Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Vierzehntes Kapitel.

Der Graf-Herzog wird mit Einem Mahle melancholisch. Was daran Ursache war, und was für üble Folgen dieser Trübsinn hatte.

Um seinen Beschäftigungen mehr Mannigfaltigkeit zu geben, vertrieb sich der Minister unterweilen damit die Zeit, daß er in seinem Garten arbeitete. Eines Tages, als ich ihn bey dergleichen Arbeit antraf, sagte er schäkernd zu mir: Du siehst, Santillana, einen von Hof verbannten Minister zum Gärtner in Loeches geworden. Gnädiger Herr, erwiederte ich in eben dem Tone, mich dünkt, ich sehe Dionys von Syrakus als Schulmeister von Korinth. Mein Herr lächelte zu meiner Antwort, und war über die Vergleichung nicht unzufrieden.

Wir insgesammt im Schloße waren entzückt, unsern Herrn, erhaben über sein Unglück, Reitze in einem Leben finden zu sehen, das von seinem vorigen so sehr verschieden war, als wir mit Wehmuth bemerkten, daß er sich zusehends änderte, düster ward, staunte, und in eine tiefe Melancholie sank. Er spielte nicht mehr mit uns, und schien ganz fühllos bey allem, was wir ersannen, ihn aufgeräumt zu machen. Nach 169 dem Mittagsessen schloß er sich in sein Cabinett ein, worin er bis um Abend ganz allein blieb.

Wir bildeten uns ein, seine Traurigkeit käme von Rückerinnerung an seine vergangene Größe her, und schickten in der Meinung den Dominicaner hinter ihm an, der aber, ungeachtet seiner Beredsamkeit, die Melancholie des Ministers nicht zu besiegen vermochte; es schien mit selbiger immer mehr bergauf, als herunter zu gehen.

Zuletzt fiel mir's ein, daß des Ministers Betrübniß von einer ganz besondern Ursache herrühren müsse, die er nicht sagen wolle, und dieß brachte mich auf das Vorhaben, ihm sein Geheimniß zu entreissen. Zu dem Ende späht' ich auf den Augenblick, wo ich ohne Zeugen mit ihm reden konnte, und nachdem ich ihn gefunden hatte, sagt' ich zu ihm mit eben so ehrerbiethigem als liebreichen Wesen.

Darf Gil Blas sich unterstehen, seinem Herrn eine Frage vorzulegen?

Du darfst es. Sprich!

Wo die vergnügte Miene hin, die sonst Ihro Excellenz hatten? Sollten Sie nicht mehr wie ehemahls über Glück und Unglück hinweg seyn? Sollten Sie von neuem die verlorne Lieblingsschaft bedauern? Sich wiederum in jenen Abgrund von Bekümmernissen gestürzt haben, aus welchem die Religion Sie gezogen? 170

Nein, dem Himmel sey Dank! aus meinem Gedächtniß ist die Rolle völlig weggewischt, die ich am Hofe spielte, und ich hab' auf immer die Ehrenbezeigungen vergessen, die man mir dort erwies.

Wenn Sie so viel über Sich vermocht haben, gnädiger Herr, weßhalb sind Sie denn so schwach, und überlassen Sich einer Melancholie, die uns insgesammt auf's äusserste bekümmert?

Was fehlt Ihnen, mein theurer Herr, fuhr ich fort, und warf mich ihm zu Füßen, Sie haben unstreitig einen geheimen Kummer, der Ihnen das Herz abnagt. Können Sie daraus Santillana'n ein Geheimniß machen, dessen Verschwiegenheit, und Treuergebenheit Sie kennen? Durch welchen unglücklichen Zufall hab' ich Ihr Vertrauen eingebüßt?

Du besitzest es noch immer, ich muß Dir aber gestehen, es kommt mir schwer an Dir das zu entdecken, was die Traurigkeit veranlaßt, worin Du mich begraben siehst; gleichwohl kann ich mich nicht länger gegen die inständigen Bitten eines solchen Freundes und Dieners halten, wie Du. So erfahre denn, was mich so schrecklich peinigt; nur bloß Santillana'n kann ich mich entschliessen, dieß anzuvertrauen.

Ja, fuhr er fort, ich bin der Raub der schwärzesten Melancholie, die mich allmählig aufzehrt; ich seh' fast all' Augenblick ein Gespenst in schrecklicher Gestalt vor mir hintreten. Ich 171 mag immerhin zu mir sagen, es ist Blendwerk, ein Phantom, das nichts Wesentliches hat, so sind mir doch diese Erscheinungen ein Dorn im Aug' und machen mich voller Unruhe. Ist gleich mein Gehirn stark genug, um mich zu überzeugen, daß diese Erscheinungen bloßes Nichts sind, so bin ich doch auch schwach genug, mich über dieß Gesicht zu kränken. Das ist also der Grund meiner Melancholie, den Du mir abgenöthigt hast, urtheile nunmehr, ob ich Unrecht habe, wenn ich ihn gegen Jedermann zu verbergen suche.

Mit eben so viel Schmerz, als Erstaunen vernahm ich eine so ausserordentliche Sache, die eine Zerrüttung in der ganzen Maschine voraussetzte. Gnädiger Herr, sagt' ich zum Minister, sollte das nicht von dem wenigen Essen und Trinken herrühren, denn Sie gehen zu weit in der Diät. Das hab' ich anfänglich auch gedacht, versetzte er, und um einen Versuch zu machen, ob es daher käme, ess' ich seit einigen Tagen mehr als gewöhnlich, doch alles vergebens, das Phantom verschwindet nicht. Wird schon, versetzt' ich, um ihm Trost einzusprechen. Wenn sich nur Ihro Excellenz ein wenig zerstreuen, und wiederum mit Dero Dienern spielen wollten, so würden all' diese trüben Dünste sich zertheilen.

Kurz nach dieser Unterredung wurde der Minister krank, und da er merkte, daß die 172 Sache ernstlich ward, ließ er zwey Notare von Madrid hohlen, um sein Testament zu machen. Auch sandte er nach drey berühmten Aerzten, die im Ruf standen, unterweilen ihre Patienten herzustellen. Sobald die Ankunft der Letztern sich im Schlosse verbreitete, vernahm man überall nichts als Wehklagen und Seufzer und Stöhnen, so sehr war man hier gegen diese Herren eingenommen. Sie hatten einen Apotheker und einen Wundarzt mitgebracht, die gewöhnlichen Vollstrecker ihrer Vorschriften.

Erst liessen sie die Notare ihr Metje verrichten, und darauf bereiteten sie sich zu dem ihrigen. Da sie mit dem Doctor Sangrado einerley Grundsätze hatten, ordneten sie nach dem ersten Consilium Aderläß' auf Aderläß' an, so daß binnen sechs Tagen der Graf-Herzog ganz auf das Aeusserste gebracht war; am siebenten befreyten sie ihn von der gräßlichen Erscheinung.

Nach seinem Tode herrschte auf dem Schlosse die lebhafteste und ungeheucheltste Betrübniß. Alle seine Domestiken beweinten ihn bitterlich. Weit gefehlt, sich über den Verlust ihres Herrn durch die Gewißheit zu trösten, in seinem Testamente bedacht zu seyn, hätte vielmehr jeder unter ihnen herzlich gern sein Vermächtniß hingegeben, wenn er ihn dadurch wieder in's Leben bringen können. Ich meines Orts, den er am 173 meisten geliebt hatte, und der bloß aus Neigung am stärksten an ihn geknüpft gewesen war, empfand vielleicht mehr Betrübniß, als all' die Uebrigen, und ich zweifle fast, ob mir Antonie mehr Thränen gekostet hat, als der Graf-Herzog.

 


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