Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVIII

Als Cecile durch ihren Verlobten von den aufregenden Ereignissen erfuhr, war sie über das Entweichen Bertons fast ebenso entsetzt wie Shaddock selbst. Sie konnte die Sorge nicht loswerden, daß früher oder später ein weiteres Attentat gegen Pearson zur Ausführung kommen werde. Der Mann war ein Schwerverbrecher erster Ordnung, wie sein mörderischer Angriff auf den Polizeibeamten bewies, und besaß nicht die geringsten Hemmungen, wo es sich um die Vernichtung von Menschenleben handelte. Daß der Schutzmann dem Tode entrann, war nichts weiter als ein glücklicher Zufall. Ob er am Leben blieb oder starb, war Berton vollkommen gleichgültig. Wenn nur ihm die Flucht gelang.

Nachdem das Brautpaar die Sache gründlich durchgesprochen hatte, hielt Pearson es für richtig, Thurston ins Vertrauen zu ziehen. »Dein Vater wird von dem Strafprozeß gegen Signora Mattelli in den Zeitungen lesen,« bemerkte er, »und der Fall wird natürlich zur Sprache kommen. Ich glaube, es ist das Beste, ihm alles zu erzählen: – ihre Beziehungen zu Valrose, und daß ich sie in jener Nacht mit Berton zusammen in dem kleinen Landhaus sah, sowie Shaddocks Bemühungen, sie und Berton zu verhaften. Sollte er erstaunt sein, daß er nicht früher über diese Dinge unterrichtet wurde, werde ich zu meiner Entschuldigung anführen, daß ich ihm Unannehmlichkeiten ersparen wollte. Denn ich sei der Meinung gewesen, daß alles, was mit Valrose zusammenhängt, ihm aus Gründen, die ich gut verstehen könne, peinlich wäre.«

Cecile war einverstanden! Ihrem aufrechten Charakter war jede Geheimniskrämerei zuwider.

So weihte Pearson seinen Schwiegervater noch am gleichen Abend in alles ein. Der Finanzmann schien nicht sehr erstaunt darüber, was er über die Signora zu hören bekam. Er hatte von Anfang an kein Hehl aus seiner Abneigung gegen sie gemacht und sie von vornherein für eine Abenteuerin gehalten.

»Ein sonderbares Zusammentreffen, daß der tatsächliche Dieb derselbe Mann ist, der in Paris den Angriff auf dich verübt hat,« bemerkte er, als Pearson geendigt hatte. »Ich kann mir die Gründe denken, warum du mich nicht bereits früher ins Vertrauen zogst,« fügte er nach einer Pause hinzu. »Du standest unter dem Einfluß meines dringenden Wunsches, in keiner Weise an Valrose erinnert zu werden.«

Pearson gab zu, daß dies der Grund seines Schweigens gewesen war. Er stellte dabei abermals fest, was für ein scharfer Denker Thurston doch war, und wie gut er die Beweggründe seiner Mitmenschen zu durchschauen vermochte.

»Ich gestehe, daß es ein außerordentlich peinliches Thema für mich ist. Meine Eigenliebe ist dabei verletzt worden. Frau Knott war in meinen Augen eine ebenso törichte wie eitle Person, und dabei hatte ich doch genau so unüberlegt Valrose gegenüber gehandelt, wie sie es bei der Italienerin tat. Ich war einfach auf einen Blender hereingefallen. Ich hörte durch Smirke – der übrigens ein ehrlicher Kerl ist und nicht davor zurückschreckt, auch unangenehme Wahrheiten zu sagen, wenn er glaubt, einem damit zu nützen –, daß man in meinen Bekanntenkreisen äußerst erstaunt über mein Verhalten war. Da kannst du leicht verstehen, wie sehr es mir gegen den Strich lief, an dieses fatale Ereignis erinnert zu werden. Nun, um deinetwillen hoffe ich, daß man den Schurken baldigst einfängt. Er wird ja kaum jemals wieder Gelegenheit finden, dich anzugreifen. Du wirst aber doch erleichtert aufatmen, wenn er hinter Schloß und Riegel sitzt.«

Pearson fand Thurstons Erklärung durchaus einleuchtend; er würde an dessen Stelle ebenso empfunden haben.

Nachdem einige Tage vergangen waren, hegte Pearson den dringenden Wunsch, Shaddock aufzusuchen – selbst auf die Gefahr hin, ihn zu stören. Der Detektiv war stets stark beschäftigt und hatte wenig Sinn für Privatkorrespondenz. Er würde daher schwerlich früher an Pearson schreiben, bevor sich nicht etwas von äußerster Wichtigkeit ereignet hätte. Pearsons Interesse für den Fall Berton vertrug eine solche Geduldsprobe jedoch nicht. Ihre letzte Unterredung war sehr kurz gewesen, nur gerade so lang, daß Shaddock seinem Klienten schnell das Allerwichtigste mitteilen konnte. Nun war Pearson sehr neugierig, über Signora Mattelli etwas zu hören, und welchen Erfolg die Haussuchung gehabt hatte.

Er fuhr diesmal ohne Anmeldung nach Scotland Yard und wollte es dem Zufall überlassen, ob er Shaddock antreffen würde. Pearson hatte Glück; er wurde sofort in das Geschäftszimmer geführt.

»Aha, mein verehrter Freund, Sie sind neugierig!« begrüßte er Pearson. »Aber bis jetzt habe ich nichts zu berichten.«

»Ich hatte es so bald auch nicht erwartet. Sie sagten mir ja, es müsse alles wieder von vorn angefangen werden.«

Das Gesicht des Detektivs verfinsterte sich etwas. »Ja, und die Arbeit wird schwieriger sein, als ich dachte. Jener Mann, der uns geholfen hatte, verschwand plötzlich, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Es kann sein, daß man ihn bei Seite schaffte. Wenn er Berton verdächtig erschien, würde dieser Halunke nicht die geringsten Skrupel empfunden haben, ihm entweder selbst das Lebenslicht auszublasen, oder ihn durch ein Mitglied der Bande umbringen zu lassen.«

Pearson durchschauerte es bei dem Gedanken, wie knapp er dem Tode entgangen war. »Der eigentliche Grund, weshalb ich kam, war, mich zu erkundigen, was sich seit unserer letzten Trennung ereignet hat. Sie wollten die Wohnung durchsuchen?«

Shaddock erzählte ihm, er habe allerhand Material zu Tage gefördert, welches augenscheinlich von früheren Diebstählen herrührte, sowie auch einige Briefschaften.

»Die Briefe, welche in Geheimschrift geschrieben waren, haben wir dechiffriert,« erklärte der Detektiv. »Sie stammen von bestimmten Mitgliedern der Verbrecherbande, der die Signora angehörte. Da aber in jedem einzelnen Falle der Schreiber sich mit einem Decknamen unterzeichnete, sind wir nicht klüger als vorher. Die meisten Briefe sind von einem Unbekannten geschrieben, der sich mit »Die Spinne« unterzeichnet und einer der Führer zu sein scheint. Abgesehen von der Wimbledon-Sache können wir der Signora nichts nachweisen; doch das mit unserm Fall parallel laufende Beweismaterial läßt ein ziemlich scharfes Urteil erwarten.«

»Was ist aus dem armen Teufel geworden, den Berton bei seiner Flucht niederschlug?«

»Es freut mich, sagen zu können, daß es ganz gut mit ihm vorwärtsgeht. Gestern besuchte ich Johnson im Hospital und erfuhr, daß er in wenigen Tagen wieder hergestellt sein wird. Johnson sagte, Berton sei wie ein Tiger auf ihn losgesprungen. Ehe er es sich versah, hatte er den furchtbaren Schlag über den Kopf bekommen, der wie durch ein Wunder noch einigermaßen glimpflich ablief.«

»Ich habe Sie aber schon zu lange von Ihrer Arbeit abgehalten,« sagte Pearson, der an der großen Menge Skripturen, die auf dem Tische lagen, erkannte, daß der Detektiv heute einen angestrengten Tag hatte. »Vielen Dank für Ihre Auskunft. Ich hatte an die Möglichkeit gedacht, es sei vielleicht Beweismaterial dafür gefunden worden, daß die Signora in die Scarborough-Affäre verwickelt ist.«

»Ja, das hatte ich auch geglaubt, und ebenso hoffte ich auch Anhaltspunkte für noch andere Diebstähle zu entdecken. Übrigens, was die Scarborough-Sache betrifft, so schrieb ich an Frau Knott und setzte sie von der Verhaftung ihrer famosen Freundin in Kenntnis. Ich teilte ihr dies mit, bevor ich die bei der Haussuchung beschlagnahmten Briefe durchgesehen hatte. Mein Erstaunen war daher groß, als ich unter diesen Briefen ein Schreiben von Frau Knott vorfand mit einer Einladung an die Signora, sie auf ihrem Landsitz zu besuchen. Diese Zeilen trugen das Datum von etwa einer Woche vor der Razzia, die wir in der Wohnung vorgenommen. Auf meinen Brief erhielt ich ein Schreiben von Frau Knott, worin sie mir für meine Nachricht dankt und natürlich ihr größtes Erstaunen zum Ausdruck bringt. In einer Nachschrift erfuhr ich nun auch direkt von ihr, daß sie die Signora aufgefordert habe, ihr Gast zu sein. Neu für mich war ihre weitere Mitteilung, daß die Italienerin die Einladung angenommen hätte, also wenige Tage nach ihrer Verhaftung erwartet worden wäre.«

»Frau Knott hatte Glück,« bemerkte Pearson. »Sicher hat der reiche Herr Knott seiner Frau inzwischen als Ersatz für die ihr entwendeten Schmuckstücke andere, ebenso wertvolle Juwelen gekauft, und die Signora hätte daher wieder neue Arbeit im Interesse ihrer Bande vorgefunden.«

»Sie können überzeugt sein, daß sie ihren Leuten alle nötigen Aufschlüsse gegeben hätte,« antwortete Shaddock. »Als ich den Brief an Frau Knott schrieb, geschah es mit dem aufrichtigen Wunsch, die mit der Italienerin gemachte Erfahrung möge eine gehörige Lektion für diese törichte Frau sein. Wir sind entschieden eine der vertrauensseligsten Nationen der Welt. Die Art und Weise, wie wir vollkommen fremden Menschen entgegenkommen und sie in unsere Häuslichkeit aufnehmen, ist unbegreiflich.«

»Gewiß, auch ich glaube, daß wir weniger mißtrauisch sind als andere Völker,« bemerkte Pearson. »Doch letzten Endes, Shaddock, dürfen Sie nicht vergessen, daß Sie in einer Atmosphäre leben, in der der Argwohn fast gegen jedermann üppig ins Kraut schießt,« fügte er lachend hinzu. Ich glaube, Sie haben die Vorstellung, als seien unter zehn Menschen neun unbotmäßiger Handlungen verdächtig. Daher wittern Sie überall Unheil. Habe ich recht?«

Shaddock war ehrlich genug, zuzugeben, daß sein Beruf ihn einseitig beeinflusse. Doch beharrte er bei seiner Meinung, daß es besser sei, den Mitmenschen Mißtrauen statt ungerechtfertigtes Vertrauen entgegenzubringen. –

Die Zeit verging. Ende November kam heran. Pearson klingelte zwei oder drei Mal bei Shaddock an, um sich zu erkundigen, ob es mit der Sache vorwärtsgehe. Doch die Antwort war stets verneinend. Das Bewußtsein, so mit knapper Not davongekommen zu sein, hatte Berton doch wohl den Schreck in die Glieder gejagt, und er verhielt sich jetzt mäuschenstill. Bei all seinem Optimismus schien Shaddock, nach dem Ton zu urteilen, wie er Pearsons Anfragen beantwortete, allmählich etwas den Mut zu verlieren.

Pearson hatte vor einiger Zeit den Hauskauf in Hampton Court zum Abschluß gebracht und ein Ehepaar als Hausmannsleute dort eingesetzt. Da der Hochzeitstag jetzt nicht mehr fern war, beschäftigten sich die jungen Leute nun ernstlich mit der Einrichtung ihres zukünftigen Heims. Das hatte ungezählte Besuche in den Läden zur Folge, denn sie waren Beide ziemlich wählerisch und brauchten immer viel Zeit, um sich für einen bestimmten Kauf zu entschließen.

Einer dieser Einkaufsbesuche führte sie in das große, weitläufig angelegte Geschäft von Harrods, und der Zufall wollte es, daß sie dort Frau Knott, ihrer alten Bekannten aus Scarborough, begegneten. Cecile war mit ihr nie besonders intim gewesen, doch hatten sie sich trotzdem ganz gut verstanden. Es war natürlich, daß man stehen blieb und sich begrüßte.

»Haben Sie die schreckliche Geschichte über Signora Mattelli gehört?« platzte Frau Knott nach kurzer Begrüßung heraus. »Ich erhielt einen Brief von irgend jemand aus Scotland Yard. Sie erinnern sich, was für eine reizende Frau und wie allgemein beliebt sie war. Doch denken Sie, meine Liebe, es hat sich herausgestellt, daß die Signora eine gemeine Diebin ist und in einen Diebstahl in Wimbledon verwickelt war. Und stellen Sie sich nur vor, ich hatte sie bei mir zu Gast geladen, und sie hatte die Einladung angenommen! Da bin ich noch einmal mit blauem Auge davongekommen!«

Pearson und durch ihn auch Cecile wußten bekanntlich durch Shaddock bereits, was Frau Knott ihnen soeben als Neuigkeit mitteilte; sie verrieten sich aber in keiner Weise. Es ging nicht anders, aber sie mußten Frau Knott verheimlichen, was ihnen über Signora Mattelli bekannt war. Deshalb verabschiedeten sie sich so schnell wie möglich von der redseligen Dame.

An dem betreffenden Abend sollte Pearson in White-Hall Court speisen. Nachdem sie mit ihren Besorgungen fertig waren, nahm er mit seiner Braut den Tee ein und fuhr sie später heimwärts, sich einstweilen von ihr verabschiedend. Da jedoch noch einige Stunden bis zum Diner fehlten, und er keine Lust hatte, noch einmal in sein Geschäft zu gehen, beschloß er, seinen Klub aufzusuchen und dort die Abendzeitungen zu lesen.

Er durchflog die verschiedenen, ihn zumeist nicht interessierenden Zeitungsaufsätze, bis er auf einen Artikel stieß, der eine sensationelle Überschrift trug. »Ein bewaffneter Einbrecher erschossen!« stand dort in großen Lettern geschrieben. Man kann sich sein Erstaunen vorstellen, als er den Hergang des Vorfalls las.

In einem einsam gelegenen Hause in der nächsten Umgebung Pinners lebte ein pensionierter Oberst, ein Witwer, mit seinem Sohn. Gegen Morgen erwachte der Oberst, der einen leisen Schlaf hatte, durch das Geräusch leiser Tritte im Erdgeschoß. Er zog sich flüchtig an, ergriff seinen Revolver, der stets neben seinem Bett lag, schlich vorsichtig in seines Sohnes Zimmer und weckte ihn, wobei er ihn darauf aufmerksam machte, daß Einbrecher im Hause seien. Beide Männer gingen leise in das Erdgeschoß hinunter. Der Jüngere, ein starker, hünenhafter Mensch, war unbewaffnet. Beim Betreten des nach rückwärts gelegenen Speisezimmers, welches an einen ziemlich großen Garten stieß, standen sie zwei maskierten Männern gegenüber, von denen der eine mittelgroß, der andere etwas größer war. Kurz entschlossen warf sich der Sohn auf den größeren, den er rasch überwältigte.

Das Fenster des Zimmers stand offen und der andere machte einen Satz dorthin. Doch der Oberst stellte sich ihm mit der Pistole in den Weg. In demselben Augenblick riß der Verbrecher einen Totschläger hervor und stürzte sich auf seinen Gegner, doch mit keinem andern Erfolg, als daß er verwundet zusammenbrach. Als der größere der Beiden unschädlich gemacht und gebunden worden war, telephonierte man die Polizei an, welche die Eindringlinge verhaftete. Der Verwundete war noch immer bewußtlos.

Nun kam der letzte Abschnitt des Artikels, und dieser war es hauptsächlich, welcher Pearson in atemlose Erregung versetzte. Er lautete:

»Zwei Stunden, nachdem er fortgebracht worden war, erlag der Verwundete seinen Verletzungen. Er wurde später durch Detektive von Scotland Yard als ein Franzose legitimiert, Der unter den Namen Varnier und Berton bekannt war und den man für ein Mitglied einer internationalen Diebes- und Gaunerbande hält. Weiterhin wurde festgestellt, daß der Verbrecher auch von der französischen Polizei gesucht wurde, weil er unter dem dringenden Verdacht stand, einen Mordversuch an einem Engländer verübt zu haben, der sich vor einigen Monaten in Paris aufhielt.«


 << zurück weiter >>