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XXIV

Shaddock kniete bei der regungslosen Gestalt nieder, riß das Taschentuch von dem bleichen Gesicht und legte, die Weste öffnend, sein Ohr an Pearsons Herz.

»Es schlägt,« rief er wie befreit. »Im ersten Augenblick war ich überzeugt, daß Dain sein Ziel erreicht hatte. Glücklicherweise aber ließ er sich Zeit, die uns zugute kam, und das tödliche Gift, welches er für diesen armen Kerl bestimmt hatte, wurde nun ihm selbst zum Verhängnis.«

Shaddock, frisch wie immer und hocherfreut, daß die Dinge einen so unerwartet guten Verlauf genommen hatten, ließ einen Pfiff ertönen. Dem Rufe folgend, stiegen alsbald die beiden anderen Beamten durch das Fenster des Vorderzimmers.

So abgestumpft sie durch die Praxis ihres Berufs auch waren, konnten sie, als sie die Einzelheiten des grausigen Schauspiels überblickten, ihr Entsetzen doch unmöglich verbergen. Auf den Boden hingestreckt lag der leblose Körper Dains, und neben der regungslosen Gestalt im Stuhl kniete Shaddock und schnitt die Stricke durch, die den noch immer Ohnmächtigen gefesselt hielten. Schnell hintereinander erteilte der Detektiv seine Befehle.

Hayward, Sie laufen zum Auto und lassen Morton so rasch wie möglich in die Stadt zur Polizeistation fahren mit dem Auftrag, jenen Toten abzuholen und den ersten besten Arzt mitzubringen. Ein niederträchtiger Mord ist hier versucht worden, und dieses leblose Gerippe ist das Scheusal, welches ihn verüben wollte. Nur unserem rechtzeitigen Eintreffen ist es zu verdanken, daß die Pläne des Mörders vereitelt wurden. Ich bin überzeugt, daß die Bewußtlosigkeit des ausersehenen Opfers nicht der Vorbote des Todes ist.«

Von seinem Kollegen begleitet, ging Hayward, ohne ein Wort zu sagen, die Befehle seines Vorgesetzten auszuführen. Shaddocks kurze Erläuterung genügte, ihn die Lage erkennen zu lassen. Sein erprobtes Auge hatte die Flasche auf dem Tisch sowie die Spritze, die den Händen Dains bei seinem Fall entglitten war, erblickt, und der Zusammenhang war ihm ohne weiteres klar.

Schon vor dem Erscheinen des Arztes war Pearson aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht. Er war naturgemäß durch die Betäubung seiner Sinne noch völlig verwirrt, aber doch genügend gesammelt, um seine Letter zu erkennen und sich der voraufgegangenen grausigen Ereignisse in ihren Einzelheiten zu erinnern.

»Wie gelangten Sie hierher, und wo ist Dain?« fragte er mit schwacher Stimme.

»Sie dürfen noch nicht viel sprechen, mein lieber dritter Freund,« antwortete Shaddock leise und beruhigend. »Der Arzt wird gleich hier sein, und wir bringen Sie heim, sobald er es erlaubt. Dain ist dort, wo er Sie hinhaben wollte. Er hat sich durch eigene Hand auf dieselbe Weise getötet, wie er es bei Ihnen beabsichtigt hatte. Die Spritze befand sich in seiner Hand, als wir durch das Fenster auf ihn losgingen. Sobald Sie wieder genügend bei Kräften sind, sollen Sie hören, wie sich alles zutrug.«

Wenige Minuten später trat der Arzt herein. Von dem Beamten über alles unterrichtet, was ihn erwartete, hatte er Stärkungsmittel mitgebracht, die er sofort zur Anwendung brachte. Dann untersuchte er den Körper Dains und bestätigte den eingetretenen Tod. Er roch auch an der Flasche, konnte jedoch keinen Anhaltspunkt für den Ursprung des darin enthaltenen Giftes finden.

Shaddock berichtete ihm kurz über das Vorgefallene. Dieser schlichte Landarzt, der nichts von der unterirdischen Welt des Verbrechens wußte, war tief empört.

»Es scheint unglaublich, daß eine so furchtbare Tat sich in unserer friedlichen Gegend abspielen konnte,« bemerkte er. »Ich bin jedoch überzeugt, daß dieser junge Herr nur unter den Wirkungen eines gewöhnlichen Betäubungsmittels leidet. Die Beschwerden werden bald vorübergehen, ohne ernstliche Folgen zu hinterlassen; aber es könnten sich durch die seelische Erschütterung immerhin noch beträchtliche Nachwirkungen einstellen. In den Hinterhalt gelockt, betäubt und an jenen Stuhl gebunden – sagen Sie: was für eine entsetzliche Geschichte! Ich habe wohl von solchen Dingen gelesen, doch Gott gebe, daß dies mein erstes und letztes Erlebnis dieser Art ist.«

Er ordnete dann noch an, daß Shaddock den unglücklichen jungen Menschen so rasch wie möglich in dessen Häuslichkeit transportieren, ihn zu Bett bringen und seinen Hausarzt benachrichtigen solle, damit dieser die Behandlung übernehme.

Dieses Programm wurde ausgeführt. Der Inspektor ließ Berenger und die übrigen Männer zurück, um das Haus gründlich zu durchsuchen, in der Nachbarschaft Nachforschungen anzustellen und die Ankunft der Orts-Polizei abzuwarten. Sobald sie diese Dinge erledigt hätten, sollten sie mit der Eisenbahn oder im Auto zurückfahren. Shaddock selbst wollte Pearson in seinem Auto nach dessen Wohnung in Duke Street fahren.

 

»Heute früh traf ein Brief von meiner Braut ein. Sie kommen heute wegen einer plötzlichen Erkrankung im Hause zurück, und Cecile bittet mich, heute abend auf alle Fälle zum Diner zu kommen. Doch mein Arzt, mit dem ich über die Sache sprach, will es mir trotz meiner dringenden Bitten durchaus nicht erlauben. Er sagt, es stände so gut mit mir, daß er den weiteren Fortschritt meiner Genesung nicht aufs Spiel setzen wolle. Er hat nichts dagegen, wenn ich sie morgen besuche, aber morgen ist nicht heute. Ich muß ihr einen Brief mit irgendeiner glaubwürdigen Entschuldigung schicken. Doch ich habe mir schon den ganzen Morgen den Kopf zerbrochen und finde keine. Sage ich ihr, daß ich krank bin, kommt sie entweder selbst, oder Thurston besucht mich.«

Es war am Morgen nach der wunderbaren Rettung Pearsons. Shaddock war gekommen, um zu sehen, wie es dem Patienten ginge. Er war erstaunt, ihn so wohl zu finden. Pearson mußte eine eiserne Konstitution haben; jene furchtbaren Stunden im Landhaus hätten genügt, einen andern um den Verstand zu bringen.

»Ob ich Ihnen wohl in dieser Angelegenheit behilflich sein könnte?« fragte Shaddock, selbst etwas verlegen über seinen Vorschlag. »Ich bilde mir nicht etwa ein, daß ich ein Mann nach dem Geschmack der Damen bin, glaube aber ein gut Teil Taktgefühl zu besitzen. Wann wird die Familie zurückerwartet?«

»Ungefähr um halb fünf Uhr,« lautete die Auskunft. »Cecile schrieb ausdrücklich, es sei nicht notwendig, sie an der Bahn zu erwarten. Hätte sie mich darum gebeten, steckte ich noch mehr in der Klemme. Es wird ja nicht anders gehen, als daß sie alles erfährt, was sich zugetragen hat. Denn die gerichtliche Untersuchung und alles was damit zusammenhängt wird es unmöglich machen, die Sache zu vertuschen. Doch ich möchte sie gern allmählich auf die schlimmste Phase der überstandenen Tragödie vorbereiten; sie ist unendlich sensibel.«

»Natürlich; alle Frauen sind das, wenn sie lieben,« entgegnete Shaddock. »Nun, wie Sie sagen, soll sie es früher oder später erfahren. Was meinen Sie, wenn ich um fünf Uhr mit einem Brief von Ihnen hingehe, in dem Sie ihr mitteilen, daß ich ihr die Gründe Ihres Fernbleibens erklären werde. Sie können sich auf meine Umsicht und Diplomatie verlassen. Ich werde Ihrer Braut alles mit größter Schonung beibringen.«

»Das ist riesig nett von Ihnen,« antwortete Pearson dankbar. »Es wird mir einen Stein vom Herzen nehmen, wenn Sie das tun wollen.«

Auf Shaddocks Bitte gab ihm der junge Mann jetzt einen ausführlichen mündlichen Bericht über seine furchtbaren Erlebnisse von der Zeit an, wo der Mann mit dem großen Bart ihn in das Landhaus geführt, bis zu dem Augenblick, wo Dain ihn betäubt hatte und er bewußtlos wurde.

»Und nun sagen Sie mir, was Sie auf meine Spur brachte?« fragte Pearson den Kriminal-Kommissar, als er seine Erzählung beendet hatte.

»Sie werden, als Sie an jenem Abend in meiner Wohnung waren und mir über die erstaunlichen Angaben Dains Bericht erstatten, wohl bemerkt haben, wie still und nachdenklich ich war und wie wenig ich sprach,« bemerkte Shaddock erläuternd.

»Es fiel mir wohl auf, so sehr ich auch mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt war,« gab Pearson zu, »und ich war darüber erstaunt.« »Es wäre besser gewesen, ich hätte Sie mehr ins Vertrauen gezogen. Doch wenn mich etwas sehr beschäftigt und ich mich stark in ein Problem vertiefe, habe ich die Gewohnheit, mich in mich selbst zurückzuziehen. Ich war fest überzeugt, daß in dem, was Dain Ihnen gesagt hatte, ein gut Teil Wahrheit steckte. Was mir aber ganz besonders zu denken gab, das war der Widerspruch, der darin lag, daß ein Außenseiter, wenn er nicht übernatürliche Kräfte besaß, in die Pläne und internen Verhältnisse einer Verbrecher-Organisation in so weitgehendem Maße eingeweiht sein wollte, obwohl deren Mitglieder ihm an Verschlagenheit zweifellos ebenbürtig waren. Wie konnte er ermittelt haben, daß Thurston der tatsächliche Mörder war? Wie konnte er den Mann ausfindig gemacht haben, der diese todbringenden Gifte fabrizierte?«

Der Detektiv machte eine kurze Pause, ehe er das Gespräch wieder aufnahm. »Wie Sie wissen, hatte auch ich einst Thurston in Verdacht, was ich jetzt aufrichtig bedaure. Infolge einer tief eingewurzelten Gewohnheit werde ich in Zukunft aber wohl trotzdem nicht darauf verzichten können, gelegentlich auch harmlose Leute zu beargwöhnen. Bei Thurston wurde mein Verdacht durch die Tatsache bestärkt, daß er den Beweggrund kannte, der Sie zu Ihrem Abstecher nach Paris veranlaßt hatte. Im Verlauf unserer Unterhaltung stellte sich dann heraus, daß auch Dain ihn kannte. Infolgedessen befaßte ich mich nun natürlich ebenfalls mit Dain und zog Erkundigungen über ihn ein. Das einzige von Wichtigkeit, was dabei herauskam – es erwies sich allerdings als sehr wichtig – bestand darin, daß er kein Mitglied des Geheimdienstes ist, noch jemals gewesen war.«

Pearson war sehr erstaunt, als er dies hörte. »Und darüber haben Sie nie mit mir gesprochen?«

Shaddock machte ein etwas dummes Gesicht. »Das ist wahr. Ich bin eben in manchen Dingen ein komischer Kerl. Einmal gesprächig und vertrauensselig, ein andermal wieder unnötig reserviert. Ich weiß nicht recht, warum ich Ihnen jene Tatsache vorenthielt. Vielleicht weil Sie ein alter Bekannter von Dain waren. Außerdem hatte ich wirklich nichts anderes, worauf ich mich stützen konnte. Doch zur Hauptsache zurück!

Ich habe Ihnen wohl schon öfter gesagt, daß die erfolgreichen Männer meines Faches sich zum guten Teil auf ihren Instinkt verlassen, auf ihre Eingebung. Vermöge dieser Eigenschaften gelingt es uns manchmal, die Lösungsmöglichkeiten eines Problems zu erkennen, dem man mit nackten Tatsachen kaum jemals beikommen könnte. Um es kurz zu fassen: ich hatte die Empfindung, Dain berichte über Dinge, die ihm sehr genau bekannt waren, und an denen er persönlich beteiligt gewesen war. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr setzte sich in mir die Überzeugung fest, daß Dain, indem er Ihnen die Geschichte über Thurston erzählte, in Wirklichkeit seine eigene preisgab. Ich sprach an jenem Abend noch mit Berenger darüber, der zuerst einige Bedenken hatte, sich dann aber zu meiner Ansicht bekannte.«

»Sie sprachen Berenger an jenem selben Abend?« fragte Pearson erstaunt. »Da nahmen Sie sich also sofort der Sache an?«

Der Detektiv berichtete, daß er seinen Kollegen in Malcolm's Club aufgesucht habe, und daß sie dort durch blinden Zufall Dain begegnet seien. Er erzählte ihm auch von Dains sonderbarem Verhalten, als er dem Wagenführer die Anweisung gab, wohin er fahren sollte.

»Daß unsere Ansicht richtig sei, konnten wir natürlich nicht mit Bestimmtheit behaupten,« fuhr Shaddock fort. »Jener Bericht konnte am andern Morgen eintreffen und einige zweifelhafte Beweise enthalten, die einer Prüfung nicht Stand halten würden. Als der Bericht jedoch nicht eintraf, brachte ich dies damit in Zusammenhang, daß Dain auf Ihre Verschwiegenheit rechnete. Ich wußte nun, daß ich auf dem richtigen Wege war, und witterte die Absicht des Verbrechers, Sie stumm zu machen.«

Shaddock erzählte dann eingehend von seinem Besuch in Pearsons Kontor, seiner Unterredung mit dem Geschäftsführer, der Prüfung des Cartlandschen Briefes, und berichtete über die Fahrt nach Rose Cottage, ihre Verzögerungen auf der Landstraße, die Begegnung mit dem bärtigen Manne, von dem er die Überzeugung hatte, daß es niemand anders als Cartland war.

Das lange Schweigen, welches hierauf eintrat, wurde zuerst durch Pearson unterbrochen.

»Ich habe Ihnen nie erzählt, daß Dain sich vor einiger Zeit heftig in Miß Thurston verliebte. Er lernte sie auf Reisen kennen und belästigte sie mit seinen Aufmerksamkeiten, die ihr äußerst unangenehm waren, da sie ihn nicht mochte.«

»Aha! Da hätten wir vielleicht einen weiteren Grund dafür, daß er Sie gern beseitigen wollte. Er war offenbar ein Verbrecher von heftigem und zügellosem Temperament, und nach allem, was ich durch Sie über seinen Charakter erfahren habe, litt er an unerhörter Eitelkeit. Sie sagten mir, er gebe sich gern ein Ansehen und spiele sich als ein Mensch mit übernatürlichen Fähigkeiten auf. Das stimmt, wenn man bedenkt, wie er die Sache im Landhaus verzögerte, nur um Ihnen noch zuguterletzt durch seine Klugheit zu imponieren! Es war dies eine Hemmung in Dains Wesen, sonst hätte er sachgemäßer durchgegriffen. Hätte er sich damit zufrieden gegeben, Sie in Unwissenheit darüber zu lassen, was er in Wirklichkeit die ganzen Jahre über getrieben hatte, konnte er Sie ebenso gut nach Hounslow locken und in dem Augenblick, wo Sie die Schwelle überschritten, durch seinen Spießgesellen niedermachen lassen.«

»Und was haben Sie über den Mann mit dem Bart erfahren, der das Glück hatte, vor Ihrem Eintreffen zu entkommen?«

»Bis jetzt nichts, was uns vorwärts bringt,« lautete die Antwort.

»Berenger blieb gestern zurück, um Nachforschungen in der Nachbarschaft anzustellen. Das Grundstück, in welches Sie verschleppt wurden, ist ein möbliertes Landhaus. Ein Mann namens Cartland, dessen Äußeres mit der verdächtigen Erscheinung übereinstimmt, die Sie in das Haus führte und welche wir auf der Landstraße trafen, mietete es vor etwa fünf Wochen von einem Wohnungsmakler auf die Dauer von zwei Monaten und zahlte die Miete voraus. In der Nachbarschaft wußte man so gut wie nichts über ihn; er scheint die Hausarbeit allein verrichtet und seine Lebensmittel aus der Stadt bezogen zu haben, da er den dortigen Geschäftsleuten unbekannt war. Das Haus muß von der Organisation für irgendeinen geheimen Zweck gemietet worden sein. Es diente wohl als eine Art Mittelpunkt, von dem aus Cartland ziemlich ungestört sein Unwesen treiben konnte. Man wird kaum fehlgehen, wenn man annimmt, daß Dain dort die Nacht verbrachte, als wir ihn vom Klub fortfahren sahen.«

»Wer weiß, ob das Landhaus nicht eigens dafür gemietet wurde, um mich dort umzubringen?« meinte Pearson. »Dieses zweite Attentat mag ein reiflich erwogener Plan gewesen sein.«

Shaddock überlegte gründlich, ehe er hierzu etwas sagte. »Es ist natürlich schwer, etwas Positives zu behaupten. Persönlich neige ich zu der Ansicht, daß das Verbrechen nicht von langer Hand vorbereitet war, sondern daß der Entschluß hierzu an jenem Tage gefaßt wurde, als Sie mit Dain frühstückten und ihm mitteilten, daß Sie nicht darauf verzichtet hätten, den Fall Valrose weiter zu verfolgen. Der Besitz jenes Landhauses bot eine Gelegenheit, die niemals wiederkommen mochte. Auf einen Hieb konnte Dain sich von einem Menschen befreien, der ihm gefährlich wurde, und der ihm auch dadurch verhaßt war, daß er von dem Mädchen geliebt wurde, das er selbst begehrte. Ich kann nicht umhin, zu glauben, daß wahnsinnige Eifersucht eines der Motive für das Verbrechen gewesen ist. Er konnte Cecile nicht selbst besitzen – die Tatsache jedoch, daß Sie Erfolg hatten, wo er ihm versagt geblieben war, machte ihn rasend.«

Sie unterhielten sich noch eine Weile, bevor Shaddock ging. Später begab sich der Detektiv nach Whitehall Court. Er hatte versprochen, Cecile so schonend wie möglich mitzuteilen, was vorgefallen war. Es war durchaus nicht das erste Mal, daß er einen so delikaten Auftrag übernommen hatte.

Man kann sich denken, wie erstaunt das junge Mädchen war, als Shaddocks Karte für sie abgegeben wurde, und als sie den kurzen Brief ihres Bräutigams las. Sie hatte ihren Verlobten oft den Namen des Detektivs in Verbindung mit den verschiedensten Ereignissen nennen hören, die mit dem Valrose-Geheimnis zusammenhingen. Was konnte er von ihr wollen? Sie konnte nicht anders, als Unheil ahnen.

Cecile betrat das Empfangszimmer in einem Zustand großer Bestürzung und Angst. Shaddock begrüßte sie mit respektvoller Verbeugung. Er erkannte, wie aufgeregt sie war, und daß er ihre Befürchtungen sofort beschwichtigen mußte.

»Ich möchte nicht, daß mein unerwarteter Besuch Sie in Unruhe versetzt. Heute morgen sah ich Herrn Pearson, und er bat mich, Ihnen eine Mitteilung zu überbringen.«

Cecile sank in einen Stuhl, ihre Lippen bebten, ihre ganze Gestalt zitterte. »Warum konnte er mir dies nicht persönlich sagen?« fragte sie mit matter Stimme. Und plötzlich wußte sie, daß etwas Furchtbares geschehen war. »Er ist krank – sagen Sie mir nicht, daß er –«. Die angstvolle Stimme erstarb in leisem Stöhnen.

Es war nicht so einfach, wie Shaddock gehofft hatte; sie hatte zu rasch die ganze Lage übersehen. Er ging nahe zu ihr heran und sprach beruhigend auf sie ein.

»Es ist nicht der leiseste Grund auch nur zur geringsten Besorgnis vorhanden; ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf. Ihr Bräutigam wird Sie morgen besuchen; er selbst ist der Meinung, er könne es schon heute tun, aber er hat eine – eine – große Erschütterung erlebt, und sein Arzt hat ihm verboten, schon heute den Gang zu wagen. Alles, was sich ereignet hat, in einem Briefe niederzuschreiben, wäre schwierig für ihn gewesen. Deshalb schlug ich ihm vor, Sie meinerseits aufzusuchen und es Ihnen zu erzählen.«

Da er darin beharrte, es sei nicht der geringste Grund zur Besorgnis vorhanden, beruhigte sich Cecile etwas; doch abermals eilte ihre Ahnung seinen Enthüllungen voraus.

»Es ist ein zweites Attentat auf ihn verübt worden?« sagte sie.

»Leider ist es so,« antwortete Shaddock. Und dann erzählte er kurz von dem mörderischen Angriff Dains auf Kenneth Pearson, Dains alten Schulfreund, wobei er die furchtbaren Einzelheiten so viel wie möglich abschwächte. Und selbstverständlich sagte er nichts von Dains dreistem Versuch, ihren Vater als den Mörder Arthur Valroses hinzustellen.

Als Shaddock zu Ende war, weinte das junge Mädchen leise vor sich hin. Dann stand Cecile auf und wischte die Spuren ihrer Tränen ab. Sie war sehr schön in ihrem tiefen Kummer, eine tapfere und ergreifende Gestalt.

»Ich sage Ihnen tausend Dank, Herr Shaddock, für Ihre Güte, daß Sie hierher gekommen sind, um mich zu beruhigen. Mein armer Junge! Mutter und ich müssen gleich zu ihm hin. Wird diese entsetzliche Verfolgung jemals aufhören?«

Shaddock gab ihr die Versicherung, daß mit dem Selbstmord des eigentlichen Urhebers dieses furchtbaren Dramas die Zukunft ohne Gefahren sein würde. Sie schüttelten sich die Hände, und Shaddock entfernte sich, da er ihr in ihrem Schmerz nicht länger lästig fallen wollte. –

Im Januar des folgenden Jahres läuteten die Hochzeitsglocken, und aus dem schwergeprüften jungen Liebespaar wurden Mann und Frau.

Cartland wurde nie gefunden. Er war ebenso spurlos verschwunden wie Arthur Lloyd, das andere Mitglied der Vereinigung.

Ende.

 


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