Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zweytes Kapitel.

Gil Blas findet in des Königs Vorgemach den Don Gaston de Cogollos, und André de Tordesillas. Wohin sich alle drey begaben, und was weiter geschahe.

Ich schwamm in Freude, daß ich einen abgesetzten Governador so glücklich in einen Virrey verwandelt hatte. Die Herren de Leyva selbst waren minder entzückt als ich. Ich hatte bald darauf eine andere Gelegenheit, meinen Kredit für einen Freund zu verwenden. Ich glaube dieß anführen zu müssen, um meinen Lesern zu zeigen, daß ich der Gil Blas nicht mehr war, der unter dem vorigen Ministerium Hofgnaden verkaufte.

Ich befand mich eines Tages in dem Vorzimmer des Königs, und unterhielt mich mit Standespersonen, die meinen Umgang nicht verschmähten, weil sie mich Liebling des Oberstaatsministers wußten, als ich unter den Umstehenden den Don Gaston de Cogollos erblickte, jenen Staatsgefangenen, den ich im Segoviachen Castell gelassen hatte. Bey ihm befand sich der Castellan, Don André de Tordesillas. Gern verließ ich meine Gesellschaft, um in die Arme dieser beyden Freunde zu 87 fliegen. So erstaunt sie waren, mich hier anzutreffen, war ich es, sie hier wiederzusehen.

Nach wechselseitigen feurigen Umarmungen sagte Don Gaston zu mir: Wir haben einander viel zu fragen, lieber Santillana, und hier ist eben nicht der schicklichste Ort dazu. Wenn's Ihnen gefällig ist, will ich Sie nach einem heimlichen Plätzchen führen, wo Tordesillas und ich das Vergnügen haben können, uns mit Ihnen satt zu schwatzen.

Ich willigte darein; wir drängten uns durch, verliessen den Pallast, stiegen in Don Gaston's Wagen, der vor selbigem hielt, und fuhren nach dem großen Marktplatz, auf welchem die Stiergefechte gehalten werden, und woselbst Cogollos in einer sehr schönen Posada wohnte.

Sennor, sagte Don André, als wir uns in einem prächtigmöblirten Saale befanden, mich dünkt, als Sie Segovia verliessen, war Ihnen der Hof äusserst zuwider, und Sie hatten den festen Entschluß gefaßt, sich auf immer von selbigem zu entfernen.

»Das hatte ich auch, und so lang' der hochselige König gelebt, hab' ich meinen Sinn nicht geändert, als ich aber den Prinzen, seinen Sohn, auf dem Throne wußte, wollt' ich sehen, ob mich der neue Monarch noch kennen würde. Er erkannte mich, und ich hatte die Gnade, sehr huldreich empfangen zu werden. Ja er empfahl mich sogar selbst dem Oberstaatsminister, 88 der mich liebgewonnen hat, und bey dem ich weit besser stehe, als zuvor beym Herzoge von Lerma. Weiter hab' ich Ihnen über den Punct nichts mitzutheilen, lieber André, und nun sagen Sie mir, sind Sie noch Castellan des Segovischen Castells?«

Nicht mehr, gab er mir zur Antwort; der Graf-Herzog hat mir meine Stelle genommen, vermuthlich, weil er geglaubt hat, daß ich seinem Vorfahre gänzlich ergeben sey. Und ich habe aus einem entgegengesetzten Grunde meine Freyheit erhalten, sagte Don Gaston. Sobald der Oberstaatsminister erfuhr, ich säße auf Befehl des Herzogs von Lerma gefangen, so befahl er, mich auf freyen Fuß zu stellen. Was mir seit der Zeit begegnet ist, muß ich Ihnen, lieber Gil Blas, nun erzählen.

Nachdem ich dem Don André für all' die gütigen Aufmerksamkeiten gedankt hatte, die er während meiner Haft für mich gehabt, war das Erste was ich that, daß ich nach Madrid ging, und dem Grafen von Olivarez meine Aufwartung machte. Besorgen Sie nicht, sagte er zu mir, daß der Ihnen begegnete widrige Zufall Ihrem guten Rufe den mindesten Flecken gegeben hat. Sie sind hinlänglich gerechtfertiget, und ich bin von Ihrer Unschuld um so überzeugter, da der Marques de Villareal, dessen Mitschuldigen man Sie geglaubt hat, nicht 89 strafbar ist. Obgleich Portugies und selbst Verwandter des Herzogs von Braganza, ist er doch weniger in seinem Interesse, als in meines Königs seinem. Sonach hat man Ihnen Ihre Verbindung mit dem Marques nicht zum Verbrechen anrechnen können, und um das Unrecht zu vergüten, das man Ihnen durch jene übereilte Beschuldigung angethan, gibt Ihnen der König eine Lieutenantsstelle unter seiner spanischen Leibwacht.

Ich schlug die angebothene Stelle nicht aus, ersuchte aber Se. Exzellenz unterthänigst, daß ich, bevor ich meinen Dienst anträte, nach Coria gehen, und meine Tante, die Donna Eleonora de Laxarilla daselbst besuchen dürfte. Der Minister bewilligte mir vier Wochen zu dieser Reise, und ich machte mich sogleich mit nicht mehr als Einem Bedienten auf den Weg.

Wir waren bereits über Colmenar hinaus, und befanden uns in einem hohlen Wege, als wir einen Cavalier erblickten, der sich gegen drey Männer tapfer wehrte, die ihn zugleich angriffen. Ohne weiters Bedenken flog ich ihm zu Hülfe und focht ihm zur Seite.

Während des Gefechts bemerkt' ich, daß unsere Feinde verlarvt waren, so wie auch, daß sie mit dem Degen gut umzugehen wußten. Gleichwohl besiegten wir sie, ihrer Stärke und Schlagfertigkeit ungeachtet; ich durchstach den einen; 90 er stürzte vom Pferde, und die beyden andern ergriffen die Flucht. Die Wahrheit zu sagen, kam uns der Sieg beynahe so theuer zu stehen, als dem, den ich getödtet, weil mein Gefährte sowohl als ich, uns nach geendetem Kampfe gefährlich verwundet fühlten.

Stellen Sie Sich aber mein Erstaunen vor, als ich in diesem Cavalier den Combados erkannte, den Gemahl der Donna Helena. Er war nicht minder erstaunt, als ich, da er in mir seinen Vertheidiger sah. Sind Sie es wirklich, Gaston, der mir beygesprungen? rief er. Als Sie meine Parthie so edelmüthig ergriffen, war Ihnen unbekannt, daß Sie die Parthie eines Mannes nahmen, der Ihnen die Geliebte Ihres Herzens entrissen hatte. Wohl war mir's unbekannt, antwortete ich, hätt' ich es aber auch gewußt, glauben Sie, daß ich würde Anstand genommen haben, das zu thun, was ich gethan? Sollten Sie wohl so von mir denken? Mich für so niederträchtig genommen haben?

Behüte! erwiederte er. Ich habe immer eine gute Meinung von Ihnen gehabt, und sterb' ich an meinen Wunden, so wünscht' ich, daß die Ihrigen Sie nicht verhindern mögen, meinen Tod zu benutzen. Combados, sagt' ich, obwohl ich Donna Helene'n noch nicht vergessen habe, so müssen Sie wissen, daß ich ihren Besitz nicht auf Kosten Ihres Lebens verlange; daß ich vielmehr höchst erfreut bin, zu Ihrer 91 Rettung aus den Händen der drey Meuchelmörder beygetragen zu haben, weil ich überzeugt bin, daß ich dadurch eine That gethan habe, die Ihrer Gemahlinn angenehm seyn wird.

Während dieses Gesprächs stieg mein Bedienter vom Pferde, näherte sich dem in Staub hingestreckten Cavalier, zog ihm die Maske ab, und zeigte uns ein Gesicht, dessen Züge Combados sogleich erkannte. Ah! es ist Caprara! rief er, der treulose Vetter, der aus Unwillen, eine reiche Erbschaft verfehlt zu haben, die er mir unbefugter Weise streitig gemacht, schon lange den Vorsatz genähret hat, mich zu meuchelmorden, und zu dessen Ausführung den heutigen Tag gewählt hatte; allein der Himmel hat ihm sein Bubenstück auf seinen Kopf vergolten.

Indeß floß unser Blut reichlich weg, und wir wurden zusehends schwächer. So verwundet wir auch waren, hatten wir doch noch soviel Kraft, uns nach dem zwey Flintenschüsse von der Wahlstatt belegenen Flecken Villaréjo hinzuschleppen. Wir traten in's erste Wirthshaus das beste, und sandten sogleich nach Wundärzten. Es kam einer, dessen große Geschicklichkeit man uns äusserst gerühmt hatte. Er besichtigte unsere Wunden, und fand sie sehr gefährlich; er verband uns, und den folgenden Tag, nach abgenommenem Verbande, sagte er: Don 92 Combados Wunden wären tödtlich; von den meinigen urtheilte er aber günstiger.

Als sich Combados zum Tode verurtheilt sah, war er auf nichts weiter, als auf Zubereitung zu selbigem bedacht. Er sandte einen Expressen an seine Frau, um ihr den ganzen Vorfall, und den traurigen Zustand zu berichten, worin er sich befand. Donna Helena traf in Kurzem zu Villaréjo ein. Ihr Geist arbeitete unter doppelten Beunruhigungen. Quälend war es ihr, ihren Mann in Lebensgefahr zu wissen, und höchst peinigend, mich wiederzusehen, weil sie befürchtete, die nicht genug gedämpfte Liebe möchte wieder zur vollen Flamme gedeihen. Und dieß erregte einen heftigen Sturm in ihrem Innern.

Du kommst noch grade zurecht, meine Liebe, sagte Don Blas, als sie in's Zimmer trat, mein Lebewohl zu empfangen. Ich werde sterben, und ich sehe meinen Tod als eine Strafe des Himmels an, daß ich Dich durch einen Betrug dem Don Gaston entrissen. Ich murre darüber nicht im mindesten, vielmehr ermahn' ich Dich selbst, ihm ein Herz wiederzugeben, das ich ihm geraubt habe.

Donna Helena antwortete ihm nur durch Thränen; die beste Antwort, die sie geben konnte, denn noch war sie nicht losgerissen genug von mir, um das Kunststück vergessen zu haben, durch 93 welches er sie dahin gebracht hatte, ihr mir gegebenes Wort zu brechen.

Binnen drey Tagen starb, wie's der Wundarzt prophezeyet hatte, Combados an seinen Wunden; mit den meinigen hingegen fing's an sich zu bessern. Die junge Witwe war auf weiter nichts bedacht, als ihren Mann nach Coria zu schaffen, und daselbst seinem Leichname die letzte Ehre zu erweisen. Sie reiste von Villaréjo ab, nachdem sie bloß Höflichkeits halber, wie es schien, sich nach meinem Befinden erkundigt hatte.

Sobald ich ihr folgen konnte, nahm ich den Weg nach Coria, wo ich mich in Kurzem völlig hergestellt sahe. Nunmehr beschlossen meine Tante und Don Jorg de Galisteo, Helene'n und mich auf's schnellste zu vermählen, aus Besorgniß, das Glück möchte uns nochmahls durch einen neuen Querstrich trennen. Die Vermählung geschah ganz im Stillen, weil's mitten in der Trauer war, und einige Tage nachher kehrt' ich mit meiner Helena nach Madrid zurück. Da ich über meinen Urlaub ausgeblieben war, besorgt' ich, der Minister möchte die mir versprochene Lieutenantsstelle bereits vergeben haben, allein meine Besorgniß war grundlos, und die Entschuldigungen, die ich wegen meiner Verspätung vorbrachte, wurden für gültig angenommen. 94

Sonach bin ich, fuhr Cogollos fort, Lieutenant der spanischen Leibwacht, und finde meinen Posten sehr behäglich; habe einen sehr angenehmen Zirkel von Freunden, in dem ich sehr vergnügt lebe.

Ich wollte, daß ich auch das sagen könnte, rief Don Andres aus, mein Schicksal ist aber so beschaffen, daß ich nicht damit zufrieden seyn kann. Ich habe meinen mir sehr einträglichen Dienst verloren, und keinen einzigen Freund, der Ansehen genug hätte, mir eine andere gute Stelle zu verschaffen.

Doch Sie haben einen, fiel ich ihm lächelnd in's Wort, der etwas für Sie thun kann. Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich beym Graf-Herzog noch besser steh, als beym Herzog von Lerma, und Sie sagen mir so keck in's Gesicht, Sie hätten Niemanden, der Ihnen eine gute Stelle verschaffen könnte. Hab' ich Ihnen nicht schon einen ähnlichen Dienst geleistet? Erinnern Sie Sich nicht, daß ich Ihnen durch das Fürwort des Erzbischofes von Granada in Mexiko einen Posten verschaffte, worin Sie Ihr Glück würden gemacht haben, wenn die Liebe Sie nicht in Alicante festgehalten hätte? Jetzt, da ich das Ohr des Oberstaatsministers habe, bin ich eher im Stande Ihnen zu dienen.

So verlaß' ich mich denn auf Sie, versetzte Tordesillas, allein ich bitte, setzte er 95 gleichfalls lächelnd hinzu, senden Sie mich nicht nach Neu-Spanien, ich möchte nicht dahin, und wenn ich sogar Präsident der AudienciaAudiencia, »Audiencias, die Obergerichtshöfe, die der König von Spanien nicht nur in dem Reiche, sondern auch in dem ihm zugehörigen Theile von Amerika niedergesetzt hat, und die fast gleiche Autorität mit den (ehemahligen) französischen Parlamentern haben. Ausser den Sachen, die von Anfange daselbst anhängig gemacht werden, kann an dieselben von der bürgerlichen und peinlichen Jurisdiction aller Corregidoren, Alkalden und anderer Richter des dazu gehörigen Districts appelliret werden. In Rücksicht auf die Gerichtsbarkeit dieser Tribunale haben die Erdbeschreiber die Provinzen und Landschaften der Spanier in Amerika nach der Anzahl dieser Audiencias eingetheilt.« von Mexico werden könnte.

Donna Helena unterbrach hier unser Gespräch, indem sie in den Saal trat, worin wir waren. Diese sehr angenehme Dame entsprach völlig der Erwartung, die ich mir von ihren ungemeinen Reizen gemacht hatte. Sennor de Santillana, meine Liebe, sagte Don Gaston, indem er mich ihr vorstellte. Der Mann, von dem ich Dir öfter erzählt, der durch seine liebenswürdige Gesellschaft meinen Kummer oft vertrieben hat. 96

Mein Gespräch, versetzt' ich, behagte ihm nur darum, weil Sie, Gnädige Frau, stets den Stoff dazu hergaben. Don Jorg's Tochter beantwortete dieß Compliment mit Bescheidenheit. Hierauf nahm ich von dem Ehepaar Abschied, mit der Betheurung, ich sey entzückt, daß ihre lange und standhafte Liebe durch das süsseste Band sey belohnt worden.

Hierauf wandt' ich mich zu Tordesillas und bath ihn mir zu sagen, wo er wohnte. Als er dieß gethan hatte, sagt' ich zu ihm: Ohn' Abschied, lieber André, in acht Tag' hoff' ich Ihnen zeigen zu können, daß ich nicht nur das Wollen, sondern auch das Vollbringen habe. Ich hielt mein Wort als ein Biedermann; fand bereits den andern Tag Gelegenheit dem Castellan zu dienen.

Santillana, sagte Se. Exzellenz des folgenden Tages zu mir, die Stelle eines Oberaufsehers des königlichen Gefängnisses zu Valladolid ist offen; sie wirft jährlich dreyhundert Pistolen ab; ich bin Willens sie Dir zu geben. Gnädiger Herr, antwortete ich, und würfe sie auch zehntausend Ducaten ab, so dank' ich doch dafür. Ich entsage allen Posten, die ich nicht bekleiden kann, ohne mich von Ihnen zu trennen. Du kannst aber diesen Posten recht gut bekleiden, antwortete der Minister, ohne Madrid verlassen zu dürfen; Du darfst 97 nur unterweilen das Gefängniß von Valladolid besichtigen. Wie Du siehst, verträgt sich beydes ganz gut zusammen.

Was auch Ihro Exzellenz zu sagen belieben, erwiederte ich, so werd' ich dennoch dieß Amt nur unter dem Beding annehmen, selbiges, mit Dero gütigen Erlaubniß, einem wackern Edelmann abtreten zu dürfen, der Don Andres de Tordesillas heißt, und ehemahls Castellan auf dem Segovischen Castelle gewesen. Ich möchte ihm gern dieß Geschenk machen, zur Erkenntlichkeit, daß er mich so menschlich in meiner Gefangenschaft behandelt hat.

Diese Rede machte den Minister lachen. Das heißt, Gil Blas, sagte er, Du willst einen Oberaufseher der Gefängnisse machen, wie Du einen Virrey gemacht hast. Gewähr, Gil Blas, Tordesillas soll's haben! Sag mir aber ganz offenherzig, was bekommst Du dafür? Denn für solchen Pinsel halt' ich Dich nicht, Deinen Kredit für nichts und wieder nichts verwenden zu wollen.

Muß man seine Schulden nicht abbezahlen, gnädiger Herr? antwortete ich ihm. Der André hat mir ohne Eigennutz so viel Gefälligkeit erzeigt, als er nur vermögend war, muß ich ihm nicht Gleiches mit Gleichem vergelten?

Ihr seyd sehr uneigennützig geworden, Sennor de Santillana, erwiederten Seine 98 Exzellenz. Unter der letzten Ministerschaft, däucht mir, waret Ihr's weniger. Ich muß es eingestehen, erwiederte ich, das böse Beyspiel verdarb meine Sitten; weil damahls alles verkauft wurde, richtete ich mich nach der Gewohnheit, und weil jetzt alles verschenkt wird, bin ich wieder bieder wie zuvor.

Sonach verschafft' ich dem Don Andres de Tordesillas die Oberaufseherschaft des königlichen Gefängnisses zu Valladolid, und sandte ihn bald darauf dorthin so zufrieden mit seiner neuen Versorgung als ich es war, mich meiner Verbindlichkeit entledigt zu haben.

 


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