Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Viertes Kapitel.

Gil Blas wird vom Minister nach Toledo gesandt.

Einen ganzen Monath durch hatte der Minister Tag für Tag zu mir gesagt: Santillana, die Zeit nähert sich, da ich von Deiner Geschicklichkeit Gebrauch machen werde; und diese Zeit kam nicht. Endlich kam sie, und Se. Exzellenz liessen sich folgendermaßen gegen mich heraus:

Man sagt, unter der Toledischen Schauspielergesellschaft befände sich eine junge Actrise, deren Talente viel Aufsehen machen. Sie soll, behauptet man, göttlich singen und tanzen, die Zuschauer gänzlich durch ihre Declamation 104 hinreissen; man versichert sogar, sie sey schön. Ein solches Frauenzimmer verdient wohl am Hofe zu erscheinen. Der König ist ein Freund der Komödie, des Tanzens und Singens; ihm muß nicht das Vergnügen geraubt werden, eine Person von so seltnen Verdiensten zu sehen und zu hören. Sonach bin ich entschlossen, Dich nach Toledo zu senden, um zu beurtheilen, ob es in der That eine so bewundernswürdige Schauspielerinn ist; ich werde mich an den Eindruck halten, den sie auf Dich gemacht hat, und mich gänzlich auf Deinen Geschmack verlassen.

Ich antwortete dem Minister, daß ich nicht ermangeln würde, ihm hiervon den unverfälschtesten Bericht abzulegen, machte mich reisefertig, und nahm bloß einen Bedienten vom Minister mit, der einen Ueberrock anlegen mußte, um meine Reise so wenig auffallend wie möglich zu machen. Dieß gefiel Sr. Exzellenz sehr. Ich nahm also den Weg nach Toledo, und als ich daselbst angekommen war, stieg ich in einem Wirthshause nicht weit vom Schlosse ab.

Kaum hatt' ich den Fuß auf die Erde gesetzt, als der Wirth, der mich unstreitig für einen Landjunker hielt, zu mir sagte: Vermuthlich kommt Ihro Gnaden hierher, um das stattliche Autodafé zu sehen, das morgen soll gehalten werden. Ich bejahte dieß, weil ich es für rathsamer fand, ihn dieß glauben zu lassen, 105 als ihm zu fragen Anlaß zu geben, was mich eigentlich nach Toledo führte. Sie werden, nahm er wieder das Wort, eine der schönsten Prozessionen sehen, die je ist gehalten worden. 'S sind über hundert Gefangene dabey, heißt's, von denen mehr als zehen verbrannt werden sollen.

Den folgenden Tag hört' ich, noch vor Sonnenaufgang, alle Glocken in der Stadt läuten, wodurch man dem Volke zu verstehen gab, das Autodafé würde seinen Anfang nehmen. Begierig dieß Schreckensfest zu sehen, dem ich noch nie beygewohnt hatte, kleidete ich mich hastig an, und begab mich nach dem Inquisitionsgebäude. Nebenan, und in den Straßen, durch welche die Prozession gehen sollte, standen Schaugerüste, auf deren einem ich für mein Geld einen Platz bekam.

Nicht lange, so sah ich das Inquisitionspanier wehen, ihm folgten die Dominicaner, und unmittelbar darauf die traurigen Schlachtopfer, die das heilige Amt an diesem Tage opfern wollte. Diese Unglückliche gingen je einer, barhaupt und barfuß, mit einer Kerz' in der Hand, und seinen GevatterGevattern »nennt man alle diejenigen, welche der Großinquisitor zur Begleitung der Gefangenen im Autodafé erwählt, und die für deren Entrinnung haften müssen.« – D. Uebers. zur Seite. Einige dieser armen Sünder trugen SanbenitosSanbenito, »eine Art von großem Scapulier, das aus zwey langen Streifen von gelbem Zeuge besteht, auf welchem vorn und hinten ein großes rothes Andreaskreuz befindlich ist, das ehemals Personen, die von der Inquisition wieder entlassen wurden, zum Zeichen gefährlicher Lehre oder Sitten, tragen mußten.« – D. Uebers., und andre CarochasCarochas, »zuckerhutförmige Papiermütze, mit Flammen und Teufelsgestalten über und über bemahlt, welche die von der Inquisition Verdammten tragen müssen.« – D. Uebers..

Indem ich ganz aufmerksam diese bedauernswürdige Geschöpfe voll Mitleid betrachtete, das ich bestmöglichst verbarg, bange, man möcht's 106 mir zum Verbrechen auslegen, so glaubt' ich unter den Beschandmützen den wohlehrwürdigen Pater Hilario, und seinen Spießgesellen, den Bruder Ambrosio, zu erkennen. Sie kamen so dicht bey mir vorbey, daß es unmöglich war, sich in ihnen zu irren.

Was seh' ich, sagt' ich zu mir selbst! Müde des verruchten Lebens dieser beyden Erzbuben, hat sie die Vorsicht dem strafenden Arme der heiligen Inquisition überliefert. Bey diesen 107 Gedanken fühlt' ich einen kalten Schauer mir über den Nacken laufen, mir bebte jedes Glied, und alle meine Sinnen wurden so wirre, daß eine Ohnmacht nicht weit war. Meine Bekanntschaft mit diesen Spitzbuben, unser Stückchen zu Xelva, kurz alles, was wir mit einander verübt hatten, stellte sich mir diesen Augenblick vor Augen, und ich bildete mir ein, Gott nicht genugsam danken zu können, daß er mich vor dem Sanbenito und den Carochas bewahrt hatte.

Nach vollendeter Ceremonie kehrt' ich nach meinem Wirthshause zurück, noch zitternd an jedem Gliede über das gräßliche Schauspiel; allein die Trauerbilder, die meine Seele anfüllten, zerstreuten sich unmerklich, und ich dachte an weiter nichts, als darauf, wie mein Auftrag auf's beste zu besorgen sey. Mit Ungeduld harrt' ich, bis es Zeit war, in die Komödie zu gehen, weil ich damit beginnen zu müssen glaubte. Sobald die Stunde da war, begab ich mich in's Schauspielhaus, woselbst ich neben einem Alcantararitter zu sitzen kam.

Sennor, sagt' ich zu ihm, darf sich wohl ein Fremder unterstehen, Ihnen eine Frage vorzulegen? Sie werden mich dadurch sehr beehren, antwortete er. Man hat mir die hiesige Gesellschaft sehr gerühmt, fuhr ich fort. Ist sie's werth? Die Truppe ist in der That nicht schlecht, versetzte der Ritter; sie hat sogar einige 108 ungemein geschickte Mitglieder; unter andern ein Mädchen von vierzehn Jahren, die Sie erstaunen wird; die schöne Lukrezia. Ich werde nicht nöthig haben, sie Ihnen zu zeigen, wenn sie auftritt; Sie werden sie gar leicht von selbst herausfinden.

Ich fragte den Ritter, ob sie heute spielen würde. Das würde sie, gab er zur Antwort, und hätte sogar eine sehr glänzende Rolle in dem heutigen Stücke.

Die Komödie begann, und es erschienen zwey Schauspielerinnen, die nichts verabsäumt hatten, was sie reitzend machen konnte; doch ungeachtet des Nimbus, den Toilett', Diamanten und Schneider um sie herzogen, nahm ich keine von beyden für die, welche ich erwartete. Der Ritter von Alcantara hatte mir Lukrezie'n so treffend gemahlt, daß ich sie nicht verkennen konnte. Endlich trat dieß schöne Mädchen aus dem Hintergrunde der Bühne hervor, und ihr Hervortreten wurde durch ein langwieriges und allgemeines Händeklatschen verkündigt.

Ah! da ist sie! rief ich bey mir selbst. Was für ein edles Wesen! Welche Grazie! Welch ein schönes Auge! Was für ein zauberisches Mädchen! Sie befriedigte mich nicht nur, sondern machte den lebhaftesten Eindruck auf mich. Bey den ersten Versen, die sie recitirte, fand ich Natur, Leben, und eine weit über ihre Jahre hinausgehende Einsicht. Gern brachten ihr 109 meine Hände den Zoll, den die ganze Versammlung das Stück durch ihr entrichtete.

Nun, sagte der Ritter, Sie sehen, wie Lucrezie beym Publicum steht. Mir erstaunt dieß nicht, versetzt' ich.

»Es würde Sie's noch weniger, wenn Sie sie singen gehört hätten. Es ist eine wahre Sirene! Weh' denen, die sie hören, ohne sich Ulysses Vorsicht bedient zu haben! Ihr Tanz ist nicht weniger furchtbar; ihre Füße, so zauberisch wie ihre Stimme, entzücken das Aug', und erobern die Herzen.«

Wenn dem so ist, rief ich, muß ich gestehen, es ist ein Wundergeschöpf. Welcher glückliche Sterbliche hat denn das Vergnügen, sich um eines so liebenswürdigen Mädchens willen zu Grunde zu richten?

»Einen erklärten Liebhaber hat sie nicht, und selbst die Verleumdung wagt's nicht, ihr eine geheime Intrike aufzubürden. Gleichwohl könnte sie deren haben, denn Lucrezie steht unter der Aufsicht ihrer Tante Stella, die ohne Widerspruch eine der verschmitztesten unter allen Komödiantinnen ist.«

Beym Nahmen Stella fiel ich dem Cavalier schnell in's Wort, um ihn zu fragen, ob sich diese Stella unter der hiesigen Gesellschaft befände?

»Wohl Sennor! und ist eine der besten. Heute hat sie nicht gespielt, und wir haben 110 dabey nicht gewonnen. Sie macht gemeiniglich die Soubretten; ein Fach, das nicht besser besetzt werden kann, als durch sie. Was für Leben und Geist ist in ihrer Action! Vielleicht ein wenig zuviel! Doch dieß ist ein guter Fehler, den man gern verzeiht!«

So erzählte mir der Ritter Wunderdinge von dieser Stella; und nach dem Porträt, das er mir von ihr machte, zweifelt' ich nicht, daß Stella, Laura sey, die nehmliche Laura, von der ich so oft in meiner Geschichte gesprochen habe, und die ich in Granada zurückließ.

Um meiner Sache gewisser zu werden, ging ich nach Ende des Stücks hinter's Theater. Ich fragte nach Stella'n, und da ich meine Augen nach ihr herumstreifen ließ, fand ich sie in der Garderobe, wo sie sich mit Cavalieren unterredete, die sich vielleicht nur darum mit ihr in's Wort liessen, weil sie Lucrezie'ns Base war. Ich näherte mich, um ihr mein Compliment zu machen, sey's aber nun aus Laune, oder um mich für meine schleunige Abreise aus Granada zu bestrafen, genug sie stellte sich, als ob sie mich nicht kennte, und nahm meine Höflichkeiten mit so trocknem Wesen an, daß ich ganz ausser Fassung gebracht wurde.

Anstatt ihr lachenden Mundes ihre frostige Aufnahme zu verweisen, war ich Dummkopf genug, mich darüber zu erzürnen; ich ging sogar voller Ungestüm fort, und beschloß in meinem 111 Zorn, den folgenden Tag nach Madrid zurückzukehren.

Um mich an Laure'n zu rächen, sagt' ich, will ich nicht, daß ihre Nichte die Ehre haben soll, vor dem Könige zu erscheinen. Zu dem Ende darf ich dem Minister von Lucrezie'n nur ein Porträt machen, wie mir's gefällt; darf ihm nur sagen: sie tanzt schlecht, hat eine quiekende Stimme, und all' ihre Reitze bestehen lediglich in ihrer Jugend, und ich bin versichert, Se. Excellenz werden die Lust verlieren, sie an den Hof zu ziehen.

Das war die Rache, die ich an Laure'n, wegen ihres Betragens, zu üben gesonnen war, allein mein Unwille war nicht von langer Dauer. Den folgenden Morgen, als ich Anstalten zur Abreise traf, trat ein kleiner Bedienter in meine Stube, und sagte zu mir: Dieß Billet hier soll ich dem Sennor de Santillana einhändigen. Der bin ich, mein Kind, gab ich zur Antwort, nahm das Briefchen, öffnete es, und fand darin folgende Worte: »Vergessen Sie die Art, wie Sie gestern in der Garderobe sind empfangen worden, und folgen Sie Ueberbringern dieses, wohin er Sie führt.«

Ich ging sofort mit dem kleinen Bedienten, der mich unfern dem Schauspielhause in ein sehr schönes Gebäude führte, woselbst ich in einem der prächtigsten Zimmer Laure'n an ihrer Toilette fand. 112

Sie stand auf, um mich zu umarmen, und sagte: Ich weiß wohl, Sennor Gil Blas, daß Sie nicht Ursache haben, mit meinem gestrigen Empfange zufrieden zu seyn; ein alter Freund wie Sie, war zu einer freundlichern Bewillkommung berechtigt, ich muß Ihnen aber zu meiner Entschuldigung sagen, ich war in der übelsten Laune von der Welt. Eben als ich Sie erblickte, gingen mir gewisse Lästerreden im Kopfe herum, die einer von unsrer Gesellschaft auf Rechnung meiner Nichte gehalten, für deren Ehre ich mich mehr interessire, als für meine eigne.

Ihr schnelles Hinweggehen, fuhr sie fort, ließ mich plötzlich meine Zerstreuung bemerken, und in eben dem Augenblick sandt' ich Ihnen meinen kleinen Bedienten nach, um Ihre Wohnung zu wissen, des Vorsatzes, meinen Fehler heute wieder gut zu machen.

»Er ist's bereits, theure Laura! Nichts weiter davon. Lassen Sie uns lieber einander erzählen, was sich seit dem unglücklichen Tage mit uns zugetragen hat, da ich, bange vor gerechter Strafe, mich über Hals über Kopf, aus Granada gesputet habe. Ich ließ Sie, wenn Sie Sich noch erinnern, in einer ziemlich grossen Verlegenheit, woraus Sie Sich ohne Zweifel werden gezogen haben. Allein, gestehen Sie's nur, ungeachtet Ihres Geistes, ist es Ihnen nicht allzuleicht geworden. Nicht wahr, Sie mußten alle Ihre Geschicklichkeit 113 zusammennehmen, um Ihren Portugiesischen Liebhaber zu besänftigen?«

Nichts weniger denn das! versetzte Laura, weißt Du denn nicht, daß in dergleichen Falle die Mannspersonen so schwach sind, daß sie unterweilen den Weibern sogar die Mühe sparen, sich zu rechtfertigen.

Ich behauptete, fuhr sie fort, gegen den Marques von Marialva, Du wärest mein Bruder. Verzeihen Sie, Sennor de Santillana, wenn ich noch so vertraut mit Ihnen rede; ich kann aber die alten Gewohnheiten nicht ablegen.

Ich muß Dir also sagen, ein Bißchen Unverschämtheit half mir durch. Sehen Sie nicht, sagt' ich zum Portugiesen, daß Eifersucht und Rache das ganze Gespinst gemacht haben? Narcissa meine Kameradinn, bitterböse, mich ganz ruhig ein Herz besitzen zu sehen, das ihr entgangen ist, hat mir diesen Streich gespielt. Ich verzeih' ihn ihr, denn es ist einem eifersüchtigen Weibe nichts natürlicher, als sich rächen. Sie hat den Unterlichtputzer bestochen, und dieser, um ihre Rache zu unterstützen, hat die Unverschämtheit gehabt, zu sagen, er habe mich zu Madrid als Arsenie'ns Kammerfrau gesehen. Keine größere Unwahrheit als die!

Die Witwe des Antonio Coello hat stets zu hohe Gesinnungen gehabt, als daß sie bey einem Theaterfrauenzimmer hätte in Dienste 114 gehen sollen. Zudem so erhellt die Falschheit dieser Beschuldigung und das Complot meiner Ankläger, aus dem jählingen Verschwinden meines Bruders, der, wenn er noch hier zur Stelle wäre, alle diese Verleumder zu Schanden machen würde; allein Narcissa wird sich ohne Zweifel eines neuen Kniffs bedient haben, ihn über die Seite zu bringen.

Obwohl diese Gründe zu meiner Rechtfertigung nicht hinlänglich waren, so hatte dennoch der Marques die Güte, sich an selbigen zu begnügen, und dieser kindgute Herr blieb immer der Alte gegen mich, verließ mich nicht eher, als bis er von Granada abreiste, und nach Portugal zurückkehrte. Seine Abreise folgte der Deinigen ziemlich nah' auf dem Fuß, und Zapata's Weib hatte das Vergnügen, mich den Liebhaber verlieren zu sehen, den ich ihr entrissen.

Ich blieb nachher noch einige Jahre zu Granada; als aber in der Folge Spaltungen unter unserer Truppe entstanden, (welches sich denn wohl unterweilen bey uns zuträgt) so gingen wir insgesammt auseinander, die nach Sevilla, jene nach Cordua, und ich begab mich nach Toledo, woselbst ich mich seit zehn Jahren mit meiner Nichte Lucrezie aufhalte, die Du gestern Abend hast spielen sehen, weil Du in der Komödie gewesen bist. 115

Ich konnte mich bey diesen Worten nicht des Lachens erwehren. Laura fragte mich nach dessen Ursache. Sollten Sie die nicht errathen, sagt' ich zu ihr. Sie haben weder Bruder noch Schwester, folglich können Sie nicht Lucrezie'ns Base seyn, überdieß, wenn ich so die Zeit nachrechne, die seit unsrer letzten Trennung verflossen ist, und diese Zeit mit dem Gesichte Ihrer Nichte zusammenhalte, so dünkt mich, könnten Sie wohl noch näher mit ihr verwandt seyn.

Ich verstehe Sie, Herr Gil Blas, erwiederte Don Antonio's Witwe, ein wenig erröthend. Ah! Sie können rechnen wie ein Chronolog! Ihnen kann man kein X für's U machen. Ich gesteh Ihnen also: Lucrezie ist die Tochter des Marques de Marialva; eine Frucht unsers Bündnisses, ich kann Dir's nicht länger bergen.

Wie sauer Ihnen das ankommen muß sagt' ich, meine Prinzessinn, mir dieß Geheimniß zu offenbaren, nachdem Sie mir Ihre Liebeleyen mit dem Verwalter von dem Zamorischen Hospitale anvertraut haben. Ich muß Ihnen noch mehr sagen, fuhr ich fort, Lucrezie ist ein Frauenzimmer von so ausgezeichneten Verdiensten, daß Ihnen das Publicum für das Geschenk nicht genugsam danken kann, das Sie ihm damit gemacht haben. Es wäre zu wünschen, daß Ihre Colleginnen selbigem nur eben so gute Geschenke machten. 116

Sollte ein schalkischer Leser, dem die VieraugengesprächeVieraugengespräche. Dieser Ausdruck scheint mir ein Tête à tête sehr füglich bezeichnen zu können, versteht sich für die vertrauliche Schreibart. So wie bey Augendiener, ein Wort, das Herr Adelung sehr mit Unrecht verwirft, das aber die Hagedorne und Lessinge in Dienst und dadurch gegen alle Kritteleyen in Schutz genommen haben, und das der Herr Prof. Heinaz vertheidigt, die Präposition vor zu verstehen ist, so wie Augengespräch, ein Gespräch mit den Augen bedeutet, so ist hier das Vorwort unter weggelassen worden. – A. d. Uebers. einfallen, die ich mit Laure'n zu Granada hielt, als ich beym Marques de Marialva Secretär war, auf den Argwohn kommen, ich könnte diesem Herrn die Ehre, Lukrezien's Vater zu seyn, vielleicht streitig machen, so muß ich zu meiner Schande gestehen, daß dieser Argwohn nichts weniger denn gegründet ist.

Ich legte hierauf Laure'n von meinen hauptsächlichsten Abenteuern, und von der gegenwärtigen Lage meiner Umstände Rechnung ab. Sie hörte meine Erzählung mit einer Aufmerksamkeit an, die mir zu erkennen gab, daß ihr selbige nicht gleichgültig sey.

Freund Santillana, sagte sie, als ich fertig, war, Ihr spielt, wie ich sehe, eine ganz 117 artige Rolle auf dem Theater der Welt: Ihr könnt nicht glauben, wie sehr mich dieß entzückt. Wenn ich mit Lucrezie'n nach Madrid kommen werde, um sie beym Prinzlichen Theater anzubringen, wag ich's, mir zu schmeicheln, daß sie an dem Sennor de Santillana einen mächtigen Beschützer finden wird.

Daran zweifeln Sie gar nicht, gab ich zur Antwort, Sie können darauf zählen; ich kann Ihnen dieß versprechen, ohne zuviel Zutrauen zu meiner Macht zu haben.

Ich würde Sie beym Wort nehmen, versetzte Laura, und morgen mit nach Madrid reisen, hielte mich nicht der Contract ab, den ich mit dieser Truppe geschlossen habe. Ein Befehl von Hofe kann selbigen null und nichtig machen, erwiedert' ich, und das nehm' ich über mich; noch eher als in acht Tagen sollen Sie selbigen erhalten. Ich mache mir ein Vergnügen daraus, Lucrezie'n den Toledern zu entführen; eine so artige Schauspielerinn ist für den Hof gemacht, gehört uns von Rechtswegen zu.

In eben dem Augenblicke, da ich diese Worte gesagt, trat Lucrezie in's Zimmer. Ich glaubte die Göttinn Hebe zu sehen, so hold und niedlich däuchte sie mir. Sie war eben aufgestanden, und ihre natürliche Schönheit, glänzend ohne Beyhülfe der Kunst, stellte dem Auge den entzückendsten Gegenstand dar. 118

Kommt, liebe Nichte, sagte ihre Mutter zu ihr, und bedankt Euch bey diesem Herrn für den guten Willen, den er gegen uns hat. Es ist einer von meinen alten Freunden, der am Hofe in großem Credit steht, und uns allen Beyden bey dem Prinzlichen Theater anhelfen will. Diese Rede schien dem kleinen Frauenzimmer zu gefallen; sie machte mir einen tiefen Knix, und sagte mit einem bezaubernden Lächeln zu mir:

Ich danke Ihnen ergebenst, Sennor, für Ihre gütige Gesinnungen, ich weiß aber nicht, ob ich dabey wohl fahren werde. Sie wollen mich einem Publicum entreissen, das mich liebt, sind Sie auch sicher, daß ich dem Madridter nicht mißfalle? Vielleicht werd' ich beym Wechsel verlieren. Ich erinnere mich, von meiner Tante gehört zu haben, sie habe Schauspieler in der einen Stadt mit dem größten Beyfall, und in der andern mit dem größten Schmach und Spott überhäuft gesehen; dieß macht mir bange. Hüten Sie Sich, mich der Verachtung des Hofes und Sich dessen Vorwürfen bloß zu stellen.

Schöne Lukrezie, versetzt' ich, das haben wir Beyde nicht zu besorgen. Ich fürchte vielmehr, daß Sie unter unsren Titulados Zwist verursachen werden, indem Sie aller Herzen entflammen. Die Besorgniß meiner Nichte, sagte Laura, ist gegründeter, als die Ihrige, doch hoff' ich, daß alle beyde vergeblich seyn werden. Kann gleich Lucrezia mit ihren Reitzen wenig 119 Aufsehen machen, so ist sie doch nicht so schlechte Actrise, daß sie verachtet werden sollte.

In dem Tone schwatzten wir noch eine Zeitlang fort, und aus all dem, was Lukrezia zu der Unterredung herschoß, fand ich, daß sie ungemein viel Kopf habe. Endlich nahm ich von diesen beyden Damen Abschied mit der Betheurung: sie sollten unverzüglich einen Befehl von Hofe erhalten, nach Madrid zu kommen.

 


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