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I

»Was sind Sie doch für ein unsteter Mensch, Valrose? Bei Ihren häufigen Besuchen in London habe ich es wohl kaum jemals erlebt, daß Sie sich länger als eine Woche hier aufhalten.«

Der als Valrose angeredete junge Mann lachte sorglos in sich hinein. »Ich gebe zu, daß ich einer der unruhigsten Geister dieser Welt bin, mein lieber Pearson. Ich weiß, daß Sie zu den bedächtigen Naturen gehören. Mich dagegen nennen viele meiner Bekannten den ewigen Juden. Vielleicht liegt es daran, daß es kein Land gibt, welches mich besonders fesselt.«

»Donnerstag fahren Sie also nach Paris? Aber ich hoffe, daß wir Sie zu einem flüchtigen Besuch gelegentlich wieder hier sehen werden?«

»Mehr als wahrscheinlich«, gab Valrose zur Antwort. »Am Donnerstag bin ich jedenfalls auf dem Wege nach Paris. Wenn Sie an diesem Tage nichts weiter vorhaben, könnten wir zum Abschied hier zusammen frühstücken, es sei denn, daß Sie ein anderes Lokal vorziehen.«

Pearson entgegnete, daß er gern im »Cosmopolitan« frühstücken würde, in dessen Halle sie im Augenblick saßen. Sie hatten sich vor einer halben Stunde zufällig getroffen, und Valrose hatte seinen alten Bekannten zu einem Drink eingeladen.

Die beiden jungen Leute, Arthur Valrose und Kenneth Pearson, waren grundverschiedene Erscheinungen. Valrose war von mittlerer Größe, sehr blond und von nervösem, lebhaftem Temperament. Pearson dagegen war groß und dunkel, und eher bedächtig in Sprache und Haltung. Pearson war 28 Jahre alt, Valrose ein Jahr jünger.

Pearson war ehemaliger Offizier und besaß ein Einkommen, von dem er bequem hätte leben können. Doch er verabscheute die Untätigkeit, und als Kenner und Liebhaber des Radio hatte er sich nach dem Kriege in Westend ein Geschäft für Radio-Zubehör eingerichtet, das er gewissermaßen als sein Steckenpferd betrieb. Auch Valrose war in unabhängiger Lebensstellung, und seine einzige Leidenschaft bestand darin, in der Welt umherzubummeln. Die beiden hatten sich vor einigen Jahren im Hause des bekannten holländischen Radio-Forschers Van Steins kennen gelernt.

Die jungen Herren plauderten, während sie rauchten und tranken. Plötzlich wurden sie vom Kellner unterbrochen, der Valrose meldete, ein Herr Thurston wünsche ihn zu sprechen.

Valroses Gesicht strahlte bei dieser Meldung, und er befahl dem Kellner, den Herrn sofort hereinzuführen. »Ein sehr guter Freund von mir«, wandte er sich an Pearson, »ein prächtiger Mensch, einer der erfahrensten und umgänglichsten Leute, welche ich kenne. Sicher werden Sie meinem Urteil beipflichten, wenn Sie nur fünf Minuten mit ihm zusammen sind.«

Der Angemeldete trat ein. Er war ein eleganter Fünfziger, mit grauem Haar, tadellos gekleidet und mit dem sicheren Auftreten eines Menschen, der gewohnt ist, sich in jedem Kreise heimisch zu fühlen.

Noch vor Ablauf der fünf Minuten, die ihm Valrose zugestanden hatte, war Pearson bereit, seines Freundes Ansicht über Thurston zuzustimmen. Der elegante grauhaarige Herr hatte die angenehmsten Manieren, war ein glänzender Plauderer und verfügte über einen Schatz witziger Anekdoten. Er war durch und durch ein Mann von Welt, war überall herumgekommen und hatte alles gesehen. Aus gewissen Bemerkungen, die er von Zeit zu Zeit machte, schloß Pearson, daß Thurston, sei es als Agent oder in leitender Stellung, zur Hochfinanz gehöre, und daß er Geschäftsinteressen in vielen Ländern hatte. Er machte hin und wieder Andeutungen, die darauf schließen ließen, daß er ein Geschäftslokal in der City unterhielt. Schließlich stellte es sich heraus, daß Thurston mit der Absicht gekommen war, Valrose bei sich zu Hause in Whitehall Court zu Tisch einzuladen. Pearson war es aufgefallen, daß Thurston seinen jungen Freund stets mit dem Vornamen anredete.

»Also, mein lieber Arthur, da Sie so bald abreisen und weiß der Himmel wann erst wieder auftauchen, möchte ich, daß Sie morgen in Whitehall Court mit uns speisen. Sie wissen, meine Frau und meine Tochter freuen sich immer, Sie zu sehen. Hoffentlich haben Sie keine andere Verabredung.«

Valrose versicherte, daß er sich noch nichts vorgenommen hätte, und sprach seine Freude über die Einladung aus. Thurston wandte sich dann höflich an Pearson. »Ich würde mich freuen, Mister Pearson, wenn Sie eine Einladung auf so kurze Hand annehmen und Ihren Freund begleiten würden. Ich kann Ihnen einen herzlichen Empfang durch meine Familie zusichern.«

Offenbar hatte Thurston schon eine Zuneigung zu dem jungen Mann gefaßt. Und Pearson wiederum war entzückt von seiner Leutseligkeit. Er zögerte daher nicht zu antworten, daß er Valrose sehr gern begleiten würde.

Als Thurston gegangen war, fragte Valrose seinen Gast: »Nun, was halten Sie von ihm?«

»Sie haben nicht im geringsten übertrieben«, antwortete dieser herzlich. »Er hat auf mich den angenehmsten Eindruck hinterlassen. Aus seinen Worten entnahm ich, daß er Finanzmann ist.«

»Ja – Finanzmann«, antwortete Valrose etwas zögernd. Pearson hatte von jeher einen etwas seltsamen Zug in dem Wesen seines Gegenübers bemerkt. Valrose schien ungern persönliche Aufschlüsse über sich oder über andere Leute zu geben.

Pearson setzte seine Fragen fort. Thurston hatte einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er das Verlangen hatte, so viel wie möglich über ihn zu erfahren. »Ein solcher Beruf macht sich in der Regel gut bezahlt. Ich vermute, er verdient ein schönes Stück Geld. Das Areal in der Gegend von Whitehall Court ist ziemlich teuer.«

Valrose nahm die Fragen seines Freundes mit leidlicher Liebenswürdigkeit auf. »O, ich glaube, daß er seine Geschäfte sehr gut versteht. An Geld scheint es nicht zu fehlen. Er lebt in großem Stil, aber zu den Millionären gehört er nicht. Er ist eine Art Agent oder Makler im Dienste der Finanzleute. Er weiß, wo das Geld steckt und vermittelt vom einen zum andern.«

»Ich verstehe: eine Art Finanzagent. Er zieht seinen Verdienst aus großen Projekten. Nebenbei bemerkt, er sprach von seiner Frau und Tochter; hat er noch mehr Familie?«

»Nein,« antwortete Valrose. »Es war ein Sohn da, der schon als Jüngling gestorben ist. Cecile Thurston, seine Tochter, wird alles erben, was er hinterläßt – zweifellos ein hübsches Sümmchen. Bei solchen Millionen-Projekten müssen ja auch die Provisionen enorm sein.«

»Und ist Fräulein Thurston hübsch?« war die nächste Frage.

»Weit über den Durchschnitt, und wenn sie Lust hat, kann sie auch sehr liebenswürdig sein. Sie hat das Wesen ihres Vaters geerbt. Frau Thurston ist eine elegante, vornehme Dame, aber ziemlich reserviert.«

Valrose machte eine Pause, ehe er fortfuhr. »Trotz des Altersunterschiedes,« fügte er seinem Bericht noch hinzu, »sind Thurston und ich gute Freunde, und ich bin auch mit der Familie ziemlich intim. Ich werde stets dort eingeladen, wenn ich in London verweile. Auch kann ich Ihnen verraten, daß die schöne Cecile nicht so liebenswürdig zu mir ist, wie sie sich anderen gegenüber gibt. Lange Zeit fühlte ich mich stark zu ihr hingezogen, und ich glaube nicht, daß ihr Vater etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte. Aber sie ließ mich merken, daß ich auf tiefere Empfindungen bei ihr nicht rechnen konnte. Ich glaube sogar, sie müßte zugeben, daß ich ihr herzlich unsympathisch bin, wenn sie sich ihre wahren Gefühle eingestehen würde. So habe ich alle Hoffnungen aufgegeben.«

Pearson machte bei diesen Worten ein ungläubiges Gesicht. Valrose war ein durchaus angenehmer, gut aussehender Mensch, und es klang kaum glaubhaft, daß jemand, sei es Mann oder Frau, ihn geradezu nicht hätte leiden mögen. Der junge Mann mußte sich bestimmt irren. Vielleicht erschien er vom Standpunkt einer künftigen Ehe aus Fräulein Thurston nicht als begehrenswert. Doch das berechtigte ihn noch nicht zu solchen Rückschlüssen.

»Es ist aber so, glauben Sie mir,« lachte er, als er sah, wie ungläubig Pearson seine Worte aufnahm. »Ich habe ein sehr feines Gefühl für eine solche Atmosphäre. Wenn ich in Ceciles Gesellschaft bin, strömt sie eine Kälte aus, die ich unmöglich ignorieren kann. Sie zwingt sich gerade noch zur Höflichkeit, und das nicht einmal immer.«

»Merkwürdig,« entgegnete Pearson. Er hatte den Wunsch, das heikle Thema nicht fortzusetzen. »Schön, ich denke, es wird das Beste sein, ich hole Sie morgen ab, damit wir zusammen hingehen können.«

Valrose lächelte. »Haben Sie Angst, Ceciles strahlenden Augen allein gegenüberzutreten? Das hätte ich von einem so großen Jungen nicht gedacht. Doch im Ernst, ich glaube, es ist besser, jeder von uns geht allein nach Whitehall Court. Ich habe morgen ein dringendes Geschäft, das mich bis zum letzten Augenblick beanspruchen wird. Ich zweifle sogar, daß ich mit dem Auto noch rechtzeitig zur Stelle sein kann. Darum gehen Sie besser allein und machen meine Unpünktlichkeit wieder gut, indem Sie etwas früher dort sind.«

In diesem Sinne wurde die Verabredung getroffen, und kurz danach verabschiedete sich Pearson von seinem Freunde. Er war ziemlich erstaunt, daß Valrose immer ein wichtiges Geschäft bei der Hand hatte, um seine Unpünktlichkeit bei Gesellschaften zu entschuldigen. Denn dadurch hatte Valrose stets den Eindruck erweckt als ob sein einziger Lebenszweck der sei, sich zu amüsieren, indem er der Laune des Augenblicks nachgab. Pearson konnte sich seinen Freund überhaupt nicht als ernsthaften Menschen vorstellen.

Pearson ging mit großen Erwartungen nach Whitehall Court. Die Schilderung, die Valrose von Cecile Thurston gegeben hatte, einem Mädchen, das gegen alle Welt liebenswürdig war, ausgenommen gegen ihn selbst, hatte seine größte Aufmerksamkeit wachgerufen. Sei es daß ihre Kälte gegen Valrose berechtigt war oder nicht – die Tatsache, daß eine Abneigung bestand, genügte, um zu zeigen, daß sie ein Mädchen von Charakter sein mußte.

Die Tür wurde von einem äußerst würdevollen Diener geöffnet, der ganz auf den Lebensstil des Hauses einexerziert war. Die geräumige Halle war schön und durchaus kunstgerecht eingerichtet. Offenbar hatten Thurstons Leute Geschmack und verstanden ihre Sache. Der Diener führte Pearson in das Empfangszimmer.

Beim Nähertreten hörte er durch die halbgeöffnete Tür zwei weibliche Stimmen. Den meisten wäre die Unterhaltung unverständlich gewesen, doch Pearsons Gehör war ungewöhnlich scharf. Er verstand jedes Wort. Obgleich sehr leise gesprochen wurde, entging ihm nichts.

»Ich gebe zu, daß er eine sehr gute Erscheinung ist. Aber – ich weiß selbst nicht warum – ich mag ihn nicht, Mutter. Ich wünschte, Väterchen würde ihn nicht mehr einladen.«

Dann hörte Pearson eine etwas tiefere Stimme ebenso leise antworten: »Aber warum denn, Kind?«

Und wieder die erste Stimme: »Weil mich jedesmal, wenn er hier ist, die merkwürdige Ahnung von einem Unglück überfällt. Ich vermag mir selbst keine Rechenschaft darüber abzugeben, aber es ist so. Wenn er mir die Hand gibt, durchrieselt mich ein eisiger Schauer. Nein, ich mag ihn nicht, wirklich nicht.« Das letzte »Nicht« war etwas stärker betont worden, sogar der Diener mußte es gehört haben.

Beim Eintreten in das Zimmer bemerkte Pearson zwei Damen, die nahe beieinander saßen, die eine sehr jung, die andre in mittleren Jahren – unzweifelhaft Frau Thurston und ihre Tochter. Während der Unterhaltung der beiden Damen war kein Name genannt worden, doch wenn nicht noch andere Gäste erwartet wurden – und Thurston hatte ausdrücklich hervorgehoben, daß es eine Einladung im engsten Kreise sei – so konnten diese harten Worte sich nur auf seinen Freund Valrose beziehen. Dieser hatte also recht gehabt: Cecile empfand mehr als Gleichgültigkeit gegen ihn; sie hatte einen ausgesprochenen Widerwillen.

Frau Thurston erhob sich, als Pearson eintrat. Sie war eine hübsche, guterhaltene Frau und einige Jahre jünger als ihr Gatte. Die Beschreibung, welche Valrose von ihr gegeben hatte, stimmte genau. Man konnte sie nicht unfreundlich nennen, aber durch eine gewisse Zurückhaltung wirkte sie auf Fremde etwas abkühlend. Sie entschuldigte die Verspätung ihres Mannes und drückte ihre Freude aus, Pearsons Bekanntschaft zu machen. Aber es lag keine Wärme in diesen konventionellen Redensarten, so verbindlich sie auch klangen. Frau Thurston stellte ihre Tochter vor, die, wie Pearson fühlte, ihn während der voraufgegangenen Unterhaltung heimlich beobachtet und sich ein Urteil über ihn gebildet hatte. Was für ein Unterschied in der Begrüßung! Cecile Thurston, groß, schlank, blond, blauäugig, streckte ihm die Hand in der liebenswürdigsten Weise entgegen und begrüßte ihn mit einem reizenden Lächeln, wobei ihr schöner Mund zwei Reihen prachtvoller Zähne enthüllte. Es ist entschieden ein Genuß, sie anzusehen, dachte der junge Mann. Wenn sie sprach, wählte sie ihre Worte geschickt und niemals verletzend.

»Wir haben Sie nur zu einem Beisammensein im engsten Kreise aufgefordert; doch das ist eher ein Vorteil, denn dadurch lernt man sich leichter kennen. Mister Valrose ist noch nicht da, und Väterchen hat sich wie immer verspätet; er ist der unpünktlichste Mensch, den ich kenne.«

Ihre heitere Art strahlte sogleich Behaglichkeit aus. Man sah, daß sie sich ihm angenehm machen wollte. Pearson war nun sehr neugierig, wie sie Valrose empfangen würde, nachdem er vorhin jene Bemerkungen gehört hatte.

Es schlug 8 Uhr – die für das Abendessen festgesetzte Stunde, doch weder der Hausherr noch der erwartete Gast waren bis jetzt erschienen. Fünf Minuten später trat Valrose mit endlosen Entschuldigungen herein.

»Bitte, entschuldigen Sie sich nicht,« sagte Frau Thurston in ihrer kühlen, gemessenen Art. »Mein Mann ist der erheblich größere Missetäter. Es ist die Höhe der Unhöflichkeit bei einem Gastgeber, sich zu verspäten.«

Valrose beendete das Thema mit einer hingeworfenen Bemerkung, worüber Frau Thurston verständnisvoll lächelte. Cecile zeigte sich völlig interesselos; seit Valrose das Zimmer betreten hatte, war sie sichtlich zurückhaltender geworden. Sie hatte ihn sehr obenhin, und ohne ihn dabei anzusehen, begrüßt und kein Wort mit ihm gesprochen. Es war nicht mehr daran zu zweifeln, daß seine Gegenwart eine eigenartige Antipathie bei ihr auslöste und ihr Wesen völlig veränderte.

Nach weiteren fünf Minuten erschien Thurston in eleganter Abendkleidung und überbot sich Pearson gegenüber in Entschuldigungen. Valrose dagegen erklärte er lachend, daß dieser hinsichtlich Pünktlichkeit selbst undiszipliniert genug sei, um sich über einen anderen Sünder beklagen zu dürfen.

Offenbar hatte Thurston sich sehr rasch umgekleidet, da seine Krawatte nachlässig gebunden war. Cecile bemerkte es und brachte die Schleife in Ordnung. Ihre zärtliche Besorgtheit stand ihr gut. Man erkannte, daß sie ihren Vater sehr liebte. Und die gütige Art, mit der er ihr dankte, zeigte ebenso deutlich seine Zuneigung für sie.

Sie gingen zu Tisch. Pearson als der zu ehrende Gast führte die Dame des Hauses. Cecile schritt zwischen Thurston und Valrose. Doch während sie zutunlich ihren Arm in den des Vaters schlang, hielt sie sich von Valrose so weit wie möglich fern; ihre Abneigung gegen ihn war offensichtlich zu groß, als daß sie sie hätte verbergen können.

Pearson hatte aus der hoheitsvollen Erscheinung des Dieners sehr zutreffende Schlüsse auf die Geldmittel des Hauses gezogen. Das Diner hätte nicht besser ausfallen können, sowohl hinsichtlich Zusammenstellung der Speisen wie der Vortrefflichkeit der Zubereitung. Die Weine stellten eine Auswahl bekannter Marken dar und waren den Speisen angemessen.

Es war ein sehr angeregter Kreis – trotz der gewissen Unstimmigkeit, die durch das gespannte Verhältnis Ceciles gegenüber einem der Gäste sich eingeschlichen hatte; ein nicht eingeweihter Beobachter aber würde den leichten Mißton vielleicht gar nicht bemerkt haben.

Frau Thurston ging wenig aus sich heraus, doch ihre Erscheinung bedeutete eine Bereicherung der Tafelrunde. Valrose, der sich durch ihm entgegengebrachte Abneigungen niemals stören ließ, schwatzte vergnügt vor sich hin. Cecile verstand es trotz ihrer Jugend sehr gut, eine Unterhaltung im Gang zu halten. Pearson war nicht so gesprächig wie sein Freund, doch ging er in angeregter Gesellschaft ebenfalls aus sich heraus. Und Thurston schließlich war der geborene Gastgeber; er hätte allein eine ganze Gesellschaft unterhalten können.

Und die ganze Zeit über, während sorglos geplaudert und gelacht wurde, beobachtete Pearson verstohlen Cecile und nahm ihre ganze Schönheit und Jugendfrische in sich auf. Vielen Frauen war er begegnet, doch bis zum heutigen Abend hatte er niemals ein so reizendes Geschöpf gesehen, wie es dieses schlanke Mädchen mit ihrem üppigen blonden Haar und ihren märchenhaften blauen Augen war. Er war überzeugt, daß diese Augen der Spiegel einer reinen und edlen Seele waren.

Nachdem die Damen vom Tisch aufgestanden waren, rauchten die Herren ihre Zigaretten, und als sie sich gleichfalls erhoben, um in den Salon zu gehen, machte Thurston seinen neuen Gast in der ihm eigenen leutseligen Weise mit den Gedanken vertraut, die ihn bewegten.

»Jetzt, wo Sie Ihren Weg hierher gefunden haben, Pearson, müssen Sie öfter kommen. Wir machen uns nichts daraus, einen Haufen Menschen um uns zu haben, eine Menge zusammengewürfelter Bekannter einzuladen, mit denen man keine gemeinschaftlichen Interessen hat. Meine Frau empfängt jeden Mittwoch und wird erfreut sein, Sie zu sehen, wenn Ihre Zeit es erlaubt. Und Sie müssen kommen und auch bald mal mit mir frühstücken. Ich würde mich freuen, wenn Valrose mitkäme. Aber er ist ein solcher Zugvogel, daß aus dieser kleinen Verabredung so bald nichts werden wird.«

»Setzen Sie es auf heute in drei Monaten fest,« lachte der Zugvogel.

Sie gingen in den Salon und fanden Frau Thurston, wie sie langsam in einem Roman blätterte. Cecile saß leicht preludierend am Flügel. Pearson war eher eine zurückhaltende Natur, aber er war nicht eigentlich schüchtern, und er sehnte sich nach einer recht ausgiebigen Unterhaltung mit dem reizenden Mädchen. Da er genug gesehen und gehört hatte, um sicher zu sein, daß die Beziehungen zwischen Cecile und Valrose, wenigstens von ihrer Seite aus, alles andere als herzlich waren, wußte er, daß er sie nicht ungebührlich in Anspruch nahm. Zweifellos würde sie ihm sogar dankbar dafür sein, daß er ihr den andern Gast fernhielt.

Sie waren bald in angenehme Unterhaltung vertieft und unterrichteten sich gegenseitig eingehend über ihren Geschmack und ihre Gewohnheiten. Dabei machten sie die Entdeckung, daß sie in manchen Dingen die gleichen Interessen hatten. Cecile ging, wie auch er, gern spazieren. Besonders liebte sie einen tüchtigen Marsch im Freien, vor allem im Sommer; aber sie hatte auch nichts gegen einen schönen kalten Wintertag einzuwenden. Sie schwärmte für das Wasser und fühlte sich am glücklichsten, wenn sie rudern und paddeln konnte. Das waren auch Pearsons Lieblingsbeschäftigungen. Ebenso spielte Tennis eine große Rolle in ihren beiderseitigen Neigungen; auch hier trafen sie sich also auf gemeinsamem Boden.

»Nach allem, was Sie mir über Ihre Liebhabereien sagen, sind Sie die richtige Naturfreundin,« meinte der junge Mann, als sie in ihren gegenseitigen Bekenntnissen so weit gekommen waren. »Ich sollte denken, daß Sie es als schrecklich lästig empfinden müssen, in dieser schönen Jahreszeit in London festzusitzen.«

»Ich mag London zu keiner Zeit des Jahres,« bekannte Cecile, »ausgenommen natürlich, wenn es Einkäufe zu machen gilt. Ich habe mir gehörig Mühe gegeben, meine Eltern zu bestimmen, ein wenig weiter draußen zu wohnen, möglichst am Wasser, wo wir frische Luft hätten, hübsche Spaziergänge machen und sehen könnten, wie die Blumen wachsen.«

»Nun, da Sie das einzige Kind sind, sollten Ihnen Ihre Eltern doch nachgeben,« meinte Pearson galant. »Haben Herr und Frau Thurston denn London so gern?«

Das hübsche Mädchen zuckte die Schultern. »Ich glaube, es ist nur eine Gewohnheit. Die Season bedeutet nichts für uns. Wir leben nicht in der Gesellschaft – ich meine die Gesellschaft mit dem großen G – verstehen Sie? Natürlich haben wir Freunde, aber sie würden uns ebenso oft besuchen, wenn wir zehn oder zwölf Meilen weiter draußen wohnten; ich glaube sogar, sie würden noch lieber kommen, denn es wäre eine so schöne Abwechslung für sie. Aber ich denke, es soll nicht sein.«

»Vielleicht, wenn Sie weiter bohren, werden Sie sie eines Tages herumkriegen. Wenn es nicht in geschäftlicher Beziehung so unbequem wäre, würde auch ich außerhalb Londons wohnen.«

»Das ist auch Väterchens Hauptgrund. Er liebt natürlich seine Häuslichkeit über alles und wacht darüber, daß wir es gut haben. Aber er ist tatsächlich ein Sklave seines Geschäftes, macht sich kaum einen Tag frei und nimmt nie richtige Ferien. Er will seinem Büro nahe sein, so daß er in wenigen Minuten dort und wieder zurück sein kann. Er drückt das so aus: ich hasse es, weit von meiner Basis entfernt zu sein. Ist das nicht merkwürdig? Man sollte denken, er würde frischer an die Arbeit gehen, wenn er ein paar Meilen entfernt vom Geschäft lebte.«

Während sie so weiter plauderten, entdeckte er noch mehr Dinge an ihr, die verrieten, daß sie ein ganz modernes Mädchen war. Sie hoffte, daß er nicht allzu enttäuscht sein würde, wenn sie ihm gestand, daß sie gern, wenn auch nicht übermäßig rauche. Eine Zigarette nach dem Lunch, vielleicht ein paar nach dem Diner befriedigten ihre Bedürfnisse. Pearson versicherte ihr, daß er nicht im geringsten betroffen darüber sei, daß ein Mädchen hin und wieder eine Zigarette rauche.

»Ich hatte einigen Kampf mit Mutter, ehe sie nachgab,« erklärte Cecile in ihrer offenen, ruhigen Art. »Sie hat ein bißchen die Ansichten aus der Viktorianischen Zeit und denkt, die Welt solle so weitergehen wie in ihrer Jugend. Doch hatte ich einen verständnisvollen Bundesgenossen an Väterchen, der sehr duldsam ist. Und so trug ich den Sieg davon.«

Nun ging Pearson auf das Gebiet der Musik über und fragte Cecile, ob sie spiele, singe oder beides zugleich ausübe.

»Ich spiele viel,« war die Antwort, »und singe ein wenig zu meinem eigenen Vergnügen. Ich kann Ihnen ehrlich sagen, mein Spiel ist besser als mein Gesang.« Pearson bat sie, etwas zum Besten zu geben. Er liebte Musik leidenschaftlich und war selbst ein guter Spieler. Sie sagte gern zu und spielte ein paar Stücke von Chopin, welche ihren Zuhörer aufs höchste entzückten. Auch Thurston, nicht minder künstlerisch veranlagt, war ebenso erfreut wie sein Gast. Aber weder seiner Frau noch Valrose hatte Musik etwas Besonderes zu sagen.

Der entzückende Abend ging zu Ende. Thurston verabredete einen Tag, an dem Pearson ihn in seinem Büro aufsuchen sollte, um mit ihm zu frühstücken. Ceciles freundlicher Gutenacht-Gruß klang noch lange in ihm nach. Er war betrübt, eine Familie zu verlassen, die zwei so anziehende Mitglieder besaß. Und Frau Thurstons gemessene Art beeinträchtigte diesen Eindruck nicht.


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