Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Funfzehntes Kapitel.

Was sich nach des Graf-Herzogs Tode auf dem Schlosse zutrug, und was für einen Entschluß Santillana ergriff.

Der Minister ward begraben, so wie er es befohlen hatte, ohn' alles Aufsehen, in dem Kloster der Dominicanernonnen. Die Herzoginn ließ sodann das Testament vorlesen, womit alle Domestiken zufrieden zu seyn Ursache hatten. Ein jeder von ihnen erhielt eine seiner bisher bekleideten Stelle angemessene Summe, und das geringste Vermächtniß bestand aus zweytausend Thalern. Das meinige war das beträchtlichste unter allen. Der Minister hinterließ mir zehntausend Pistolen, zum Beweise der vorzüglichen Zuneigung, die er für mich gehegt hatte. Er vergaß die Hospitäler nicht, und stiftete in verschiedenen Klöstern Seelenmessen. 174

Die verwitwete Frau Herzoginn sandte alle ihre Domestiken nach Madrid, um sich ihre Vermächtnisse von dem Intendanten, Raimon Caporis, auszahlen zu lassen, der dazu Befehl hatte; ich konnte nicht mit; ein heftiges Fieber, die Frucht meiner Betrübniß, hielt mich sieben bis acht Tage im Schlosse zurück. Während dieser Zeit verließ mich der Dominicanermönch nicht. Dieser wackere Geistliche hatte mich liebgewonnen, und da er sich für mein ewiges Wohl interessirte, fragte er mich, als er mich wiedergenest sahe: was ich nun werden wollte?

»Ich weiß selbst nicht, ehrwürdiger Vater; noch bin ich darüber nicht mit mir eins; manchmahl giebt's Augenblicke, in welchen ich Lust habe, mich in eine Zelle einzuschliessen, und daselbst Buße zu thun.«

»Eingebungen des Himmels! deren Sie Sich zu Nutze machen sollten, Sennor de Santillana. Ich rathe Ihnen als Freund, sich in irgend ein Kloster zu begeben, zum Exempel in das unsrige zu Madrid. Sie brauchen deßhalb nicht Clericus zu werden; werden Sie ein Wohlthäter unsers Convents, indem Sie ihm Ihr ganzes Vermögen schenken, und sterben Sie allda in dem Ordenshabit des heiligen Dominicus. Auf die Art haben schon Viele ihr zu weltliches Leben verbüßt.« 175

In der Stimmung, worin gegenwärtig mein Geist war, fand ich nichts empörendes in dem Rathe des Religiosen, und gab ihm zur Antwort, ich woll' es überlegen. Als ich aber Scipio'n hierüber zu Rathe zog, der kurz nach dem Mönchen zu mir kam, lehnt' er sich sehr gegen diesen Gedanken auf, der ihm eine Patientengrille däuchte.

Pfuj doch, Sennor de Santillana, sagte er zu mir, kann Ihnen wohl ein dergleichen Aufenthalt behagen? Ist der aus Ihrem Schlosse zu Lirias nicht weit angenehmer, und hat's Ihnen ehemahls dort wohlgefallen, so werden Sie die daselbst befindlichen Annehmlichkeiten jetzt noch besser geniessen, da Sie in einem Alter sind, worin die Schönheiten der Natur mehr Eindruck auf Sie machen können.

Coscoline'ns Sohn ward es nicht sauer, mich umzustimmen. Mein Freund, sagt' ich zu ihm, Du behältst über den Pater die Oberhand. Ich seh' nun in der That ein, daß ich besser thun werde, nach dem Schlosse zurückzukehren, und bey dem Entschluß soll's Bewenden haben. Wir wollen zurück nach Lirias, sobald ich mich im Stande befinde, mich auf den Weg machen zu können.

Dieß geschah auch in Kurzem; denn nachdem mich das Fieber verlassen hatte, fand ich mich bald stark genug, diesen Entschluß 176 auszuführen. Scipio und ich gingen nach Madrid. Der Anblick dieser Stadt machte mir nicht mehr so viel Vergnügen wie ehemahls. Da ich wußte, daß beynahe alle Einwohner derselben das Andenken eines Mannes verabscheuten, der mir ewig theuer und unvergeßlich blieb, so konnt' ich dieser Stadt nicht gewogen seyn; auch hielt' ich mich nur fünf bis sechs Tage daselbst auf, binnen welchen Scipio Anstalten zu unsrer Abreise nach Lirias traf. Unter der Zeit ging ich zum Caporis, der mir mein Vermächtniß in Dublonen auszahlte. Auch besucht' ich die Einnehmer bey den Commentureyen, auf welche ich Pensionen angewiesen bekommen hatte; mit ihnen traf ich wegen künftiger Hebung derselben Abrede, mit Einem Wort, ich brachte meine sämmtlichen Angelegenheiten in Ordnung.

Den Tag vor unsrer Abreise fragt' ich Coscoline'ns Sohn, ob er vom Don Enrique Abschied genommen habe. Diesen Morgen, antwortete er, und zwar als gute Freunde, indeß äusserte er, es sey ihm verdrießlich, daß ich ihn verliesse; wenn er aber mit mir zufrieden war, war ich's gar nicht mit ihm. Es ist nicht genug, daß der Diener dem Herrn gefällt, der Herr muß auch dem Diener gefallen, sonst können sie nicht gut mit 'nander stallen. 177

Ueberdieß, fuhr er fort, macht Don Enrique jetzt eine erbärmliche Figur bey Hofe, ist in die äusserste Verachtung gesunken; man zeigt auf den Straßen mit Fingern auf ihn, und nennt ihn nicht anders, als den Bankert der Genueserinn. Nun urtheilen Sie einmahl, ob es einem Manne von Ehre lieb seyn kann, bey einem Manne ohne Ehre zu dienen.

Mit Anbruch der Morgenröthe reisten wir endlich an einem schönen Tage von Madrid ab, und nahmen den Weg nach Cuenca. Unser Zug geschah in folgender Ordnung. Voran kam ich nebst meinem Secretär in einer Schäse mit zwey durch einen CalesseiroCalesseiro, der Eigner einer Kalesche, die er auf Reisen vermiethet und selbst führt. Ein Mehreres von diesen Leuten im Anhange. – A. d. Uebers. geführten Mauleselinnen; unmittelbar darauf drey Maulesel mit unsern Sachen und Gelde beladen, von zwey Stallknechten geführt; und den Schluß machten zwey große Bedienten, von Scipio ausgesucht, die Mauleselinnen ritten, und bis zu den Zähnen herauf bewaffnet waren. Die Stallknechte führten Säbel, und der Calesseiro zwey tüchtige Pistolen an seinem Sattel.

Da unser Sieben waren, worunter Sechsen das Herz gewiß am rechten Orte saß, macht' ich 178 mich ganz fröhlich auf den Weg, ohn' meiner Vermächtnisses halber bange zu seyn. In den Dörfern und Flecken, durch welche wir kamen, schüttelten unsre Maulesel hochmüthiglich ihre Schellen; die Einwohner rannten an ihre Thüren, um den Zug vorbeyziehen zu sehen, der ihres Bedünkens wenigstens einem Grand gehörte, welcher von einer Virreyschaft Besitz nehmen wollte.

 


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