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VIII

Es waren stille, heitere Tage, die sie an den Ufern des Flusses verlebten; jungen Menschen, die im Bann der Liebe stehen, verfliegt die Zeit nur allzu rasch. Doch so stark die Liebe ihn auch gepackt hatte, Pearson konnte den Mut nicht ausbringen, die entscheidende Frage zu stellen. Schon zwei oder drei Mal hatten die schicksalsschweren Worte ihm auf den Lippen gezittert, doch ein inneres Zagen hielt ihn zurück.

Für einen so gut aussehenden Menschen, dessen ganze Struktur dazu angetan war, den Frauen zu gefallen, besaß er merkwürdig wenig Selbstvertrauen. Hauptsächlich quälte ihn der Gedanke, womöglich abgewiesen zu werden, oder auf seine Werbung eine Antwort zu erhalten, die besagte, daß dieses begehrenswerte Mädchen, das wohl berechtigt war, Ansprüche zu stellen, ihn nur als guten Freund betrachte.

Doch am vierten Tage seines Aufenthaltes bot sich eine günstige Gelegenheit, und plötzlich fand er den Mut zu sprechen und sein Schicksal auf die Probe zu stellen. Cecile hatte in drollig-resignierter Weise auf den demnächst zu erwartenden Brief ihrer Tante angespielt, welcher sie den Freuden ihres jetzigen Lebens entreißen und der Langeweile des kleinen Dorfes bei Peterborough ausliefern würde. Jetzt war der große Augenblick da, und keine Miß Venner drohte das Idyll zu stören. Cecile hatte einen Augenblick mit Rudern aufgehört; das Boot glitt langsam den Fluß hinunter.

»Und Sie werden mindestens drei Wochen abwesend sein. Wie soll ich es ertragen, Sie eine so lange Zeit nicht zu sehen?« warf der junge Mann ein.

Wenn sie ihn hätte entmutigen und seiner zärtlichen Stimmung hätte einen Dämpfer aufsetzen wollen, so würde sie erwidert haben, daß er es doch schon eine recht lange Zeit ohne sie ausgehalten habe. Doch diese Absicht lag ihr fern. Sie schlug die Augen nieder, und das Blut stieg ihr in die Wangen, als sie ihm in reizender Verwirrung leise antwortete:

»Ist Ihnen wirklich so viel an meiner Gesellschaft gelegen?«

All seine Befangenheit, seine Zweifel an sich selbst schmolzen dahin vor dieser treuherzigen Frage. Die Worte, welche auszusprechen er nicht den Mut gefunden hatte, brachen jetzt stürmisch, leidenschaftlich hervor. In diesem ergreifenden Augenblick, und es ist einer der ergreifendsten im Leben eines Mannes, wenn er seine Seele vor der geliebten Frau enthüllt, sprach er mit einem Überschwang, der ihn selbst in Staunen setzte.

Er gestand ihr, daß er sie liebe, seit er sie zum ersten Mal gesehen, seit jenem Abend, als Valrose und er die einzigen Gäste gewesen waren. Er erzählte ihr, wie seine Liebe mit jeder Stunde, die er in ihrer Gesellschaft verbringen durfte, stärker entflammt sei, bis sie ihn derart überwältigt habe, daß sein Lebensglück jetzt von ihrer Antwort abhänge.

Er schloß mit den Worten: »Sie könnten unter Vielen wählen, ich weiß es wohl; doch sagen Sie mir, Cecile, ob Sie wohl lernen könnten, mich ein ganz klein wenig lieb zu haben?«

Ihre Brust hob und senkte sich, sie schlug die Augen nieder, und ihr eben noch sanft erglühtes Gesicht erblaßte langsam. Seine inbrünstigen Worte hatten sie tief ergriffen und sie in eine Gemütsbewegung versetzt, die der seinen sehr nahe kam.

Dann sagte sie leise, mit einer Stimme, die sich des Zitterns nicht erwehren konnte:

»Ich glaube nicht, daß ich es erst lernen muß. Ich habe Sie schon mehr als ein bißchen lieb.«

Er griff nach ihrer Hand und führte sie an die Lippen. Die räumlichen Verhältnisse des Bootes ließen in diesem Augenblick ein Näherrücken nicht zu. Eine ganze Zeitlang ließen sie das Boot träge den Fluß hinabgleiten und sprachen kein Wort. Vielleicht war es das Bewußtsein ihres Glückes, das sie stumm machte. Er war von dem Gedanken erfüllt, daß er ein Kleinod errungen habe, und sie sann darüber nach, wie hoch er sie eingeschätzt hatte, als er sagte, daß sie unter Vielen wählen könnte.

Als sie zusammen heimwärts gingen, war ihre Scheu über die plötzliche Änderung in ihren Beziehungen zu ihm noch nicht von ihr gewichen, doch sprachen sie jetzt etwas mehr. Thurston war auf ein paar Stunden nach Paris hinübergefahren und würde erst morgen zurück sein. Der junge Liebende bedauerte seine Abwesenheit, da er gern noch am gleichen Abend mit ihm gesprochen hätte. Glaubte Cecile, daß er von der kommenden Aussprache etwas zu befürchten habe? Diese Unterredung würde naturgemäß sehr ernst werden, da ein Vater gebeten wurde, sich von seinem geliebten einzigen Kinde zu trennen.

Das junge Mädchen schüttelte den hübschen Kopf. »Wenn er weiß, daß ich entschlossen bin, wird er keinen Widerstand entgegensetzen, und außerdem hat er Sie sehr sehr gern. Ich habe ihn nie über Sie sprechen hören, ohne ein Lob zu hören; er hat oft gesagt, daß er gern einen Sohn haben möchte, der Ihnen ähnlich ist. Mutter werde ich es natürlich sofort sagen.«

Dies tat sie auch, und als er vor Tisch Frau Thurston im Salon traf, reichte sie ihm die Hand und sagte herzlich: »Ich freue mich sehr über Ceciles Mitteilung und ich glaube, daß Sie auf die Zustimmung ihres Vaters rechnen können.«

Alles das war sehr ermutigend; die sonst so unnahbare Frau Thurston hatte das Geständnis ihrer Tochter überraschend liebenswürdig aufgenommen. Als der feierliche Diener das Zimmer verlassen hatte, füllte die Lady ein paar Gläser mit Wein und trank mit einigen gütigen Worten auf die Gesundheit und das Glück der Beiden.

Der Abend verging sehr rasch; Cecile spielte schöner denn je, und der junge Liebhaber saß wie traumverloren da und versuchte zu begreifen, daß dieses feengleiche Wesen versprochen hatte, ihm anzugehören, und daß sie ihren Lebensweg von jetzt ab gemeinsam fortsetzen würden. Als sie sich am Abend trennten, gab er ihr den ersten Kuß. Die Gegenwart von Frau Thurston war ihm aber hinderlich dabei, denn so rücksichtsvoll sie sich auch gezeigt hatte, so konnte doch dieser Kuß nicht so inbrünstig ausfallen, wie er gewünscht hätte. Diese erste Zärtlichkeit ließ aber süße Erinnerungen in ihm zurück.

Am folgenden Tag kehrte Thurston von Paris zurück und fuhr geradeswegs nach Rosebank hinaus. Offenbar hatte seine Gattin ihn in seinem Ankleidezimmer aufgesucht und ihm das Ereignis mitgeteilt, denn als er Pearson vor dem Diner zum ersten Mal wieder im Eßzimmer sah, schüttelte er ihm herzlich die Hand und sagte ihm leise: »Ich habe alles erfahren, mein lieber Junge, wir werden unsere kleine Zwiesprache nachher haben!«

Seine ganze Art war überaus gewinnend, und der junge Verehrer fühlte, daß, wie Cecile schon sagte, er nichts zu fürchten habe. Aber er würde doch froh sein, wenn die Ungewißheit bald hinter ihm läge. Wenn Thurston ihn auch in vielerlei Hinsicht als geeigneten Schwiegersohn schätzen mochte, konnte er doch einwenden, daß seine irdischen Güter nicht genügten, um ihn für ein Mädchen, das im Luxus aufgewachsen war, als Gatten geeignet erscheinen zu lassen. Er hatte Cecile dies heute morgen angedeutet, doch sie hatte seine Bedenken nicht geteilt.

»Väterchen ist ein ziemlicher Verschwender, ich weiß es wohl. Mutter findet, daß er zu weit darin geht und seinen vornehmen Passionen zu sehr nachgibt. Aber seine Freunde wählt er stets nur um ihrer selbst willen, nie nach ihrem Geldbeutel. Und gesellschaftlichen Ehrgeiz besitzt er nicht; er ist sehr zufrieden damit, an seinem selbstgewählten Platz bleiben zu können und hat kein Verlangen danach, in Kreise einzutreten, die ihn vielleicht über die Achsel ansehen würden. Er strebt nicht danach, für etwas anderes gehalten zu werden, als was er ist, nämlich ein glücklicher und erfolgreicher Geschäftmann.«

Als beide Herren im behaglich eingerichteten Rauchzimmer saßen, war es der Ältere, der das Thema zuerst anschlug.

»Meine Frau erzählte mir, daß Sie und Cecile sich einig geworden sind, und Sie wünschen natürlich unsere Zustimmung. Wir wußten wohl, daß ein solcher Tag einmal kommen mußte, aber wir haben ihn nicht herbeigesehnt. Es gibt Leute, die glücklich darüber sind, ihre Kinder los zu werden, und wenn wir eine große Familie hätten, wäre es bei uns vielleicht auch nicht viel anders. Doch Cecile ist unsere Einzige, und das ändert natürlich die Sache. Der Tag, an dem Cecile das Haus verläßt, bedeutet für uns einen großen Riß, einen schmerzlichen Verlust. Nun, Sie wollen unsere Tochter heiraten, und Cecile hat den Wunsch, Ihre Frau zu werden. Jetzt ist es an Ihnen zu reden. Sie haben mir viel von sich erzählt, aber natürlich will ich mehr wissen.«

Dies war eine deutliche, wenn auch harmlose Aufforderung an Pearson, seine finanziellen Verhältnisse klarzulegen. Pearson wär dazu gern bereit. Sein Vater hatte ihm ein Vermögen hinterlassen, das über 1500 Pfund einbringt, bestehend in erstklassigen Wertpapieren. Seltsamerweise war, wie Cecile, auch er das einzige Kind seiner Eltern. Sein Geschäft, welches er hauptsächlich deswegen betrieb, um eine ihm zusagende Beschäftigung zu haben, trug ihm mühelos 500 Pfund ein. Wenn er angestrengter arbeitete, würde er vermutlich mehr verdienen können, doch ließ sich darüber mit Gewißheit nichts sagen. Er gab Thurston wegen etwa von ihm nötig befundener Nachprüfung seiner Angaben seinen Bankier und seinen Rechtsanwalt als Referenz auf.

Als er geendet hatte, antwortete Thurston nicht sofort. Wie es jeder Vater unter solchen Umständen getan hätte, sichtete er im Geiste sorgsam die Tatsachen, die ihm soeben dargelegt worden waren. Pearson war etwas katzenjämmerlich zu Mute in dem Bewußtsein, daß er dem geliebten Mädchen nicht den Luxus bieten könne, den es gewohnt war, und daß er nicht in der Lage war, ihr ein Heim zu schaffen wie das von Whitehall Court. Doch schließlich konnten die jungen Eheleute nicht erwarten, da anzufangen, wo ihre Eltern aufgehört hatten.

Endlich sprach Thurston, und die Art, wie er es tat, war unendlich liebevoll. »Schön, mein guter Junge, Sie waren sehr ehrlich gegen mich, und ich weiß Ihre Aufrichtigkeit zu schätzen. Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit Cecile über die Sache zu sprechen, aber sie hat ihrer Mutter gesagt, daß sie eine große Liebe für Sie hegt, und daß sie von Ihrer Gegenliebe überzeugt ist. Das Glück meines Kindes ist mein höchstes Ziel, und wenn Sie der Mann ihrer Wahl sind, und daß Sie es sind, ist mir begreiflich, will ich Ihnen Beiden gern meinen Segen geben. Sie ist ein liebes gutes Kind mit ausgezeichneten Grundsätzen und festem Charakter; sie war uns die beste Tochter, und man sagt, daß aus einer guten Tochter eine gute Frau wird. Ich habe Sie von der großen Liebe sprechen hören, die zwischen Ihnen und Ihren Eltern bestand, und schließe daraus, daß Sie ein guter Sohn waren. Das erwähnte Sprichwort paßt auf beide Geschlechter, und deshalb glaube ich, daß Sie ihr ein guter Gatte sein werden.«

Pearson dankte ihm für die Güte, mit welcher er ihn in seine Familie aufnahm. Als Thurston dann wieder das Gespräch begann, bemerkte man, daß er unterdessen über die finanzielle Frage nachgedacht hatte.

»Cecile liebt es, sich gut zu kleiden und elegant aufzutreten; das ist auch recht so. Aber sie ist durchaus nicht extravagant. Um gerecht zu sein, muß ich sagen, daß sie nach ihrer Mutter schlägt. Der Verschwender in der Familie bin ich. Natürlich hätte ich viel mehr zurücklegen müssen, als es geschehen ist, aber wie gesagt, ich neige von Natur aus zum Vergeuden, und zum Unglück für meinen Geldbeutel habe ich einen schwer zu befriedigenden Geschmack. Was mir gefällt, muß ich haben. Kurz und gut, ich liebe alles, was Geld kostet, die besten Sorten und Jahrgänge an Wein, die auserlesensten Zigarren, die teuersten Hotels.«

Pearson hatte diese kleinen Charakterschwächen bereits erkannt. So verliebt er auch war, fühlte er sich doch erleichtert in dem Gedanken, daß Cecile die Sparsamkeit ihrer Mutter geerbt und einen solideren Geschmack hatte, als ihr Vater.

»Doch bin ich immerhin kein Bettler,« fuhr der Finanzmann fort. »Ich werde Cecile eine Mitgift von zehntausend Pfund geben, deren Zinsen dazu beitragen sollen, den häuslichen Karren glatt dahinrollen zu lassen. Und wenn im Lauf der Jahre dann meine Zeit gekommen ist, wird sie, mit Ausnahme der Leibrente ihrer Mutter, alles erben.«

Pearson dankte ihm nochmals für seine Großherzigkeit. Er hatte im Zusammenhang mit Cecile selbstverständlich nie an Geld gedacht; er wollte sie ihrer selbst wegen, nicht aber um dessentwillen, was sie ihm zubringen würde. Er war fest entschlossen, daß nicht ein Penny ihres Vermögens für andere Zwecke als für sie selbst ausgegeben werden dürfe.

»Und nun wollen wir uns einen Augenblick noch Ihren Angelegenheiten zuwenden,« sagte jetzt Thurston. »Die meisten Menschen verdienen gern ein wenig mehr, als sie es tun, und ich nehme an, daß Sie keine Ausnahme machen?«

»Ich fürchte, daß ich nicht sehr viel Ehrgeiz besitze,« antwortete lachend sein zukünftiger Schwiegersohn. »Eigentlich habe ich mich stets als einen verflixt glücklichen Kerl betrachtet. Aber ich würde es vermutlich nicht übelnehmen, wenn ich doppelt so reich sein könnte, als ich bin.«

»Nun, da werde ich Ihnen Wohl helfen können. Es kommen mir häufig Sachen unter die Finger, die für die schwerreichen Knöppe nicht verlockend genug sind. Für diese bilde ich vertrauliche kleine Syndikate, und in anbetracht des Einsatzes ist der Gewinn dabei recht beträchtlich. Nun muß es sich ja um ein hübsches Sümmchen an Kapital handeln, das Ihnen jährlich fünfzehnhundert Pfund einbringt. Ich könnte also, wenn sich eine günstige Aussicht ergibt, sagen wir ein paar Tausend Pfund für Sie anlegen, die Ihnen dann so etwas wie rund hundert Prozent Gewinn einbringen würden.«

Der junge Mann dankte ihm zum dritten Mal. Es war ihm ja bekannt, daß Thurston für seine Freunde solche Arrangements traf, denn Mister Smirke hatte ihm erzählt, daß er durch Thurstons Hilfe viel Geld verdient habe. Da er sehr vorsichtig war, zog er allerdings sichere vier Prozent problematischen fünfzig oder hundert vor. Doch es war nicht der richtige Moment, das zu sagen, und so antwortete er, daß er auf die Angelegenheit zurückkommen werde, sobald er und Cecile ihren Hausstand begründet hätten.

Alsdann gingen sie in den Salon zurück, wo sie Cecile traumverloren am Flügel vorfanden, während ihre Mutter behaglich einen Roman las. Der Augenblick erschien Pearson so überraschend wichtig, daß es ihn ziemlich in Erstaunen setzte, so gar keine Veränderung in dem Verhalten der Mutter zu finden. Sie gehörte also offenbar zu jener Kategorie von Frauen, die sich durch nichts aus ihrer Ruhe bringen lassen.

Trotz des Vertrauens, das Cecile dem Ergebnis der Unterredung entgegengebracht hatte, war sie doch während des Gesprächs der beiden Herren in rechter Unruhe gewesen. Diese Stimmung hatte sich auch ihrem Spiel mitgeteilt und kam in der nervösen Art zum Ausdruck, wie sie von einem Stück zum andern übersprang. Als die Herren eintraten, stand sie auf und ging ihnen entgegen, die Augen dabei fragend auf ihren Vater gerichtet.

Thurston verstand diesen Blick und sagte rasch: »Es ist alles in Ordnung, mein Liebling,« und, die Hände Pearsons und seiner Tochter ineinander legend, gab er Cecile einen zärtlichen Kuß.

»Alles Glück euch Beiden, meine lieben Kinder. Und jetzt geht und holt euch auch den Segen eurer Mutter!«

Bei diesen herzlichen Worten legte Frau Thurston ihren Roman beiseite, stand auf und ging ihnen entgegen. Zuerst küßte sie Cecile, dann in etwas kühlerer Weise ihren Schwiegersohn, und schloß sich den Glückwünschen ihres Gatten an. Von allen war sie am wenigsten betroffen. Cecile vergoß ein paar Tränen, und auch die klaren Augen Thurstons waren feucht geworden. Etwas betreten empfand Pearson, was die Hergabe der Tochter für diesen zärtlichen Vater bedeutete.

Doch war ihm ein Stein vom Herzen, daß die Feuerprobe bestanden war, daß alle Sorgen vor einem unerwarteten Hindernis von ihm genommen und daß er seine glückstrahlende Braut nun nach Herzenslust genießen durfte. Seitens seiner Familie lagen die Dinge ganz einfach, wodurch alles sehr erleichtert wurde.

Er war der einzige Sohn seines Vaters gewesen, der ebenfalls ein einziges Kind war. Dadurch besaß er nur ein paar entfernte väterliche Verwandte, von denen er überdies kaum jemand kannte. Seine Mutter und ihre Brüder waren die einzigen Familienmitglieder mütterlicherseits gewesen. Also waren auch auf dieser Seite keine zahlreichen Beziehungen. Er brauchte bei seinem wichtigen Schritt also niemand zu befragen. Nur etwa ein halbes Dutzend Besuche kamen in Betracht, denen, mehr aus Höflichkeit als aus Pflicht, die Mitteilung von seiner Verlobung zu machen war.

Der junge Mann ging derart in seinem Glück auf, daß er für anderes jetzt kaum noch Sinn hatte. Als er sich aber an jenem Abend auf sein Zimmer begeben hatte, ließ ihn der schrullenhafte Gedanke nicht los, ob wohl Frau Thurston ihre eigene Verlobung ebenfalls so kühl aufgenommen habe, ob es von ihrer Seite auch tatsächlich eine Liebesheirat gewesen sei, oder ob sie ihrem jetzigen Mann mehr aus praktischen Gründen ihr Jawort gab, um sich eine bevorzugte Stellung im Leben zu sichern. Sie hatte die Verlobung ihrer Tochter merkwürdig teilnahmslos hingenommen. Pearson dachte daran, wie anders sich seine eigene Mutter verhalten haben würde, wenn sie diesen Tag hätte erleben können.

In den letzten Tagen seines Aufenthaltes ließ Pearson es sich nicht nehmen, seiner Braut immer neue Beweise seiner Liebe zu geben. Bei seiner Abreise wurde vereinbart, daß er zweimal wöchentlich zum Diner herauskommen, die Nacht über dort bleiben und am nächsten Morgen zur Stadt zurückkehren sollte, bis zu dem Tage, wo Cecile ihren Besuch bei der Tante antrat.

Durch Thurston erfuhr er, daß diese Tante in sehr guten Verhältnissen lebe; sie habe ein Einkommen von über tausend Pfund im Jahre, das sie hinterlassen konnte wem sie wollte. Es war ihre ausgesprochene Absicht, Cecile zu ihrer einzigen Erbin zu machen, abgesehen von einigen Legaten, welche sie auszusetzen beschlossen hatte.

Da war es kein Wunder, daß ihre Eltern aus Vernunftsgründen nicht wünschten, daß die Nichte der Tante Ursache zu irgendwelcher Verstimmung gebe. Voraussichtlich würde Cecile eines Tages ebenso vermögend sein wie ihr Gatte.

Wie bei einem feurigen Liebhaber nicht anders zu erwarten, hätte Pearson am liebsten auf der Stelle geheiratet. Doch der sonst so nachgiebige Thurston setzte in diesem Punkt seinen Willen durch. Er hielt große Stücke auf eine lange Verlobung und war der Ansicht, daß junge Leute sich erst gründlich kennen lernen sollten, ehe sie den großen Schritt wagten. Am liebsten hätte er es gesehen, daß sie noch ein Jahr warteten; auf die dringenden Bitten Pearsons hin gab er dann aber seine Zustimmung dazu, daß die Hochzeit nach dreiviertel Jahren stattfinden sollte.

Der Tag, an dem Cecile zu ihrer Tante fuhr, kam rasch heran. Wie hatte dem jungen Liebespaar vor diesem Augenblick gebangt! Pearson kam am Morgen nach Shepperton heraus, fuhr sie in seinem Auto zum Lunch in das Savoy, dann nach Kings Croß; von dort benutzte sie einen Nachmittagszug nach Peterborough, wo das Auto von Frau Hamilton sie erwarten sollte, um sie dann nach dem etwa vier Meilen entfernten Dorfe zu fahren. Sie nahmen zärtlich Abschied voneinander und gaben sich das Versprechen, durch eifrige Korrespondenz die Trübseligkeit der kommenden drei Wochen zu lindern.

Die nächste Zukunft sah nicht sehr rosig aus. Thurston hatte Pearson auf vierzehn Tage nach Shepperton eingeladen. Aber Rosebank ohne die strahlende Cecile stellte er sich schrecklich verödet vor. Vielleicht war es aber doch richtiger, die Einladung anzunehmen. Er konnte jeden Morgen in sein Geschäft fahren und die Abende dann mit Thurston verbringen.

Er ging von Kings Croß in der Richtung nach Piccadilly, und als er so vor sich hinschritt, wandten sich seine Gedanken erneut dem geheimnisvollen Tode Valroses und jenen roten Punkten zu, und er dachte aufmerksam darüber nach, was ihm Shaddock von diesem Lloyd erzählt hatte.

Da kam ihm plötzlich eine großartige Idee. Warum sollte er nicht einmal einen Szenenwechsel vornehmen und auf eigene Faust ein bißchen den Detektiv spielen? Er würde nach Paris fahren, im Hotel Vinci absteigen und versuchen, irgendetwas über diesen geheimnisvollen Engländer ausfindig zu machen, dessen Auftreten Anlaß zu so schwerem Verdacht gegeben hatte.

Als er mit seinem Entschluß so weit gekommen war, langte er an der östlichen Ecke von St. James' Street an und wollte gerade die Straße überschreiten. Da spürte er plötzlich einen Schlag auf seiner Schulter.

Sich umwendend, stand er seinem alten Freund und Schulkameraden Dain gegenüber.

»Willkommen,« rief Pearson herzlich. »Gehst du mit in den Klub? Hast du ein paar Minuten Zeit für mich? Ich habe etwas, worüber ich gern deine Meinung hören möchte; etwas, das in dein Fach schlägt.«


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