Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Sechzehntes Kapitel.

Gil Blas langt auf seinem Schloß an; was für Freude er empfand, seine Pathe Seraphine heirathsfähig zu finden; und in wen er sich verliebte.

Da mich nichts nöthigte, große Tagereisen zu machen, so bracht' ich vierzehn Tage zu, eh' ich in Lirias anlangte. Mein einziger Wunsch war, daselbst glücklich anzukommen, und dieser wurde erhört. Der Anblick meines Schlosses flößte mir anfänglich einige traurige Vorstellungen ein, indem meiner Antonie Verlust lebhaft vor meine Seele trat; ich wußte mich aber bald von selbigen los zu machen, indem ich bloß vergnügten Vorstellungen nachzuhängen mir vornahm; 179 überdieß hatten zwey und zwanzig Jahre, die seit ihrem Tode verstrichen waren, das Andenken an sie sehr geschwächt.

Sobald ich in's Schloß getreten war, flogen Beatrix und ihre Tochter mit freudiger Eile mir entgegen, und begrüßten mich; sodann stürzten sie in die Arme des Mannes, des Vaters, und die Ausbrüche dieser Drey entzückten mich.

Nachdem diese Bewillkommungen aufgehört hatten, sagt' ich, indem ich meine Pathe aufmerksam ansah, die mir ungemein liebenswürdig vorkam: Ist es möglich, daß dieß jene Seraphine ist, die ich in der Wiege ließ, als ich von Lirias abreiste? Ich bin erfreut, daß sie so groß und hübsch geworden, wir müssen darauf bedacht seyn, sie zu versorgen.

Wie, mein theurer Pathe, rief dieß Frauenzimmer, über meine letzten Worte ein wenig erröthend, aus: Sie sehen mich kaum, und sind schon darauf bedacht, mich los zu werden?

Nein, mein Kind, erwiederte ich, wir sind nicht gesonnen, Sie durch die Verheirathung einzubüßen, wir wollen Ihnen einen Mann geben, der Sie besitzt, ohne Sie Ihren Aeltern zu entführen, und der so zu sagen, nur eine Familie mit uns macht.

Ein dergleichen Freyer hat sich bereits gemeldet, sagte Beatrix. Ein hiesiger 180 Edelmann sah eines Tages Seraphine'n in der Messe, in der Capelle dieses Fleckens, und verliebte sich in sie. Er besuchte mich, entdeckte mir seine Liebe, und bath um meine Einwilligung. Was ich ihm für eine Antwort gab, können Sie leicht erachten.

Hätten Sie auch mein Jawort, sagt' ich, so wären Sie deßhalb doch nicht um Einen Schritt weiter; Seraphine steht unter einem Vater und einem Pathen, die nur allein über sie schalten können. Ich kann hierbey weiter nichts thun, als daß ich beyden schriftlich die Ehre wissen lasse, die Sie meiner Tochter zu erzeigen gesonnen sind. Ich war auch eben im Begriffe, meine Herren, Ihnen dieß zu melden. Sie sind aber nun wieder da, und können nun thun, was Sie für's Beste finden.

Was für'n Schlag Mensch ist denn so dieser Hidalgo? fragte ihr Mann. So von dem gewöhnlichen seines Gleichen. Aufgeblasen wegen ihres Adels, und übermüthig gegen Bürgerliche? O nichts weniger denn das, versetzte Beatrix, ganz das Gegentheil; ein feiner, gesitteter junger Mann, der wohl aussieht, und noch nicht dreyßig Jahr alt ist. Gar kein unebnes Gemählde, Frau Gevatterinn! sagt' ich. Wie heißt er denn?

»Don Juan de Jutella. Er hat vor Kurzem von seinem Vater Gut und Geld 181 geerbt; sein Schloß liegt nur eine Meile von hier, und er hat eine jüngere Schwester bey sich, deren Vormund er ist.«

Ich habe ehemahls von der Familie dieses Edelmannes gehört, erwiederte ich; es ist eine der edelsten im Königreiche Valencia. Verstand und rechtschaffnes Herz ist mir mehr werth, als aller Adel, rief Scipio; und ist er ein braver Mann, so ist er unser Casus. Den Ruhm hat er, sagte Seraphine, sich in's Gespräch mischend, und die Einwohner von Lirias, die ihn kennen, sagen nichts als lauter Gutes von ihm. Bey diesen Worten meiner Pathe sah' ich deren Vater mit einem Lächeln an. Er hatte selbige so gut verstanden, wie ich, und schloß daraus, der Freyer mißfiele seiner Tochter nicht.

Dieser Cavalier hatte unsre Ankunft zu Lirias bald erfahren, weil wir ihn zwey Tage nachher im Schlosse erscheinen sahen. Weit entfernt, der Schilderey zu widersprechen, die Beatrix von ihm gemacht, bracht' er uns vielmehr eine große Meinung von sich bey. Er käme als Nachbar, sagte er mit einem Ton und Wesen, das viel Welt verrieth, um uns zu unsrer Zurückkunft Glück zu wünschen. Wir empfingen ihn so höflich, als nur immer möglich. Sein Besuch war aber bloßer Zeremonielbesuch, der unter wechselseitigen Complimenten verstrich; 182 und Don Juan, ohne gegen uns von seiner Liebe zu Seraphine'n ein Wort fallen zu lassen, begab sich fort. Beym weggehen that er bloß die Bitte an uns, ihm öfter Besuche zu verstatten, und zu erlauben, daß er eine Nachbarschaft benutzen dürfe, die, wie er voraussähe, viel angenehmes für ihn haben würde.

Als er uns verlassen hatte: fragte Beatrix: was wir von diesem Edelmanne dächten? Ungemein viel Gutes! versetzten wir. Er hat uns ganz für sich bestochen, und unsers Bedünkens kann das Glück Seraphine'n keine bessere Partie anbiethen.

Den folgenden Tag ging ich gleich nach dem Mittagsessen mit Coscoline'ns Sohn aus, um bey Don Juan den schuldigen Gegenbesuch abzulegen. Wir hatten einen Menschen bey uns, der uns den Weg nach seinem Schlosse zeigen mußte. Nachdem wir drey Viertelstunden unterwegs gewesen waren, sagte unser Führer: Hier ist das Schloß vom Sennor Don Juan de Jutella. Wir sahen uns in der ganzen Gegend rund um, konnten es aber nicht ansichtig werden. Endlich gewahrten wir es, doch nicht eher, als bis wir dicht davor waren, weil es am Fusse eines Berges lag, mitten in einem Gehölze dessen hohe Bäume es unsern Augen entzogen. Das uralte und trümmerhafte Ansehen, welches das Schloß hatte, bewies mehr 183 den Adel als die Wohlhabenheit seines Besitzers. Nichts destoweniger fanden wir das Baufällige der Burg durch die Nettigkeit des Hausgeräthe hinlänglich ersetzt.

Don Juan empfing uns in einem wohlausgeschmückten Saale, woselbst er uns eine Dame von neunzehn bis zwanzig Jahren, als seine Schwester Dorotee vorstellte. Da sie auf unsern Besuch vorbereitet gewesen war, und wie es schien, sich vorgenommen hatte, uns nicht zu mißfallen, fanden wir sie sehr geputzt. So mit all' den Reitzen der Natur und Kunst mir unter die Augen tretend, machte sie solchen Eindruck auf mich, als ehemahls Antonie, das will sagen, ich wurde ganz betroffen, was ich aber so zu bemänteln wußte, daß selbst Scipio es nicht gewahrte.

Unsre ganze Unterredung drehte sich, so wie die neuliche, um das wechselseitige Vergnügen herum, das wir haben würden, wenn wir uns unterweilen besuchten, und auf recht nachbarlichem Fuße lebten. Noch sagte er uns kein Wort von Seraphine'n, und wir ihm nichts, was ihm hätte Anlaß geben können, uns seine Liebe zu erklären; wir wollten uns die Freude machen, ihn von selbst auf den Punct kommen zu sehen.

Während unsrer Unterredung blickt' ich oft auf Dorotee'n, so geflissentlich ich auch 184 vermied mein Auge dahin zu richten; und jedesmahl, daß ihr Blick auf den meinigen traf, war es, als führ' ein neuer Pfeil in mein Herz. Dessenungeachtet muß ich gestehen, um meiner Geliebten völlige Gerechtigkeit zu lassen, daß sie keine vollkommne Schönheit genannt werden konnte. War gleich ihre Haut blendendweiß, und beschämte ihr Mund gleich die Rose, so war ihre Nase ein wenig zu lang, und ihre Augen zu klein; gleichwohl bezauberte mich das Ganze.

Kurz, ich verließ das Schloß von Jutella nicht so, wie ich in selbiges kam, und auf dem Rückwege nach Lirias war mein Kopf mit Dorotee'n so angefüllt, daß ich nichts sah, als sie; mit Niemanden sprach, als mit ihr. Scipio blickte mich mit Erstaunen an, und sagte: So voll von Don Juan's Schwester? Sollten Sie Sich wohl in sie verliebt haben?

»Ja, mein Freund, und ich erröthe vor Scham. O Himmel! ich, der ich seit Antonie'ns Tode tausend niedliche Mädchen mit gleichgültigem Aug' angesehen habe, treffe endlich auf eins, die mich entflammt, unwiderstehlich entflammt.«

Sennor, erwiederte Coscoline'ns Sohn, das sollte Ihnen mehr lieb als leid seyn. Noch sind Sie ja nicht in dem Alter, worin es 185 lächerlich ist, sich von Amor'n anschiessen zu lassen, sind noch nicht so abgeblüht, daß Sie alle Hoffnung fahren lassen müßten, einem Mädchen zu gefallen. Folgen Sie mir, halten Sie dreist bey Don Juan um seine Schwester an, sobald Sie ihn wiedersehen. Einem Manne wie Sie, kann er sie nicht abschlagen; und überdieß muß man durchaus und durchum Edelmann seyn, um Dorotee'n zu bekommen. I nu, sind Sie's denn nicht? Sie haben einen Adelsbrief, und der ist für Ihre Nachkommenschaft hinlänglich. Wenn die Zeit über selbigen die dichte Decke wird gespreitet haben, welche sie über den Ursprung aller Häuser zieht, so wird nach vier oder fünf Generationen das Haus der Santillanas eins der erlauchtesten seyn. 186

 


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