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XX

»Hast du aber auch überzeugende Beweise?« warf Pearson ein. »Denn nach allem, was ich erfahren oder mit eigenen Augen gesehen habe, scheint es unmöglich. Bedenke, wie genau ich Thurstons tägliches Leben kenne! Ich weiß, wer seine Freunde sind; weiß überhaupt alles, was über seine Familie nach außen dringt. Ist es glaubhaft, daß ein Mensch auf eine so lange Zeitspanne hinaus alle Welt täuschen könnte? In Paris stellte er mich einem Herrn Vitry vor, dessen Namen ich sofort als den eines bekannten Kapitalisten und Unternehmers wiedererkannte. Beide schienen mir eng befreundet.«

»Selbstverständlich habe ich sicheres Belastungsmaterial! Glaubst du, daß ich sonst so schwere Anschuldigungen erheben würde?« erwiderte Dain etwas verärgert. »Und was weißt du übrigens von der unterweltlichen Macht des Verbrechens? Du bildest dir doch nicht ein, daß sich diese finsteren Praktiker, die vielfach Männer von geistiger Bedeutung sind, Zettel umhängen, auf denen ihr Beruf geschrieben steht? Thurston gehört einer achtbaren Familie an. Du glaubst alles über ihn zu wissen. Was beweist das? Valrose entstammte auch dem ehrbaren, gesitteten Mittelstand; Vater und Bruder sind vermutlich Muster eines soliden, rechtschaffenen Bürgers. Das hinderte ihn aber nicht, der Freund lichtscheuer Elemente zu werden und die Laufbahn eines Verbrechers zu ergreifen.«

»Lieber Freund,« fuhr Dain etwas ruhiger fort, »besäßest du meine Erfahrung über diese Herrschaften, so wüßtest du, daß auf den Schein nichts zu geben ist. So viel dir bekannt ist, bezieht Thurston sein bedeutendes Einkommen aus seinem Beruf als Finanzagent, oder wie er sich sonst nennen mag. Dieses Geschäft betreibt er in einem kleinen Büro mit lächerlich wenig Angestellten. So viel du weißt, geht er täglich zu einer bestimmten Stunde in dieses Büro und kehrt zu einer festgesetzten Zeit wieder in seine Häuslichkeit zurück. Woher willst du wissen, was er in diesem langen Zeitraum treibt? Weil er dir erzählt, daß er Finanzgeschäfte betreibt, hältst du es für wahr. Höchstwahrscheinlich beschäftigt er sich aber mit ganz anderen Dingen.«

»Dann täuscht er wohl auch seine Angestellten, ebenso wie alle anderen?«

»Natürlich nicht; die stecken mit ihm unter einer Decke und helfen ihm bei seinen tatsächlichen Geschäften. Er ist nicht mehr Finanzmann als ich es bin.«

»Aber ich habe selbst mit diesem Herrn Vitry gesprochen,« beharrte Pearson auf seinem Standpunkt. »Wie kannst du ihn einfach wegdisputieren?«

»Erstens hast du nichts weiter als die bloße Angabe Thurstons, daß es tatsächlich der bekannte Kapitalist war,« erwiderte Dain seelenruhig. »Das Ganze braucht nichts weiter als ein geschickter Kniff zu sein, um bei dir Vertrauen zu erwecken. Du hast öfters zugegeben, daß deine Kenntnisse im Französischen recht mangelhaft sind, und daß du einer Unterhaltung in dieser Sprache nicht folgen kannst. Du glaubtest, sie sprächen über finanzielle Probleme, aber in Wirklichkeit wußtest du nicht, worüber sie sich unterhielten. Doch nehmen wir einmal an, es sei der richtige Vitry gewesen, den natürlich jeder kennt, so beweist das nichts. Thurston ist gewandt genug, um mit einigen allgemein bekannten Persönlichkeiten oberflächliche Beziehungen zu unterhalten und sich dadurch ein Ansehen zu geben.«

Es war nicht leicht, Dains Beweisführung zu widerlegen, und plötzlich trat Pearson wieder die Erinnerung daran ins Gedächtnis, wie mißtrauisch anfänglich auch Shaddock sich gegen Thurston einstellte, bis sich sein Verdacht auf Lloyd lenkte. Vielleicht bestand sein Mißtrauen auch jetzt noch fort?

Bevor Dain seinen Bericht fortsetzte, warf er eine Frage ein. »Als du den Vorsatz faßtest, nach Paris zu fahren, um dort Ermittlungen über Lloyd anzustellen, wem außer mir hast du davon noch Mitteilung gemacht?«

»Nur Thurston, und ihm auch nur, weil es notwendig war, da er mir vorgeschlagen hatte, mich begleiten zu wollen.«

»Bist du darüber ganz sicher? Hast du nicht etwa einem der Leute von Scotland Yard, mit denen du in Verbindung zu stehen scheinst, eine Andeutung gemacht? Du sagtest soeben, daß Thurston der einzige Mensch gewesen sei, der den wirklichen Grund deiner Reise kannte. Ist es dir denn nicht möglich, die Bedeutung deiner Worte zu erkennen?«

Jetzt war es dem unglücklichen Menschen unmöglich, sich noch weiterhin den Tatsachen zu verschließen. Endlich mußte er die furchtbare Andeutung begreifen, daß Thurston nicht allein der Mörder Valroses war, sondern auch der Anstifter des von Berton verübten mörderischen Attentats. War es möglich, daß es einen solch kaltblütigen Heuchler gab, wie diesen Mann, der vorgegeben hatte, sein Freund zu sein, und fast Freudentränen geweint hatte, als er der Gefahr entronnen war? Ein eisiger Schauer durchlief Pearson, als Dain ernst und bestimmt mit seiner Erzählung fortfuhr.

»Thurston war ausschließlich an den Bestrebungen seiner revolutionären Organisationen interessiert. Persönlich hatte er nichts mit verbrecherischen Anschlägen zu tun, im Gegensatz zu den Aufgaben, welche Valrose und der »Spinne« zufielen. Seine Leute aber nahm er von überall her, vorausgesetzt daß sie ihm brauchbar erschienen. Valrose erwies sich als Mann nach seinem Herzen, waghalsig und doch vorsichtig, fähig, sich in jeder Lage zu helfen.

Bald nachdem Valrose sich Thurston verschrieb, hatte »Die Spinne« Berton eingeführt, der Mitglied der gleichen Bande internationaler Gauner wurde, zu der er und Valrose gehörten. Berton war ein geborener Verbrecher mit niedrigen Instinkten, brutal und grausam, bereit, jederzeit einen Mord oder auch nur einen Diebstahl zu begehen. Solche Schandbuben waren in einem Bunde, der seine Mitglieder durch Terror zusammenhielt, und der über jeden, welcher des Verrats oder der Untreue verdächtig war, erbarmungslos das Todesurteil fällte, nicht zu entbehren. Kreaturen dieser Art kannten keine Bedenken, wenn es sich darum handelte, die grausamen Befehle der Führer zu vollstrecken, um irgend ein Mitglied aus dem Wege zu räumen, das wegen begangenen Verrats oder auch nur wegen des Gedankens daran Verdacht erregt hatte.

Valrose war ein skrupelloser, habgieriger Mensch, der für nichts Sinn hatte als sein persönliches Wohlergehen. Man darf wohl annehmen, daß seine Leute ihn richtig einschätzten, wenn sie ihn als einen Mann beargwöhnten, der bereit sein würde, die Geheimnisse der Bande zu verraten, vorausgesetzt, daß die Bestechungssumme hoch genug und die Gefahr, überführt zu werden, für ihn nicht zu groß war. Doch wie dem auch sei, es wurde Beschluß gefaßt, ihn auf die Probe zu stellen. In diesem kritischen Augenblick trat Lloyd auf den Schauplatz.

Den Anführern waren sämtliche Angehörige des Bundes bekannt, aber untereinander kannten sich die wenigsten, da sie in verschiedenen Abteilungen und unter verschiedenen Unterführern arbeiteten. »Die Spinne«, Valrose und Berton kannten Lloyd nicht, obgleich dieser sich in der bolschewistischen Propaganda stark betätigte. Deshalb wurde er von Thurston, dem geistigen Leiter der Verbindung, auserkoren, um die Zuverlässigkeit des neuen Genossen auf die Probe zu stellen.

Seinem Auftrag gemäß ergriff Lloyd, ein Mensch mit großer Überredungsgabe und entschieden diplomatischem Talent, die erste Gelegenheit, die Bekanntschaft Valroses zu machen. Er gab vor, zum Geheimdienst zu gehören, und brachte die Sprache auf den augenblicklichen Stand des Spartakismus in England und Frankreich. Valrose mochte anfangs vorsichtig abwartend die Darlegungen des anderen angehört haben, und sicher hat er seine Zunge wohl gehütet, um sich nicht zu verraten.

Im rechten Augenblick ließ dann Lloyd durchblicken, daß es sein Bestreben sei, gewisse Geheimnisse jener Gesellschaft, der Valrose angehörte, auszukundschaften, und daß er bereit sei, einen sehr hohen Preis dafür zu zahlen. Die Summe war hoch genug, um einen nicht unbedingt charakterfesten Menschen schwankend zu machen. Und Valrose war nie ein überzeugter Spartakist gewesen. Er hatte nichts von dem glühenden, abwegigen Fanatismus jener Geister in sich aufgenommen, die an die Heiligkeit ihrer Mission glaubten und von der Zuversicht durchdrungen waren, an dem Fortschritt der Menschheit zu arbeiten. Er war nur gedungen und verrichtete seine Arbeit des Geldes wegen. Wahrscheinlich war sein Freund, »die Spinne«, ein Mensch von gleicher Art. Berton dagegen war anders. Er war ein echter Revolutionär, der fanatische Todfeind eines Systems, von welchem er glaubte, daß es seine Klasse schwer bedrücke, und das er für alles Elend auf Erden verantwortlich machte.

Sobald es Lloyd gelungen war, den Verräter zu überzeugen, daß die Gefahr einer Entdeckung so gut wie ausgeschlossen sei, kam es zu einem Vertrag zwischen Verführer und Verführtem. Und als Lloyd dann überzeugt war, bei seinem Opfer genug erreicht zu haben, gab er seinem Chef Nachricht. Sofort wurde eine geheime Sitzung einberufen. Man nahm das Anklagematerial Lloyds entgegen, ließ sich unvorsichtige Briefe Valroses vorlesen, und das Ende war, daß der Verräter zum Tode verurteilt wurde. Thurston, wütend darüber, sich derartig in dem jungen Manne getäuscht zu haben, übernahm es selbst, das Urteil schnellstens zu vollstrecken, und so wurde Valrose durch eine jener Methoden ums Leben gebracht, welche die Organisation gegen solche Leute anwendete, in denen sie Verräter erblickte. Die roten Punkte stellten ein seltsames Erkennungszeichen dar. Sie zeigen den Mitgliedern der Organisation an, daß an einem Abtrünnigen Vergeltung geübt worden war.

Ob de Boeck ebenfalls durch Thurston umgebracht wurde, steht nicht fest; aber anstiftender Teil waren zweifellos die herrschenden Leute, und augenscheinlich wurden auch die gleichen Mittel angewandt.

Was den Mordversuch an Pearson anbetrifft, so war dieser als Strafe für die Anmaßung gedacht, mit der Pearson das Valrose-Rätsel lösen wollte. Hätte er bei seiner Ankunft in Paris Thurston, der darauf bestanden hatte, ihn zu begleiten, mitgeteilt, daß er seinen Plan auf ihm erteilte dringende Ratschläge hin aufgegeben habe, würde er aller Wahrscheinlichkeit nach verschont geblieben sein.

In diesem Falle hatte Thurston den Vollzug den etwas ungeschickten Händen Bertons anvertraut. Dieser verstand aber besser mit Messer und Pistole umzugehen, als mit heimtückischen Giften.

Thurston war in seiner Art eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Er setzte ein absolutes Vertrauen in die Lehren, für deren Verbreitung er so viel tat, war ein revolutionärer Fanatiker und von der Überzeugung durchdrungen, das Ziel rechtfertige die gewaltigsten und grausamsten Mittel. Unerschütterlich stand für ihn fest, daß die Erneuerung der Welt, die Linderung ihres schreienden Elends, einzig und allein durch die Verwirklichung der spartakistischen Ideale herbeigeführt werden könne, und mit unbarmherziger Hartnäckigkeit verfolgte er sein Ziel, dabei weder Freund noch Feind schonend.

Thurstons Verachtung für den von Valrose verübten Verrat hatte ihn dazu bestimmt, sich selbst als Rächer in die Schanze zu werfen. Bei Pearson lag der Fall anders. Seine Schuld war milder zu beurteilen. Eigentlich bestand sie aus weiter nichts, als dem eitlen Unterfangen, sich dem berufsmäßigen Detektiv überlegen zu zeigen. Die Zweckmäßigkeit erforderte jedoch seinen Tod als Vorsichtsmaßregel, und zwar für den allerdings ziemlich unwahrscheinlichen Fall, daß er zufällig auf ein wichtiges Beweismaterial stoßen könnte, welches das Valrose-Geheimnis entschleierte.

So hart und unbarmherzig Thurston aber auch seine furchtbaren Ziele verfolgte, schreckte er doch davor zurück, den Mann zu töten, den er als Verlobten seiner Tochter in seine Familie aufgenommen hatte, ohne dabei zu bedenken, daß dieser Schwiegersohn ihm eines Tages gefährlich werden könnte. Deshalb wurde Berton, dem ein Mord etwas Alltägliches war, mit der schnöden Aufgabe betraut. Dank seiner mangelhaften Kenntnis der Methode mißlang sein Attentat, und Pearson kam mit dem Leben davon. Wenn Pearson nun offen seinen Entschluß kundgäbe, daß er den Fall Valrose endgültig ruhen lassen wolle, würde wahrscheinlich kein weiterer Anschlag auf ihn unternommen werden. Sollte er jedoch tollkühn genug sein, sich auf weitere Detektiv-Abenteuer einzulassen – nun, dann würde ihn wohl das Schicksal Valroses ereilen. Und ein zweites Attentat werde schwerlich mißlingen.

Der junge Mann hatte diesem eingehenden Bericht mit steigendem Entsetzen gelauscht. Er war bestürzt und aus allen Wolken gefallen durch die Entlarvung Thurstons, dieses scheinbar so liebenswürdigen und leutseligen Mannes, den seine Freunde für den gütigsten Menschen und den treuesten Freund, seine Angehörigen für einen liebevollen Gatten und zärtlichen Vater hielten. Und am vernichtendsten unter all den widerstreitenden Empfindungen traf ihn der Gedanke, daß er mit der Tochter eines Mörders, oder mindestens des Anstifters von zahlreichen vollbrachten oder geplanten Morden, verlobt war.

Als Daim geendet hatte, raffte sich Pearson so weit zusammen, daß er eine oder zwei Fragen stellen konnte. Wußte sein Freund etwas über den Ursprung des oder der Gifte, die benutzt worden waren, um Valrose oder de Boeck ins Jenseits zu befördern, und die auch bei ihm beinahe zum Ziele geführt hätten, – Giften also, die tödlich wirkten, von denen sich bei der chemischen Untersuchung aber auch nicht die geringste Spur mehr vorfand?

»Ich weiß nichts über ihre Bestandteile oder ihre Zusammensetzung,« antwortete Dain. »Man erhält sie aus Moskau. Der Hersteller ist ein Mann, welcher über bedeutende wissenschaftliche Kenntnisse verfügt und seine große Begabung in den Dienst der Vernichtung seiner Mitmenschen stellt. Ebenso wie Thurston ist auch er ein Gewaltmensch ohne Mitleid und Hemmungen. Durch ihn verschaffen sich diese Henkersknechte das Giftgemisch, sobald ein Todesurteil verkündet wird. Sie haben aber natürlich mehr als nur einen Weg, auf denen sie ihre Opfer ins Schattenreich befördern.«

»Ist dir etwas über Signora Mattelli bekannt, eine frühere Freundin von Valrose?« fragte Pearson weiter.

»Mit den Verbrecher-Organisationen habe ich mich wenig beschäftigt; sie interessieren mich nicht in dem gleichen Maße wie die revolutionären,« lautete Dains prompte Auskunft. »Bei meinen berufsmäßigen Nachforschungen kreuzen sich aber hin und wieder unsere Wege. Signora Mattelli begegnete ich vor einigen Jahren in einem Hotel in Rom. Ich habe einen geübten Blick für diese Art Existenzen, und trotz ihres eleganten und graziösen Auftretens, oder vielleicht auch gerade deshalb, schätzte ich sie sofort als Gaunerin ein. Und als eine Woche nach ihrer Abreise sich ein größerer Juwelendiebstahl ereignete, war ich überzeugt, sie richtig beurteilt zu haben.«

»Du wußtest vermutlich nichts über ihre Herkunft? Die Sache hat zwar kein eigentliches Interesse für mich; ich frage mehr aus Neugier.«

Dain lächelte. »Sie war eine ungemein anziehende junge Frau, und ich gestehe, daß mein Mißtrauen mich nicht hinderte, sehr von ihr eingenommen zu sein. Obgleich es nicht gerade in mein Fach schlägt, den Spuren der männlichen oder weiblichen Gauner nachzugehen, hat es mich doch interessiert, Ermittlungen über sie anzustellen. Der italienischen Polizei war sie unbekannt, aber ich habe auch nicht gerade die Gewohnheit, mir meine Auskünfte bei der Polizei zu holen. Ich benutze unterirdische Kanäle. Und indem ich meinen gewohnten Weg einschlug, erfuhr ich sehr bald alles, was ich über die Signora Mattelli wissen wollte.«

»Sprach Valrose die Wahrheit, als er mir sagte, daß sie einen Mann dieses Namens geheiratet habe?« fragte Pearson.

»Vollkommen. Mattelli ist einer der Namen ihres Mannes, der ebenfalls ein Gauner ist. Sie ist die uneheliche Tochter einer italienischen Bäuerin, ihr Vater war ein Engländer. Die Signora hatte einen Onkel, Bruder ihrer Mutter, der unsaubere Geschäfte betrieb und viel dabei verdiente. Da zu erwarten war, daß das Kind zu einer schönen Frau heranreifen würde, kalkulierte er zweifellos, daß sie ihm bei richtiger Vorbildung für seine Zwecke von Nutzen sein könne. Er nahm sie an Kindesstatt an, zahlte seiner Schwester, die wahrscheinlich froh war, die Sorge um das Kind los zu sein, eine runde Summe aus, und ließ dem Mädchen eine ausreichende Erziehung zu Teil werden, so daß sie die Rolle der gesellschaftsfähigen Dame spielen konnte. Sie erwies sich auch als gewandt und war für jene Unternehmungen großen Stiles, bei denen eine elegante Frau zur Auskundschaftung der Verhältnisse und der Aussichten für eine lohnende Beute unentbehrlich ist, sehr nützlich.«

»Du weißt vielleicht nicht, daß die Signora kürzlich in London festgenommen wurde? Sie war gemeinschaftlich mit Berton an einem Diebstahl in Wimbledon beteiligt und steht jetzt unter Anklage.«

»Nein, das ist mir neu. Ich habe natürlich gelesen, daß Berton von einem Oberst Soundso in der Nähe von Pinner erschossen wurde. Nun, weder die englische noch die französische Polizei hat sich bei dieser Sache besondere Lorbeeren geholt. Die Menschheit ist von einem sehr gefährlichen Verbrecher befreit worden. Da haben sie also die elegante Mattelli erwischt. Das interessiert mich! Diesen Erfolg muß man auf alle Fälle Scotland Yard zugute rechnen.«

Pearson wunderte sich, daß sein Freund keine höhere Meinung von den Hütern des Gesetzes hatte. Dain zuckte die Achseln, als sein Freund etwas hierüber sagte, antwortete aber nicht.

»Eine letzte Frage, und dann bin ich zu Ende. Glaubst du, daß Thurstons Frau und Tochter etwas über sein Doppelleben wissen?«

Dain nahm sich mit der Antwort etwas Zeit. »Ich halte Beide für völlig unschuldig. Du mußt bedenken, Thurston betreibt seine Geschäfte in großem Stile. Ein gemeiner Verbrecher im landläufigen Sinne ist er nicht. Und Männer dieses Typs verheimlichen die Wahrheit vor ihrer Familie ebenso erfolgreich wie vor der übrigen Welt. Nun, ich bin länger bei dir geblieben, als ich mir vorgenommen hatte, und muß nun rasch weiter. Leb wohl, lieber Freund, verzeih mir, daß ich dir Schmerz bereitete. Scotland Yard wird morgen in aller Frühe erfahren, was ich dir soeben berichtete. Ich verlasse mich darauf, daß du dich jetzt von dort fernhalten wirst. Diese Sache möchte ich gern allein deichseln. Du wirst das gewiß verstehen.«

Mit diesen letzten Worten nahm Dain in seiner gewohnten, impulsiven, kurz angebundenen Art Abschied und ließ Pearson mit seiner Verzweiflung allein.


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