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Kapitel XXII.
Von den gemischten Modi.

§ 1. Gehen wir zu den gemischten Modi über. Ich unterscheide sie von den einfacheren Modi, die nur aus einfachen Ideen derselben Gattung zusammengesetzt sind. Übrigens sind die gemischten Modi gewisse Verbindungen einfacher Ideen, die man nicht als charakteristische Merkmale irgendeines wirklichen Wesens, das ein festes Dasein besäße, betrachtet, sondern als losgelöste und unabhängige Ideen, die der Geist zusammenfügt, hierdurch sind sie von den zusammengesetzten Ideen der Substanzen verschieden.

Theoph. Um dies richtig zu verstehen, muß man sich die Einteilungen, die Sie früher festgesetzt haben, zurückrufen. Die Ideen sind danach entweder einfach oder zusammengesetzt; die zusammengesetzten sind entweder Substanzen oder Modi oder Relationen; die Modi sind entweder einfache (aus einfachen Ideen derselben Art zusammengesetzte) oder gemischte. Ihrer Ansicht nach gibt es also einfache Ideen, Ideen der einfachen und der gemischten Modi, Ideen von Substanzen und Ideen von Relationen. Vielleicht könnte man die Termini oder Objekte der Ideen in abstrakte und konkrete einteilen: die abstrakten in absolute und in solche, die Relationen ausdrücken, die absoluten in Attribute und Modifikationen; die einen wie die anderen in einfache und zusammengesetzte; die konkreten in (echte) Substanzen und in substantielle Dinge, d. h. solche, die aus echten und einfachen Substanzen zusammengesetzt sind und aus ihnen resultieren.

§ 2. Philal. Der Geist ist hinsichtlich seiner einfachen Vorstellungen lediglich leidend, denn er empfängt sie, je nachdem die sinnliche Empfindung und die Reflexion sie ihm darbieten. Hinsichtlich der gemischten Modi aber ist er häufig selbsttätig, denn er kann die einfachen Ideen miteinander verbinden, und auf diese Weise zusammengesetzte Ideen bilden, ohne in Betracht zu ziehen, ob sie in dieser Vereinigung in der Natur vorhanden sind. Aus diesem Grunde gibt man Ideen dieser Art den Namen Begriff (notion).

Theoph. Auch die Reflexion indessen, kraft deren wir an einfache Ideen denken, ist oft ein willkürlicher Akt, und es können ferner die Verbindungen, die die Natur nicht geschaffen hat, in uns, wie von selbst, in den Träumen und Phantasien auf Grund des bloßen Gedächtnisses gebildet werden, ohne daß der Geist hierbei eine größere Tätigkeit, als bei den einfachen Ideen, entfaltet. Was das Wort Begriff anbetrifft, so wenden viele es auf alle Arten von Ideen oder gedanklichen Inhalten an, sowohl auf die ursprünglichen als auf die abgeleiteten.

§ 4. Philal. Die Bezeichnung für mehrere Ideen, die zu einer einzigen verknüpft sind, ist ihr » Name«.

Theoph. Diese Erklärung gilt unter der Voraussetzung, daß die Ideen miteinander verknüpfbar sind: worin man oft Fehler begeht.

Philal. Da das Verbrechen, einen Greis zu töten, nicht, wie der Vatermord, einen eigenen Namen hat, so sieht man es nicht als komplexe Idee an.

Theoph. Der Grund, warum der Mord eines Greises keinen Namen hat, ist der, daß eine solche Bezeichnung, da die Gesetze hierauf keine besondere Strafe gesetzt haben, von geringem Nutzen sein würde. Indessen sind die Ideen nicht von den Namen abhängig Vgl. hierzu den »Dialogus de connexione inter res et verba«. Band I, S. 15 ff.. Ein Moralist, der für das Verbrechen einen eigenen Namen erfinden und in einem besonderen Kapitel vom Greisenmord (der Gerontophonie) handeln wollte, indem er zeigte, was man den Greisen schuldig sei und welch eine barbarische Handlungsweise es sei, sie nicht zu verschonen, würde uns darum keine neue Idee geben.

§ 6. Philal. Der Umstand, daß die Sitten und Gebräuche einer Nation ihr bestimmte Verbindungen von Ideen vertraut machen, bewirkt allerdings, daß jede Sprache besondere Ausdrücke hat und daß man nicht immer ein Wort der einen in ein Wort der andern unmittelbar übersetzen kann. So waren der Ostrazismus bei den Griechen und die Proskription bei den Römern Worte, die die anderen Sprachen durch entsprechende Worte nicht auszudrücken vermochten. Die Veränderung der Lebensgewohnheiten bringt daher auch neue Wörter hervor.

Theoph. Daran hat auch der Zufall seinen Teil. So benutzen z. B. die Franzosen Pferde ganz ebenso, wie es bei anderen benachbarten Völkern der Fall ist; aber da sie das alte französische Wort, das dem cavalcar der Italiener entsprach, aufgegeben haben, so müssen sie mit einer Umschreibung sagen: aller à cheval.

§ 9. Philal. Wir gewinnen die Ideen der gemischten Modi durch die Beobachtung (wie z. B. die Idee des Kampfes daraus, daß man zwei Menschen kämpfen sieht), wir gewinnen sie ferner durch Erfindung (oder willkürliche Verbindungen einfacher Ideen), wie derjenige, der die Buchdruckerkunst erfand, die Idee von ihr besaß, ehe diese Kunst bestand. Endlich erwerben wir sie durch die Erklärung von Bezeichnungen, die wir Handlungen, die man niemals gesehen hat, beilegen.

Theoph. Man kann sie auch durch Träumen und Phantasieren gewinnen, wobei die Verbindung keine willkürliche ist, wenn man z. B. im Traume goldene Paläste sieht, ohne vorher daran gedacht zu haben.

§ 10. Philal. Die einfachen Ideen, die am meisten modifiziert worden sind, sind die des Denkens, der Bewegung und der Macht, von denen man alle Tätigkeiten herkommend denkt, denn die große Angelegenheit des menschlichen Geschlechts besteht in der Tätigkeit. Alle Tätigkeiten sind Gedanken oder Bewegungen. Die Macht oder die Fähigkeit eines Menschen, etwas zu tun, macht diejenige Idee aus, die wir Fertigkeit nennen, wenn man diese Macht durch häufige Wiederholung derselben Sache erlangt hat. Kann man diese Fähigkeit bei jeder sich darbietenden Gelegenheit ausüben, so nennen wir sie Disposition: so ist die Zärtlichkeit eine Disposition zur Freundschaft oder zur Liebe.

Theoph. Unter Zärtlichkeit verstehen Sie hier, glaube ich, das zarte Herz, sonst aber, scheint mir, betrachtet man die Zärtlichkeit als eine Eigenschaft, die man als Liebender besitzt, und durch die der Liebende für Wohl und Wehe des geliebten Gegenstandes sehr empfindlich gestimmt wird: hierauf geht, wie mir scheint, die »Carte du Tendre« in dem trefflichen Roman Clelia La »carte du Tendre«; die Karte von Amors Königreich, in der Clélie der Mlle de Scudéry; vgl. Band I, S. 210 und Anm. 152.. Da nun die Liebreichen ihren Nächsten mit einem gewissen Grad von Zärtlichkeit lieben, so sind sie für das Wohl und Wehe des andern empfindlich; und überhaupt haben diejenigen, welche ein zartes Herz haben, eine gewisse Disposition, mit Zärtlichkeit zu lieben.

Philal. Die Kühnheit ist das Vermögen, vor anderen, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, zu tun oder zu sagen, was man will. Das Selbstvertrauen hinsichtlich dieses letzten Punktes, der das Reden betrifft, hatte bei den Griechen einen besonderen Namen.

Theoph. Man würde gut tun, dem Begriff, den man hier durch den Ausdruck »Kühnheit« bezeichnet – ein Ausdruck, der jedoch, wie z. B. in der Bezeichnung »Karl der Kühne«, oft ganz anders gebraucht wird –, einen eigenen Namen zu geben. Nicht aus der Fassung zu geraten, ist eine Stärke des Geistes, die aber die Bösen, wenn sie bis zur Unverschämtheit gelangt sind, mißbrauchen; wie andererseits die Scham eine Schwäche ist, die jedoch unter gewissen Umständen entschuldbar, ja sogar löblich ist. Was die Parrhesie betrifft, die vielleicht der griechische Ausdruck ist, den Sie meinen Das englische Original Lockes fügt in der Tat diesen Ausdruck (παῤῥησία) in Klammern bei., so schreibt man sie auch Schriftstellern, die die Wahrheit ohne Scheu sagen, zu; obwohl in diesem Falle, da sie nicht vor den Leuten sprechen, keine Veranlassung für sie besteht, aus der Fassung zu geraten.

§ 11. Philal. Wie das Vermögen die Quelle ist, aus der alle Tätigkeiten fließen, so gibt man den Substanzen, die der Sitz dieses Vermögens sind, den Namen »Ursache«, wenn sie dieses ihr Vermögen in Wirklichkeit überführen; »Wirkungen« dagegen nennt man die Substanzen, die auf diese Art entstehen, oder vielmehr die einfachen Ideen (d. h. die Gegenstände dieser einfachen Ideen), die durch die Ausübung des Vermögens an einem Subjekt hervorgebracht werden. Die Wirksamkeit, durch die eine neue Substanz oder Idee (Eigenschaft) hervorgebracht wird, wird in dem Subjekt, das das Vermögen ausübt, Handlung genannt, während sie bei demjenigen Subjekt, an welchem irgendeine einfache Idee oder Eigenschaft verändert oder hervorgebracht wird, Leiden heißt.

Theoph. Versteht man das Vermögen als die Quelle, aus der alle Handlungen fließen, so bedeutet es mehr als eine bloße Fertigkeit oder Fähigkeit, als welche es im vorigen Kapitel erklärt worden ist: denn es schließt dann, wie ich schon mehrmals bemerkt habe, die Strebung in sich. In diesem Sinne pflege ich hierfür den Namen Entelechie zu verwenden, die als ursprüngliche Entelechie der Seele, in abstrakter Bedeutung, entspricht, oder als abgeleitete Entelechie in der Art des Conatus oder der Kraft und des Bewegungsantriebes zu denken ist Vgl. Bd. II, S. 325; (Anm. 439).. Der Ausdruck Ursache wird hier nur von der wirkenden Ursache (causa efficiens) verstanden, er wird jedoch auch für die Endursache oder das Motiv gebraucht, um hier nicht von Stoff und Form zu reden, die man in den Schulen gleichfalls Ursachen nennt Vgl. Aristoteles, Metaphys. IV, 2, 1013a: αἴτιον λέγεται ἕνα μὲν τρόπον ἐξ' οὗ γίγνεται τι ἐνυπάρχοντος … ἄλλον δὲ τὸ εἶδος καὶ τὸ παράδειγμα, τοῦτο δ'ἐστὶν ὁ λόγος τοῦ τί ἦν εἶναι καὶ τὰ τούτων γένη … ἔτι ὅθεν ἡ ἀρχὴ τῆς μεταβολῆς ἡ πρώτη ἢ τῆς ἠρεμήσεως … ἔτι ὡς τὸ τέλος.. Ich weiß nicht, ob man sagen kann, daß ein und dasselbe Sein mit Rücksicht auf das Tätige Handlung, mit Rücksicht auf das Leidende Leiden genannt werde und daß es somit, wie die Beziehung, zwei Subjekten zugleich angehörte, und ob es nicht besser ist, zu sagen, daß hier zwei Wesen, das eine in dem Tätigen, das andere in dem Leidenden vorhanden sind.

Philal. Manche Worte, die eine Handlung auszudrücken scheinen, bedeuten nur die Ursache und die Wirkung: so schließen Schöpfung und Vernichtung keine Vorstellung von der Handlung selbst oder von der Art, in der sie sich vollzieht, in sich, sondern lediglich eine Vorstellung der Ursache und der hervorgebrachten Sache.

Theoph. Ich gebe zu, daß man sich im Gedanken der Schöpfung keinen Begriff von einer bestimmten, im Besonderen angebbaren Weise der Tätigkeit macht, der hier auch gar nicht statthaben kann. Da man aber mit diesem Gedanken etwas mehr ausdrücken will, als bloß Gott und die Welt – denn man denkt, daß Gott die Ursache und die Welt die Wirkung ist, oder eigentlich, daß Gott die Welt hervorgebracht hat –, so denkt man offenbar hierbei auch an die Handlung.


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