaft, bereit auf jeden seiner Winke.

Der Heide lachte beim Anblicke des Freundes und sagte zu ihm:

»Hoffest du, etwas Besseres im zweiten Leben zu bekommen?«

»O, viel Besseres,« rief der Weise aus, »und was noch mehr ist, wir werden keinen Schrecken haben, der euch immer quält und peinigt.« Und welcher Schrecken? der Schrecken der veränderlichen Launen eures Herrn.

Talmud Aboda Sara S. 65 a.

 

Der Fuchs und der Weinberg.

Fabel.

Ein Fuchs schaute fest und gierig auf einen ringsum dicht umzäunten Weinberg, und fand kein Mittel, hineinzukommen. Er zieht hin und her, endlich entdeckt er im Zaun ein Loch; er stürzt sich mit Ungestüm darauf, aber das Loch war zu eng, und läßt kaum den Kopf durch. Er drückt, stößt und stößt abermals, aber Alles vergebens. Da kam dem Fuchse ein sonderbarer Gedanke. – Wenn ich, sagte er bei sich, um Vieles abmagern könnte, so käme ich durch dieses Loch hindurch. – Um die Probe durchzuführen, entschließt er sich zu einem eigenthümlichen Leide; drei Tage hintereinander genießt er keine Speise mehr. Der Arme war so abgezehrt und dünn, daß er wie ein abgeschältes Stückchen aussah. Zufrieden über den Erfolg, steckt er sich in das sehr enge Loch und geht triumphirend in den Weinberg hinein; dort konnte er sich reichlich entschädigen für das, was er gelitten hatte und verbrachte einige sehr vergnügte Tage in dem größten Ueberflusse.

Als die Zeit kam, herauszugehen, aus Furcht vor den Eigenthümern, die bald dahin kommen sollten, läuft er gerade aus an sein Loch und steckt den Kopf hinein. Aber der Unglückliche war in jenen wenigen Tagen des Ueberflusses so dick geworden, daß er nicht weiter gehen konnte. Traurig kehrt er zurück, entschließt sich zur ersten Probe, verdammt sich von Neuem zu langem Fasten und magert dermaßen ab, daß es ihm gelingt, durch das Loch zu gehen; aber er war so abgezehrt und ausgemergelt, daß er wie der Tod aussah. Wie er sich draußen befand, richtete er einen wehmüthigen Blick auf den Weinberg und sagte: »Leb wohl; du wirst mich nicht mehr bekommen; du hast sehr süße Früchte; aber was nützt es? ich bin herausgegangen, wie ich hineinging.«

So ist es mit dem Menschen in dieser Welt. Ein Weiser sagte: »Der Mensch wird geboren, hat die Arme vor sich hingestreckt, wie wenn er sagte: die Welt ist mein. Wenn er stirbt, hat er die Arme den Körper herunter hängen, wie wenn er sagen wollte: nichts bleibt mir von dieser Welt.

Midrasch Koheleth S 98 b.

 

Ein vorsorgliches Opfer

Es ist Zeit zu werfen und Zeit ist, zu sammeln, sagt Salomo Koheleth Cap. 3. V. 4..

Ein reicher Kaufmann unternahm eine lange Seereise mit seinem Sohn und nahm viele Schätze mit.

Die Seeleute bemerkten diese Reichthümer und faßten alsbald das ruchlose Vorhaben, sich derselben zu bemächtigen. Sie dachten auf ein Mittel und flüsterten unter sich und beschlossen, die unglücklichen Besitzer des Schatzes in's Meer zu werfen.

Der Vater entdeckte aus gewissen Bewegungen und Worten das schändliche Complot und denkt alsbald auf ein Mittel, sich zu retten. Er setzt den Sohn in aller Eile in Kenntniß von dem, was er zu thun hatte und stellt sich, als sei er in einem Streit mit demselben. Sie wechseln Beleidigungen und Drohungen, sie fassen sich wüthend bei den Haaren. Auf einmal schreit der Vater: Da hast du deine Strafe! und rasend läuft er nach seinem Schatze und wirft ihn im Angesichte Aller in's Meer.

Die Schiffsleute bleiben verdutzt und lassen die Reisenden in Frieden. Diese, im Hafen angekommen, beschweren sich beim Magistrate und erlangen, daß sie für den Verlust entschädigt werden.

Jemand fragte den Kaufmann: Von wem hast du die große Weisheit gelernt? Von Salomo, der lehrt, daß es eine Zeit giebt, in der man werfen soll.

Midrasch Koheleth S. 90 b.

 

Die Reinlichkeit.

Rabbi Hillel nahm Abschied von seinen Schülern und verließ die Schule. Diese folgten ihm und unterwegs fragten sie ihn, wohin er ginge. »Ich gehe, ein religiöses Werk zu verrichten,« antwortete der Meister. »Und welches?« »Ich gehe ins Bad.« »In's Bad?« riefen die erstaunten Jünglinge aus. »Und ist das ein religiöses Werk?« Antwortete der Meister: »Ihr sehet jeden Tag Statuen und Bildnisse von Fürsten vor den Theatern und an öffentlichen Plätzen aufgestellt; und ihr könnt bemerken, mit welcher Sorgfalt sie rein und sauber und vom Staube frei gehalten werden. Und dieser unser Körper, dieses nach dem Ebenbilde Gottes gemachte Geschöpf, verdient es nicht gleiche Sorge und gleiche Ehre?«

Rabboth S. 204 a.

 

Der blinde Rabbi.

Rabbi Schechet war blind. Eine unermeßliche Menge drängte sich einmal dem Könige entgegen, von dem Wunsche getrieben, ihn zu sehen; und auch unser Gelehrter befand sich inmitten dieser ängstlich harrenden und lärmenden Menge. Ein Saducäer sah den Gelehrten und verhöhnte ihn mit diesen Worten: »Die Eimer werden in den Brunnen hinabgelassen, um Wasser zu schöpfen! aber wozu zerbrochne Scherben in's Wasser hinunter lassen?« Er wollte mit diesen Worten die Gegenwart des Gelehrten inmitten der Menge verspotten, denn da er blind war, so nützte es ihm nichts, bei der Ankunft des Königs gegenwärtig zu sein.

Der Gelehrte antwortete ihm: »Warte ein wenig und du wirst sehen, daß ich, der ich blind bin, besser zu unterscheiden weiß, als du, der du gesunde Augen hast.«

Es zieht die erste Abtheilung vorüber, von großem Lärm begleitet. Der Saducäer ruft: »Aufgemerkt, o Rabbi, der König.« »Bewahre,« antwortet der Blinde, »der König ist noch nicht da.«

Es zieht eine zweite Abtheilung vorüber, begleitet von großem Tumult. Der Saducäer ruft: »Freund! mach die Augen weit auf; der König ist da.« »Nicht doch,« wiederholt der Blinde, »der König ist noch nicht da.«

Es zieht die dritte Abtheilung vorüber, und ein achtungsvolles Stillschweigen begleitet sie. Der Blinde ruft: »Das ist der König.«

Der Saducäer, überrascht, sagt: »Wie hast du es bemerkt?« Antwortet der Gelehrte: »Beim Vorüberziehen der göttlichen Majestät steht geschrieben 1. Könige Cap. 19, V. 11.: nach dem Wirbelwinde kam das Erdbeben und im Erdbeben war Gott nicht; und nach dem Erdbeben kam das Feuer und in dem Feuer war Gott nicht; und nach dem Feuer ein tiefes Stillschweigen, und alsdann erschien Gott. – Ich wußte, daß die irdische Herrschaft ein Ebenbild der himmlischen Herrschaft darstellen will.«

Kaum erschien der König, sprach der Gelehrte diesen Segensspruch: »Gelobt der Herr, der von seiner Größe den Sterblichen mittheilt«.

Talmud Berachot S. 58 a.

 

Betrügerische Kunstgriffe beim Handel.

In einer Stadt war Mangel an Salz und alsbald fand sich eine Gesellschaft Eseltreiber, die beschlossen, anderswoher solches zu beschaffen, ehe ein Anderer daran dächte, um es so um theuern Preis verkaufen zu können. Dieselben hatten einen Genossen, mit welchem sie sich öfters zu berathen pflegten. Auch dieses Mal entdeckten sie ihm ihr Vorhaben und luden ihn ein, Theil daran zu nehmen. Dieser Schurke antwortet: »Heute und morgen muß ich einige Arbeiten im Felde verrichten; wenn ihr auf mich wartet, werden wir dann miteinander gehen.« Die Gesellschaft willigte ein zu warten.

Als er allein war, lief er zur Frau und sagte: »Höre mich an! in einigen Augenblicken werden sich meine Genossen einfinden. Ich werde dir sagen, mir den Pflug herzurichten; und du richte statt dessen das Lastthier her: ich werde dir sagen, die Flasche herzurichten und du bereitest statt dessen den Sack. Auf diese Weise werden dieselben keinen Verdacht schöpfen über das, was ich thun will.«

Die so getäuschten Genossen verließen ihn ohne irgend einen Verdacht, und er warf seinen Sack auf seinen Esel und ging flugs, sich das Salz zu verschaffen. Andern Tags eilen die Genossen der Gesellschaft, ihn zu rufen und hören von den Nachbarn, daß er schon am Abend abgereist sei. Argwöhnisch geworden, laufen sie ihm entgegen und finden ihn halbwegs schon zurück mit dem Salze. »Warum hast du uns betrogen?« rufen sie. »Warum?« antwortet der Spitzbube; »zu meinem und euerm Besten. Wenn wir Alle mit einander gegangen wären, um große Einkäufe zu machen, so würde der Preis des Salzes auf einmal um Vieles gefallen sein. Statt dessen verkaufe ich das meinige theuer; wenn ihr zurückkehrt, wird das meinige schon verkauft sein und ihr werdet an dem eurigen gewinnen«.

Wie dem aber auch sei, der Psalmist sagt doch recht (Psalm 12, 3.): »Jeder spricht eine Falschheit mit seinem Nächsten.«

Ein vorsichtiges Testament.

Ein sehr reicher Kaufmann befand sich mit allen seinen Reichthümern in sehr entfernten Gegenden, bloß von einem seiner Sclaven begleitet; und er hatte im Vaterlande einen einzigen Sohn, den er zärtlich liebte, zurückgelassen. Plötzlich in eine schwere Krankheit verfallen und sich dem Tode nahe fühlend, setzte er seinen Sclaven als Universal-Erben ein, unter der Bedingung jedoch, daß dem Sohne überlassen bleibe, unter seinen Besitztümern einen Gegenstand, welcher es auch sei, der ihm am besten gefiele, für sich auszuwählen.

Der Sclave, sehr zufrieden mit diesem Testament, sammelte gewissenhaft alle Reichthümer des Kaufmanns, ohne nur einen Heller zu unterschlagen, begab sich mit dem Testamente in das Vaterland, berichtete Alles genau dem Sohne des Kaufmanns und lud ihn ein, die Wahl des ihm vom Vater vermachten Gegenstandes zu treffen.

Der junge Mensch konnte sich über sein Unglück nicht beruhigen, konnte nicht begreifen, warum der Vater ihn enterbt habe und ging, einen weisen Mann zu Rathe zu ziehen, der zu ihm sagte: »Guter Junge! dein Vater hat durch sein Testament deine Reichthümer gerettet. Wenn er dich als Erbe ernannt hätte, würde der ungetreue Sclave Alles davon getragen haben. Statt dessen ernannte er den Sclaven als Erben, der ohne irgend einen Verdacht getreulich die väterlichen Reichthümer nach Hause zurückbrachte. Aber der Vater hat dir die Wahl unter seinen Besitzthümern gelassen. Du wählst den Sclaven und Alles bleibt von Neuem Dein« Da der Sclave nicht frei erklärt worden war, so trat der junge Mensch, der sein Herr blieb, in seine Rechte ein, da ein Sclave nicht erben konnte.

Ernst im Richter-Amte.

Wenn sich Rab in die Gerichts-Sitzung begab, pflegte er zu sagen: »Aus meinem eignen Willen gehe ich zu meinem Todesurtheile (wenn ich ein ungerechtes Urtheil spreche). Wegen dieses Amtes besorge ich die Angelegenheiten meines Hauses nicht und werde ohne irgend einen Gewinn nach Hause zurückkehren. Und doch bin ich glücklich, wenn ich leer (an Gewinn und Sünde) zurückkehre, wie ich leer hingehe.

Talmud Sanhedrin S. 7 b.

 

Die Leidenschaft des Studiums.

Der junge Hillel glühte von der heißesten Liebe zum Studium des heiligen Gesetzes. Aber ohne Vermögen, ohne irgend eine Protection, fand er kein Mittel, um seinen edeln Wunsch zu befriedigen.

Endlich kam ihm ein Mittel in den Sinn, wodurch er zu seinem Ziele gelangen könne. Den Tag über beschäftigte er sich, angestrengt zu arbeiten und verdiente täglich einen geringen Lohn.

Mit der Hälfte dieses Lohnes verschaffte er sich eine ärmliche Speise, von der er kaum das Leben fristen konnte.

Mit der andern Hälfte begab er sich voller Freude zum Pförtner der Academie der Gelehrten und sagte zu ihm: »Dieses ist für dich, wenn du mich einlässest und mir einen solchen Platz giebst, daß ich die Worte der Weisen hören kann.«

Der Arme setzte einige Tage lang dieses elende Leben fort. Aber eines Tages fehlte ihm die Arbeit und damit der gewöhnliche Verdienst. Der Unglückliche denkt nicht an den Hunger, der anfängt, ihn zu quälen, er denkt an den Unterricht, an dem er keinen Antheil wird nehmen können; ganz betrübt und mit Weinen stellt er sich dem Pförtner vor und bittet und beschwört ihn, daß er ihn eintreten lasse. Aber der Pförtner ist unerbittlich.

Verzweifelt geht er um das Haus herum und sieht und horcht, aber vergebens. Er erhebt den Blick in die Höhe, faßt neuen Muth und hurtig klettert er auf's Dach, wirft sich auf das Oberfenster des Saales und o Freude! er sieht und hört Alles.

Es war der Vorabend des Sabbaths und ein sehr kalter Winter.

Am Morgen begaben sich die Gelehrten wieder in die Academie und den Blick umher werfend, sagt der Vorsitzende zu den Collegen: »Wie düster der Saal diesen Morgen ist; viel düsterer als gewöhnlich; und doch ist der Himmel heiter.«

Die Collegen schauen umher, erheben die Augen, und welche Ueberraschung! auf dem Oberfenster entdecken sie etwas wie eine Menschengestalt. Sie stürzen sich Alle aus dem Saale, man steigt auf das Dach, räumt eine dichte Lage Schnee, die die Nacht gefallen war und ihn bedeckte, weg, und siehe da, der arme Hillel, erstarrt, sterbend.

Man hebt ihn mitleidig auf, erwärmt ihn, legt ihn auf ein weiches Bett und Alle rufen einstimmig: »machen wir, bereiten wir zu, arbeiten wir; ein solcher Mann verdient wohl, daß man wegen seiner den Sabbath verletze.«

Mit Bezug hierauf sagten die Meister: »Im letzten Gerichte wird über die dem Studium gewidmete Zeit Rechenschaft gefordert werden. Wenn sich alsdann Mancher wird entschuldigen wollen, nicht studirt zu haben, weil er arm und mit der Erhaltung seiner selbst ganz beschäftigt war, so wird ihm die göttliche Gerechtigkeit antworten: »Warst du vielleicht ärmer, als der arme Hillel

Talmud Joma S. 35 b.

 

Weisheit und körperliche Schönheit.

Jehoschua, Sohn Chanania war am Hofe wegen seiner Weisheit sehr geschätzt, aber er war von häßlichem Aussehen und fast verunstaltet. Eines Tages geht die Tochter des Kaisers an ihm vorüber und ruft aus: »welch' ein garstiges Gefäß für so viele Weisheit!«

Der Gelehrte läßt sich, ohne außer Fassung zu kommen, noch beleidigt zu werden, in eine Unterhaltung mit der Prinzessin ein, lenkt das Gespräch auf häusliche Angelegenheiten und richtet folgende Frage an sie: »Fräulein! wo bewahrt ihr den Wein?« »Wo wir ihn bewahren? in Gefäßen von Thon.«

»Gefäße von Thon! das ist eine zu gemeine Sache. Alle machen es so: aber für euch am königlichen Hofe, sollten es silberne oder goldene Gefäße sein.«

»Wenn ich es überlege, so hast du recht. Und hurtig lief sie Befehl zu geben, daß der Wein in silberne und goldene Gefäße abgefüllt werde.«

Aber in kurzer Zeit wurde der Wein sauer. Der Fürst, dem man es mittheilte, schreit, läßt die Tochter rufen, erkundigt sich, wer den sonderbaren Rath gegeben habe und schickt nach dem Rabbinen.

»Welch sonderbaren Rath hast du meiner Tochter gegeben? Willst du vielleicht, daß meine Sachen zu Grunde gehen?

»Herr! ich habe ihr eine Lection geben wollen. Eure Tochter schien nur auf die äußere Schönheit Werth zu legen und verachtete mich wegen meiner Figur. Und doch ist die Weisheit selten mit Schönheit verbunden, weil die Zerstreuungen dieser sie verderben«.

Talmud Taanith S. 7 a.

 

Die Diebe und die Diebeshehler.

Ein Fürst hatte eine besondere Art, die Gerechtigkeit zu verwalten; für die Diebe war er ganz Nachsicht, gegen die Hehler hingegen wendete er eine grausame und unerbittliche Strenge an.

Das Volk hielt dies für eine sonderbare Maßregel und murrte laut darüber. Der Fürst erfuhr dieses Flüstern der Unzufriedenheit und dachte es durch eine neue Art Weisheit zu beschwichtigen.

Eines Tages ließ er bekannt machen, daß sich Alles im Circus einfinden sollte; und unterdessen hatte der kluge Fürst alles Nöthige angeordnet.

Am angezeigten Tage drängt sich die Menge im Circus und sieht in der Mitte viele Häufchen von jeder Sorte Speisen aufgestellt.

Während die Menge erstaunt hinsieht und nicht weiß, was sie denken soll, siehe da eine große Zahl Wiesel in die Rennbahn hineinlaufen. Diese werfen sich eilig auf die Speisen und machen sich flugs damit fort und verkriechen sich wieder in einige rings um die Rennbahn ausgehöhlte Löcher.

So endigte das Fest und die Menge geht verdutzt fort, das sonderbare Schauspiel auf tausend verschiedene Arten auslegend.

Nach einigen Tagen ergeht von Neuem die Einladung, sich Alle im Circus einzufinden; und die Menge folgt der Einladung, in großer Erwartung neuer Dinge und der nämliche Anblick, wie das erste Mal, bietet sich den neugierigen Zuschauern dar.

Von Neuem stürzen sich die Wiesel auf die Häufchen Speisen und kehren schnell zu den gewohnten Löchern zurück. Aber die Löcher sind verschlossen. Die Unglücklichen gehen hin und her und endlich legen sie, aus Müdigkeit, die Beute nieder.

Also die größere Schuld ist an den Hehlern.

Midrasch Rabba S. 171 b.

 

Die menschliche Anmaßung in Verwirrung gesetzt.

Der Kaiser sagte, halb scherzhaft, halb ernst zu Gamaliel: »Du machst ein großes Aufheben von der Unermeßlichkeit deines Gottes. Ich wette, daß ich dir zu sagen weiß, was er jetzt thut und wo er sich befindet.«

Der Gelehrte stellte sich zerstreut und stieß einen großen Seufzer aus: »Warum seufzest du?« fragte ihn der Fürst.

»Ach! antwortete er. Ich habe einen Sohn, der weit weit von mir entfernt ist; ein augenblicklicher Verdruß hat uns getrennt. Ich bitte, wo ist er jetzt? Wenn ich ihn doch wieder bekommen könnte?«

»Wie kann ich wissen, wo dein Sohn hingegangen ist?«

»Du kannst nicht? so gieb Acht. Du weißt die Dinge dieser Erde nicht und willst die Dinge des Himmels erkennen?

An einem andern Tage sagte der Kaiser zu dem nämlichen Gelehrten: »Ihr saget immer, die Sterne seien unzählbar. Aber ihr wollt Schnurren machen. Ich wette, daß ich sie gezählt habe und dir die Zahl derselben genau sagen kann«.

»Wunderbare Wissenschaft! antwortete Gamaliel. Sage doch! wie viele Zähne hast du im Munde?«

Der Fürst steckt sogleich die Finger in den Mund, um sie zu zählen.

»Armer! ruft der Rabbine lachend; weiß nicht einmal wie viele Zähne er im Munde hat, und will wissen, wie viele Sterne am Himmel sind.«

Talmud Sanhedrin S. 39 a.

 

Ansehen der Alten.

Ein König schickt zwei Minister in einer Gesandtschaft aus und befiehlt den Unterthanen, daß man dem ersten keinen Gehorsam und Glauben schenke, wenn er nicht sein Siegel und seine Beglaubigungsschrift zeigt; dem zweiten dagegen solle man vollkommen Gehorsam leisten, ohne daß er nöthig habe, einen Beweis seines Ansehens zu geben.

Der Minister, von dem man diesen Beweis nicht verlangt, ist sicher der angesehenere und geehrtere.

Aus dem nämlichen Grunde ist das Alter der Weisen angesehener, als die Prophetie der Inspirirten.

Denn die Prophetie ist nicht beglaubigt, wenn sie nicht das königliche Siegel, nämlich den Beweis der Wunder zeigt.

Die Weisheit der Alten dagegen ist angesehen durch sich selbst und durch die Heiligkeit ihrer Aussprüche.

Talmud Jeruschalmi Berachot.

 

Der siebenzigjährige Schlaf oder das Bedürfniß der Gesellschaft.

Viele Nationen haben solche Legenden. Die Leser werden sich der Geschichte des Epimenides und der sieben Schlafenden erinnern. Die talmudische Legende hat einen ganz eigenthümlichen und originellen Sinn. Zu der Uebersetzung wurde die Erzählung etwas erweitert, aber die Umstände und der Schluß derselben sind ganz im Original und der moralische Sinn derselben ergiebt sich ganz klar.

In seine tiefen Gedanken versunken, erging sich Rabbi Chonia ganz allein in den Feldern, nahe bei seiner Geburtsstadt und dachte bei sich selbst über die großen von dem Herrn vollbrachten Wunder, über die wunderbaren Gesetze der Vorsehung nach; und mit diesen die Principien der bürgerlichen Ordnung vergleichend, kamen ihm die menschlichen Gesetze und Gebräuche sehr kleinlich und lächerlich vor. Inmitten dieser seiner nachdenklichen Wanderung die Augen zufällig umherwerfend, wurde er von einem, für ihn sonderbaren und unerklärlichem Schauspiel betroffen. Ein armer Greis, der auf dem Gesichte und auf der ganzen Person das Gepräge der langen Jahre trug, stand gebückt und keuchend die Erde umgrabend und pflanzte einen Johannisbrodbaum. Und aus der geschäftigen Unruhe des Greisen schien jene Hingebung und jene Liebe hervor, die man einer, von Hoffnungen und Versprechungen lachenden Arbeit, widmet Die Talmudisten sagen, daß der Johannisbrodbaum erst nach siebenzig Jahren Frucht trägt..

Chonia unterbricht sein Nachdenken und bleibt stehen voll Erstaunen, begleitet von einem gewissen Spotte. Er betrachtet mit einer gewissen Verachtung das ängstliche Sichabmühen des Landmannes und redet ihn endlich also an:

»Armer Greis! Welch' sonderbare Täuschung treibt dich zu so großer Anstrengung und giebt dir die Kraft dazu? Schon so vorgerückt in Jahren, mühst du dich ab, um einen Johannisbrodbaum zu bearbeiten, der seine Früchte erst nach siebenzig Jahren tragen wird? Hoffst du vielleicht, dein Leben so weit zu verlängern? Hoffst du vielleicht, davon zu genießen?«

»Meister! antwortete unbefangen der Landmann; als ich geboren wurde, fand ich in den Feldern Johannisbrodbäume, die schon mit Früchten beladen waren; meine Väter haben solche für mich gepflanzt und ich pflanze für meine Kinder.«

Für seine Kinder! so murmelte fast ärgerlich Chonia bei sich selbst, indem er sich von dem Greise entfernt; für seine Kinder!

O blinde Sterbliche! wir leben eine kurze Stunde auf dieser Erde und maßen uns an, in dieser kurzen Stunde, die Zukunft derer, die nach uns kommen werden, zu sichern. Die Kinder! die Kinder! die Kinder werden auch sterben, wie wir. Ist denn unser Leben für diese Erde? Sorge Jeder für sein himmlisches Leben, statt sich für sich und für Andere um die wenigen Tage, die man hienieden verweilt, Gedanken zu machen. Was kümmert uns unser Loos auf der Erde und das Loos Anderer in der Welt? Unsere Bestimmung ist für den Himmel.

Nicht sehr weit von jenem Greise, setzte sich Chonia in das Gras, immer in seine Gedanken versunken. Der Tag war schon etwas vorgerückt und der Gelehrte hatte noch keine Speise genossen. Von Hunger gequält, zog er ein Stück Brod aus der Tasche und fing an, es zu essen; und inzwischen ließ er sein Nachdenken nicht. Nachdem das frugale Mahl beendet war, streckte er sich auf dem Grase aus, schloß die Augenlider und entschlief sanft.

Die Nacht vollbringt ihren ganzen Lauf und der Tag kehrt zurück; und die Nacht fängt wieder an und es vergehen noch hundert Nächte und Chonia erwacht nicht. Ein hoher Kreis von Steinen erhebt sich durch ein Wunder rings um ihn herum und verdeckt ihn den Augen Anderer und beschützt seinen eisernen Schlaf. Und die Jahre vergehen und die Generationen folgen sich und tausend verschiedene Wechselfälle drängen sich in der Welt und die Dinge verändern sich oder nehmen ein verschiedenes Aussehen an und Chonia schläft. Und der Kreis von Steinen schien, als wäre er zu seinem Grabe bestimmt und er, als wenn er den ewigen Schlaf schliefe.

Es waren schon siebenzig Jahre verflossen, als wunderbarerweise jenes Grab von Steinen, das den Schlafenden verbarg, verschwand. Chonia fährt auf, reibt sich die Augen, wirft den Blick umher, erhebt sich und ruft aus: »Was für langen Schlaf habe ich gethan? Es war noch nicht Nacht, als ich einschlief und jetzt ist die Sonne schon nahe am Mittag«.

Mit etwas verwirrten Gedanken geht er weiter vorwärts und bleibt an der Stelle stehen, wo der Greis den Johannisbrodbaum gepflanzt hatte. Dieser Anblick erhellt ihm einigermaßen den Geist und ruft ihm das Vergangene in die Erinnerung zurück. Aber jenem Lichtschimmer folgt bald ein Gefühl der Ueberraschung, das ihn verwirrt und betäubt. Er bemerkt den in seiner ganzen blühenden Vegetation gewachsenen Baum und neben demselben einen Knaben, der die Früchte davon aß. Er nähert sich dem Knaben und sagt: »Mein Freund! Wer hat diesen Johannisbrodbaum gepflanzt?«

»Ich sicherlich nicht, antwortet der Knabe; ihr wißt doch, wie viele Jahre erforderlich sind, um davon genießen zu können. Mein Vater versicherte mich, daß er von meinem Großvater gepflanzt wurde.«

Seinem Großvater! wiederholte erschrocken Chonia bei sich selbst; sein Großvater! Und doch kann ich mich nicht täuschen; dieses ist jener Acker, jener Ort … o mein Gott! So hätte ich siebenzig Jahre geschlafen?

Dieser furchtbare Gedanke versetzte ihn in eine unerklärliche Unruhe; und nachdenklich und betrübt lenkt er die Schritte, der Geburtsstadt zu. Aber als er eine kurze Strecke Weges zurückgelegt hatte, verwirren sich seine Sinne und er weiß nicht mehr, wohin den Fuß wenden. Der alte Pfad ist verschwunden, verschwunden sind die Bäume; die Häuser, die neben dem Wege standen, Alles hat ein verschiedenes Aussehen angenommen. Vergebens sucht der arme Chonia einen bekannten Baum, einen bekannten Acker, einen bekannten Gegenstand, worauf der irrende Blick und mit dem Blicke der abgemühete Gedanke ausruhen konnte; Alles, was sich ihm darstellt, war nie von ihm gesehen worden; Alles ist neu.

Mit der Traurigkeit, die sich tiefer in seine Seele einsenkt, sucht er nach dem Zufalle die Straße, die nach der Stadt führt; und nach vielem Hin- und Hergehen entdeckt er sie endlich und geht auf ihr weiter.

Die wimmelte von Leuten, die aus allen Straßen, aus allen Sträßchen herauskamen und eilig ihren Geschäften nachgingen. Chonia schreitet rasch in der Mitte der Menge vorwärts und sucht begierig einen Bekannten, ein bekanntes Gesicht unter ihnen. Aber unter der ganzen Masse erkennt er keinen der alten Freunde, der alten Bewunderer. Nicht eine freundschaftliche Hand, die ihm gereicht wurde, nicht einen Blick, der auf dem seinigen haftete, nicht ein Wort, das an ihn gerichtet wurde. Er ist allein in Mitten der großen Menge, wie wenn er in der Einsamkeit einer Wüste wäre.

Diese Vereinsamung fällt auf das Herz des armen Chonia wie ein großes Unglück und vermehrt die Verwirrung seiner Gedanken. Dann beruhigt er sich etwas und denkt bei sich: Ich habe weder Bekannte noch Freunde mehr; aber wenigstens meine Familie bleibt mir. Im Schooße der Meinigen werde ich Stärkung und Frieden finden.

So getröstet, erkundigt er sich bei den Vorübergehenden nach der Familie des Chonia und es wird ihm eine Straße gezeigt, wo dieselbe wohnte. Mit klopfendem Herzen beschleunigt er den Schritt und geht dem Hause zu, das ihm angezeigt worden war. Aber je mehr er sich näherte, desto mehr schwand der Trost, den er schon in der Seele gefaßt hatte. Er kennt seine Mauern, sein Dach, sein Haus nicht mehr; Alles hatte ein anderes Aussehen. Und statt sich mit der Eile der Freude dem Hause zu nähern, geht er langsamen Schrittes vorwärts, wie einer, der gegen seinen Willen an einen Ort des Schmerzes und des Weinens gehen soll. Endlich tritt er in das Haus und sieht ein theures Schauspiel häuslicher Süßigkeiten. Knäbchen, die scherzten, eine Frau, die liebevoll Antheil an ihren Spielen nahm und einen Mann, in noch kräftigem Alter, mit einer Arbeit beschäftigt. Bei seinem Eintreten hören die Scherze und das Lachen auf und die Blicke Aller richten sich auf ihn mit einem gewissen Ausdrucke des Mißtrauens, hervorgerufen durch gewisse Geberden von Gebieterschaft, womit er vorwärts schritt.

Zu dem Manne gewendet, fragt Chonia also: »Möchtet ihr mir den Sohn des Chonia rufen?«

»Den Sohn des Chonia?« antwortet der Andere überrascht. »Er ist schon längere Zeit todt.«

»Aber bitte, wer seid ihr?«

»Ich bin der Enkel des Chonia

Der Arme wirft sich überwältigt, mit einem Entzücken der Freude dem Enkel entgegen und sucht sich ihn an die Brust zu drücken, indem er rief: »ich bin dein Großvater.«

Aber der Enkel entzieht sich jenen Umarmungen, betrachtet ihn erstaunt und ruft: »Ihr? Ihr mein Großvater? ich habe euch nie gesehen, ich kenne euch nicht.«

Der Unglückliche fing an, seine ganze Geschichte zu erzählen und mit warmen Bitten und mit Weinen flehete er um die Liebe des Enkels; aber dieser schüttelte den Kopf und wiederholte immer: »Bleibt nur hier; thut, wie es euch beliebt; aber ich habe euch nie gesehen; ich kenne euch nicht.«

Es war wahrlich ein elendes Leben, das der arme Chonia im Schooße seiner neuen, durch keine gemeinschaftliche Erinnerung mit ihm verbundenen Familie führte. Der Ring, der jene zwei Generationen verband, war zerbrochen und der Unglückliche fand sich von Neuem in der Einsamkeit inmitten von Personen, die ihn nie gesehen hatten und die er nie gesehen hatte. Die Herzen öffneten sich ihm nicht, die Gemüther zeigten sich ihm fast mißtrauisch; seine Gegenwart war die Gegenwart eines Fremden.

Chonia suchte einen Trost inmitten jener alten Gesetzesgelehrten, unter denen er sehr berühmt war. Aber keiner kannte ihn und er kannte keinen. Und als er sich für den, der er war, zu erkennen geben wollte, der er war, als sein Name noch mit großer Ehre genannt wurde, sahen sie ihn mit Ueberraschung an und stießen ihn mit Unwillen zurück, indem sie sagten: » Chonia ist seit langer Zeit todt, ihr seid er nicht.«

So von Allen zurückgestoßen, irrte er lange allein, bloß in Gesellschaft seiner tiefen Betrübniß und vergeblich rief er mit der Verzweiflung der Leidenschaft einen Verwandten, einen Freund an. Denn er konnte sich in der Gesellschaft nicht vorstellen ohne einen Namen und wenn er sich mit seinem Namen vorstellte, wurde er als Lügner zurückgewiesen.

Eines Tages kam er auf den Gedanken, in die Academie der Gelehrten zu gehen, in welcher er mit so viel Ehre aufgenommen zu werden pflegte. Aus Furcht, als Betrüger zurückgewiesen zu werden, sprach er weder von sich, noch von seinem Namen, sondern hörte aufmerksam jene gelehrten Discussionen an. Jeden Augenblick wurden von den Weisen die Grundsätze des Chonia, die Meinungen des Chonia, das Beispiel des Chonia, wie einer schon lange gestorbenen Person, angeführt. Und der lebendige Chonia hörte zu und wagte nicht ein Wort zu sprechen und die Thränen benetzten ihm schweigend das Gesicht.

Er verließ die Academie mit einer unaussprechlichen Empfindung des Schmerzes und sich zur Erde niederwerfend; und die nassen Augen zum Himmel wendend, betete er also: »Mein Gott, mein Gott! entweder die Gesellschaft oder den Tod; ich bin allein auf der Erde: ach! rufe mich zu dir ab.«

Und der Herr hatte Mitleid mit ihm und nach wenigen Tagen verschied er.

Talmud Taanith S. 23 a und b.

 



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