Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Siebentes Kapitel.

Was für ein neues Amt der Minister Santillana'n auftrug.

Auch ich wurde durch Lukrezie'ns Unglück auf's innigste gerührt, und empfand so viel Gewissensbisse, zu selbigem beygetragen zu haben, daß ich, ungeachtet des Ranges dessen, dem ich 134 in seiner Liebe gedient hatte, mich für einen ruchlosen Buben hielt, und den Entschluß faßte, auf immer den Merkurstab abzulegen, ja sogar dem Minister den Widerwillen äusserte, selbigen ferner zu tragen, und ihn bath, mich zu allem, nur dazu nicht zu gebrauchen.

Er schien über meine Gewissenszartheit erstaunt. Santillana, sagte er, Dein feines moralisches Gefühl entzückt mich, und da Du so bieder denkst, will ich Dir eine Beschäftigung geben, die Deinen tugendhaften Gesinnungen angemessener ist. Sie ist folgende; hör' aufmerksam auf das Geheimniß, das ich Dir vorläufig entdecken muß.

Einige Jahre zuvor, eh' ich des Königs Günstling ward, fuhr er fort, brachte mir das Ungefähr eine Dame vor die Augen, die mir so wohlgebildet und so schön dünkte, daß ich ihr sofort Kundschafter nachsandte. Ich erfuhr, sie sey eine Genueserinn, heisse Donna Margarita Spinola, und lebe zu Madrid von den Einkünften ihrer Schönheit. Auch erfuhr ich, Don Francisco de Valeasar, Hofalcade, ein reicher, beweibter alter Gauch, mache ihretwegen einen gar beträchtlichen Aufwand.

Dieser Bericht, der mir nichts denn Verachtung gegen sie hätte einflössen sollen, erregte in mir ein heftiges Verlangen, ihre Gunstbezeigungen mit Valeasar'n zu theilen. Von diesem Gelüste getrieben, wandt' ich mich an 135 eine Liebesvermittlerinn, um selbigen befriedigen zu können, und diese wußte mir in Kurzem zu einer geheimen Zusammenkunft mit der Genueserinn zu verhelfen; auf diese Zusammenkunft folgten mehrere, so daß mein Nebenbuhler und ich für unsre Geschenke eine gleichgute Aufnahme erhielten. Vielleicht hatte sie sogar noch einen andern Galan, der so glücklich war, wie wir.

Wie dem auch sey, Margarita, auf deren Altar so mancherley Opfer geopfert wurden, ward unvermerkt Mutter, und brachte einen Knaben zur Welt, mit dessen Vaterschaft sie jeden ihrer Liebhaber insbesondere beehren wollte; da sich aber keiner davon mit gutem Gewissen rühmen konnte, dieß Kind gezeugt zu haben, so wollte auch keiner von beyden ihn für sein Kind erkennen, so daß die Genueserinn sich genöthigt sah, ihn von den Früchten ihrer Galanterieen zu ernähren; dieß hat sie achtzehn Jahr lang gethan, nach deren Verlauf ist sie gestorben, und hat ihren Sohn ohne Vermögen hinterlassen, ja was noch schlimmer, ohne Erziehung.

Das war das Geheimniß, das ich Dir zu offenbaren hatte, fuhr der Minister fort, und jetzt will ich Dir den großen Plan entdecken, den ich entworfen habe; ich will dieß unglückliche Kind aus seinem Nichts ziehen, es von einer der niedrigsten Stufen auf eine der höchsten stellen, es für meinen Sohn anerkennen, und zu Ehrenstellen befördern. 136

Bey diesem ausschweifenden Projecte fiel mir das Schweigen unmöglich. Gnädiger Herr! rief ich, wie können Ihro Exzellenz auf einen so seltsamen Entschluß gekommen seyn? Verzeihen Sie mir diesen Ausdruck, der meinem Eifer entfährt. Du wirst ihn billigen, erwiederte er mir schnell, sobald Du die Gründe wissen wirst, die mich dazu bewogen haben. Ich will nicht, daß meine SeitlingeSeitlinge für das gedehnte Seitenverwandte. Man findet es, wie der wackere, leider zu wenig bekannte und geachtete Schottel anführt, in unsern ältern juristischen Schriften (S. zweytes Buch seiner deutschen Sprachkunst.) – A. d. Uebers. Erben seyn sollen. Sie sind noch nicht in dem Alter, wirst Du mir sagen, daß Sie verzweifeln dürfen, mit Ihrer Gemahlinn Kinder erzielen zu können. Doch jeder kennt sich am besten; laß Dir gnügen zu wissen, daß die Chemie keine geheimen Kunststücke hat, die ich nicht angewandt habe, um wiederum Vater zu werden. Da nun das Glück der Kargheit der Natur abhilft, und mir ein Kind darbiethet, von dem ich vielleicht im Grunde Vater bin, so erkenn' ich selbiges für das meinige. Das ist mein unwandelbarer Entschluß.

Als ich den Minister fest auf dieser AnkindungAnkindung. Sollte dieß analogisch geformte Wort nicht statt des schleppenden: Annehmung an Kindesstatt, oder des undeutschen Adoption zu gebrauchen seyn?
    Beyde Ausdrücke scheinen dem durch Gründlichkeit und Geschmack sich gleich stark auszeichnenden Sprachforscher, dem Herrn Probst Reß, nicht zu mißfallen. Dieß hat mich denn bestimmt, sie in dieser neuen Auflage stehen zu lassen. – A. d. Uebers.
bestehen sah', hört' ich auf, ihm zu widersprechen, weil ich ihn für einen Mann 137 kannte, der eher im Stande war, eine Sottise zu begehen, als fahren zu lassen, was er sich einmahl in den Kopf gesetzt hatte.

Nun kommt es nur noch darauf an, fuhr er fort, dem Don Enrique, Philipp de Guzman (denn den Nahmen will ich, daß er ihn bis zu der Zeit tragen soll, da er im Stande ist, die ihn erwartenden Würden anzunehmen,) die gehörige Erziehung zu geben. Dich, mein lieber Santillana, wähl' ich ihn zu führen. Ich baue gänzlich auf Deinen Geist und Deine Anhänglichkeit für mich, und übertrage Dir das Amt, sein Hauswesen einzurichten, ihm Meister in allen Künsten und Wissenschaften zu geben, mit Einem Wort, ihn zum vollkommenen Cavalier zu machen.

Ich wollte mich weigern, dieß Geschäft über mich zu nehmen, indem ich dem Graf-Herzog vorstellte: daß ich zur Erziehung junger Herren nicht im mindesten taugte, weil ich nie 138 dieß Metje getrieben hätte, das mehr Einsicht und Talente erfordert, als ich besäße. Er fiel mir aber in die Rede, und schloß mir den Mund, indem er zu mir sagte, er verlange schlechterdings, daß ich Guverneur dieses angenommnen Sohnes seyn sollte, den er zu den ersten Bedienungen in der Monarchie bestimme.

Sonach macht' ich mich fertig, diesen Posten anzutreten, um den Minister zu befriedigen, der zur Belohnung meiner Willfährigkeit, meine kleinen Einkünfte mit einer Pension von tausend Thalern vermehrte, die er mir auf die Comturey von Mambra anwies.

 


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