Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Siebentes Kapitel.

Durch was für ein Ungefähr, und an welchem Orte und in was für einem Zustande Gil Blas Fabrizio'n wiederfindet.

Nichts machte dem Grafen, meinem Herrn, mehr Vergnügen, als wenn er hörte, was die Leute von der Führung seines Amts dachten. Er fragte mich daher täglich, was man von ihm in der Welt sagte. Er hielt sogar Spione, die ihm für sein eigenes Geld genaue Rechnung von dem brachten, was in der Stadt geträtscht wurde. Sie trugen ihm jedes Wort zu, was in Betreff auf ihn gefallen war, und da er ihnen aufrichtig zu seyn gebothen hatte, so bekam unterweilen seine Eigenliebe einen harten Stand; denn der Pöbel hat eine unbändige und nichts verschonende Zunge.

Als ich bemerkte, daß der Minister an dergleichen Postenträgereyen Gefallen fand, so ging ich Nachmittags an öffentliche Orte, und mischte mich in die Unterredung von rechtlichenRechtlich, bey den Niedersachsen anständig, dem Wohlstande gemäß, ehrbar, honett. Rechtliche Leute sind also Personen von guter Herkunft und anständiger Aufführung, die nicht zum Pöbel gehören: honnêtes gens. Wir haben im Hochdeutschen keinen Ausdruck, der dieß alles erschöpft, und werden daher denselben so lange behalten müssen, bis Hr. Hainaz, der, ohne einen erheblichen Grund anzuführen, ihn in seinem Antibarbarus verwirft, ein anderes Wort von völlig gleichem Gehalte uns angewiesen haben wird. – A. d. Uebers. 47 Leuten, wenn dergleichen dort waren, und sagten sie etwas, das Sr. Excellenz wiedergesagt zu werden verdiente, so ermangelt' ich nicht, es zu thun. Doch, muß man bemerken, hinterbracht' ich ihm nichts, das nicht zu seinem Lobe gereichte. Mit einem Manne, von dem Character dieses Ministers, glaubt' ich so verfahren zu müssen.

Eines Tages, als ich von einem meiner Lauerwinkel zurückkam, ging ich bey einem Hospitale vorbey. Mir wandelte die Lust an hineinzugehen; ich durchstrich drey bis vier Säle, die mit bettlägerigen Kranken angefüllt waren. Unter diesen Unglücklichen, die ich nicht ohne Mitleid, wiewohl mit flüchtigem Aug' ansahe, fiel mir ein Gesicht auf, worin ich alle Züge meines Landsmanns und alten Schulgefährten Fabrizio zu erkennen glaubte. Um ihn genauer besichtigen zu können, nähert' ich mich dem Bette, und da ich nicht zweifeln konnte, daß es der Dichter Nunnez sey, blieb ich einige Momente 48 sprachlos, und sah ihn an. Er seiner Seits besann sich auf mich, und starrte mich gleichfalls an.

Endlich brach ich das Stillschweigen und sagte: Täuscht mich mein Gesicht, oder find' ich in der That Fabrizio'n hier? Er ist's, versetzte er ganz kalt, und Du darf'st Dich darüber nicht wundern. Seit ich Dich verlassen, hab' ich immer fortgeschriftstellert, Romane, Komödien und allerhand Werke des Witzes gemacht. Nun bin ich am Ende meiner Laufbahn, und im Hospitale.

Ueber diese Worte, und noch mehr über die ernste Miene, womit sie gesagt wurden, konnt' ich mich des Lachens nicht erwehren. Ey, ey, sagt' ich, an den Ort hat Dich Deine Muse geführt? Dir ein so arges Stückchen gespielt?

Wie Du siehst, antwortete er. Dieß Haus ist gar oft der Nothport für schöne Geister. Du hast wohl gethan, mein Kind, fuhr er fort, daß Du einen andern Weg betreten. Du bist aber, wie mich dünkt, nicht mehr am Hofe, und Deine ganze Verfassung hat sich geändert; ich erinnere mich sogar gehört zu haben, Du seyst auf königlichen Befehl in Haft genommen worden.

Alles wahr! versetzte ich, wie Du weggingst, saß ich noch im Schooße des Glücks; bald darauf schläuderte es mich aus selbigem, und so kam ich um Vermögen und Freyheit. Indeß weißt Du wohl, Freund, post nubila Phoebus. Du siehst mich in einem schimmernden Zustande 49 wieder, als der war, worin Du mich zuvor gesehen hast.

Nicht möglich! sagte Nunnez. Gar nicht möglich! Du hast die Miene des weisen und bescheidnen Mannes, nicht jenes windige und übermüthige Wesen, welches die Schößlinge des Glücks gemeiniglich haben. Das Unglück, antwortete ich, hat meine Tugend geläutert, und in der Schule der Trübsale hab' ich Reichthümer geniessen lernen, ohne mich von selbigen beherrschen zu lassen.

Sag' mir doch, fiel Fabrizio ein, indem er sich mit Entzücken emporraffte, was für ein Amt bekleidest Du itzt? Was stellst Du vor? Den Intendanten eines großen zu Grunde gehenden Herrn etwa, oder einer wohlhabenden Witwe?

Ich habe einen bessern Posten, erwiederte ich; doch vor der Hand überhebe mich eines weitläuftigen Berichts, ein andermahl will ich Deine Neugier befriedigen. Für jetzt nur soviel: ich bin im Stande, Dir zu dienen, oder vielmehr, Dir auf den Rest Deines Lebens Dein gutes Auskommen zu verschaffen, wofern Du mir versprichst, kein Werk des Witzes mehr zu verfertigen, weder in Pros' noch in Versen. Fühlst Du Dich wohl vermögend, mir ein so großes Opfer zu bringen?

Nunnez. Ich hab' es bereits dem Himmel gebracht, in der tödtlichen Krankheit, der ich 50 entgangen bin. Ein Dominicaner hat mich die Poesie abschwören machen, als einen Zeitvertreib, der zwar nicht sündlich ist, aber dennoch vom rechten Pfade der Weisheit ableitet.

Ich. Ich wünsche Dir dazu Glück, theurer Nunnez. Du hast daran sehr wohlgethan, doch hüte Dich vor dem Rückfall.

Nunnez (mit entschlossener Miene). O! den befahr' ich nicht im mindesten. Ich habe den festen Entschluß gefaßt, die Musen zu verlassen, und eben als Du zu mir in den Saal tratest, dichtet' ich mein ewiges Fahrtwohl an sie.

Ich. (kopfschüttelnd). Ich weiß nicht, Sennor Fabrizio, ob der Dominicaner und ich auf Deine Abschwörung bauen können; Du scheinst für diese gelehrte Jungfern zu sehr eingenommen.

Nunnez. Nichts minder denn das; ich habe alle die Bande zerrissen, die mich an sie fesselten; bin sogar noch weiter gegangen; ich verabscheue das Publicum, und das mit Fug. Es verdient nicht, daß es Autoren gibt, die ihm ihre Arbeiten widmen, und mich würd' es ärgern, ein Product hervorzubringen, das ihm behagte. Glaube ja nicht, Lieber, daß Verdruß mir diese Sprache einflößt; ich rede jetzt kalten Bluts mit Dir. Das Zugejauchze des Publicums ist mir so verächtlich als dessen Gezische. Man weiß nicht, wer bey ihm gewinnt oder verliert. Es ist ein Aprilkopf, der heute so, morgen wieder anders denkt. 51

Wie thöricht die Dramatiker, die sich auf ihre Stücke brüsten, wenn sie Beyfall gefunden haben! So viel Aufsehen sie auch in ihrer Neuheit machen, erhalten sie sich doch selten nach dem Druck, und zwanzig Jahre nachher auf's Theater wiedergebracht, thun sie auch da meistentheils schlechten Effect. Die gegenwärtige Generation zeiht die vorige eines schlechten Geschmacks, und ihre Urtheile werden von der folgenden geradezu verworfen.

Das hab' ich stets bemerkt, und daraus schließ' ich, Schriftsteller, die jetzt beklatscht werden, können sicher darauf rechnen, in der Folge ausgezischt zu werden. Der nähmliche Fall ist mit den Romanen und andern amüsirenden Schriften, die herauskommen; obwohl sie anfänglich durchgängig Beyfall finden, so sinken sie doch allmählig in Verachtung. Sonach ist die Ehre, die man wegen eines glücklichen Erfolg gehabten Werkes erhält, blosse Schimäre, Verstandestäuschung und Strohfeuer, dessen Rauch bald in den Lüften verfleugt.

Ob ich gleich urtheilte, der Asturische Poet spräche so nur aus übler Laune, so stellt' ich mich doch nicht als merkt' ich es. Ich freue mich ungemein, sagt' ich, daß Dir die Schöngeisterey zum Ekel geworden, und daß Du von der Schreibewuth von Grundaus geheilt bist. Du kannst darauf rechnen, daß ich Dir in Kurzem ein Amt verschaffen werde, worin Du reich 52 werden kannst, ohne großen Aufwand von Deinem Genie zu machen.

Um so bessers rief er. Mich stinkt der Witz an, und ich halt' ihn jetzt für die unseligste Gabe, die der Himmel den Menschen geben kann. Möchtest Du doch immer so denken, lieber Fabrizio, erwiederte ich. Beharrst Du auf dem Vorsatze, die Poesie fahren zu lassen, so wiederhohl' ich mein Versprechen, ich werde Dir bald einen anständigen und einträglichen Posten verschaffen. Eh' ich Dir diesen Dienst leiste, setzt' ich hinzu, indem ich ihm eine Börse mit sechzig Pistolen reichte, bitt' ich Dich, dieß kleine Merkmahl meiner Freundschaft anzunehmen.

O edler Freund! rief der Sohn des Barbiers Nunnez, vor Freud' und Erkenntlichkeit ganz ausser sich, wie viel Dankopfer hab' ich nicht dem Himmel zu bringen, daß er Dich in dieß Hospital geführt! Durch Deinen Beystand will ich es noch heute verlassen.

Er ließ sich auch in der That sogleich aus selbigem fort, und nach einer ausmöblirten Stube bringen. Eh' wir uns aber trennten, zeigt' ich ihm meine Wohnung an, und bath ihn, zu mir zu kommen, sobald er hergestellt seyn würde.

O dreymahl seliger Gil Blas, sagte er, dessen Loos es ist, den Ministern zu gefallen. Ich ergetze mich an Deinem Glücke, weil Du davon so guten Gebrauch machst. 53

 


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