Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Neuntes Kapitel.

Scipio kommt aus Neuspanien zurück, und durch Gil Blas in die Dienste des Don Enrique's. Wie sich dieser junge Herr bildet, an wen er vermählt, und wie Gil Blas ganz wider Willen in den Adelstand erhoben wird.

Noch war ich mit der Einrichtung von Don Enrique's Hauswesen nicht völlig zu Rande, als Scipio aus Mexiko zurückkam. Ich fragte ihn, ob er mit seiner Reise zufrieden sey.

»Dazu hab' ich alle Ursach. Ausser dreytausend Ducaten bar, hab' ich an Waaren für 144 zweymahl soviel mitgebracht, und Waaren, die sich hier zu Lande gut absetzen lassen.«

»Viel Glücks dazu, mein Kind! So wär' dann der Grundstein zu Deiner zeitlichen Wohlfahrt gelegt, und nun kommt's auf Dich an, das ganze Gebäude aufzuführen, wenn Du künftiges Jahr nach Westindien zurückkehren willst; ziehst Du aber einen guten Posten zu Madrid der Beschwerlichkeit vor, in so ferne Lande zu ziehen, und da Dir Vermögen zu erwerben, so darfst Du's nur sagen; ich kann dir einen schaffen.«

»O Potzstern! Da braucht's keines langen Bedenkens! Ich will lieber ein gutes Aemtchen bey Ihrer Sennoria haben, als mich von neuem den Gefahren einer langwierigen Schifferey aussetzen, könnt' ich auch noch so viel Pfeifen in dem Rohre dort schneiden. Belieben Sie Sich nur deutlicher über den Punct herauszulassen, lieber Herr. Was für eine Art Dienst haben Sie denn Ihrem Knecht eigentlich zugedacht?«

Um ihm alles in's Klare zu setzen, erzählt' ich ihm die sonderbare Geschichte des jungen Herrn, den der Graf-Herzog in das Haus der GuzmansGuzmans. Wir müssen den von Herrn Campe vorgeschlagenen Niedersächsischen Plural auf s nothwendig für die vertrauliche Sprechart annehmen. Lessing hat sich desselben bereits bedient und seine Minna sagt: In die Tellheims bin ich nun einmahl vernarret. Wie steif, wie geziert würden die Tellheime nicht geklungen haben, gerade wie hier die Guzmane oder gar, wie mein Vorgänger hat, die Guzmänner. Bloß dieß, nicht übertriebene Vorliebe für die Niedersächsische Mundart, deren ihn ein Recensent der allgemeinen Litteraturzeitung beschuldigt, bewog Lessingen den Niedersächsischen Plural zu gebrauchen. – A. d. Uebers. eingeführt hatte; sagte ihm 145 sodann, ich sey von dem Minister zum Gouverneur des Don Enrique's ernannt worden, und sey gesonnen, ihn zu dessen Kammerdiener zu machen.

Scipio, der's nicht besser verlangte, nahm diesen Posten gern an, und stand selbigem so gut vor, daß er in weniger denn drey oder vier Tagen sich das Zutrauen und die Gewogenheit seines neuen Herrn erwarb.

Ich hatte mir vorgestellt, daß all die Lehrer, die ich zum Unterrichte des Sohnes der Genueserinn angenommen hatte; leeres Stroh dreschen würden, daß er zu alt sey, um an Kopf und Körper gebildet werden zu können; nichtsdestoweniger hatt' ich mich geirrt. Er begriff und behielt alles, was man ihm 146 beybrachte, ganz leicht, und seine Meister insgesamt waren ungemein mit ihm zufrieden.

Mit dieser guten Bothschaft rannt' ich in freudiger Eile zum Graf-Herzog, der sie mit ausserordentlichem Vergnügen anhörte. Santillana, rief er, im vollen Ausbruch der Freude: Du entzückst mich mit der Nachricht, daß Don Enrique gutes Gedächtniß und Scharfsinn hat. Ich erkenn' in ihm mein Blut, und was mich vollends überzeugt, daß er mein Sohn sey, ist, daß ich so viel Zärtlichkeit für ihn fühle, als hätt' ich ihn mit meiner Gemahlinn erzielt. Du siehst hieraus, mein Freund, daß sich die Natur offenbart.

Ich nahm mich sehr in Acht, gegen den Minister zu äussern, was ich davon dachte, und ließ ihm, aus Schonung gegen seine Schwachheit, das Vergnügen, sich Vater vom Don Enrique zu glauben.

Obgleich alle Guzmans gegen diesen neugebackenen Grafen einen tödtlichen Haß hegten, so verbargen sie selbigen aus Politik; einige von ihnen gingen in der Verstellung so weit, daß sie sich um seine Freundschaft bemühten. Die dazumahl zu Madrid befindlichen Abgesandten und Grandes besuchten ihn, und erwiesen ihm all' die Ehrenbezeigungen, die sie dem rechtmässigen Sohne des Graf-Herzogs hätten leisten müssen. Entzückt, seinem Abgotte so Weihrauch streuen zu sehen, säumte der 147 Minister nicht, ihn mit Würden auszuschmücken. Er begann damit, daß er vom Könige sich das Alcantara-Kreuz für ihn ausbath, mit einer Commenturey von zehntausend Thalern. Kurz darauf macht' er, daß er Kammerjunker ward; als er hierauf den Entschluß gefaßt hatte, ihn zu verheirathen, und ihm eine Dame aus dem edelsten Hause Spanien's zu geben Willens war, warf er seine Augen auf Donna Juanna de Velasco, Tochter des Herzogs von Castilien, und hatte Ansehen genug, diese Heirath, trotz dem Herzog und seinen Anverwandten, durchzusetzen.

Einige Tage vor dieser Vermählung sagte der Minister, der mich hatte hohlen lassen, indem er mir einige Papiere gab: Hier, Gil Blas, ein neues Geschenk für Dich, das, wie ich hoffe, Dir nicht unangenehm seyn wird; ein Adelsbrief, den ich Dir habe ausfertigen lassen. Gnädiger Herr, erwiederte ich, über diese Worte nicht wenig bestürzt, Ihro Excellenz wissen, daß ich der Sohn einer Duenna und eines Escudero bin. Mich unter den Adel aufnehmen, heißt meines Bedünkens selbigen prostituiren, und unter allen Gnadenbezeigungen, die mir Se. Majestät erweisen kann, ist das diejenige, die ich am wenigsten verdiene und wünsche.

Deine Geburt, versetzte der Minister, ist ein leicht zu hebendes Hinderniß. Du hast 148 unter dem Ministerium des Herzogs von Lerma, und unter dem meinigen mit Staatsangelegenheiten zu thun gehabt; hast Du nicht überdem, fuhr er lächelnd fort, dem Monarchen Dienste geleistet, die eine Belohnung verdienen? Mit Einem Worte, Santillana, Du bist der Ehre nicht unwerth, die ich Dir habe erzeigen wollen; überdieß erfordert der Rang, den Du bey meinem Sohne bekleidest, daß Du von Adel bist; ein Grund, wogegen sich nichts einwenden läßt. Ich muß Dir sogar gestehen, daß ich Dir bloß dieserhalb den Adelsbrief verschafft habe.

Weil Ihro Excellenz es schlechterdings so wollen, sagt' ich, so leg' ich Hand auf den Mund. Mit diesen Worten steckt' ich mein Parent in die Tasche, und begab mich fort.

Jetzt bin ich also Edelmann, sagt' ich zu mir selbst, als ich auf der Straße war, und das, ohn' es meinen Aeltern zu verdanken! Ich kann mich nunmehr Don Gil Blas nennen lassen, und lacht einer meiner alten Bekannten mich darüber in die Zähne aus, wenn ich so titulirt werde, so kann ich ihm über mein Don Brief und Siegel geben. Muß doch aber einmahl sehen, fuhr ich fort, indem ich das Pergament aus der Tasche zog, wie man der schmutzigen Sache einen feinen gleissenden Anstrich gegeben. 149

Sonach las ich mein Patent, dessen Hauptinhalt folgender war: Ihro Majestät, der König, haben den Gil Blas, in Rücksicht seiner, sowohl Ihro Majestät selbst, als auch dem Staate geleisteten vieljährigen treuen Dienste, in den Adelstand zu erheben allergnädigst geruhet. Ich kann es zu meinem Ruhme sagen, daß ich dadurch nicht im mindesten hoffärtig wurde. Da ich stets meine niedrige Abkunft vor Augen behielt, demüthigte mich diese Ehre mehr, als sie mich ausblieb. Auch nahm ich mir fest vor, mein Patent in meinen Pult einzuschliessen, ohne mich jemahls des Besitzes davon zu berühmen.

 


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