Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Achtes Kapitel.

Gil Blas macht sich von Tage zu Tage bey seinem Herrn beliebter. Scipio kommt zurück; was er für Nachrichten mitbringt.

Der Graf Olivarez, den ich inskünftige den Graf-Herzog nennen werde, (denn der König hatte zu der Zeit die Gnade, ihn mit diesem Titel zu beehren, welchen er seinem angestammten nachzuschreiben pflegte) hatte eine Schwäche, die ich nicht fruchtlos entdeckte; er wollte geliebt seyn. Sobald er gewahrte, daß sich jemand aus Neigung an ihn ankettete, gewann er ihn herzlich lieb.

Diese Beobachtung schlug ich nicht in den Wind. Ich begnügte mich nicht nur, alle seine Befehle genau auszurichten, sondern äusserte bey deren Vollziehung einen so feurigen Diensteifer, daß er damit ungemein zufrieden war; studierte seinen Geschmack in allen Dingen aus, um mich nach selbigem zu fügen, und kam seinem Verlangen so viel als möglich zuvor.

Durch ein solches Betragen, das fast immer zum Zwecke führt, ward ich unvermerkt der Günstling meines Herrn, der seiner Seits, durch die Aeusserungen seiner Zuneigung mir, der ich so schwach war, wie er, ganz das Herz gewann. Ich schmeichelte mich so tief in seine 54 Gunst ein, daß er mich endlich seines Vertrauens so sehr würdigte, als den Sennor Carnero, seinen Obersecretär.

Carnero hatte sich des nähmlichen Weges bedient, sich Sr. Exzellenz gefällig zu machen, und es war ihm so wohl geglückt, daß Selbige ihm die Cabinetsgeheimnisse anvertrauten. Sonach waren wir Beyde die Vertrauten des Oberstaatsministers, und die Bewahrer seiner Geheimnisse; doch mit dem Unterschiede, mit Carnero'n sprach er von Staatsangelegenheiten, mit mir von seinem Privatinteresse; auf die Art hatten wir so zu sagen, jeder sein Fach, womit wir beyderseits sehr zufrieden waren. Wir lebten mit einander ohne Eifersucht so wie ohne Freundschaft.

Ich hatte Ursache, mich meiner Stelle wegen glücklich zu schätzen, die, indem sie mir Gelegenheit verschaffte, beständig um den Graf-Herzog zu seyn, mich in den Stand setzte, bis in den Grund seiner Seele zu sehen, welche er, so natürlich Verstellung ihm auch war, nicht mehr vor mir verhüllte, sobald er an meiner aufrichtigen Ergebenheit zu zweifeln keine Ursache mehr hatte.

Santillana, sagte er eines Tages zu mir, Du hast den Herzog von Lerma in einem Ansehen und in einer Macht erblickt, die mehr dem Ansehen und der Macht eines unumschränkten Monarchen, als eines Lieblingsministers 55 glich; indeß bin ich noch glücklicher, als er auf der höchsten Stufe seines Glücks war. Er hatte an dem Herzoge Uzeda, seinem eignen Sohne, und an dem Beichtvater Philipp des Dritten, ein Paar fürchterliche Feinde. Da ich hingegen Niemand um den König sehe, der Credit genug hätte, mir zu schaden, ja sogar keinen, von dem ich üble Gesinnungen gegen mich argwöhnen kann.

Zwar hab' ich mir, fuhr er fort, gleich bey Antretung meines Postens, äusserst Mühe gegeben, bey dem Könige Leute anzubringen, die durch Bande des Bluts oder der Freundschaft an mich geknüpft sind. Ich habe mich durch Virreithümer und Abgesandschaften all' der Männer entledigt, die durch persönliche Verdienste mir einen Theil von der Gnade des Monarchen hätten entziehen können, die ich ganz allein besitzen will; so daß ich nunmehr sagen kann: kein Großer wirft auf mein Ansehen Schatten.

Du siehst, Gil Blas, schloß er, daß ich Dir mein Herz ganz offen vorlege. Ich denke Gründe zu haben, dieß zu thun. Du hast Kopf; ich glaube Dich weise, klug, verschwiegen, mit Einem Wort zur glücklichen Besorgung vielerley Aufträge fähig, die einen Mann von vieler Einsicht erfordern.

Den schmeichlerischen Bildern, die diese Rede vor das Auge meines Gemüths schob, konnt' ich nicht widerstehen. Plötzlich stiegen 56 mir einige Dünste, von Geitz und Ehrsucht zu Kopfe, und erweckten Gedanken und Empfindungen in mir, die ich längst besiegt zu haben glaubte. Ich betheuerte dem Minister, ich würde mit meinen angestrengtesten Kräften seine Erwartungen zu erfüllen suchen, und stände bereit, ohn' alles Bedenken all' die Befehle zu erfüllen, womit er mich zu beladen gut finden würde.

Indeß ich solchergestalt gestimmt war, dem Glücke neue Altäre aufzubauen, kam Scipio von seiner Reise wieder zurück. Ich kann meine Erzählung ganz kurz fassen, sagte er. Ich habe den Herren de Leyva ein ungemeines Vergnügen gemacht, als ich ihnen erzählte, wie gnädig Sie der König aufgenommen, als er sich auf Sie besonnen hatte, und wie Ihnen der Graf von Olivarez begegnete.

Noch mehr Vergnügen, Freund, würdest Du ihnen gemacht haben, fiel ich ihm ein, wenn Du ihnen hättest sagen können, auf was für einem Fuße ich jetzt mit diesem Minister stehe. Es ist zum Erstaunen, was für schnelle Fortschritte in seiner Gewogenheit ich seit Deiner Abreise gethan habe. Gott sey dafür gelobt, Sennor, antwortete er. Mir ahndet's, wir werden noch recht glücklich werden.

»Laß uns auf etwas anders, auf Oviedo kommen! Du bist dort gewesen? Wie sieht's mit meiner Mutter aus?« 57

Nichts denn betrübte Nachrichten von daher, antwortete er, indem er mit einem Mahle eine traurige Mine annahm. »O Gott! ganz gewiß meine Mutter todt!« »Seit einem halben Jahre. Und auch Sennor Gil Perez, Ihr Oheim, hat der Natur ihren Sold entrichtet.«

Der Verlust meiner Mutter beugte mich heftig, obwohl ich in meiner Kindheit nicht jene Liebkosungen von ihr erhalten hatte, deren Kinder so sehr bedürfen, wenn sie im reifern Alter erkenntlich seyn sollen. Auch schenkt' ich dem Canonicus die Thränen, die ich ihm für die Sorgfalt schuldig war, welche er für meine Erziehung trug. Meine Betrübniß, der Wahrheit zur Steuer gesagt, dauerte so lang' eben nicht, und artete bald in ein zärtliches Andenken an die Meinigen aus, das sich nimmer aus meiner Brust verloren hat. 58

 


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