Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Dreyzehntes Kapitel.

Wie unruhig und bekümmert anfänglich der Graf-Herzog war, und wie ruhig und heiter er zuletzt ward; womit er sich in der Einsamkeit beschäftigte.

Die Gräfinn von Olivarez war nicht mit abgereist, und blieb noch einige Tage bey Hofe, des Vorhabens, sowohl durch Bitten als durch Thränen zu versuchen, ob sie ihres Gemahls Zurückberufung nicht zu bewirken vermöchte; vergeblich warf sie sich aber Ihren Majestäten zu Füßen; der König hörte nicht im mindesten auf ihre Gegenvorstellungen, so künstlich selbige auch eingeleitet waren, und die Königinn, welche sie tödtlich haßte, sah mit Vergnügen ihre Thränen rinnen.

Die Gemahlinn des Ministers ließ sich nicht abschrecken; sie erniedrigte sich sogar so weit, daß sie die Damen der Königinn um 164 ihre Fürsprache anflehte. Sie gewahrte aber, daß all dieses Wegwerfen nichts fruchtete, als daß es ihr eher Verachtung, als Mitleid zuzog. Trostlos, so viele erniedrigende Schritte vergeblich gethan zu haben, eilte sie ihrem Gemahl nach, um sich sammt ihm über den Verlust einer Stelle zu betrüben, die unter einer Regierung, wie die von Philipp dem Vierten, vielleicht eine der ersten in der Monarchie war.

Der Bericht, den diese Dame von dem Zustand machte, worin sie Madrid gelassen, verdoppelte den Kummer des Graf-Herzogs. Deine Feinde, sagte sie weinend zu ihm: der Herzog von Medina-Celi, und die übrigen Grandes, die Dich hassen, loben den König unaufhörlich, daß er Dir das Ministerium genommen, und der Pöbel feyert Deine Ungnade mit einer übermüthigen Freude, gleichsam als wenn das Ende aller Unglücksfälle im Staate an das Ende Deiner Verwaltung angeknüpft wäre.

Folgen Sie meinem Beyspiele, Madam, sagte mein Herr, schlucken Sie Ihren Aerger in Sich! Weichen wir dem Ungewitter, das auf uns zubraust. Es ist wahr, ich habe geglaubt, mich bis an das Ende meines Lebens in der Gunst des Königs zu erhalten; die gewöhnliche Täuschung der ersten Minister und Günstlinge, die es ganz vergessen, daß ihr Schicksal vom Souverän abhängt. Ist nicht der 165 Herzog von Lerma sowohl hintergangen worden als ich, obgleich er sich einbildete, der Purpur, womit er bekleidet war, würde ihm ein zuverlässiger Bürge für die ewige Dauer seines Ansehens seyn.

Auf die Art ermahnte der Graf-Herzog seine Gemahlinn, sich mit Geduld zu waffnen, indeß ein heftiger Sturm in seinem Innern wüthete, der sich täglich durch die Depeschen erneuerte, die er vom Don Enrique erhielt. Selbiger war am Hofe geblieben, um alle dortige Vorfallenheiten zu beobachten, und seinem Vater solche pünktlich zu melden. Scipio überbrachte die Briefe dieses jungen Herrn, bey dem er sich noch befand, und den ich seit seiner Vermählung mit der Donna Juanna verlassen hatte. Gute Nachrichten waren in diesen Briefen nie enthalten, auch war man deren, leider, nicht mehr gewärtig.

Bald berichtete er, die Grandes, nicht zufrieden, sich öffentlich über die Entfernung des Graf-Herzogs zu freuen, hätten sich insgesammt vereint, seine Kreaturen aus den Bedienungen und Aemtern zu vertreiben, welche sie besäßen, und in selbige seine Feinde anzustellen. Ein andermahl schrieb er, Luis d'Haros begänne des Königs Liebling zu werden, und wird allem Anscheine nach die Oberstaatsministerschaft erhalten. 166

Unter allen verdrießlichen Nachrichten, die mein Herr erhielt, schien ihn keine härter zu kränken, als die von der Veränderung, die mit der Virreyschaft von Neapel vorgenommen wurde. Denn bloß um ihn zu kränken, nahm der Hof selbige dem Herzoge de Medina de la Torres ab, den er liebte, um sie dem Amirante von Castilien zu geben, den er stets gehaßt hatte.

Das erste Vierteljahr, kann man wohl sagen, bracht' er in Unruh' und Kummer zu, allein sein Beichtvater, ein Geistlicher vom St. Dominicorden, der mit der wahrsten Frömmigkeit eine männliche Beredsamkeit verband, wußt' ihn endlich völlig zu beruhigen. Durch seine öftern warmen Vorstellungen, daß er bloß auf das Heil seiner Seele bedacht seyn müsse, gelang es ihm zuletzt, des Ministers Herz und Sinn vom Hofe abzuziehen. Seine Excellenz verlangten keine Neuigkeiten mehr aus Madrid, und ließen Sich nichts angelegner seyn, als Zubereitungen zu einem seligen Ende.

Die Gräfinn ihrer Seits benützte ihren stillen Aufenthalt gleichfalls auf's beste, und fand in dem Kloster, dessen Stifterinn sie war, einen von der Vorsicht zubereiteten Trost. Es waren unter den dasigen Nonnen heilige Jungfrauen, deren salbungsvolle Reden ihr die Bitterkeit des Lebens unmerklich versüßten. Je mehr 167 mein Herr seine Gedanken von allen Welthändeln ablenkte, je ruhiger ward er.

Er hatte den Tag auf folgende Weise eingetheilt. Fast den ganzen Morgen hörte er die Messe in dem Nonnenkloster, sodann kam er zum Mittagsessen, nach selbigem spielte er zwey Stunden lang mit mir, und einigen andern Lieblingsbedienten allerley Spiele, darauf begab er sich in sein Cabinett, woselbst er bis Sonnenuntergang verblieb; dann ging er entweder in seinen Garten spazieren, oder fuhr bald mit seinem Beichtvater, bald mit mir aus, und nahm die Gegenden in Augenschein, die rings um sein Schloß lagen.

Eines Tages, als ich mich allein bey ihm befand, und die Heiterkeit bewunderte, die auf seinem Gesichte glänzte, nahm ich mir die Freyheit, ihm zu sagen: Erlauben Sie, gnädiger Herr, meine Freude an den Tag zu legen; aus der Zufriedenheit, die ich aus Ihren Mienen hervorblicken sehe, urtheil' ich, daß Sich Ihre Excellenz an die Einsamkeit zu gewöhnen beginnen. Ich bin bereits völlig daran gewöhnt, antwortete er; und obwohl mir das Geschäftsleben zur andern Natur geworden ist, so betheur' ich Dir doch, mein Kind, daß ich dem ruhigen und friedlichen Leben, das ich hier führe, von Tag zu Tage mehr Geschmack angewinne. 168

 


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