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VI

Pearson erwachte zeitig durch die frische Morgenluft. Mit Ausnahme des Hauspersonals war noch niemand auf den Beinen. Da er fühlte, daß er nicht wieder einschlafen könne, stand er auf, nahm sein Bad und kleidete sich an, um dann im Garten herumzuschlendern, der ihm bei seiner Ankunft gestern so gefallen hatte.

Es war wirklich ein prachtvoller Landsitz. Nicht umsonst hatte Thurston den Wunsch, gerade dieses Grundstück zu kaufen, um seiner Tochter eine Freude zu machen. Nun, es würde ihn zweifellos ein gehöriges Stück Geld kosten, das Anwesen zu erwerben, und eine runde Summe obendrein, es in Stand zu halten. Von seinem Fenster aus konnte er beim Ankleiden drei Gärtner bei der Arbeit sehen, und sein Blick umfaßte bei weitem noch nicht den ganzen Besitz. Thurston mußte ein reicher Mann sein, um sowohl dieses Besitztum wie Whitehall Court zu unterhalten, und wenn die Familie beabsichtigte, ihre Freunde hier häufig bei sich zu sehen, würde das Geld nur so dahinfließen.

Er amüsierte sich im Stillen über Shaddocks Einstellung Thurston gegenüber. Diese Leute kamen durch ihren Beruf so viel mit den Nachtseiten des Lebens in Berührung, daß es ihnen zur zweiten Natur wurde, unter zehn Menschen neun wahllos zu beargwöhnen. Es genügte, daß Thurston sich mit einem Menschen angefreundet hatte, der sich, gelinde gesagt, als Abenteurer entpuppte, um ihn selbst verdächtig zu finden.

Würde Shaddock zu diesem kleinen Gästekreis gehören, müßte er indessen zugeben, daß keine Berechtigung zu so unbegründetem Argwohn vorlag. Wäre Thurston nicht ein Mann von tadellosem Rufe, so besäße er auch keine so angesehenen Freunde. Aus früheren Mitteilungen seiner Gastgeberin war ihm bekannt, daß Frau Anstruther einer Familie des Landadels angehörte. Der Ruf des Akademikers Smirke ging weit über seinen Wohnsitz hinaus. Die Persönlichkeit Carsons stand fest durch seine wichtigen geschäftlichen Interessen und seine Teilhaberschaft an einem Unternehmen, das sein Vater gegründet hatte. Miß Venner war die Tochter eines verabschiedeten Obersts, der Thurston schon seit vielen Jahren kannte. Mit einem Mann, dessen Leben zweideutig gewesen wäre, würden so prominente Persönlichkeiten nicht verkehren.

Am voraufgegangenen Abend hatte Pearson im Rauchzimmer eine lebhafte Plauderei mit Thurston gehabt. Sie hatten von vielen Dingen gesprochen, doch war der Name Valrose zwischen ihnen nicht genannt worden. Obwohl der Tote beständig in Pearsons Gedanken lebte, vermied Pearson es, von ihm zu sprechen, da er befürchtete, Shaddocks Vertrauen unbewußt zu mißbrauchen.

Ein weiterer Grund war, daß er die Empfindung hatte, das Thema sei seinem Gastgeber unangenehm. Thurston mochte mit Recht ärgerlich sein, daß er sich derart getäuscht sah durch einen Abenteurer, den in seine Familie einzuführen er keinen Anstand genommen hatte. Die Sache fiel gewissermaßen auf ihn selbst zurück, dem als welterfahrenem Mann ein solcher Lapsus nicht unterlaufen durfte. Pearson wußte, wie verhaßt ihm der Gedanke gewesen war, jener Gerichtsverhandlung beiwohnen zu müssen, nicht etwa nur deshalb, weil ihn die verlorene Zeit verdroß, sondern auch weil es ihm unangenehm war, daß seine Freunde erfuhren, wie töricht er gehandelt hatte.

Pearson fand die eingeladenen Gäste so interessant, daß er seine Absicht, tagsüber fortzugehen, nicht ausführte. Er hatte den Vorzug, der einzige unabhängige junge Mann der Gesellschaft zu sein, und wenn er auch nicht so häufig Gelegenheit fand, mit Cecile allein zu sein, wie es sein Wunsch gewesen wäre, so befriedigte ihn der Aufenthalt doch ungemein. Nach wie vor fand er sie unbeschreiblich reizvoll und würdig der tiefen Gefühle, die er für sie empfand.

Im übrigen hatte er an den anderen Gästen großen Gefallen gefunden. Smirke, der Akademiker, war ein famoser Mensch, dessen jugendlicher Geist seine vierzig Jahre Lügen strafte. Stets gut gelaunt, war er ein angenehmer Plauderer, der jedoch nie die Unterhaltung an sich riß. Ein so gewandter Erzähler wie Thurston war er freilich bei weitem nicht. Er erfreute sich in London großer Beliebtheit, und als Junggeselle war er fast jeden Abend eingeladen.

Carson war kein großer Redner, und seine gesellschaftlichen Talente waren wenig hervortretend; aber er war ein liebenswürdiger Mensch und nie ein Spielverderber. Thurston sagte von ihm, daß er einer der tüchtigsten Geschäftsleute sei, die er kenne, und seine Firma habe seiner Initiative und Tatkraft Großes zu verdanken. Wenn auch sein älterer Bruder den Rang des Chefs einnahm, war er doch der führende Geist des Unternehmens.

Was Carson in geselliger Beziehung abging, machte seine Frau wieder gut. Sie war das belebende Element jeder Gesellschaft, in der sie sich befand. Mühelos hielt sie die Unterhaltung im Gang und verstand es meisterhaft, befangene Menschen zum Sprechen zu bringen. Ihre zahlreichen Freunde meinten, sie verstehe es, selbst den stumpfsten Leuten eine Spur von Leben einzuhauchen.

Miß Beatrice Venner, ihres jugendlichen Aussehens und zierlichen Wuchses halber auch »Baby« genannt, war das, was man einen netten Kerl nennt. Vielleicht hatte sie ihrer Veranlagung nach nicht so ausgesprochen weibliche Eigenschaften wie Cecile. Sie war wenig geneigt, Gefühlen nachzuhängen. Dafür war sie aber vollendete Sportsdame: waghalsige Jagdreiterin, Meisterin im Tennis, vorzügliche Schwimmerin, und verstand sich vortrefflich aufs Rudern und Staken. Sie besaß eine große Anzahl guter Freunde unter den jungen Leuten, die sie als Kameraden behandelte. Pearson erfuhr später durch Cecile, daß sie bisher noch nie eine Liebesaffäre gehabt habe. Detektiv- und Abenteurer-Geschichten las sie mit Wonne; Romane dagegen nannte sie wertlosen Plunder.

Für das letzte Mitglied des Kreises, Frau Anstruther, konnte Pearson nicht viel Begeisterung aufbringen. Sie war eine langjährige Freundin der Dame des Hauses, mit den gleichen gemessenen Manieren und denselben altmodischen Ideen. Vielleicht würde sie jedoch, wie Frau Thurston, bei näherer Bekanntschaft gewinnen.

Viel Sympathie empfand er für den leichtbeschwingten Smirke. Sie unterhielten sich häufig zusammen. Was diesen Mann so sympathisch machte, war seine unerschöpfliche Lebenskraft und seine Freude an der Natur. Er war Optimist durch und durch, entdeckte nur immer das Gute am Menschen und übersah das Böse. Thurston brachte er große Bewunderung entgegen und sprach von ihm mit viel Herzlichkeit und Wärme.

»Er ist einer der besten Menschen der Welt und verdient durchaus sein Glück,« bemerkte Smirke, als er sich mit Pearson über Thurston unterhielt. »Freigebig, Verfehlungen gegenüber großmütig, immer hilfsbereit für jedermann, ist er einer der hochsinnigsten Charaktere, die mir je vorgekommen sind. Nichts an ihm ist niedrig oder klein und nicht die geringste Spur von Muckertum trübt das Gesamtbild seines Wesens.«

Pearson war erfreut über dieses Lob seines Gastgebers, für den er so große Achtung empfand.

»Und dieses frische junge Mädchen schlägt ganz in die Art des Vaters,« fuhr der Künstler fort, sich an seinem Thema förmlich berauschend. »Auch ihre Mutter ist eine gute Frau, vielleicht ein bißchen engherzig in ihren Anschauungen und ohne die gewinnende Art, welche Gatte und Tochter auszeichnet. Doch ist sie ein ehrenhafter und gerader Charakter. Bei ihr jedoch regiert der Kopf, bei dem prächtigen Thurston und seiner Tochter ist es das Herz.«

Er machte eine kurze Pause, um auf irgend eine Schönheit im Landschaftsbild aufmerksam zu machen, denn er war Künstler bis in die Fingerspitzen und andauernd mit der Betrachtung der Natur beschäftigt.

»Eine Schwäche von Thurston ist es, daß er zu sehr seinen Impulsen folgt. Wenn er jemand gern hat, kann er nichts Schlechtes von ihm glauben. Nun, ich tadle ihn nicht deswegen, denn ich bin genau so. Die Gerichtsverhandlung über jenen Toten, den man unter verdächtigen Umständen in einem Portal liegend fand – ich vergesse im Augenblick seinen Namen – Valrose, ja, danke sehr – war eine dumme Geschichte. Einige unserer gemeinsamen Freunde haben sich darüber aufgeregt und sein Verhalten als außerordentliche Unbedachtsamkeit für einen Mann seines Alters und seiner Erfahrung gebrandmarkt. Einen Menschen in seine Familie aufzunehmen, den man in einem ausländischen Hotel aufgelesen hat, und der keine andere Empfehlung besaß als seine angenehme Erscheinung – das ist allerdings unglaublich. Ich habe auch meine schwachen Seiten und bin weit davon entfernt, eine besondere Welterfahrung für mich in Anspruch zu nehmen. Aber selbst ich hätte das nicht getan. Nebenbei bemerkt, was für eine Art Mensch war denn dieser Valrose? Ich habe ihn nie in Whitehall Court angetroffen. Ich frage deshalb, weil ich mich erinnere, daß Sie als einer seiner Freunde genannt worden sind, der so ziemlich in der gleichen Weise wie Thurston seine Bekanntschaft gemacht hatte.«

»Dem äußeren Wesen nach ein sehr angenehmer Mensch,« antwortete Pearson. »Jedenfalls hatte er nichts von einem Abenteurer an sich, wenn ich auch zugeben muß, daß seine übermäßige Zugeknöpftheit mir manchmal verdächtig vorkam.«

»Ganz richtig. Ja, dieser gute Thurston! Wenn der einmal an jemand einen Narren gefressen hat, übersieht er die offenkundigsten Tatsachen.«

So hatte also Thurstons Verbindung mit dem Toten in seinem eigenen Freundeskreise zu Kritiken Veranlassung gegeben. Da durfte er gerechterweise auch seinen Freund Shaddock nicht tadeln, wenn dieser irre geworden war.

Smirke fing jetzt an, zu erzählen, welche Beweise von großer Güte er durch Thurston erfahren hatte. »Ich kenne ihn seit ungefähr zwanzig Jahren,« erklärte er, »von der Zeit an, wo ich noch ein begeisterter Kunstjünger war, mit dem unvermeidlichen großen Ehrgeiz der Jugend.«

»Der, wie ich hinzufügen möchte, sich in sehr hohem Maße verwirklichte,« warf sein Gegenüber dazwischen.

Der berühmte Künstler stieß einen kleinen Seufzer aus. »Nun, ja und nein – ich wäre ein undankbarer Kerl, wenn ich mich über das Los beklagte, das mir beschieden ist. Aber mir hatte ein anderes Ziel vorgeschwebt. Ich hatte große Meisterwerke schaffen wollen. Der Weg aber, der zu diesem Höhepunkt führte, war sehr dornenvoll. Da wandte ich mich der Sache zu, die näher lag, und wurde ein mehr oder weniger beliebter Porträtmaler. Ich hinterlasse der Nachwelt die Gesichtszüge reputierlicher Ratsherren und ihrer wohlbeleibten Gemahlinnen, hier und da auch die eines verdrießlichen Politikers oder einer einfältigen Debütantin. Ach! über die schwärmerischen Träume der Jugend!«

Pearson, der ebenfalls künstlerische Ambitionen besaß, konnte die nicht unberechtigte bittere Klage des Künstlers über seine entschwundenen Ideale nachfühlen. Es war, als wenn ein Komponist, der Beethoven und Wagner in der Schar der Unsterblichen nachzueifern suchte, zu seinem Lebensunterhalt Jazz-Musik schreiben muß.

»Es macht sich bezahlt, ich gebe es zu. Ich beklage mich ja nicht aus diesem Grunde und habe mehr Arbeit, als ich bewältigen kann. Wenn der Tag kommt, an dem ich mein Schäfchen im Trockenen habe, werde ich nicht mehr für Geld, sondern nur noch zur Befriedigung meiner Künstlerinteressen malen. Ich wollte jedoch nicht über meinen persönlichen Ehrgeiz sprechen, sondern Ihnen nur sagen, was für ein guter Mensch Thurston ist. Ich lernte ihn, wie gesagt, kennen, als ich noch ein blutjunger Mensch war. Sie wissen vielleicht, daß bildende Kunst und Musik seine beiden großen Leidenschaften sind. Von beiden steht ihm aber die bildende Kunst am höchsten. Er war der Ansicht, daß ich ein bedeutendes Talent sei und daß die Zukunft in meiner Hand liege. Er war damals in guten Verhältnissen, doch offenbar nicht so reich, wie er es in den letzten zehn Jahren geworden ist. Und ich war so arm wie die sprichwörtliche Kirchenmaus Da konnte er sich nicht genug tun, mir Gutes zu erweisen. Er lud mich häufig ein, nahm mich mit aus Reisen, und wenn ich in der Klemme saß, bestand er darauf, mein Bankier zu sein. Sie werden zugeben, daß man einen solchen Mann nicht alle Tage trifft.«

Pearson gab das unumwunden zu und wünschte nur, daß dieser Shaddock mit seinem unverständlichen Argwohn dieses begeisterte Lob gehört hätte.

»Und als ich vorwärts kam und Geld verdiente, hörte seine hilfsbereite Güte deshalb nicht auf. Sie werden wissen, daß er allerhand Geschäfte in der Finanzwelt betreibt. Mehrfach hat er mich an solchen beteiligt, wobei mir die Anlage eines kleinen Kapitals hübsche Gewinne einbrachte. Ich habe auf diese Weise öfters vier- oder fünfhundert Pfund an Geschäften verdient, die Thurston vorgeschlagen hatte. Ich darf sagen, daß auch er es beklagte, daß ich mich der Porträtmalerei zuwandte. Vom Standpunkt des Geschäftsmannes aus aber hat er mir wohl recht gegeben.«

Pearson war an einem Mittwoch in Rosebank eingetroffen. Zwei Tage später reiste Smirke ab. Zu dieser Zeit des Jahres war er in London zu sehr in Anspruch genommen, um ausgedehnte Besuche machen zu können. Am nächsten Tage folgten ihm Herr und Frau Carson. Die lebenslustige Dame hatte viel vor und empfing auch ihrerseits zahlreiche Gäste. Mister Carson war, trotz seiner Gleichgültigkeit für gesellige Veranstaltungen, ein nachsichtiger Gatte, der seiner Frau gern erlaubte, sein Geld nach ihrem eigenen Geschmack auszugeben.

Frau Anstruther und Fräulein Venner blieben zurück, und Pearson nahm an, daß sie sich noch längere Zeit in Shepperton aufhalten wollten. Durch das Zusammenschrumpfen des Kreises ergab sich jetzt für ihn öfter die Gelegenheit, mit Cecile allein zu sein. Das »Baby,« wie sie von allen genannt wurde – sogar die steife und korrekte Frau Thurston akzeptierte diesen Spitznamen –, war eine unermüdliche Briefschreiberin, und wenn sie nicht mit der Feder hantierte, schloß sie sich für den größten Teil des Vormittags im Billardzimmer ein und übte ihre Lieblingsstöße.

Es war zur Selbstverständlichkeit geworden, daß nach dem Tee gemeinschaftliche Ausflüge auf dem Wasser unternommen wurden; zuweilen aber hatte Pearson das Glück, mit Cecile im Garten umherzuwandern oder einen langen Spaziergang mit ihr zu machen. Er war froh, daß Miß Venner stets so viel zu tun hatte und wußte ihr Dank für ihre Briefschreiberei und ihre Vorliebe für das Billard.

Es war am letzten Tage seines Aufenthaltes – denn weder Thurston noch seine Gattin hatten eine Andeutung gemacht, daß er noch länger bleiben solle. Er wußte, daß man andere Gäste erwartete und sein Zimmer gebraucht wurde.

Am Vormittag unternahm er mit Cecile eine Streife durch den Garten und nahm diese Gelegenheit wahr, ihr zu sagen, wie sehr er den Aufenthalt in diesem gastlichen Hause genossen habe.

»Das freut mich ungemein,« sagte sie in ihrer ehrlichen, offenen Art. »Und da Sie den Weg hierher gefunden haben, müssen Sie bald wiederkommen. Väterchen hat Sie so gern und wird immer wieder entzückt sein, Sie hier zu haben.« Nach einer kurzen Pause fügte sie dann unter reizendem Erröten hinzu: »Und wir alle ebenso.«

Pearson schien dies eine gute Gelegenheit, etwas entschlossener vorzugehen. »Nur eines fehlte, um den Genuß vollkommen zu machen. Leider fand ich nicht allzu viel Gelegenheit, mit Ihnen allein zu sein, so wie ich es gewünscht hätte. Wie schön waren jene Abende in Whitehall Court, wo wir vier allein waren und Sie mir vorspielten!«

Die Art, wie diese Worte gesprochen wurden, ließ über ihre Bedeutung keinen Irrtum aufkommen. Ihr reizendes Gesicht war wie mit Glut übergossen. Sie war unverkennbar in Verlegenheit. »Sie machen mir ein großes Kompliment,« begann sie mit leiser, zitternder Stimme gegen die Verwirrung anzukämpfen. Dies alles ließ Kenneth Pearson erkennen, daß er ihr keineswegs gleichgültig war.

»Ich versichere Ihnen, es ist kein Kompliment, nur die lautere Wahrheit. Nie ist mir ein Mensch begegnet –«

Der Satz wurde nie zu Ende gesprochen, denn in diesem Augenblick jubelte eine laute Stimme aus dem Hintergrund: »Zwölf vom Roten, ihr lieben Leute, sechsunddreißig im Ganzen. Morgen früh muß ich diesen Stoß unbedingt noch einmal üben.«

Natürlich war es »Baby« Venner, die, beglückt durch den Erfolg ihres Übens, wünschte, daß alle Welt an ihren Fortschritten teilnehme. Pearson haßte sie in diesem Augenblick beinahe wegen ihrer unwillkommenen Einmischung. Die Liebeserklärung für Cecile hatte auf seinen Lippen gezittert und war durch dieses nüchterne Mädchen, das nichts von Liebe wußte, zurückgehalten worden.

Der rechte Augenblick war verpaßt. Es würde sich weder am Tage noch am Abend Gelegenheit bieten, mit seiner Angebeteten allein zu sein. Er wünschte Miß Venner dorthin, wo der Pfeffer wächst. Doch dieses ahnungslose Mägdelein, dem die Bedrängnisse verliebter Leute fremd waren, merkte nichts von der Verlegenheit des Paares, plauderte ruhig weiter vor sich hin und heftete sich an seine Rockschöße, bis es schließlich Frühstückszeit war.

Am folgenden Morgen fuhr Pearson mit Thurston zur Stadt. Cecile verabschiedete sich mit warmem Händedruck von ihm und sprach die Hoffnung aus, daß er seinen Besuch bald wiederholen werde. Sie wendete die Augen etwas ab, während sie sprach, vielleicht aus Scheu, daß sie zu viel verraten könnten.

Der junge Mann kehrte zu seinen Geschäften und in eine Welt zurück, die Ceciles Gegenwart nicht mehr verklärte; eine Welt, die trübselig und öde erschien. Seine Gedanken waren den ganzen Tag in Rosebank. Der Blumenreichtum, die köstlichen Gärten – das war die richtige Staffage für dieses engelsgleiche Geschöpf. In seiner gewohnten verbindlichen Art hatte Thurston ihn aufgefordert, baldigst wiederzukommen. Doch wie konnte er es bis dahin aushalten?

Es war eigentlich schade, daß sie in Shepperton waren. In Whitehall Court hätte er Cecile doch wenigstens einmal in der Woche sehen können: am Empfangstag ihrer Mutter. Und er hätte die Damen zu Ausflügen abholen können. In Shepperton aber mußte er auf eine Einladung warten, und wenn sie kam, würde er das Haus wieder voll von Gästen finden.

Ein kurzer Brief von Shaddock, den er reichlich eine Woche nach seiner Rückkehr empfing, lenkte ihn zum Glück von diesen verdrießlichen Gedanken ab.

»Wenn Sie immer noch so interessiert sind an einer gewissen Affäre, kommen Sie morgen zur gewohnten Zeit an den gewohnten Ort. Ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen.«

Sein Interesse an dem Geheimnis der drei roten Punkte wurde aufs neue entfacht. Shaddock hatte offenbar kein Gras über der Sache wachsen lassen, vielmehr verfolgte er seine Spur unbarmherzig und rücksichtslos weiter.


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