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Kapitel XXXIII.
Von der Ideenassoziation.

§ 1. Philal. Im Denken der Menschen findet sich oft etwas Sonderbares, dem jedermann unterworfen ist. Das ist nicht bloß Eigensinn oder Eigenliebe, denn oft machen die wackersten Leute sich dieses Fehlers schuldig. Auch kann man ihn nicht immer der Erziehung und den Vorurteilen beimessen, – § 4 vielmehr ist es eine Art Wahnsinn, und man würde, wenn man immer so handelte, ein Narr sein. – § 5. Dieser Fehler nun kommt von einer nicht naturgemäßen Verbindung von Ideen, die ihren Ursprung im Zufall oder in der Gewohnheit hat. – § 6. Auch die Neigungen und Interessen spielen hierbei eine Rolle. Bestimmte Spuren werden, durch den häufigen Lauf, den die Lebensgeister über sie nehmen, zu gebahnten Wegen. Wenn man eine bestimmte Melodie kennt, so findet man sie, sobald man sie einmal angefangen hat. – § 7. Daher kommen die Sympathien und Antipathien, die uns nicht angeboren sind. Ein Kind hat zu viel Honig gegessen, sich danach übel befunden und kann nun, nachdem es erwachsen ist, das Wort Honig nicht hören, ohne Ekel zu bekommen. § 8. Die Kinder sind solchen Eindrücken außerordentlich leicht zugänglich, und es ist wichtig, hierauf zu achten. § 9. Diese unregelmäßige Assoziation von Ideen hat auf alle unsere Handlungen und Leidenschaften, natürliche wie moralische, einen großen Einfluß. § 10. Finsternis erweckt bei Kindern die Vorstellung von Gespenstern wegen der Geschichten, die man ihnen hiervon erzählt hat. §11. Man kann an jemand, den man haßt, nicht denken, ohne zugleich an das Üble, das er uns zugefügt hat oder zufügen kann, zu denken. § 12. Man meidet das Zimmer, worin man einen Freund sterben gesehen hat. § 13. Eine Mutter, die ein Kind, das sie sehr liebte, verloren hat, verliert mit ihm zuweilen alle ihre Freudigkeit, bis die Zeit den Eindruck dieser Vorstellung verwischt, was mitunter niemals geschieht. § 14. Ein Mensch, der durch eine äußerst schmerzliche Operation von der Raserei geheilt worden war, hielt sich sein Lebenlang dem, der die Operation vollzogen hatte, verpflichtet, aber seinen Anblick vermochte er nicht zu ertragen. § 15. Manche hassen der schlechten Behandlung wegen, die sie in der Schule erfahren haben, die Bücher ihr ganzes Leben lang. Jemand, der einmal bei einer bestimmten Gelegenheit eine Überlegenheit über einen andern gewonnen hat, behauptet sie wohl für immer. § 16. Es ist vorgekommen, daß jemand ganz gut tanzen gelernt hatte, es aber doch nicht ausführen konnte, wenn er in dem Zimmer nicht einen Koffer hatte, der dem, der sich in dem Zimmer, in dem er gelernt, befunden hatte, ähnlich war. §17. Dieselbe künstliche Verknüpfung von Ideen findet sich bei den intellektuellen Gewohnheiten: man verknüpft z. B. die Materie mit dem Sein, als ob es nichts Immaterielles gäbe. – § 18. Man verknüpft mit seinen Meinungen den Parteistandpunkt in der Philosophie, Religion und im Staate.

Theoph. Diese Bemerkung ist wichtig und ganz nach meinem Geschmack, und man könnte sie durch unzählige Beispiele erhärten. Descartes hatte in seiner Jugend eine Neigung für eine schielende Person gehabt und konnte sich sein ganzes Leben nicht enthalten, Personen, die den gleichen Fehler besaßen, zugetan zu sein. Ein anderer großer Philosoph, Hobbes, konnte, wie man sagt, nicht allein an einem dunklen Ort bleiben, ohne durch die Bilder von Gespenstern erschreckt zu werden, obgleich er nicht daran glaubte – da ihm dieser Eindruck von den Erzählungen, wie man sie den Kindern macht, geblieben war. Manche gelehrte und verständige Leute, die über dem Aberglauben erhaben sind, könnten sich nicht entschließen, zu dreizehn bei einem Mahle zu sein, ohne dadurch aufs äußerste beunruhigt zu werden, da sich in ihnen früher einmal die Einbildung festgesetzt hat, daß einer von ihnen im Laufe des Jahres sterben müsse. Es hat einen Edelmann gegeben, der, weil er vielleicht in seiner Kindheit durch eine schlecht gesteckte Nadel verletzt worden war, keine solche Nadel mehr sehen konnte, ohne in Gefahr zu sein, in Ohnmacht zu fallen. Ein Premierminister, der am Hofe seines Herrn den Rang eines Präsidenten hatte, fand sich durch den Titel des Buches von Otavio Pisani (genannt Lycurgus), beleidigt und ließ dagegen schreiben, weil der Verfasser, indem er von bestimmten Justizbeamten sprach, die er für überflüssig hielt, darunter auch die Präsidenten genannt hatte; und obgleich diese Bezeichnung in der Person jenes Ministers etwas ganz anderes bedeutete, so hatte er doch dergestalt das Wort mit seiner Person verknüpft, daß er sich in ihm verletzt fand. Diese Verknüpfung von Worten und Dingen, selbst wenn hierbei ein Doppelsinn besteht, ist einer der gewöhnlichsten Fälle von nicht natürlichen, leicht zu Täuschungen veranlassenden Assoziationen.

Um die Quelle dieser nicht-natürlichen Ideenverbindungen besser zu verstehen, muß man auf das achten, was ich hierüber schon früher (Cap. XI, § 1), als ich vom Denken der Tiere sprach, bemerkt habe: daß nämlich der Mensch so gut wie das Tier dem Gesetz unterworfen ist, in seinem Gedächtnis und seiner Einbildungskraft das miteinander zu verbinden, was er in seinen Perzeptionen und seinen Erfahrungen als miteinander verbunden bemerkt hat. Darin besteht der Denkprozeß der Tiere, wenn man ihn so nennen darf, und oft auch der der Menschen, sofern sie reine Empiriker sind und sich nur durch die Sinne und durch Beispiele leiten lassen, ohne zu prüfen, ob noch derselbe Grund obwaltet. Und da uns die Gründe oft unbekannt sind, so müssen wir die Beispiele in dem Maße, als sie häufig sind, berücksichtigen; denn in diesem Falle ist die Erwartung einer bestimmten Perzeption oder die Erinnerung an sie beim Auftreten einer andern Perzeption, die gewöhnlich mit ihr verbunden ist, vernunftgemäß; vor allem wenn es sich darum handelt, sich vorzusehen. Aber da die Wucht eines sehr starken Eindruckes oft mit einem Male eine ebensogroße Wirkung tut, als die Häufigkeit und Wiederholung mehrerer mittelmäßiger Eindrücke in längerer Zeit hätte tun können, so kommt es vor, daß diese Wucht in die Phantasie ein ebenso tiefes und lebhaftes Bild eingräbt, als die lange Erfahrung es hätte verursachen können. Daher kommt es, daß irgendein zufälliger, aber heftiger Eindruck in unserer Einbildungskraft und in unserem Gedächtnis zwei Ideen, die hier schon vorher beisammen waren, so fest und dauerhaft miteinander verbindet und uns eine ebenso starke Neigung gibt, sie zu verknüpfen und das Eintreten der einen nach der anderen zu erwarten, als wenn eine lange Gewohnheit den Zusammenhang zwischen ihnen bestätigt hätte; so daß also hier die Assoziation die gleiche Wirkung übt, obwohl der Grund in beiden Fällen nicht der gleiche ist. Autorität, Partei, Gewohnheit wirken hier in derselben Weise wie die Erfahrung und die Vernunft; und es ist nicht leicht, sich von diesen Neigungen loszumachen. Doch würde es nicht sehr schwer sein, sich in Urteilen dieser Art vor Täuschung zu bewahren, wenn die Menschen sich mit rechtem Ernste der Erforschung der Wahrheit befleißigen, und sobald sie erkennen, daß ihre Auffindung für sie von Bedeutung ist, methodisch vorgehen wollten.

 


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