Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Sechstes Kapitel.

Was Gil Blas mit dem erhaltenen Geschenke machte, und was für Aufträge er seinem Scipio gab.

Dieß Geschenk gab Scipio'n neuen Anlaß mir Glück zu wünschen, daß wir uns an den Hof gemacht hatten, und er ließ selbigen nicht ungenützt vorbey. Sie sehen, sagte er, daß das Glück große Absichten mit Ihnen hat. Thut's Ihnen noch leid, Ihre Einsamkeit verlassen zu haben? Es lebe der Graf Olivarez! Das ist doch ein ganz anderer Gönner, als sein Vorfahr, der Herzog von Lerma. Der ließ Sie, so zugethan und treuergeben Sie ihm auch 40 waren, viele Monathe lang Hunger und Kummer leiden, ohne Ihnen eine Pistole zu geben; der Graf hingegen macht Ihnen gleich ein Geschenk, worauf Sie Sich nur erst nach vielen und langen Diensten Rechnung machen durften.

Ich wünschte wohl, fuhr er fort, daß die Herren de Leyva Zeugen des Glücks wären, dessen Sie geniessen, oder wenigstens, daß sie's wüßten. Es ist Zeit, gab ich zur Antwort, daß sie's erfahren, und eben wollte ich davon mit Dir sprechen. Ich zweifle nicht, daß sie Nachrichten von mir mit äußerster Ungeduld entgegensehen, ich hab' ihnen aber nicht eher welche ertheilen wollen, als bis ich mich auf festem Grund und Boden sahe, und ihnen mit Zuverlässigkeit melden konnte, ob ich am Hofe bliebe oder nicht. Jetzt, da ich nun weiß, woran ich bin, kannst Du nach Valencia reisen, wenn Dir's gefällt, um meinen Freunden meine gegenwärtige Verfassung kund zu thun, die ich für ihr Werk ansehe, weil es gewiß ist, daß ich mich ohne sie zur Madrider Reise nie würde entschlossen haben.

Wenn das ist, rief Coscoline'ns Sohn, so sollen Don Cäsar und Don Alphonso die gegenwärtige Lage Ihrer Umstände bald wissen. Was für Freude werd' ich ihnen machen, wenn ich ihnen alles erzähle, was Ihnen begegnet ist. Ich wollte, ich wär' an den Thoren von Valencia; doch in wenig Tagen werd' ich's seyn. 41 Die zwey Pferde des Don Alphonso stehen völlig parat. Ich werde einen Lakayen von Sr. Exzellenz mitnehmen; ausserdem daß mir's lieb ist, einen Reisekumpan zu haben, so wissen Sie wohl, daß die Livrey eines Oberstaatsministers den Leuten Staub in die Augen streut.

Ich konnte nicht umhin, über meines Secretär's thörichte Eitelkeit zu lachen, indeß aber ließ ich, vielleicht noch weit eitler, als er, ihn machen, was er wollte. Zieh hin in Gottes Nahmen, sagt' ich, und komm schnell wieder; denn ich habe Dir einen andern Auftrag zu geben. Du mußt nach Asturien, und meiner Mutter Geld bringen. Ich hab' aus schändlicher Saumseligkeit die Zeit vorbeylaufen lassen, in welcher ich ihr die hundert Pistolen auszuzahlen versprochen habe, zu deren Ueberlieferung Du Dich anheischig gemacht hast. Dergleichen Wort muß einem Sohne so heilig seyn, daß ich mir über meine wenige Pünktlichkeit im Halten Vorwürfe in Menge mache.

»Sie haben Recht, Sennor, und ich ärgere mich über mich selbst, daß ich Sie daran nicht erinnert habe. Doch lassen Sie's gut seyn; höchstens in sechs Wochen soll alles beydes bestellt seyn, werd' ich mit den Herren de Leyva gesprochen, einen Wips nach Ihrem Schloß' und nach Oviedo gemacht haben, von dessen 42 Einwohnern ich drey Viertel und ein halbes zum Teufel wünsche, so oft ich daran denke.«

Sonach zahlt' ich Coscoline'ns Sohn hundert Pistolen für meine Mutter aus, und hundert für ihn, damit er die lange Reise, die er über sich genommen hatte, mit mehr Behäglichkeit machen konnte.

Einige Tage nach seiner Abreise liessen Se. Exzellenz die von uns verfertigte Schrift drucken, die kaum bekannt geworden war, als sie den Stoff zu allen Unterhaltungen in Madrid gab.

Dem Volke, diesem Freunde der Neuheit, gefiel sie ungemein. Die Erschöpfung der Finanzen, die mit lebendigen Farben gemahlt war, wiegelte selbiges gegen den Herzog von Lerma auf. Und lobte nicht Jedermann die bittern Ausfälle auf diesen Minister, so billigten sie doch wenigstens Viele. Was die stattlichen Versprechungen anlangte, welche der Graf Olivarez darin that und unter andern die: durch eine weise Staatshaushaltung alle vorkommenden Ausgaben zu bestreiten, ohne den Unterthanen lästig zu fallen, so verblendeten selbige die Bürger durchgängig, und bestättigten sie in der großen Meinung, die sie bereits von des Ministers Einsichten hatten, so daß die ganze Stadt von seinen Lobeserhebungen wiederhallte. 43

Erfreut, seinen Zweck hierdurch erreicht zu haben, der kein anderer war, als sich die allgemeine Zuneigung zu erwerben, wollte dieser Minister durch eine löbliche und für den König ersprießliche Handlung sich jener Zuneigung mit Fug würdig machen. Zu dem Ende bediente er sich der Erfindung des Kaisers Galba; das heißt, diejenigen, die sich mit des Königs Einkünften gemästet hatten, schröpft' und aderließ er. Nachdem er diesen Blutigeln all' das Blut, das sie in sich gesogen, wieder ausgepreßt, und damit die königliche Schatzkammer angefüllet hatte; so war er auch darauf bedacht, selbiges darin zu erhalten, deßhalb strich er alle Pensionen sowohl, (die seinige unausgenommen) als auch die Gnadengelder, die aus des Fürsten Schatulle genommen wurden.

Um mit diesem Vorhaben zu glücken, (welches ohne gänzliche Veränderung der Regierungsform nicht thunlich war) übertrug er mir die Verfertigung eines neuen Aufsatzes, dessen Substanz und Formalien er mir sagte; wobey er mir zugleich empfahl, mich soviel als möglich über die gewöhnliche Simplicität meines Styls hinauszuschwingen, um selbigem mehr Adel zu geben. Sehr wohl, Gnädiger Herr, versetzt' ich. Ihro Exzellenz verlangen Erhabenheit und Prunk in der Diction. Dero Verlangen soll erfüllt werden. 44

Ich schloß mich in das nehmliche Cabinet ein, worin ich bereits gearbeitet hatte, und legte Hand an's Werk; zuvor rief ich den beredten Genius des Erzbischofs von Granada an. Ich eröffnete die Schrift mit der Vorstellung: man müsse das im königlichen Schatze befindliche Geld auf's sorgfältigste bewahren, und lediglich zu den Bedürfnissen der Monarchie verwenden; indem es ein Heiligthum sey, das man unangetastet erhalten müsse, um den Feinden Spaniens Ehrfurcht zu gebiethen.

Hierauf zeigt' ich dem Monarchen, daß, wenn er auch alle Jahrgelder und Geschenke einzöge, die von seinen Einkünften genommen würden, er sich deßhalb dennoch nicht des Vergnügens beraube, diejenigen von seinen Unterthanen zu belohnen, die sich seiner Gnadenbezeigungen würdig machten, weil er, ohne seinen Schatz anzugreifen, im Stande wäre, ihnen große Belohnung zu ertheilen; einigen Virreithümer, Governadorschaften, Ritterorden und Kriegsbedienungen: andern Kommentureyen und Pensionen auf selbige, Titel und obrigkeitliche Aemter; und endlich allerhand Arten von Pfründen für die, die sich dem Altare gewidmet hatten.

Dieser Aufsatz, der viel länger war als der vorige, beschäftigte mich beynahe drey Tage. Zum Glück war er ganz nach meines Herrn Geschmack gerathen, er fand ihn sehr bündig 45 geschrieben, und wacker mit Metaphern durchspickt, deßhalb überhäufte er mich mit Lobsprüchen.

Hiermit bin ich sehr zufrieden, sagte er, indem er auf die schwülstigsten Stellen wies, das hier sind Ausdrücke, Wendungen, die das Gepräge des Meisterhaften tragen. Nur muthig, mein Freund, ich sehe zum voraus, daß Du mir ungemein nützlich seyn wirst.

Ungeachtet der Lobsprüche aber, die er an mich verschwendete, unterließ er nicht, Verschiedenes wegzustreichen, und viel von dem Seinigen einzuschieben; und so entstand ein Meisterstück von Beredsamkeit, das den König und den ganzen Hof entzückte. Auch die Stadt gab selbigem ihren Beyfall, machte sich die besten Erwartungen von der Zukunft, und schmeichelte sich, die Spanische Monarchie würde unter dem Ministerium eines so großen Mannes ihren ehemahligen Glanz wieder erhalten.

Als Ihro Excellenz sahen, wie viel Ehre Ihnen diese Schrift machte, wollten Sie, daß ich für den Antheil, den ich daran hatte, nicht ganz leer ausginge, deßhalb gaben Sie mir ein Jahrgeld von fünfhundert Thalern auf eine Komturey in Castilien. Dieß schien mir eine sehr ansehnliche Belohnung für meine Arbeit, und war mir um so angenehmer; da dieß kein übelerworbenes Gut war, wiewohl mir dessen Erwerb eben nicht zu viel Mühe verursacht hatte. 46

 


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