Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zehntes Kapitel.

Gil Blas begegnet von Ungefähr dem Dichter Nunnez, der ihm von einem bald aufzuführenden Trauerspiel sagt, das er verfertigt hat. Wie unglücklich sein Stück ausfällt, und wie glücklich er dadurch wird.

Der Minister begann sich wiederum zufrieden zu geben, und ich folglich wieder guter Laune zu werden. Als ich eines Abends spazierenfahren wollte, stieß ich auf den Asturischen Dichter, den ich nicht wiedergesehen, seit er sich aus dem Hospitale hatte tragen lassen. Er war sehr sauber gekleidet. Ich rief ihn in meinen Wagen, und so fuhren wir zusammen nach der St. Hieronymo-Wiese.

Sennor Nunnez, sagt' ich zu ihm, ein Glück für mich, Ihnen so von ungefähr begegnet zu seyn, sonst würd' ich wohl schwerlich das Vergnügen gehabt haben, Sie . . . . 64

»Keine Vorwürfe, Santillana, ich muß Dir treuherzig gestehen, daß ich mit allem Bedacht nicht zu Dir gekommen. Die Ursache davon ist die: Du versprachst mir einen guten Posten, wofern ich der Poesie völlig entsagte, und ich habe einen einträglichen gefunden, mit dem Bedinge, ferner zu dichten. Da letzteres meiner Neigung entsprechender war, hab' ich ihn angenommen. Einer meiner Freunde hat mich beym Don Bertran Gomez del Ribero, dem Schatzmeister der königlichen Galeeren, angebracht. Dieser Don Bertran, der einen schönen Geist in Sold haben wollte, zog mich fünf bis sechs andern Schriftstellern vor, die sich um die Secretariatsstelle bey ihm bewarben, weil meine Versification ihm ungemein behagt hatte.«

»Ich bin hierüber höchst erfreut, trauter Fabrizio. Vermuthlich ist dieser Don Bertran sehr reich?«

»So reich, sagt man, daß er selbst nicht weiß, wieviel er hat. Was ich denn an seinen Ort gestellt seyn lassen will. Meine Geschäfte nun anlangend, so bestehen sie in folgenden. Da er den Galantom zu spielen sucht, und für einen witzigen Kopf gelten will, so steht er mit vielen sehr geistreichen Damen in Correspondenz, und ich leih' ihm meine Feder zur Verfertigung von Billets, die voller Salz und Anmuth sind; schreib' an die eine in Versen, und an die andre 65 in Prose, und überbring' diese Billette unterweilen selbst, um die Mannigfaltigkeit meiner Talente recht einleuchten zu machen.«

»Du erwähnst aber nicht das, was ich am meisten zu wissen begierig bin. Wirst Du für Deine epigrammatischen Briefe und Brieflein gut bezahlt?«

»Ueberschwenglich; zwar sind nicht alle Reiche freygebig, wie ich denn selbst welche kenne, die Erzknicker und Knauser sind, allein Don Bertran handelt sehr edel mit mir. Ausser zweyhundert Pistolen stehendes Gehalts erhalt' ich unterweilen kleine Geschenke von ihm, wodurch ich in den Stand gesetzt werde, auf großen Fuß zu leben, und meine Zeit mit einigen Schriftstellern zu vergeuden, die so wie ich geschworne Sorgenhasser sind.«

»Hat Dein Schatzmeister auch Geschmack genug, die Schönheiten eines geistreichen Werks und dessen Mängel einzusehen?«

»Nichts weniger denn das. Ein betäubender Schwätzer ist er wohl, ein Krittler und SchnittlerSchnittler. Dieser Ausdruck bedeutet nach Herrn Heinsens Erklärung (s. den October des Mercurs v. 1776. S. 16) »in verschiedenen Provinzen und durchgängig zumahl im Thüringerwalde, einen Menschen, dem nichts völlig recht ist, der die jungen Bäume so lange putzt und ausschneidet, bis daß sie keine Schönheit mehr haben, und verdorren müssen.
    Herr Heinse sagt angeführten Ortes, Schnittler ist das echte vaterländische Wort für Krittler, und darin kann ich ihm unmöglich Recht geben. Es ist längst völlig erwiesen, daß Letzteres weit höhern Ursprungs, echt Celtisch ist, folglich gewiß vaterländisch, auch ist's in Niedersachsen noch sehr üblich. Sonach verdient es nicht durch Schnittler verdrängt zu werden, so wenig wie dieses um jenes willen, muß verstoßen werden Krittmann, Krittler und Schnittler sind Synonymen, die meines Bedünkens sich folgendermaßen von einander unterscheiden. Krittmann bezeichnet, sobald man es auf gelehrte Sachen anwendet, einen echten Kritiker, einen Aristarchen, Krittler, einen Afterkritiker, der viel schikanöse Einwürfe und Tadeleyen hervorbringt, und Schnittler ein dergleichen Geschöpf, das aber beständig die Feile in der Hand an den Rädern der wohleingerichtet'sten Maschine feilt und feilt, bis sie ganz verfeilt und verstumpft ist, um sodann mit Jubelgeschrey ausrufen zu können: Seht doch, wie mißgebaut diese Maschine ist. Wie stumpf all' ihr Räderwerk! Sie befindet sich in der gänzlichsten Zerrüttung. Gesellen dieses Schlages, die alle Feinheiten und Schönheiten in den Werken des Witzes so behandeln, wie eben gesagt worden ist, und dann in ihren jämmerlichen Stumpfsinn darüber radotiren und türlüpiniren, findet man unter den schönwissenschaftlichen Recensenten der allgemeinen deutschen Bibliothek, der ältern sowohl als der neuern, vollauf. Wie diese literarische Ohnehosen ehemahls unsern vortrefflichen Wieland begeiferten, so machen sie es noch jetzt mit dem liebenswürdigen Lafontaine und andern unserer guten Köpfe. – A. d. Uebers.
, aber kein Krittmann. 66 Dessenungeachtet spielt er den TarpaTarpa (Spurius Metius). »Er war der angesehenste von den fünf kritischen Commissaren, welche in Rom dazu bestellt waren, alle dramatische Stücke zu untersuchen, eh' sie auf's Theater gebracht werden durften. Diese Censurcommission hielt ihre Zusammenkünfte im Tempel des Palatinischen Apoll's, wo sie wahrscheinlicherweise zu thun genug hatten, allen den Poeten Gehör zu geben, die sich daselbst einfanden, um ihnen ihre Werke vorzulesen und ihren richterlichen Ausspruch zu erwarten. Aus einem Briefe des Cicero an Marius (ad Famil. VII. 1) im Jahre 699. geschrieben, ist zu schliessen, daß dieser Metius oder Mäcius schon damahls bestellter öffentlicher Schauspielcensor war; aber die Art, wie Cicero sich über ihn ausdrückt, erweckt keine so vortheilhafte Meinung von seinem Geschmack, als uns Horaz in seiner Epistel an die Pisonen von ihm giebt. Das sehr schmeichelhafte Compliment, das ihm dieser Dichter daselbst macht, klingt so:
        Doch, wenn Du jemahls etwas schreiben solltest,
        Laß Tarpa's Ohr, und deines edeln Vaters
        und meines Richter seyn.
    Cicero hingegen läßt sich an dem ebengezeigten Orte folgendergestalt aus: Während daß Du (auf seinem Landgute) den Tag nach Deinem eignen Beliehen hinbringen konntest, mußten wir ausdauern, was dem Spurius Mäcius gefallen hatte. Nobis perpetiundum erat, quae Sp. Maecius probavisset. Der Verfolg zeigte, daß die Rede von Theaterstücken ist, und zwar von denen, womit das neuerbaute Amphitheater des Pompejus eingeweiht wurde. Es scheint aber durch jenen ganzen Brief die üble Laune eines Zuschauers durch, der nicht mit dem Willen gekommen war, sich etwas wohlgefallen zu lassen. Cicero persifflirte gern bey solchen Gelegenheiten, und stand damahls nicht so gut mit dem Pompejus, um seiner Neigung zum Spotten große Gewalt anzuthun. Auch ist zu vermuthen, daß Mäcius damahls noch ein ziemlich junger Mann gewesen, und daß die scheinbare Verachtung des Cicero mehr der Jugend, als dem schlechten Geschmacke des Kunstrichters gelte.« – D. Uebers.
; entscheidet mit dreister Stirn, und behauptet seine Meinung in 67 so hohem Tone und mit so vieler Hartnäckigkeit, daß man oft, wenn man mit ihm im Strauß 68 ist, die Segel vor ihm streichen muß, um einen Hagel von unhöflichen Ausdrücken zu vermeiden, den er auf seine Widersprecher regnen zu lassen pflegt.«

Du kannst Dir leicht vorstellen, fuhr Nunnez fort, daß ich's auf's geflissentlichste vermeide, ihm je zu widersprechen, so vielen Anlaß er mir auch dazu gibt; denn ausser den 69 höflichen Beynahmen, denen ich schlechterdings nicht entgehen würde, könnt' er mich gar zur Thür hinausweisen. Sonach billig' ich aus Klugheit alles, was er lobt, so wie ich auch alles mißbillige, was ihm mißfällt. Durch diese mir gar wenig kostende Gefälligkeit, und durch die Kunst, die ich besitze, mich nach dem Character aller derer zu modeln, die mir frommen können, hab' ich mir die Achtung und Freundschaft meines Patrons erworben. Er hat mich beredet, ein Trauerspiel zu dichten, wozu er mir die Idee gegeben. Ich hab' es unter seinen Augen verfertigt, und findet es Beyfall, so werd' ich einen Theil meines Ruhms seinem Rath und seinen Winken zu danken haben.

Ich fragte unsern Dichter nach dem Titel des Stücks. »Es heißt der Graf Saldagne. Dieß Stück wird in drey Tagen auf dem Prinzlichen Theater vorgestellt werden.« Ich wünsch' ihm großen Beyfall, erwiederte ich, und ich habe von Deinem Genie eine zu gute Meinung, um nicht selbigen zu hoffen. Ich hoff' es wohl, versetzte er; allein keine Hoffnung ist trügrischer, als Autorhoffnung! Nichts ungewisser, als der Erfolg eines dramatischen Gedichts. Täglich fällt er gegen die Erwartung aus.

Endlich kam der Tag der Vorstellung; ich konnte nicht in's Schauspielhaus gehen, weil ich eben Amtsverrichtungen hatte, die mich 70 schlechterdings daran verhinderten. Alles, was ich thun konnte, war Scipio'n hineinschicken, um wenigstens noch am nähmlichen Abend das Schicksal eines Stücks zu erfahren, für welches ich mich interessirte. Nachdem ich auf meinen Secretär mit höchster Ungeduld gelauert hatte, sah ich ihn mit einer Miene zurückkommen, woraus ich keine gute Vorbedeutung zog.

»Nun, wie ist der Graf Saldagne vom Publicum aufgenommen worden?« Matrosenhaft genug: Nie hat man ein Stück grausamer gemißhandelt. Ich verließ das Schauspiel äusserst aufgebracht über die Unverschämtheit des Parterrs.

»Und ich bin es über die Wuth des Nunnez, zu dramatisiren! Der rasende Mensch. Er muß Sinn und Verstand verloren haben, daß er das beschimpfende Zischen und Pochen der Zuschauer dem glücklichen Loose vorzieht, das ich ihm machen kann.«

So zog ich aus Freundschaft gegen den Asturischen Poeten los, und kränkte mich über den Fall seines Stücks, indeß er darüber frohlockte. Zwey Tage nachher kam er zu mir ganz ausser sich vor Freude. Ich muß Dir das Entzücken mittheilen, worin ich mich befinde, rief er. Ich habe mein Glück gemacht, mein Freund, indem ich ein schlechtes Stück verfertigt. Du weißt, wie artig das Publicum den Grafen Saldagne aufgenommen hat. Alle 71 Zuschauer haben um die Wette daraus losgetobt, und eben dieser allgemeinen Toberey hab' ich das Glück meines Lebens zu danken.

Ich erstaunte nicht wenig, als ich den Poeten Nunnez so reden hörte, Fabricio, sagt' ich, sollte Dich der Fall Deines Stücks wirklich zu einer so unmäßigen Freude berechtigen können?

Ohn' allen Zweifel, antwortete er. Ich habe Dir bereits gesagt, daß Don Bertran viel von dem Seinigen in mein Stück verwebt hat, folgliches ganz vortrefflich fand. Es kränkte ihn nicht wenig, zu sehen, daß die Zuschauer darüber ganz anders dachten und empfanden, als er. Nunnez, sagte er diesen Morgen zu mir, Victrix causa Diis placuit sed victa Catoni. Hat Dein Stück dem Publicum mißfallen, so gefällt's dagegen mir, und das muß Dir hinlänglich seyn. Um Dich über den schlechten Geschmack zu trösten, der in unserm Jahrhunderte herrscht, weis' ich Dir zweytausend Thaler jährliche Einkünfte auf meine Güter an. Wir wollen sogleich zum Notar gehen, damit er das Instrument darüber anfertigt. Gesagt, gethan; der Schatzmeister unterzeichnete den Schenkungsbrief, und zahlte mir das erste Jahr zum voraus . . . . .

Ich wünschte Fabricio'n zum unglücklichen Schicksale des Grafen Saldagne Glück, weil es zum Besten des Dichters ausgeschlagen 72 war. Hast wohl Recht, fuhr er fort, mir hierüber ein Compliment zu machen; weißt Du wohl, daß mir kein größer Glück hätte widerfahren können, als dem Parterr zu misfallen. Wie glücklich ich bin, nach Noten ausgepocht worden zu seyn! Hätte mich das geneigtere Publicum mit seinem hochgeneigten Beyfalle beehrt, wozu hätte mir dieß geholfen? Zu nichts. Zu einer herzlichen mittelmäßigen Summe für meine Arbeit, anstatt daß das Auszischen und Pochen mich auf lebenslang in einen behäglichen Zustand versetzt hat.

 


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