Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Eilftes Buch.

Erstes Kapitel.

Gil Blas auf dem Gipfel der Freude, und bald darauf im tiefsten Abgrund der Betrübniß. Wie man ihn aus selbigem zu reissen sucht.

Ich habe bereits gesagt, daß Antonie und Beatrix in bester Harmonie lebten. Letztere war es gewohnt, sich zofenmäßig zu fügen und zu schmiegen; und erstere gewöhnte sich gar leicht daran, die Gebietherinn zu machen. Wir beyde, Scipio und ich, waren zu brünstig liebende und zu brünstig geliebte Männer, als daß wir nicht bald das Vergnügen hätten haben sollen, Väter zu werden; die beyden Frauen wurden beynahe zu gleicher Zeit schwanger. Beatrix kam zuerst nieder, und brachte eine Tochter zur Welt, und meine Antonie wenige Tage darauf einen Sohn, wodurch sie uns insgesammt auf den Gipfel der Freude setzte. Entzückt, über einen so glücklichen Erfolg, sandt' ich 4 meinen Secretär mit dieser Nachricht um Governador nach Valencia.

Er kam mit Seraphine'n und der Marquese de Pliego nach Lirias, um die Kinder zur Taufe zu holen; denn er machte sich ein Vergnügen daraus, diesen Beweis seiner Gewogenheit den vielen beyzufügen, die ich bereits von ihm erhalten hatte. Mein Sohn, der den Nahmen Alphonso empfing, hatte diesen Herrn und die Marquese zu Pathen, und da die Gemahlinn des Governador's mich gern doppelt zu ihrem Gevatter haben wollte, hielt sie mit mir Scipio's Tochter zur Taufe, die den Nahmen Seraphine erhielt.

Nicht nur auf dem Schlosse war wegen der Geburt meines Sohnes Freude, sondern auch in ganz Lirias, dessen Einwohner sie durch Lustbarkeiten feyerten, die den Antheil zu erkennen gaben, welchen der ganze Flecken an dem Vergnügen seines Herrn nahm. Doch leider, ach! diese Freude dauerte nicht lange, oder besser zu sagen, wurde bald in Leid und Jammer verkehrt, und das durch einen Zufall, den mehr denn zwanzig Jahre mich nicht haben vergessen machen können, und der stets vor den Augen meines Gemüths schweben wird. Mein Sohn starb, und seine Mutter, so glücklich auch ihre Niederkunft gewesen war, gleich darauf; ein heftiges Fieber entriß mir meine treue Gattinn nach einer vierzehnmonathlichen Ehe. 5

Wo möglich, so denke sich der Leser den Schmerz, der mich ergriff, ganz zu Boden warf; ich fiel in eine Taubheit des Herzens und Sinnes; vor allzugroßem Gefühle des erlittenen Verlustes schien ich gegen selbigen fühllos. Fünf, sechs Tage lang verharrt' ich in diesem Zustande; wollte keine Nahrung zu mir nehmen, und ich glaube ohne Scipio'n wär' ich verhungert, oder wahnsinnig geworden. Doch fein wie er war wußt' er meinen Schmerz zu täuschen, indem er sich in selbigen fügte; er fand das Geheimniß, mir Kraftbrühen hinterzubringen, indem er sie mir mit so trostloser Miene reichte, daß es schien, er gäbe sie mir mehr meine Betrübniß zu nähren, als mein Leben zu fristen.

Dieser warm an mir hängende Diener benachrichtigte den Don Alphonso durch ein Schreiben von dem mir widerfahrnen Unglücke, und der mitleidenswürdigen Verfassung, worin ich mich befand. Dieser zärtliche und mitleidige Herr, dieser großmüthige Freund kam bald darauf nach Lirias. Des Augenblicks, in welchem er zu mir hereintrat, werd' ich mich nie ohne Rührung erinnern.

Mein trauter Santillana, sagte er zu mir, und umarmte mich, ich komme nicht her, um Euch zu trösten; ich will Antonie'n mit Euch beweinen, wie Ihr Seraphine'n mit mir würdet, hätte die Vorsehung sie mir entrissen. 6

Er vergoß in der That Thränen mit mir, und seine Seufzer mischten sich mit den meinigen. So zu Boden gedrückt ich auch von meiner Betrübniß war, konnt' ich doch nicht umhin, lebhaft von der Güte dieses Herrn durchdrungen zu werden.

Don Alphonso besprach sich lange mit Scipio'n über die Maßregeln, die zur Besiegung meines Schmerzens zu nehmen wären. Der Schluß ihrer Unterredung fiel dahin, man müsse mich eine Zeitlang von Lirias entfernen, wo ringsum alles mir Antonien's Bild unaufhörlich vor Augen stellte. Zu dem Ende that Don Cäsars Sohn mir den Vorschlag, nach Valencia mitzugehen, und mein Secretär unterstützt ihn so gut, daß ich diesen Vorschlag annahm. Ich ließ Scipio'n und seine Frau auf dem Schlosse, dessen Aufenthalt wirklich zu nichts weiter, als zur Vergrößerung meines Kummers diente, und reiste mit dem Governador ab.

Als ich zu Valencia war, sparten Don Cäsar und seine Schwiegertochter nichts, meinen Herzenskummer allmählig abzuleiten, brachten wechselseitig all' die Arten Zeitvertreib in Gang, die zu meiner Zerstreuung die dienlichsten waren: ungeachtet ihrer Sorgfalt aber blieb ich in einer Melancholie versenkt, woraus sie mich nicht ziehen konnten. Eben so wenig lag es an Scipio'n, daß ich meine 7 Gemüthsruhe nicht wieder erhielt, er kam oft nach Valencia herüber, um u sehen, wie's mit mir stände; und kehrte trauriger oder vergnügter nach Lirias zurück, je nachdem er mich weniger oder mehr zum Troste gestimmt fand.

Eines Morgens trat er in mein Zimmer, und sagte zu mir mit sehr bestürzter Miene: Sennor, es läuft ein Gerücht in der Stadt, das für das ganze Königreich von äusserstem BelangBelang, Erheblichkeit, Wichtigkeit. Dieß Wort ist noch in Kanzeleyen (keine so verächtliche Sprachfundgrube, wie wohl manche glauben) und in Niedersachsen im Gange. Hervorgesucht worden ist es folglich von Lessing nicht, (wie einer der Mitarbeiter an der Allgem. deutschen Bibliothek wähnt- B. XXV. St. 2. S. 507) da es in den Schutt und Graus der Obsoleten noch nicht gesunken war. Der Seitenhieb, den ebengedachter Kunstrichter daselbst auf diejenigen fallen läßt, die es nach Lessing gebraucht, ist sehr links ausgetheilt. Wozu bedient sich der classische Schriftsteller eines guten aber wenigüblichen oder ganz verworfenen Worts anders, als um es wieder in das Ansehen zu bringen, aus welchem es so unbefugt verdrängt worden ist? Wozu stellt er diesen Ausdruck gerad' in Schauspielen auf? Natürlich, um ihn so allgemein als möglich zu machen. Wird er nun das, so hat kein Griesgram von Krittler Ursache zu murren, noch so sich zu geberden, als verlange der Classiker Privilegium exclusivum für ein solches Wort. Nur das gemein werden muß der Kunstrichter zu verhüten suchen. Das ist aber mit diesem Ausdrucke wenigstens bis jetzt noch nicht der Fall, wiewohl man ihn hie und da gemißbraucht haben kann, welches, wie mir dünkt, auch in der Schrift geschehen ist, worüber mehrgedachter Recensent angeführtes Orts seine beitzende Lauge ausschüttet.
    Die Herren der allg. Deutschen Bibliothek, in Parenthesi noch gesagt, die so über die Gedrängtheit des Styls schreyen, die auf Kosten der Deutlichkeit erlangt wird, sündigen oft gegen ihre stetsgegebnen Lehren, wovon hier sogleich ein Beyspiel.
    Sie sagen in der obencitirten Stelle: »Belang, dieß ehrliche Wort, ist seit es Lessing in der Emilia hervorgesucht, in ansehen gekommen, doch u. s w.« In der Emilia hervorgesucht! Ist das deutsch? Giebt das den Sinn, den der Schreiber sich darunter gedacht hat. Sollte man nicht glauben, er wolle sagen, Lessing habe die Emilia geschrieben, und dann es aus selbiger hervorgesucht, da er doch nichts anders gemeint, als Lessing habe es vorgesucht, und sich dessen in der Emilia bedient. Man sieht hieraus, daß, wenn Leute Kürze affectiren, immer Nonsense daraus wird.
    Eben daselbst kriegt auch der Recensent mit Herrn Bode, daß er empfindsam für ein von Lessing neugeprägtes Wort ausgibt, da es doch bereits in einer Uebersetzung der Geschichte der Pompadour stände, die viele Jahre vor seiner Uebersetzung der Yorikschen Reisen herausgekommen sey. Als wenn ein Mann wie Lessing sich um das bekümmern würde, was irgend ein literarischer Tagelöhner hinpfuscht. Als ob ein dergleichem Manne entfallenes Wort in Autorität käme. Und als ob Lessing mit diesem Worte (eingeräumt auch, daß es bereits existirt habe, so ist doch Existenz in Werken, die bloß ein literarischer Stäuber von Profession durchschnökert hat, so viel wie Nichtexistenz,) nicht einen neuen Begriff zu uns hinübergebracht habe. – A. d. Uebers.
8 ist. Man sagt, Philipp der Dritte lebe nicht mehr, und der Prinz von Asturien, sein Sohn, habe den Thron bestiegen. 9 Ueberdieß heißt es, fuhr er fort, daß der Kardinal, Herzog von Lerma, nicht nur um seinen Posten sey, sondern auch vom Hofe verbannt, und Don Gaspar de Guzmann sey Oberstaatsminister geworden.

Ohne zu wissen warum, trat mir bey dieser Nachricht das Blut näher an's Herz und in die Wange. Scipio, der dieß gewahrte, frug, ob ich an dieser großen Veränderung keinen Antheil nähme. Ich daran Antheil, Kind? versetzt' ich. Wie sollt' ich das? Ich habe den Hof verlassen, und so sind mir alle Veränderungen gleichgültig, die sich an selbigem ereignen.

Für einen Mann Ihres Alters, nahm Coscoline'ns Sohn wieder das Wort, sind 10 Sie der Welt zu sehr abgestorben. Wär' ich an Ihrem Platz, ich wäre neugieriger?

Ich. Neugieriger.

Scipio. Ja, bey meiner Ehre! Ich würde nach Madrid gehen, und mein Gesicht dem jungen Monarchen unter die Augen stellen, um zu sehen, ob er sich noch immer erinnerte Das Vergnügen würd' ich mir bey meiner Ehre machen.

Ich. Ich verstehe Dich. Du wünschest, daß ich wieder an den Hof zurückkehren möchte, um daselbst von neuem mein Heil zu versuchen, oder vielmehr daselbst von neuem geitzig und ehrsüchtig zu werden.

Scipio. Nun hält Ihr Herz Probe! Sie können darauf zuversichtlich bauen. Ich steh' Ihnen dafür. Die reifen Betrachtungen, die Ihre Ungnade Sie über den Hof hat anstellen machen, lassen Sie bey selbigem keine Gefahren mehr befürchten. Schiffen Sie Sich wieder dreist auf ein Meer ein, dessen Klippen und Strudel Ihnen insgesammt bekannt sind.

Ich (lächelnd). Nichts mehr davon, Schmeichler! Bist Du es müde, mich ein ruhiges Leben führen zu sehen? Ich hätte geglaubt, meine Ruhe wäre Dir theurer.

Soweit waren wir in unsrer Unterredung, als Don Cäsar und sein Sohn kamen. Sie bestättigten sowohl die Nachricht von des Königs Tode, als die von dem Falle des 11 Herzogs von Lerma. Ueberdieß berichteten sie mir, daß dieser Minister um die Erlaubniß hätte anhalten lassen, sich nach Rom begeben zu dürfen, es sey ihm aber abgeschlagen und anbefohlen worden, sich nach seinem Marquesate Denia zu verfügen. Hierauf riethen sie mir, gleichsam als spielten sie mit meinem Secretär aus einer Karte, nach Madrid zu gehen, und dem neuen Könige unter die Augen zu treten, weil er mich kennte, und weil ich ihm sogar Dienste geleistet hätte, welche die Großen gemeiniglich herzlich gern belohnen.

Ich meiner Seits, sagte Don Alphonso, zweifle nicht, daß er sie erkennen wird; Philipp der Vierte muß die Schulden des Prinzen von Asturien abtragen. Das wird er auch, ahndet mir, sagte Don Cäsar, und ich sehe Santillana's Reise an den Hof als den Weg an, auf welchem er zu hohen Aemtern emporsteigen wird.

Ueberlegen Sie aber auch wohl recht, meine Herren, was Sie da sagen? rief ich aus. Nach Ihren beyderseitigen Reden zu urtheilen, scheint es, ich dürfte nur nach Madrid gehen, um den goldnen Schlüssel zu erhalten, oder irgend eine Governadorschaft; allein Sie irren Sich. Ich bin vielmehr fest überzeugt, daß der König auf einen solchen Wicht, wie ich, nicht herunterblicken wird, wenn ich mich ihm gleich vor Augen stelle; wenn Sie es wünschen, will ich 12 die Probe machen, bloß um Sie aus Ihrem Irrthum zu ziehen.

Die Herren de Leyva nahmen mich beym Wort, und drangen mir das Versprechen ab, unverzüglich nach Madrid abzureisen. Sobald mich mein Secretär zu dieser Reise entschlossen sah, war er voller Freude. Er wähnte, ich dürfte mich nur vor dem neuen Monarchen sehen lassen, so würd' er mich sogleich aus dem Schwall hervorziehen, und mich mit Ehrenstellen und Gütern überhäufen. Hierauf wiegt' er sich in die schimmerndsten Schimären ein, erhob mich zu den ersten Stellen des Staats, und trieb auf diese Erhöhung sich stützend, sein Glück immer höher und höher.

Sonach schickt ich mich zu meiner Rückkehr nach dem Hofe an, nicht in der Absicht, daselbst Fortune'n von neuem zu opfern, sondern bloß, um Don Cäsar und seinen Sohn zu befriedigen, die sich fest einbildeten, ich würde in Kurzem die Gunst des Monarchen erlangen. Zwar ist auch nicht zu läugnen, daß ich in meinem Innern eine Begier aufsteigen fühlte, diesen Herrn zu proben.

Hingerissen durch diese Anwandlung von Neugier, nahm ich, ohne Hoffnung und ohn' Absicht, irgend einen Vortheil von dem neuen Regenten zu ziehen, den Weg nach Madrid; Scipio begleitete mich, und seine Beatrix, 13 die eine sehr gute Wirthinn war, besorgte indeß mein Hauswesen.

 


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