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IX

Dain war wie immer derb und kurz angebunden. Seine nervöse Art war bezeichnend für den Abenteurer und den Mann der Tat. Vielleicht war sein glattrasiertes Gesicht um einen Schimmer brauner geworden als bei ihrer letzten Zusammenkunft.

»Mit Vergnügen,« schrie er etwas polternd, »viel Zeit habe ich aber nicht. Bin nur ein paar Stunden in London; morgen früh geht's wieder weg, und schon so ziemlich jede Stunde des heutigen Tages ist besetzt. Doch für einen Schoppen Wein und einen kurzen Gedankenaustausch habe ich gerade noch Zeit.«

Sie gingen in Kennet's Klub, jenes altmodische Institut, das sich auf seine Rückständigkeit so viel zugute tat und sich den lapidarsten Neuerungen, welche woanders längst eingeführt waren, geflissentlich widersetzte. Dain bestellte sofort Wein. Damit pflegte er stets seine Verhandlungen einzuleiten.

Es verging jedoch eine geraume Zeit, ehe Pearson sagen konnte, was er auf dem Herzen hatte. Dain war ein Mensch, der ganz in seinen eigenen Interessen aufging und auffallend wenig Sinn für die Obliegenheiten anderer hatte. Selbst wenn er scheinbar zuhörte, konnte man ihn leicht dabei ertappen, daß sein Geist sich inzwischen mit etwas ganz anderem beschäftigte, was für ihn selbst von Wichtigkeit war. Doch um gerecht zu sein, muß man anerkennen, daß aufmerksame Zuhörer aus seinen kritischen Kommentaren profitieren konnten, sofern es gelang, sein ungeteiltes Interesse auf eine Sache zu lenken.

Pearson wußte, daß, wenn er mit Dain zusammen war, er zunächst all die heldenhaft von ihm bestandenen Abenteuer über sich ergehen lassen mußte, welche sich seit ihrem letzten Zusammensein ereignet hatten. Diesmal war es genau so. Es waren ihm bei seiner letzten Expedition wieder besonders aufregende Kämpfe beschieden gewesen, und trotz der knappen Zeit bestand er darauf, seinem alten Schulkameraden eine ganz ausführliche Schilderung darüber zu geben. Wie immer war er auch diesmal natürlich wieder als Sieger daraus hervorgegangen. Der Effekt dieser stets wiederkehrenden Geschichten war, daß auf der ganzen Welt kein Mensch es an Findigkeit, Tapferkeit und Unternehmungsgeist mit Hugh Dain aufnehmen konnte. Endlich fand die tollkühne Geschichte ihren blutrünstigen Abschluß. Dain warf sich mit selbstzufriedenem Lächeln in den Stuhl, wandte nunmehr die Gedanken von seinen Heldentaten ab und forderte seinen Freund auf, sein Anliegen vom Stapel zu lassen.

Durch Dains Phantasie aufgemuntert, gab Pearson eine genaue Beschreibung des mystischen Todes Valroses. Er begann seinen Bericht mit der Auffindung der Leiche, gab eine Beschreibung jener geheimnisvollen; drei roten Punkte und ging dann zu den überraschenden Enthüllungen bei der gerichtlichen Vernehmung über, durch welche bewiesen worden war, daß der Tote ein Doppelleben geführt, indem er sich Bekannten gegenüber als ein Mann mit unabhängigem Vermögen aufgespielt hatte. »Da der Verdacht besteht, daß er ein Mitglied revolutionärer Geheimbünde war, so ist es nicht ganz ausgeschlossen, daß er dir mal irgendwie in den Weg gelaufen sein könnte,« schloß Pearson.

Dain konnte sich erinnern, während seines Aufenthalts im Ausland in den englischen Zeitungen einen Bericht über diese Sache gelesen zu haben, stellte aber in Abrede, irgendetwas über Valrose zu wissen.

»Keinesfalls unter diesem Namen. Doch wenn er das war, was du argwöhnst, lebte er sicher unter mehr als einem falschen Namen. Gib mir eine Beschreibung von ihm!«

Pearson beschrieb ihn haargenau, doch als er geendet hatte, schüttelte Dain den Kopf. »Nein, er erinnert an niemand, der in Frage kommen könnte. Doch kenne ich natürlich nicht jedes Mitglied der vielen revolutionären Verbände auf dem Kontinent. Das wäre wohl auch ein Ding der Unmöglichkeit.«

»Die Polizei nimmt an, daß seine früheren Genossen ihn aus Gründen, die man höchstens vermuten kann, umbrachten, und daß sein Tod durch ein heimtückisches Mittel, welches keinerlei Schlüsse auf seinen Ursprung zuläßt, herbeigeführt wurde,« fuhr Pearson fort.

»Diese Schlußfolgerung klingt in anbetracht des vorhandenen Beweismaterials ziemlich einleuchtend,« entgegnete Dain und gab damit zu erkennen, daß die Sache ihn wenig interessierte. »Wenn solche Attentate hier im Lande auch ziemlich selten sind, kommen sie im Ausland doch häufiger vor. Und einige dieser Organisationen legen Wert darauf, ihren Opfern irgendein Brandmal aufzuprägen, was von ihrem Gesichtspunkt aus ziemlich kurzsichtig ist.«

»Ich vermute, daß diese mit allen Wassern gewaschenen Halunken mit gewissen Giften arbeiten, die keine Spuren hinterlassen,« meinte Pearson. »Ich hätte freilich nicht geglaubt, daß es heutzutage noch Mittel gibt, welche von der chemischen Analyse noch nicht erfaßt werden konnten.«

»Haufenweise,« rief der Mann von der Geheimpolizei mit Nachdruck. »Haufenweise! All' diese Organisationen haben Leute an der Hand, deren Kenntnisse über Geheimmittel, welche geeignet sind, den Mitmenschen zu gegebener Zeit aus dem Wege zu räumen, einer Wissenschaft nahekommen,« fügte er laut lachend hinzu. »Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, daß ich eines schönen Tages auch so weggefegt werde, wenn mir mal eine Unvorsichtigkeit passiert oder es mir nicht gelingt, meine Spuren zu verwischen.«

Pearson teilte ihm nun mit, daß der Fall ihn dermaßen beschäftige, daß er sich vorgenommen habe, auf eigene Faust Ermittlungen anzustellen.

Dem jungen Manne schien es, als bemerkte er aus dem Gesicht des Freundes jenes mitleidige Lächeln, das der Berufsmensch für den Amateur übrig zu haben pflegt.

»Betreibe getrost diesen Sport, lieber Freund,« antwortete er gönnerhaft. »Ich möchte ja nicht gerade behauptet haben, daß das Detektivspielen dir besonders liegt. Aber wenn du ein verborgenes Talent in dir fühlst, gib ihm nur ja nach! Auf alle Fälle wirst du deine Zerstreuung dabei finden, wenn es auch zu nichts führt.«

»Ach, ich erwarte ja nicht große Erfolge,« antwortete Pearson etwas kleinlaut. Die ironische Anspielung ärgerte ihn. »Doch um die Wahrheit zu gestehen, ich habe im Augenblick so ziemlich alles satt. Ich bin mit einer Miß Thurston verlobt, einem sehr hübschen Mädchen, deren Vater in der Finanzwelt einen gewissen Ruf besitzt. Sie ist zur Zeit auf drei Wochen zu Besuch bei einer Tante, von der sie später einmal eine große Erbschaft machen soll. Während ihrer Abwesenheit bin ich jetzt natürlich in recht verdrießlicher Stimmung.«

»Keine ganz seltene Erscheinung, wenn Liebende getrennt sind,« entgegnete Dain spitz und gab damit zu verstehen, daß er die Sache nicht ernst nahm.

»Und wann beabsichtigst du mit der Entwirrung des Knotens den Anfang zu machen?«

»Sehr bald, da mein Entschluß feststeht. In drei oder vier Tagen mache ich mich auf nach Paris.«

»So ist also Paris dein Ausgangspunkt? Wo wirst du absteigen? Es ist möglich, daß auch ich bald in Paris bin. Ich könnte dich dann aufsuchen, wenn ich weiß, wo du wohnst.«

»Im Hotel Vinci,« lautete die Antwort. »Du wirst es wohl auch kennen.«

»Das will ich meinen,« sagte Dain, »ich bin oft dort gewesen. Vielleicht hast du es aus einem besonderen Grunde gewählt?«

Pearson zögerte einen Augenblick, ehe er antwortete. Gern hätte er seinem Freunde alles Wissenswerte über Lloyd und dessen geheimnisvolles Treiben erzählt, auch über den Tod des Obersten de Boeck in Brüssel gesprochen, doch die Loyalität gegen Shaddock hielt ihn davon zurück. Sehr schade, denn es hätte möglicherweise von Nutzen sein können, Dain ins Vertrauen zu ziehen. Vielleicht wußte er etwas über diesen Lloyd.

»Ich habe allerdings einen besonderen Grund. Leider kann ich ihn dir nicht mitteilen, da ich versprochen habe, zu schweigen.«

»Schon gut, lieber Freund, gib dir keine Mühe, dich zu entschuldigen. Gewiß hat dich die Polizei ins Vertrauen gezogen, und du bist nun hinter einem Kerl her, den sie verdächtigen. Nun, ich wünsche dir viel Glück, bezweifle aber, daß du großen Erfolg haben wirst.«

»Wie ich dir bereits am Anfang sagte, mache ich mir durchaus keine übertriebenen Hoffnungen,« erwiderte Pearson. »Es ist nur eine Laune von mir.«

»Ganz richtig, gerade nur ein Zeitvertreib und etwas Anregung, bis die Geliebte ihr Licht wieder über dir leuchten läßt. Übrigens, ich glaube, ich habe von deinem zukünftigen Schwiegervater schon gehört; er macht bedeutende Geschäfte, was?«

»Ich glaube ja, er scheint viel Geld zu verdienen.«

»Du Glückskäfer,« bemerkte Dain lächelnd. »Ich habe ihn einmal in Biarritz getroffen. Aber ich bezweifle, daß er sich meiner noch erinnert. In den Augen eines so bedeutenden Geldmannes bin ich eine zu unwichtige Persönlichkeit.« Er schaute auf seine Uhr. »Alle Wetter, wie die Zeit vergeht! Ich habe noch ein halbes Dutzend lange Briefe zu schreiben. Also leb' wohl, mein alter Freund! Aber glaube mir, du machst dir vergebliche Mühe. Du kannst überzeugt sein, daß Scotland Yard das Feld schon abgegrast und alles entdeckt hat, was zu entdecken war. Ich empfehle dir, genieße das heitere Paris, ohne dir den Kopf über den Tod des Valrose zu zerbrechen. Und dann, wie willst du jemand eine andere Überzeugung beibringen, nachdem jenes Urteil gefällt wurde, das einen natürlichen Tod feststellt? Deine Feinde, welche hinter den Kulissen arbeiten, sind zu schlau.«

Am nächsten Tage weilte Pearson zum Diner in Shepperton und wollte dann über Nacht dort bleiben. Nach dem Essen, als sie im Rauchzimmer saßen, erzählte er Thurston von seinem Plan, nach Paris zu fahren.

Thurston war ein sehr verständnisvoller Mann und wußte die Beweggründe zu würdigen, die Pearson dazu bestimmt hatten.

»Wird dir gut tun, lieber Junge. Ohne Cecile muß es dir hier schrecklich langweilig vorkommen. Diese Trennung so kurz nach der Verlobung ist recht hart für euch. Es war aber nicht zu ändern. Meine Schwägerin ist eine sehr empfindliche Frau und leicht beleidigt. Hoffentlich bin ich nicht zu interessiert für meine Tochter, aber es steht dort viel auf dem Spiel.«

Er überlegte einen Augenblick und fügte dann hinzu: »übrigens im Geschäft ist's jetzt Sauregurkenzeit. Wann hast du die Absicht zu fahren?«

»In drei Tagen. Ich habe noch einiges zu ordnen, was mich den morgigen Tag und vielleicht noch ein gut Teil vom nächsten in Anspruch nehmen wird; dann bin ich fertig.«

»Da fällt mir ein, daß ich ganz gut auf acht bis zehn Tage mitfahren könnte, so als eine Art Strohwitwer. Wenn du nichts gegen mich als Reisegefährten einzuwenden hast.«

Wie die Dinge lagen, wäre Pearson viel lieber allein gefahren. Er konnte seine Ermittlungen im Hotel nicht gut betreiben, ohne daß Thurston davon erfuhr. Nun mußte er natürlich das Unvermeidliche mit guter Miene hinnehmen.

Doch wurde es nun nötig, seinen Schwiegervater wenigstens teilweise ins Vertrauen zu ziehen. Dabei mußte er vorsichtig zu Werke gehen wegen seines Shaddock gegebenen Versprechens. So sagte er ihm dasselbe, was er Dain mitgeteilt hatte.

Und ganz wie Dain es getan, goß auch Thurston Wasser in den Wein seines Tatendranges und gab mit fast den gleichen Worten, die der andere gebraucht hatte, und die gleichen Argumente vorbringend, seiner Vermutung Ausdruck, daß Scotland Yard sicher schon vor ihm dort gewesen sei und alles, was möglich war, getan habe. Er möge auch bedenken, daß er in der Arbeit eines Detektivs keine Erfahrung besitze und die ganze Sache eine nutzlose Bemühung sein werde. Mag doch das Geheimnis um Valrose ruhig ein Geheimnis bleiben bis ans Ende aller Zeiten!

Wäre nun Pearson ein alltäglicher Charakter gewesen, so hätten ihn vermutlich die Ratschläge, die ihm zwei erfahrene Männer unabhängig voneinander gegeben hatten, beeinflußt. In seiner Natur lag aber ein starker Zug von verbissener Entschlossenheit. Hatte er sich einmal fest etwas vorgenommen, konnten ihn selbst noch so überzeugend klingende Einwendungen nicht von seinem Vorsatz abbringen.

Er erklärte Thurston, wie er es auch bei Dain getan hatte, daß er durchaus nicht optimistisch an die Sache herangehe, daß ihn die Schwierigkeit des Falles aber keineswegs abschrecke, und daß er entschlossen sei, seine sich gestellte Aufgabe durchzuführen. Und der Ältere, der ebenso wenig Interesse an der Valrose-Affäre zu nehmen schien wie Dain, erwiderte nun nichts mehr.

Beide gingen an ihre Vorbereitungen zur Reise. Pearson, der noch viel zu tun hatte, konnte vorher nicht mehr nach Shepperton herauskommen, obgleich er darum gebeten wurde.

Am Abend schrieb er einen langen Brief an Cecile, worin er betonte, wie einsam er sich ohne sie fühle, daß er nach Paris hinüberfahre, um die Zeit dort totzuschlagen, und daß ihr Vater ihn begleiten werde.

Am folgenden Tage erhielt er einen langen Brief von seinem geliebten Mädchen, worin sie in humorvoller Weise ihre Erlebnisse in dem kleinen Dorfe schilderte. Frau Hamilton sei eine Dame von äußerst einseitigen Gewohnheiten, und bei jedem Besuch würde getreulich das gleiche Programm abgewickelt. Am Abend nach ihrer Ankunft hätte das übliche feierliche Diner mit den bekannten Gästen stattgefunden. Dieses Diner hätte natürlich mit dem vom vergangenen Jahre aufs Haar übereingestimmt. Der einzige jüngere Mensch außer ihr sei der Kurat gewesen, der bei Tisch neben ihr gesessen habe, aber langweiliger denn je gewesen sei.

Der Brief schloß mit den gewohnten Liebesbeteuerungen und drückte ihre frohe Erwartung auf das nächste Wiedersehen aus. Sie freute sich, daß er mit ihrem Vater nach Paris fahre und würde brennend gern mit von der Partie sein.

Zwei Tage später fuhren Thurston und sein zukünftiger Schwiegersohn nach der französischen Hauptstadt. Der Wetterbericht stellte eine Reihe schöner Tage in Aussicht.

Beide Herren hatten verabredet, London mit dem Mittagszug zu verlassen und vor der Abfahrt bei Simpsons zu frühstücken. Der Finanzmann wat Kosmopolit durch und durch und kannte die besten Küchen sämtlicher Hauptstädte Europas. Ferner hatte er große Vorliebe für die mancherlei vorzüglichen Gerichte, die er im Ausland kennen gelernt hatte. Doch war er Engländer genug, um als ständige Kost die Küche seines eigenen Landes vorzuziehen.

»Mal zur Abwechslung ist das Fremde ganz gut, mein Sohn,« meinte er, als sie sich über dieses Thema unterhielten. »Was das Pikante anbetrifft, so reichen unsere Köche den Franzosen nicht das Wasser, und vor ihren Saucen müssen wir das Feld räumen. Aber wir haben manches, mit dem sie keinen Vergleich aushalten.. Wo gibt's im Auslande einen Hammelrücken, wie wir ihn soeben bekommen haben? Wer versteht ein Birkhuhn so zu braten, wie jede Pächtersfrau im alten Yorkshire es kann? Nein, wenn man von ihren kleinen Kunstkniffen absieht, schwindet ihre Überlegenheit dahin. Auch ist England in der Qualität seiner Speisen nicht zu schlagen. Wären unsere Köche doch nur ein bißchen mehr Feinschmecker!«

Als sie dann im Zuge saßen, fragte Thurston, ob Pearson Cecile etwas über den Hauptgrund seiner Reise mitgeteilt habe. Der junge Mann verneinte.

Der Finanzmann lächelte. Doch dieses Lächeln verdroß Pearson. Es drückte allzu deutlich aus, welche Meinung Thurston von diesem »Detektiv aus Liebhaberei« hatte.

»Es ist gut, daß du es nicht tatest, denn ich bin überzeugt, daß du dich umsonst anstrengst. Wenn du Lust hast zu wetten, so gebe ich dir gern etwas vor.«

Pearson antwortete kurz, daß er zum Wetten keine Lust verspüre. Dies war natürlich Wasser auf Thurstons Mühlen. Der junge Mann war ärgerlich, daß er nicht ernst genommen wurde.


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