Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Sechstes Kapitel.

Lukrezie macht bey Hofe großes Aufsehn, und spielt in Gegenwart des Königs, der in sie verliebt wird. Was daraus folgt.

Der Debüt dieser beyden neuen Schauspielerinnen machte bey Hofe bald Aufsehen; den 124 folgenden Tag wurde beym Levé des Königs davon gesprochen. Einige Titulados rühmten zumahl die junge Lukrezia, und machten ein so schönes Porträt von ihr, das dem Könige sehr auffiel; doch verbarg er den Eindruck, den ihre Reden auf ihn gemacht hatten.

Indeß, sobald er sich mit dem Graf-Herzog allein befand, fragte er ihn, wer denn die Actrise sey, von der so viel Rühmens gemacht würde. Eine junge Komödiantinn aus Toledo, antwortete ihm der Minister, die gestern Abend das hiesige Theater zum erstenmahl mit vielem Beyfall betreten hat.

Sie heißt Lukrezie, fuhr er fort, ein Nahme, der für Personen ihres Standes ungemein gut paßt. Sie ist eine Bekannte vom Santillana, der mir so viel Gutes von ihr gesagt hat, daß ich's für rathsam gefunden habe, sie unter Ew. Majestät Truppe aufzunehmen.

Der König lächelte, wie er meinen Nahmen nennen hörte, vermuthlich erinnerte er sich in diesem Augenblicke, daß ich's gewesen, der ihm zu Catalina's Bekanntschaft verholfen hatte, und es ahndete ihm, daß ich bey dieser Gelegenheit ihm einen ähnlichen Dienst leisten würde. Graf, sagte er zu dem Minister, morgen will ich diese Lukrezie spielen sehen; ich trag' es Euch auf, ihr dieß zu wissen zu thun.

Nachdem der Graf-Herzog mir diese Unterredung wiedererzählt und des Königs 125 Gesinnung kund gethan hatte, sandt' er mich zu unsern beyden Schauspielerinnen, um ihnen solches zu berichten. Ich sputete mich zu ihnen hin. Ich habe Ihnen eine große Neuigkeit zu bringen, sagt' ich zu Laure'n, die mir zuerst aufstieß. Morgen werden Sie unsern Monarchen unter Ihren Zuschauern haben; der Minister hat befohlen, Sie hiervon zu unterrichten. Ich zweifle nicht, daß Sie sowohl, als Ihre Tochter, all' Ihre Kräfte anstrengen werden, sich der Ehre würdig zu machen, die Ihnen dieser Fürst erweisen will; ich rathe aber, ein Stück zu wählen, das mit Musik und Tanz untermischt ist, damit der Monarch all' die Talente bewundern kann, die Lukrezie besitzt.

Wir wollen Ihren Rath befolgen, antwortete Laura, pünktlichst befolgen, und es soll nicht an uns liegen, wenn Ihro Majestät nicht mit uns zufrieden sind. Das wird er, das muß er! sagt' ich, als ich Lukrezie'n in einem Nachthabit hereintreten sahe, das ihr mehr Reitze lieh, als die prächtigsten unter ihren Theaterkleidern. Er wird mit Ihrer liebenswürdigen Nichte um so zufriedner seyn, da er Tanz und Gesang vorzüglich liebt; er könnte wohl sogar in die Versuchung gerathen, ihr das Schnupftuch zuzuwerfen.

Das wünsch' ich nicht, erwiederte Laura, so ein mächtiger Monarch er auch ist, so möchten sich doch große Hindernisse der Erfüllung 126 seiner Wünsche entgegensetzen. Lukrezia, obgleich hinter den Kulissen erzogen, ist tugendhaft, und so viel Vergnügen sie daran findet, auf der Scene Beyfall einzuärnten, so will sie dennoch lieber für ein rechtschaffenes Mädchen, als für eine große Actrise gelten.

Liebe Tante, fiel die kleine Marialva in unser Gespräch, wozu schaffen Sie Sich Ungeheuer, um sie zu bekämpfen? Ich werde nie nöthig haben, die Liebkosungen des Königs zurückzuweisen; sein feiner Geschmack wird ihn vor den Vorwürfen sichern, die er verdiente, wenn er seinen Blick bis zu mir herabsenkte.

»Wenn sich aber nun der König wirklich an Sie heften, und zu seiner Geliebten wählen wollte, würden Sie grausam genug seyn, ihn wie einen Liebhaber von gewöhnlichem Schrote in Ihren Fesseln schmachten zu lassen?«

»Warum nicht? O unstreitig! und die Tugend jetzt bey Seite gesetzt, ich fühle, es würde meiner Eitelkeit mehr schmeicheln, seiner Leidenschaft widerstanden, als ihr Gehör gegeben zu haben.«

Einen Zögling von Laure'n so reden zu hören, erstaunte mich nicht wenig, und ich verließ diese Damen, indem ich die Letztere lobte, daß sie jener eine so gute Erziehung gegeben habe.

Den folgenden Tag begab sich der König in die Komödie, voller Ungeduld, Lukrezie'n zu sehen. Man gab ein Stück, das mit 127 Gesängen und Tänzen untermischt war, und worin unsere junge Actrise sehr hervorschimmerte. Vom Anfang an bis zu Ende hatt' ich mein Auge auf den Monarchen geheftet, und bestrebte mich aus selbigem seine Gedanken zu studiren; er brachte mich aber durch die ernste Miene, die er nicht ablegte, ganz von der Fährte ab. Nur erst den folgenden Morgen erfuhr ich, woran mir so zu wissen lag.

Santillana, sagte der Minister zu mir, eben hab' ich den König verlassen, der von Lukrezie'n mit so vieler Lebhaftigkeit sprach, daß ich nicht zweifle, er glüht für diese junge Schauspielerinn, und da ich ihm gesagt habe, Du hättest sie nach Madrid kommen machen, so hat er gegen mich geäussert, es wär' ihm lieb, wenn er sich mit Dir über den Punct insgeheim besprechen könnte. Geh sogleich, und zeige Dich vor der Thür seines Cabinetts; es ist bereits Befehl gestellt, Dich einzulassen. Eile und komm schnell wieder, um mir von Eurer Unterredung Nachricht zu geben.

Ich flog sogleich zum Könige, den ich allein fand. Er ging mit großen Schritten auf und ab, schien den Kopf voll zu haben, und that wegen Lukrezie'n verschiedene Fragen an mich, deren Geschichte er mir abnöthigte; hierauf fragte er mich, ob sie sich bereits in ein Liebesverständniß eingelassen gehabt. Kecklich 128 versichert' ich nein, so jachJach oder gach »schnell, eilfertig, hat auch noch die Nebenbedeutung der Unbedachtsamkeit, als welche mit der Eilfertigkeit und Hitze verbunden ist« (S. Wörterbuch am Logau.) Aus der Bücher- und aus der Umgangs-Sprache der Hochdeutschen hat sich's bis auf das Compositum davon, Jachzorn, ganz verloren; in Schwaben und in der Schweiz trifft man es noch in Schriften und hin und wieder in Reden. Billig sollte dieß Kraftwort mit seinen Abgeleiteten, worunter viele von großem Nachdrucke sind, wieder aufgenommen werden.
    Vorzüglich scheint mir die Redensart: mir ist gach wozu, die man so häufig in den schwäbischen Dichtern, und sogar noch im Logau findet, und die zur Ausdrückung des Empressement der Franzosen so bequem ist – die Verfasser des Glossariums an den Fabeln der Minnesinger erklären es durch vehemens animi Studium – der Wiedereinführung würdig, wenigstens für die Poesie. So eben hab' ich zu meinem größten Vergnügen im Nathan unter vielen andern zurückgerufenen, und nach Bill und Recht wiederangesetzten Exulanten, das gute Wort jach in seine alte Gerechtsame eingesetzt gefunden. (S. 263) Entsetz' es nun wieder, wer da kann! Wahrscheinlich wird dieß auch der Jemand wagen, der nichts wagen kann, nichts wagen sollte, weil seine plumpe Hand alles verdirbt, worein sie greift, sein Aug' alles links anglotzt, worein es sieht; Mutter Else – deren sich noch jeder aus dem zehnten Stück des Antigöz erinnern muß, – wird einen Versuch wagen, es samt all' den übrigen aus ihren Besitzungen herauszukeifen, so wie sie auch nicht unterlassen wird, den weisen guten Nathan so schief zu zeichnen, als ihr Gehirn, und so schwarz als ihr Herz ist. – A. d. Uebers.
es auch gehandelt ist, dergleichen Versicherungen von sich zu geben. Diese Behauptung schien dem Fürsten ungemein erfreulich zu seyn.

Wenn das ist, erwiederte er, so wähl' ich Dich zu meinem Agenten bey Lukrezie'n; ich will, sie soll durch Deinen Mund ihren Sieg erfahren. Geh', kündige ihr selbigen in meinem Nahmen an, und sag' ihr, ich bäthe sie, dieß Geschenk hier anzunehmen, bis ich ihr bessere Beweise meiner Liebe gebe. Mit diesen 129 Worten händigte er mir ein Schmuckkästchen ein, worin sich für mehr denn funfzigtausend Thaler Edelgesteine befanden.

Eh' ich mich meines Auftrages entledigte, ging ich zum Graf-Herzog, dem ich von dem, was mir der König gesagt hatte, treuen Bericht ablegte. Ich bildete mir ein, der Minister würde hierüber mehr unzufrieden, als erfreut seyn; denn ich glaubte, er habe verliebte Absichten auf Lukrezie'n, und würde folglich mit Verdruß vernehmen, daß der König 130 sein Nebenbuhler geworden sey; ich irrte mich aber mächtiglich. Anstatt ärgerlich zu werden, empfand er darüber so große Freude, daß er sie nicht bergen konnte, und ihm einige Worte entfuhren, die ich nicht auf die Erde fallen ließ.

O! Philip! jetzt hab' ich Dich, wohin ich Dich haben will! rief er. Nun soll Dir vor allen Geschäften ekeln! Diese Apostrophe entdeckte mir das ganze Manöver des Graf-Herzogs; ich ersah daraus, daß er aus Besorgniß, der junge Monarch möchte sich mit ernsthaften Dingen beschäftigen wollen, ihn durch Ergetzlichkeiten amüsiren wollte, die seinem Humor angemessener waren.

Santillana, sagte er hierauf zu mir, verlier ja keine Zeit! Richt' eilig den wichtigen Befehl aus, den man Dir gegeben, ein Befehl, auf den viele Cavaliere am Hofe stolz seyn würden, wenn sie ihn empfangen hätten. Bedenke, fuhr er fort, daß Du keinen Graf von Lemos hier hast, der Dir den besten Theil der Ehre des geleisteten Dienstes raubt; Du sollst sie ganz allein haben; und auch überdieß den ganzen Nutzen.

Auf die Art suchten mir Se. Exzellenz die Pille zu vergolden, die ich zwar leicht hinterschluckte, doch nicht ohne das Bittere derselben zu schmecken; denn seit meiner Gefangenschaft war ich gewohnt, alles und jedes aus einem 131 moralischen Gesichtspunct anzusehen, und ich fand das Amt eines Hauptmerkurs nicht so ehrenvoll, als man mir's ausgab; indessen, wenn ich nicht Bube genug war, es ohne Gewissensbisse zu übernehmen, so war ich doch zu wenig Biedermann, es auszuschlagen. Sonach gehorcht' ich dem Könige um so lieber, da ich zugleich einsah, wie angenehm mein Gehorsam dem Minister seyn würde, dem zu gefallen mein einziges Bestreben war.

Ich fand es für rathsam, mich anfänglich an Laure'n zu wenden, und hierüber insgeheim mich mit ihr zu unterreden, trug ihr die eigentliche Absicht meiner Gesandtschaft mit so schonenden Worten vor, als nur möglich, und um meiner Rede einen kräftigen Schwung zu geben, reicht' ich ihr das Schmuckkästchen. Beym Anblick des Geschmeides konnte die Dame ihre Freude nicht verbergen.

Sennor Gil Blas, rief sie, vor dem besten und ältesten meiner Freunde, vor Dir, lieber Junge, kann ich nicht häucheln. Ich thäte Unrecht, wenn ich gegen Dich die Strengzüchtlerinn spielen, und Zierereyen machen wollte.

Glaube sicherlich, fuhr sie fort, ich bin entzückt, daß meine Tochter eine Eroberung von solchem Belange gemacht hat; begreife hinlänglich, wie höchst vortheilhaft sie ist, besorge aber, unter uns gesagt, Lukrezie möchte sie mit 132 andern Augen ansehen als ich; obgleich Theaterfrauenzimmer, ist sie der Sittlichkeit so sehr ergeben, daß sie die Anträge von zwey liebenswürdigen und reichen Cavalieren von der Hand gewiesen hat.

Cavaliere waren dieß, wirst Du mir einwerfen, nicht Könige: Ich geb' es zu, und wahrscheinlicher Weise, wird die Gluth eines gekrönten Liebhabers ihre jungfräuliche Scham wegschmelzen; nichtsdestoweniger kann ich nicht umhin, Dir zu sagen, daß ich meine Tochter nicht zwingen werde. Wofern sie also diese Schmetterlingszärtlichkeit des Königs für nichts weniger denn Ehre, sondern für die höchste Schande hält, so muß dieser große Fürst es nicht ungnädig aufnehmen, wenn sie sich selbiger entzieht. Komm morgen wieder, da sollst Du erfahren, ob Du Sr. Majestät eine günstige Antwort, oder den Schmuck zurückbringen kannst.

Ich zweifelte gar nicht, daß Laura Lukrezie'n mehr aus ihrer Pflicht heraus, als herein ermahnen würde, und machte auf diese Ermahnung großen Staat. Nichtsdestoweniger erfuhr ich den folgenden Tag, Laura habe mehr Mühe gehabt, ihre Tochter auf den Weg des Bösen zu leiten, als andre Mütter ihre Kinder auf den Pfad des Guten. Das erstaunlichste aber war, daß Lukrezie, nachdem sie mit dem Monarchen einige geheime Unterhaltungen gepflogen hatte, so viel Reue empfand, sich 133 seinen Begierden überlassen zu haben, daß sie plötzlich die Welt verließ, und in das Kloster der Menschwerdung Christus ging, woselbst sie bald drauf krank ward, und vor Gram starb.

Laura konnte sich über den Verlust ihrer Tochter, den sie sich vorzuwerfen hatte, nicht zufrieden geben, und begab sich in das Kloster der Büßenden, um daselbst den frohdahingelebten Frühling und Sommer ihrer Tage zu beweinen.

Die unverhoffte Entfernung Lukrezie'ns rührte den König; da aber dieser junge Fürst nicht des Humors war, sich lange worüber zu betrüben, tröstete er sich allmählig. Was den Graf-Herzog anlangt, so war er über diesen Vorfall nicht wenig verdrießlich, wie sich der Leser leicht vorstellen kann; doch konnte man ihm dieß nicht im mindesten anmerken.

 


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