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VII

»Sind Sie aber auch verschwiegen gewesen? Haben Sie auch nichts über unsere letzte Unterredung zu Thurston oder sonst jemand verlauten lassen?«

Das war die erste Frage, die Shaddock stellte, als sie sich am folgenden Morgen am verabredeten Ort trafen.

»Selbstverständlich nicht,« antwortete Pearson, ein wenig verärgert über dieses gewohnheitsmäßige Allerweltsmißtrauen des Detektivs. »Ich gab Ihnen mein Versprechen und habe es gehalten. Wie Sie wissen, fuhr ich an jenem Nachmittag nach Shepperton hinaus. Während der ganzen Zeit, wo ich dort war – es war eine Woche – wurde der Name Valrose nur einmal erwähnt. Thurston ist, wie mir scheint, das Thema sehr zuwider. Ein anderer Gast erzählte mir, daß seine Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter zu allerhand Bemerkungen in seinem Freundeskreis Veranlassung gegeben hat. Man bezeichnete es als eine große Unbesonnenheit, daß er Valrose in seine Familie einführte.«

»A–h–a!« Shaddock stieß wieder jenen vielsagenden Laut hervor. Pearson, der unterdessen die Eigentümlichkeiten des Detektivs zur genüge kennen gelernt hatte, war es nicht entgangen, daß er so ziemlich jede Information in derselben skeptischen Weise aufnahm. Aus allem suchte er eine verborgene Bedeutung herauszulesen, die normalen Menschen entging; überall witterte er Unheil. Er zeigte darin die richtige Einstellung des Detektivs.

»Ich bin gespannt, zu erfahren, ob Sie noch anderes entdeckt haben«, sagte Pearson nach einer kleinen Pause, und weckte mit dieser Frage Shaddock aus einem kurzen Dahinträumen auf.

»Das begreife ich durchaus,« antwortete der Detektiv lebhaft. »Ich habe Sie ja gebeten zu kommen, denn nachdem ich Ihnen bisher weitestgehenden Einblick gewährte, wollte ich Ihnen mein ferneres Vertrauen nicht vorenthalten. Es läge hierfür auch kein Grund vor, da Sie unseren Pakt korrekt innehielten, wovon ich übrigens von vornherein überzeugt war.«

Nachdem er Pearson dieses Kompliment gemacht hatte, fing er an, eine äußerst interessante und merkwürdige Geschichte zu erzählen.

Im Verlauf ihrer Nachforschungen über den geheimnisvollen Tod Valroses waren sie auf die Spur eines Mannes namens Lloyd gestoßen. Er war etwa dreißig Jahre alt, von dunkler Gesichtsfarbe, etwas über mittelgroß, und trug einen großen Bart. Sonst hatte seine Erscheinung nichts Bemerkenswertes an sich.

Dieser Lloyd hielt sich in der gleichen Woche, in der Valrose im »Cosmopolitan« abgestiegen war, in Schuberts Hotel in George Street auf, und Beide waren gute Bekannte. Das Auffallende war, daß Lloyd während seines Aufenthaltes dortselbst meist in seinem Zimmer blieb, anscheinend mit Schreibereien beschäftigt, und nie das »Cosmopolitan« betrat; wogegen Valrose, dessen Bild die Zeitungen gebracht hatten, von drei verschiedenen Kellnern wiedererkannt und als ein häufiger Besucher Lloyds festgestellt wurde. Seine Besuche machte er freilich unter einem anderen Namen.

Man hatte den Chauffeur gefunden, der Valrose an jenem Abend, als er mit Pearson dort gespeist, nach Whitehall Court gefahren hatte. Der Chauffeur hatte ihn deutlich aus Schuberts Hotel kommen, dann ein paar Schritte westwärts gehen sehen, und dann sei er auf das Auto zugeschritten. Offenbar war Valrose also kurz vor seinem Tode mit Lloyd zusammen gewesen.

»Dies alles bringt uns natürlich noch nicht weiter,« erklärte der Detektiv, als er an diesem Punkte seiner Erzählung angelangt war. »Ich vergaß Ihnen noch zu sagen, daß Lloyd in dem Gästebuch des Hotels eine kleine Stadt in der Nähe von Plymouth als seine ständige Adresse angegeben hatte. Nachforschungen ergaben natürlich mehrere Lloyds in jener Stadt, denn es ist ein ziemlich häufiger Name. Doch paßte die Beschreibung auf niemand, auch war keiner von den Lloyds in jener Woche in Schuberts Hotel gewesen. Dieser Lloyd, der zweifellos einen falschen Namen und eine falsche Adresse angegeben hatte, war bis dahin nie in dem von ihm bewohnten Hotel gewesen. Valrose besuchte ihn unter dem Namen Waller, offenbar um seine Identität zu verschleiern. Wir sind berechtigt daraus den Schluß zu ziehen, daß beide Männer das gleiche Geheimnis zu verbergen hatten und niemand wissen durfte, daß sie miteinander in Verbindung standen. Wie gesagt, an sich bringt uns das nicht viel weiter. Doch die späteren Maßnahmen Lloyds ergaben starke Verdachtsmomente.«

Er fuhr dann damit fort, die Einzelheiten dieser Maßnahmen aufzuführen. Am Morgen nach der Entdeckung hatte Lloyd offenkundig London verlassen, um nach Paris zu fahren. Doch die Fahrkarte, welche er für den Morgenschnellzug in Victoria Station gelöst hatte, wurde auf dem Pariser Nordbahnhof von ihm nicht wieder abgegeben. Allerdings war eine Persönlichkeit, auf welche die Beschreibung des Engländers paßte, tatsächlich einem Personenzug in Criel, der letzten Haltestelle vor Paris, entstiegen, hatte erklärt, ohne Fahrkarte von der französischen Küste gekommen zu sein, hatte das verlangte Fahrgeld nachgezahlt und alsdann, mit einer kleinen Reisetasche in der Hand, den Bahnhof verlassen.

»Wir haben ferner festgestellt, daß dieser Lloyd in engen Beziehungen zu führenden Revolutionären stand,« schloß Shaddock.

»Außerdem haben wir herausbekommen, daß er sich vor seiner Ankunft in Schuberts Hotel kurze Zeit im Hotel Vinci in Paris aufgehalten hat. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Valrose ihn am letzten Abend seines Lebens besucht hat. Gewiß erinnern Sie sich, daß der Tote in einem Portal der Arundel Street, Strand, aufgefunden wurde. Was hatte Valrose zu dieser außergewöhnlichen Stunde in jener Gegend zu tun?«

»Ich glaube, ich sehe, worauf Sie hinaus wollen,« unterbrach Pearson. »Angenommen, daß er zum »Cosmopolitan« zurückging, mußte er auf dem Weg von Schuberts Hotel durch die Arundel Street kommen. Doch ist es einigermaßen sonderbar, daß er nicht irgendwo am Strand selbst zusammenbrach, wenn er sich schlecht fühlte. Warum sollte er sich von der Hauptverkehrsader abwenden?«

»Wir können natürlich nicht alles erklären. Wir können nur das für wahr halten, was im Bereich des Möglichen liegt«, entgegnete Shaddock. »Angenommen unser Verdacht ist richtig, daß diesen Lloyd eine Mitschuld an Valroses Tode trifft. Liegt es da nicht nahe, daß Lloyd aus irgend einem plausiblen Grunde Valrose auf seinem Heimweg begleitete, und als er merkte, daß der körperliche Zusammenbruch bevorstehe, ihn in diese Straße ablenkte, welche zu so später Stunde voraussichtlich leer war, und ihn im Portal niederlegte? Wir können leider weder über die Handlungen des einen noch des andern in jener denkwürdigen Nacht irgendeine Gewißheit erlangen. Keiner der Kellner kann sich erinnern, daß er Valrose bei Schubert hätte eintreten sehen. Es ist leicht möglich, daß er das Hotel aufsuchte, als die Halle leer war, und geradeswegs in Lloyds Zimmer ging. Und daß sie dasselbe Glück hatten, als sie zusammen fortgingen. Ich gebe zu, daß alles das größtenteils Vermutungen sind, die vor Gericht nicht viel Wert hätten. Doch das Verhalten Lloyds am folgenden Tage, die Lösung der Fahrkarte, welche er nicht benutzte, die Reise im Bummelzug nach Criel, um dort auszusteigen, ergibt schwere Verdachtsmomente.«

»Das ist sicher eine sehr fein ausgedachte Beweisführung,« bemerkte Pearson, »doch wie Sie richtig sagen, würde sie vor Gericht nicht viel Bedeutung haben, es sei denn, weiteres Beweismaterial käme hinzu.«

»Das wir einstweilen nicht besitzen«, erwiderte der Detektiv bedauernd. »Die große Schwierigkeit des Falles, und sie erscheint mir fast unüberwindlich, ist, daß nichts im Körper gefunden wurde, was auf einen unnatürlichen Tod hindeutet. Die Ärzte schienen, nach der Art zu urteilen, wie sie ihr Gutachten abgeben, allerdings nicht ganz sicher. Doch selbst wenn unsere Indizien für eine Anklage ausreichten, wüßte ich nicht, wie wir über diese Klippe hinweg kämen. Mein Kollege Berenger meint, daß es sich kaum lohne, die Sache weiter zu verfolgen; aber ich habe trotzdem die Absicht, weiter daran zu arbeiten. Ich bin ein eigensinniger Kerl, wenn ich mal etwas angefangen habe. Und die ganze Angelegenheit interessiert mich über die Maßen.«

Man brauchte Pearson nicht erst zu sagen, daß sein Vertrauter der richtige Bullenbeißer war und nur widerwillig losließ, was er einmal angepackt hatte; über die Schwierigkeiten, welche bestanden, um die mit dem Fall Valrose verbundenen Rätsel zu lösen, stimmte er aber völlig mit Shaddock überein. Er dankte für die Aufschlüsse, die er erhalten hatte, und verabschiedete sich von Shaddock, der ihm versprach, ihn auch weiterhin laufend zu unterrichten.

Vierzehn Tage vergingen, ohne daß eine neue Einladung aus Shepperton kam. Sogar eine Aufforderung zum Diner wäre Pearson lieber gewesen, als dieses lange Schweigen. Da endlich eines Morgens läutete ihn Thurston in seinen Geschäftsräumen an.

»Halloh, Pearson, wie geht es Ihnen nach so langer Zeit? Wie ist's, haben Sie im Augenblick viel vor?«

Das Herz des jungen Mannes machte einen großen Satz; er konnte erraten, was jetzt kommen würde. Nein, er hatte durchaus nichts vor.

»Dann ist's gut. Wollen Sie heute nach Rosebank hinauskommen und eine ruhige Woche mit uns verbringen? Cecile meinte, das würde Ihnen lieber sein, als wenn noch andere Gäste da wären. Mit Rudern, Tennis und ähnlichem würde Ihnen schon die Zeit vergehen, ohne daß Sie sich langweilen.«

Langweilen, warum nicht gar! Was könnte es Schöneres geben, als ohne Furcht vor Störungen eine volle Woche mit Cecile zusammen zu sein? Er dankte herzlich und versprach, er werde heute noch nach Shepperton hinauskommen und ungefähr zur Teestunde dort eintreffen.

Wie glücklich fühlte er sich, als er die vertraute Halle betrat und durch die offene Tür am andern Ende den schönen Rasenplatz mit seinen leuchtenden Blumenbeeten und wohlgepflegten Büschen schimmern sah. Der würdevolle Diener teilte ihm mit, daß die Damen gerade zum Tee hinausgegangen seien, und ob er sie dort aufsuchen wolle. Gleich darauf begrüßte ihn Frau Thurston in ihrer gewohnten Weise. Der Willkomm seitens der reizenden Cecile war dagegen sehr herzlich.

»Wir hatten eine Menge Gäste hier, nachdem Sie fort waren«, erklärte die junge Dame, welche in einem sie weich umfließenden Nachmittagskleid, das sich ihrer schlanken, eleganten Gestalt vollendet anpaßte, entzückender denn je aussah. »Sonst hätten wir Sie schon früher zu uns herausgebeten. Doch aus einer Bemerkung, welche Sie bei Ihrem letzten Hiersein machten, schloß ich, daß Sie nicht gern einer von vielen sind.«

So hatte sie also seine damaligen Bemerkungen im Gedächtnis behalten, und aus den Äußerungen Thurstons am Telephon zu schließen, mit ihrem Vater darüber gesprochen. Es war klar, daß ihm die Eltern kein Hindernis in den Weg legen würden, wenn er auch fernerhin die Gesellschaft des jungen Mädchens aufsuchte, und ebenso gewiß war er seiner Sache, daß Cecile einverstanden war. Das beruhigte ihn sehr, da er sich über ihre wahren Gefühle bisher noch im Unklaren war.

Vielleicht galt er ihr nicht mehr denn als ein angenehmer Gesellschafter. Das ist stets der große Unterschied zwischen den Geschlechtern, daß eine Frau über die Gefühle, die ein Mann für sie hegt, nie im Irrtum ist, der Mann diesen unfehlbaren Instinkt aber nicht besitzt. Und ein weiterer Unterschied ist der, daß die Frau ihre Gefühle besser verbergen kann.

Nach dem Tee gingen er und Cecile zusammen fort, um zu rudern. Frau Thurston hatte mit der Begründung, Briefe schreiben zu müssen, abgelehnt, sie zu begleiten, und empfahl ihnen, sich mit der Rückkehr nicht zu beeilen, da sie längere Zeit beschäftigt sein würde. Pearson war mit diesem Anfang sehr zufrieden und zog daraus günstige Schlüsse. Es konnte eine herrliche Zeit werden, wenn die alte Dame sich auch weiter so zurückhielt und die jungen Leute ihren eigenen Einfällen überließ.

Cecile nahm zuerst die Ruder, während der junge Mann steuerte. Er sollte sie dann bald ablösen. Sie war viel zu sehr Sportsdame, um ihrem Begleiter die Arbeit allein zu überlassen, und außerdem ruderte sie sehr gern.

»Lieben Sie Rosebank und das Leben hier immer noch so sehr?« war die erste Frage, die er an sie stellte, während Beide dahinglitten. Es war ein prachtvoller Tag; eine kühle Brise milderte die Glut der Sonne.

»Noch genau so sehr. Wenn wir auch, so lange ich zurückdenken kann, immer mitten in London lebten, bin ich doch durch und durch ein Landkind. Ich schwärme für Blumen, Bäume, grüne Fluren, und würde ebenso gern im Winter hier leben; aber Väterchen und Mutter würden sich daraus bestimmt nichts machen. Ich glaube, Sie sind ebenso und würden den Winter nicht gern außerhalb Londons verbringen?«

»Ach, ich hätte nichts dagegen,« antwortete Pearson. »Ich halte mich jetzt das ganze liebe lange Jahr in London auf, weil es bequem so ist. Doch eigentlich stamme ich vom Lande. Mit Ausnahme der Schuljahre habe ich als Junge die meiste Zeit in einem Landstädtchen verlebt. Sowohl mein Vater wie meine Mutter starben dort in unserem alten Hause. Man kann eben nicht alles haben, was man möchte, stimmt's? Sie werden vermutlich bis zu Ihrer gewohnten Reisezeit hier bleiben und den Aufenthalt um so mehr genießen, wenn Sie Rosebank immer wieder aufs neue aufsuchen. Doch haben Sie noch eine gute Spanne Zeit vor sich.«

»Nicht so lange wie Sie denken, oder wie ich es wünschte,« sagte Cecile mit einem kleinen Achselzucken. »Eine meiner alljährlichen Pflichten, ich könnte es auch Freuden nennen, ist ein ziemlich ausgedehnter Besuch bei meiner Tante, der einzigen Schwester meiner Mutter. So lange wir in London waren, machte es mir keinen Unterschied. Ich war nie betrübt, die Stadt zu verlassen. Doch dieses Jahr wünschte ich, der Besuch könnte auf eine andere Jahreszeit verschoben werden. Die Tante besitzt ein sehr hübsches Haus mit Garten in der Nähe von Peterborough. Aber natürlich findet der begeisterte Wassersportler dort keine Themse vor, auf der er rudern oder staken könnte.«

Der junge Mann interessierte sich natürlich für diese Tante, wie er sich für jeden interessiert hätte, der in verwandtschaftlichen Beziehungen zu Cecile stand. Er hatte von einigen Verwandten Thurstons gehört, die überall um London herum zu sitzen schienen, doch zum ersten Male erfuhr er von einer Verwandten mütterlicherseits.

»Könnten Sie diesen Vorschlag denn nicht machen?« fragte Pearson.

Sie schüttelte energisch den Kopf. »Mutter würde nichts von einem Aufschub hören wollen. Sie müssen bedenken, daß es sich um ihre einzige nächste Blutsverwandte handelt, überdies ist Tante meine Patin. Sie betrachtet mich gewissermaßen als ihr Eigentum, als eine Art Adoptivtochter. Die arme Seele führt als Witwe ohne Kinder, die ihren Lebensabend erheitern könnten, ein recht einsames Dasein. Ihr Mann ließ sie in sehr guten Verhältnissen zurück, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß sie glücklich ist. Sie ist jedoch eine Frau mit sehr regem Geist und beschäftigt sich viel mit Dingen des öffentlichen Lebens, bei denen sie sich nützlich machen oder wobei sie Gutes stiften kann.«

»Und Sie hängen an ihr, wie Sie sagen?«

»Ganz außerordentlich, besonders wenn man bedenkt, daß wir ganz entgegengesetzte Naturen sind. Ehrlich gesagt, es ist sehr langweilig dort; sie hat wenig Verständnis für das moderne Mädchen, oder überhaupt für die Jugend. Die Ansichten der vergangenen Generation waren gut genug für sie, und so findet sie, daß sie auch für uns gut genug sein sollten. Ihrer Meinung nach müßte eine Frau sich von ihren eng umgrenzten häuslichen Pflichten völlig befriedigt fühlen. Mutter ist – nun gut – ein bißchen altmodisch in ihrer Denkungsweise, aber doch modern und fortgeschritten im Vergleich zu ihrer Schwester. Das kommt daher, weil Väterchen sehr mit der Zeit vorwärts schreitet und in dieser Beziehung einen guten Einfluß auf Mutter hat.«

»Ich kann mir wohl vorstellen, daß Sie diesen jährlichen Besuchen nicht mit sehr stürmischen Empfindungen entgegensetzen,« lachte Pearson. »Bei ihren Ansichten wird sie von zigarettenrauchenden jungen Damen nicht sehr entzückt sein – um nur eines herauszugreifen.«

»Um des Himmels willen, nein! Ich wage nie eine Zigarette zu rauchen, wenn ich dort bin; sie würde einen Anfall bekommen. Mutter kann es ja auch nicht leiden, wie Sie wissen. Aber Väterchen hat ein Machtwort gesprochen, denn er sieht nichts Schlimmes darin. Sie können mir glauben, es ist eine schreckliche Entbehrung, denn ohne eine gelegentliche Zigarette bin ich erledigt.«

»Und wann beabsichtigen Sie diese Reise anzutreten?«

»Die Zeit rückt heran,« antwortete Cecile in ihr Schicksal ergeben. »Sie ist eine schrecklich pedantische Frau, meine Tante, alles muß bei ihr nach dem Schnürchen gehen. Gegen Ende Juli stellt sich ein Briefchen ein, daß sie sich die Gesellschaft der lieben Cecile auf vierzehn Tage ausbittet, unter der stillen Voraussetzung, daß die liebe Cecile noch eine Woche länger bleibt. Und dort tagaus, tagein das Gleiche. Ein paar langweilige Leute kommen uns besuchen, und wir besuchen diese langweiligen Leute wieder. Bald nach meinem Eintreffen wird ein steifmatziges Diner veranstaltet, wozu das beste Porzellan und Silber hervorgeholt wird. Und nun kommen noch mehr langweilige Leute, darunter der Unterpfarrer mit seiner Frau und der Pfarrer, der Junggeselle ist.«

»Und die ganze Zeit über nicht mal den Trost einer einzigen Zigarette,« lachte Pearson. Während er sprach, dachte er darüber nach, wie sich das Leben für dieses sprühende Mädchen gestaltet haben würde, wenn ihre Mutter statt des großzügigen Thurston einen Mann ihres eigenen Temperaments geheiratet hätte.

Als die jungen Leute heimkehrten, war Thurston schon dort und bereits zum Diner angekleidet. Pearson fand es bewundernswert, mit welcher Frische dieser so rastlos arbeitende und ganz in seinem Beruf aufgehende Mann die kurzen Erholungsstunden zu genießen verstand.

Am Abend wurde fleißig musiziert, und später gingen Cecile und Pearson in das Billardzimmer, während Thurston rauchte und für sie markierte. Auf kurze Zeit kam auch Frau Thurston herein, zog sich dann aber bald zurück. Thurston selbst war ein später Vogel und Cecile schlug nach ihrem Vater. So wurde es Mitternacht, ehe die drei sich trennten.

»Wahrhaftig, Kind, das taugt nichts,« sagte der Vater, als er ihr liebevoll den Gutenachtkuß gab. »Wenn du so weiter machst, wirst du bald dein blühendes Aussehen verlieren.«

Er war herrlich für Pearson gewesen, dieser erste Tag seines Besuches, der ihm so viele Stunden des Zusammenseins mit Cecile beschert hatte. Und ebenso frisch und rosig wie stets kam Cecile am nächsten Morgen zum Frühstück, trotz des langen Ausbleibens am Abend vorher.

Bei den nun folgenden mehrfachen Unterhaltungen mit der hübschen Cecile erfuhr der junge Liebhaber so ziemlich alles, was über die Familienchronik nach beiden Seiten hin zu sagen war. Frau Thurston und ihre Schwester waren die einzigen Kinder eines aus der Indischen Armee verabschiedeten Obersten. In Indien geboren, wurden sie nach altem Brauch zu ihrer Erziehung nach England geschickt. Vater und Mutter starben, als die beiden Schwestern noch kleine Mädchen waren, in Übersee und hinterließen den Kindern nur ein geringes Vermögen. Eine unverheiratete entfernte Verwandte, die in Cheltenham lebte, nahm sie bei sich aus. Da sie hübsche Mädchen waren, stellten sich genügend Bewerber ein, und Beide machten ausgezeichnete Heiraten. Die Ältere eroberte sich Thurston, die Jüngere heiratete einen um etwa zwanzig Jahre älteren Regierungsbeamten.

Thurstons Vater war als Landpfarrer mit einer großen Familie gesegnet. Er hatte acht Kinder, von denen sechs noch lebten. Der Pfarrer und seine Frau waren schon vor vielen Jahren gestorben. Im Alter von zwanzig Jahren war Thurston, Ceciles Vater, in die Firma eines ausländischen Finanzmannes, Ludwig Marx, eingetreten, der sich in England niedergelassen hatte. Seine Aufnahme verdankte er dem Einfluß eines reichen Pfarrinsassen seines Vaters.

Der junge Thurston war geweckt, unternehmend und fest entschlossen, vorwärtszukommen. Glücklicherweise hatte er den Wirkungskreis gefunden, der seiner Begabung entsprach. Bereits nach kurzer Zeit besaß er das Vertrauen seiner Vorgesetzten in so hohem Maße, daß er über die Köpfe seiner Kollegen hinweg schnell befördert wurde und schon im Alter von sechsundzwanzig Jahren den Posten des stellvertretenden Chefs bekleidete, als welcher er ein schönes Gehalt bezog. Fünf Jahre später lernte er bei einem Besuch in Cheltenham seine jetzige Frau kennen, verliebte sich in sie und heiratete sie nach kurzer Verlobungszeit.

Ein weniger ehrgeiziger Mensch wäre vielleicht mit dieser Stellung und ihren sich jährlich steigernden Einkünften zufrieden gewesen. Doch Thurston war aus anderem Holze geschnitzt. Er fühlte Kräfte in sich schlummern, die in einer abhängigen Stellung, niemals zu voller Entfaltung gelangen konnten. So beschloß er, sich ein eigenes Geschäft zu gründen und ließ sich als selbständiger Finanzagent nieder. Und von dem Tage an, wo er in Old Broad Street sein Büro eröffnete, das er heute noch inne hat, war der Erfolg ihm treu geblieben.

»Väterchen ist Geldverdiener aus Instinkt,« hatte Cecile gesagt, als sie ihm über diesen Teil der Familiengeschichte berichtete. »Wo der Durchschnittsmensch keinen Anfang sieht, entdeckt er ihn und greift sofort zu. Und doch kann ihm niemand den Vorwurf machen, daß er das Geld zusammenscharrt; was er mit der einen Hand verdient, gibt er mit der anderen großzügig aus. Ich glaube, was ihn bei diesen finanziellen Unternehmungen so reizt, ist der scharfe Kampf der Geister, die Klugheit, die aufgewendet werden muß, um den Sieg davonzutragen. Was ihn beglückt, ist nicht das Geld, das er verdient, sondern die Art, wie er es verdient. Alle Kräfte seines nimmer rastenden Geistes werden dabei angespannt.«

Pearson folgerte hieraus, daß Thurston zu jenen Glücklichen gehörte, denen der Erfolg im Leben sicher ist. Solche Männer warten nicht darauf, daß Gelegenheiten sich ihnen bieten, nein, sie schaffen sie sich selbst.

Wenn er an Rosebank dachte und an die kostspielige Wohnung in Whitehall Court, an den Aufwand für die Instandhaltung dieser Besitztümer, dann erkannte er deutlich, in welch hohem Maße der Instinkt des Geldverdienens Thurston beherrschte. Und als Sohn eines mit Glücksgütern nicht gesegneten Landpfarrers hatte er weder seiner Geburt noch seinen Beziehungen das Geringste zu verdanken. Er hatte sich vermöge seiner großen Fähigkeiten seinen Weg selbst gebahnt.


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