Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zehntes Kapitel.

Gil Blas begegnet nochmahls Fabrizio'n, und zwar zum letztenmahle; wovon sie sprachen, und was für eine wichtige Nachricht Nunnez dem Santillana gab.

Der Asturische Dichter, wie man bereits bemerken müssen, kümmerte sich wenig um mich, besuchte mich gar nicht, und mich verhinderten meine Geschäfte, zu ihm zu gehen. Auf die Art hatt' ich ihn seit dem Tage nicht gesehen, da über die Euripidische Iphigenie controvertirt wurde. Das Ungefähr bracht' ihn mir 150 wieder bey dem Sonnenthor in den Wurf. Er kam aus einer Druckerey. Ich ging mit den Worten auf ihn los Hoho! bey einem Buchdrucker gewesen, Sennor Nunnez: Wie's scheint, werden Sie die Welt ehestens mit einem neuen Werke heimsuchen?

Fabrizio. Sie kann in der That dessen gewärtig seyn. Ich muß Dir sagen, ich habe mir's einfallen lassen, eine Broschüre zu schreiben, die jetzt unter der Presse ist, und in der Gelehrtenrepublik großes Aufsehen machen wird.

Ich. An dem Werthe Deines Products zweifl' ich nicht im mindesten, aber darüber erstaun' ich, daß Du Dich mit Broschürenschreiben abgibst; durch dergleichen, dünkt mich, erlangt man nicht viel Ehre.

Fabrizio. Bisweilen gibt's auch gute Sachen darunter, und zu denen gehört auch meine Broschüre, wiewohl sie in äusserster Hast gemacht worden. Denn ich muß Dir gestehen, sie ist ein Kind der Noth. Hunger, weißt Du wohl, treibt den Wolf aus dem Wald.

Ich. Wie? der Hunger! So spricht der Verfasser des Grafen Saldagne zu mir? Kann das ein Mann, der jährlich zweytausend Thaler Einkünfte hat?

Fabrizio. O! mein Freund, jener glückliche Dichter bin ich nicht mehr, der eine richtig ausgezahlte Pension besaß. Urplötzlich ist 151 ein entsetzlicher Hurliburli mit dem Don Bertran und seinem Vermögen vorgegangen; er hat die königlichen Gelder angegriffen und vergeudet, all' seine Güter sind in Beschlag genommen worden, und meine Pension ist zu allen Teufeln.

Ich. Traurig! und ist Dir von der Seite alle Hoffnung benommen?

Nunnez. Alle! Sennor Gomez de Ribero ist jetzt so bettelarm, wie sein ehemahliger Hausdichter, ist ganz herunter, und wird nie wieder emporkommen.

Ich. Auf dem Fuß, Freund, muß ich Dir irgend einen Posten zu verschaffen suchen, der Dich über den Verlust Deiner Pension trösten kann.

Nunnez. Der Mühe überheb' ich Dich. Böthest Du mir auch eine Stelle in irgend einem Departement, auch mit einem Gehalte von dreytausend Thalern jährlich an, ich schlüge sie aus. Ein königlicher Officiantendienst entspricht nicht der Neigung eines Jüngers der Pierinnen. Ich bedarf literarischer Beschäftigungen. Kurz, ich bin geboren als Dichter zu leben und zu sterben, und ich will mein Loos erfüllen. Im Uebrigen bilde dir nicht ein, daß wir unglücklich sind. Ausserdem, daß wir uns in der völligsten Unabhängigkeit befinden, sind wir harmloseHarmlos. Bloß des Mißbrauchs wegen führ' ich dieß Wort an, den einige neuere Schriftsteller damit gemacht haben. Sie suchen ihm die Bedeutung des Englischen harmless aufzupfropfen, die sein Stamm gar nicht tragen kann; denn er hat nie wie das Englische harm Schaden, Nachtheil, sondern blos Gram bezeichnet, folglich kann das von ihm entstehende Beywort nimmermehr etwas anderes bedeuten, als gramlos. – A. d. Uebers., 152 frohherzige Geschöpfe, man glaubt, daß wir oft Demokrit's Mahle halten, und man irrt sich. Keiner von meinen Mitbrüdern, die Kalenderschreiber sogar nicht ausgenommen, der nicht irgend in einem guten Hause seinen Tisch hätte; ich habe zwey Häuser, wo ich immer für mich gedeckt finde; bey einem schmerbauchigen Director der Ferme, dem ich einen Roman dedicirt habe, und bey einem reichen Madridter Bürger, der die Raserey hat, stets schöne Geister an seinem Tische zu verlangen, zum guten Glück ist er nicht eben sehr kiessätigKiessätig, äusserst eklen Geschmacks; es kommt, wie man bereits aus der Schreibart entnehmen kann, von kiesen, wählen her, und bedeutet eigentlich so satt, daß man zu kiesen anfängt. Ein Wort, das seines Nachdrucks wegen dem Volke entrissen, und im eigentlichen sowohl, als uneigentlichen Sinn' in die Büchersprache eingeführt zu werden verdient. – A. d. Uebers., und so 153 liefert ihm die Stadt deren soviel, als er nur verlangt.

Ich. Sonach hör' ich auf Dich zu beklagen, da Du mit Deinem Zustande zufrieden bist. Dem sey nun aber wie ihm wolle, ich betheure Dir von neuem, Du hast in Gil Blas einen Freund in der Noth, so sehr du auch seinen Umgang vernachlässigst. Bedarfst du Geld, so komm dreist zu mir. Raub' Dir nicht durch unzeitige Scham eine unfehlbare Hülfe, und entreiß mir nicht das Vergnügen, mich Dir zu verpflichten.

Nunnez. An dieser großmüthigen Gesinnung erkenn' ich Dich, Santillana, und ich sage Dir tausendfachen Dank für Deine gütige Gesinnung gegen mich. Aus Erkenntlichkeit muß ich Dir einen heilsamen Wink geben. Nutze die Zeit, in der der Graf-Herzog noch alles vermag, und Du noch seine Gunst besitzest; eile, Deine Schäfchen in's Trockne zu bringen, denn dieser Minister steht, wie man sagt, gewaltig auf der Kippe.

Ich. Hast du das aus guter Hand?

Nunnez. Von einem alten Calatraver-Ritter, der eine ganz besondere Gabe besitzt, die geheimsten Dinge zu entdecken. Ein Mann, den man wie ein Orakel anhört. Gestern hört' ich ihn sagen: der Graf-Herzog hat eine große Menge Feinde, die sich insgesammt vereinigen, ihn zu stürzen. Er rechnet zu sehr 154 darauf, daß er des Königs Herz in Händen hat; allein dieser Fürst, munkelt man, beginnt bereits auf die Beschwerden zu hören, die seinetwegen bis zu ihm gelangen.

Ich dankte dem Nunnez für seinen Wink, den ich aber auf die leichte Achsel nahm, und ging in der festen Ueberzeugung nach Hause, daß die Macht meines Herrn unerschütterlich sey, und sah ihn als eine von jenen alten Eichen an, die so tiefe Wurzeln in einem Walde geschlagen haben, daß kein Sturmwind sie niederzureissen vermag.

 


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